Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.03.2013, Az.: 4 K 338/11
Wertung der Überlassung eines Betriebs zur Bewirtschaftung als Übertragung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.03.2013
- Aktenzeichen
- 4 K 338/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 40078
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:0325.4K338.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 1 Nr. 1a S. 1, 2 Buchst. b) EStG a.F.
- § 12 Nr. 2 EStG
- § 52 Abs. 23f S. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2014, 6
- DStRE 2014, 404-405
- GStB 2013, 340
- KÖSDI 2014, 18836
- NWB 2013, 2122
- NWB direkt 2013, 696
Amtlicher Leitsatz
Die Überlassung eines Betriebs zur Bewirtschaftung ist als Übertragung zu werten
Tatbestand
Streitig ist, ob Versorgungsleistungen aufgrund eines Wirtschaftsüberlassungsvertrags als Sonderausgabe abziehbar sind.
Der Kläger erzielt aus der Bewirtschaftung des im Eigentum seines Großvaters stehenden Hofes Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Durch Wirtschaftsüberlassungsvertrag vom xx.xx. 1989 hatte dieser die Bewirtschaftung des Hofes seinem Sohn A. überlassen. Nach § 3 des Vertrags verpflichtete sich der Wirtschaftsübernehmer zur Übernahme aller den Hof betreffenden Steuern und Lasten sowie des Kapitaldienstes der bei "Pachtbeginn" vorhandenen Belastungen, der Feuerversicherungsprämie für Gebäude und Inventar, der Beiträge zum Wasser- und Bodenverband sowie zum Berufsverband und der laufenden Gebäudeunterhaltung. Außerdem hatten "die Verpächter" das Recht der freien Mitbenutzung aller Einrichtungen des Hauses sowie das Recht des freien Ein-, Aus- und Umgangs im Hause und auf der ganzen Stelle. Für den Fall, dass sie einen eigenen Haushalt gründen sollten, hatten sie Anspruch auf Lieferung im Betrieb gewonnener Lebensmittel in ausreichender Menge und guter Qualität. Wegen der weiteren Einzelheiten der getroffenen Vereinbarungen wird auf den Inhalt des Wirtschaftsüberlassungsvertrags (Blatt 73 bis 78 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Nachdem zunächst B, ein anderer Sohn des Hofeigentümers, anstelle seines Bruders die Bewirtschaftung des Hofes übernommen hatte, trat durch eine weitere Nachtragsvereinbarung vom xx. xx. 2008 der Kläger als Wirtschaftsübernehmer in den Vertrag ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachtragsvereinbarungen (Blatt 71 und 72 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 erklärte der Kläger nach § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von x.xxx EUR. Außerdem machte er Versorgungsleistungen aufgrund des Wirtschaftsüberlassungsvertrags in Höhe von x.xxx EUR als Sonderausgaben geltend. Durch Einkommensteuerbescheid vom 7. April 2011 setzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuer 2009 unter Ansatz von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, jedoch ohne Berücksichtigung der dauernden Lasten fest. Die Berücksichtigung der Versorgungsleistungen lehnte das FA unter Hinweis darauf ab, dass es sich um einen Neuvertrag handele, bei dem die Leistungen nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. März 2010 nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 19. April 2011 wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 31. Oktober 2011 im Streitpunkt als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Wie in Tz. 22 des BMFSchreibens vom 11. März 2010 klargestellt werde, stellten Leistungen aufgrund von ab dem 1. Januar 2008 abgeschlossenen Wirtschaftsüberlassungsverträgen keine nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbaren Versorgungsleistungen dar. Die Aufwendungen seien auch nicht als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG abziehbar, weil der Wirtschaftsüberlassungsvertrag nicht wie unter fremden Dritten abgeschlossen worden sei. Einkommensteuerrechtlich liege eine unentgeltliche Nutzungsüberlassung vor. Der Vertrag solle die Versorgung der überlassenden Großeltern sichern. Die Aufwendungen des Klägers stellten daher nach § 12 Nr. 1 EStG nichtabziehbare Unterhaltsleistungen dar. Aus anderen Gründen setzte das FA die Einkommensteuer herab.
Am 9. Dezember 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung führt er aus:
Bis zu der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG durch das Jahressteuergesetz 2008 seien Leistungen aufgrund von Wirtschaftsüberlassungsverträgen ebenso wie solche aufgrund von Betriebsübergabeverträgen als dauernde Lasten abziehbar gewesen. Dies sei zuletzt in dem BMF-Schreiben vom 16. September 2004 klargestellt worden. In dem BMF-Schreiben vom 11. März 2010 werde erstmals die Auffassung vertreten, dass bei Vertragsabschlüssen ab 1. Januar 2008 keine abziehbaren Versorgungsleistungen mehr vorlägen, weil es an der in der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG vorausgesetzten "Übertragung" des Betriebs fehle. Diese Auslegung entspreche jedoch nicht dem Zweck der gesetzlichen Neuregelung. Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergebe, habe diese das Ziel verfolgt, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf den betrieblichen Bereich als eigentlichen Kernbereich der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen zu begrenzen. Dies mache es nicht erforderlich, die bisherige Gleichbehandlung von Betriebsübertragungs- und Wirtschaftsüberlassungsverträgen aufzugeben. Im Übrigen sei das BMF-Schreiben vom 11. März 2010 nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht anwendbar, weil es erst mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung und nach Abschluss des im Streitfall zu beurteilenden Wirtschaftsüberlassungsvertrags veröffentlicht worden sei. Falls die Aufwendungen nicht als Sonderausgaben berücksichtigt werden könnten, seien sie jedenfalls als Betriebsausgaben abziehbar.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2009 vom 19. April 2011 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 31. Oktober 2011 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn dauernde Lasten in Höhe von x.xxx EUR als Sonderausgaben bzw. als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft abgezogen werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Auffassung fest und führt ergänzend aus: Die nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG vorausgesetzte Übertragung des Betriebs liege im Streitfall nicht vor. Anders als bei einer Vorwegnahme der Erbfolge werde der Betrieb dem Übernehmer bei einem Wirtschaftsüberlassungsvertrag noch nicht endgültig, sondern nur probeweise übergeben. Auch die Berufung des Klägers auf den Grundsatz von Treu und Glauben gehe fehl. Durch das BMF-Schreiben vom 11. März 2010 werde die sich nach der gesetzlichen Neufassung ergebende Rechtslage lediglich erläutert. Übergangsregelungen aus Billigkeitsgründen seien nicht getroffen worden und im Hinblick auf die im Gesetzgebungsverfahren durchgeführten Anhörungen von Verbänden und Kammern auch nicht erforderlich gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die von dem Kläger aufgrund des Wirtschaftsüberlassungsvertrags erbrachten Versorgungsleistungen sind als Sonderausgaben abziehbar.
1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 und Satz 2 Buchstabe b EStG in der Fassung des Artikels 1 des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3150) sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende, lebenslange und wiederkehrende Versorgungsleistungen, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben, als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs gewährt werden. Die Neufassung ist nach § 52 Abs. 23f Satz 1 EStG auf alle Versorgungsleistungen anzuwenden, die auf nach dem 31. Dezember 2007 vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen.
a) Nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG waren als Sonderausgaben abziehbar auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) waren nach dieser Vorschrift insbesondere Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit einer vorweggenommenen Erbfolge abziehbar. Bestimmend hierfür war die Erwägung, dass sich die übergebende Generation in Gestalt der Versorgungsleistungen einen Teil der künftig von der übernehmenden Generation zu erwirtschaftenden Erträge des übergebenen Vermögens vorbehält, so dass die Übernahme der Versorgungsleistungen weder ein zu Anschaffungskosten führendes Entgelt für die Übertragung des Vermögens darstellt noch den Charakter einer nichtabziehbaren Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG hat (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl. II 1990, 847, und vom 12. Mai 2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl. II 2004, 95, und GrS 2/00, BFHE 202, 477, [BFH 12.05.2003 - GrS 2/00] BStBl. II 2004, 100, sowie die dazu ergangene Folgerechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 16. Juni 2004 X R 22/99, BFHE 206, 400, BStBl. II 2004, 1053). Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen konnte nicht nur die Übertragung von Betriebsvermögen, sondern auch die Übertragung von Privatvermögen, insbesondere Kapital- und Grundvermögen, sein (BFH-Beschluss in BFHE 202, 464, [BFH 12.05.2003 - GrS 1/00] BStBl. II 2004, 95).
Den Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit einer vorweggenommenen Erbfolge wurden nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage Leistungen gleichgestellt, die der Nutzungsberechtigte bei einem sogenannten Wirtschaftsüberlassungsvertrag an den Hofeigentümer zu erbringen hatte, sofern es sich dabei nicht um Unterhaltsleistungen handelte (BFH-Urteile vom 18. Februar 1993 IV R 50/92, BFHE 170, 557, BStBl. II 1993, 548, und IV R 106/92, BFHE 170, 553, [BFH 18.02.1993 - IV R 106/92] BStBl. II 1993, 546). Ein Wirtschaftsüberlassungsvertrag in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Landwirt einem - typischerweise erbberechtigten - Angehörigen ohne Vereinbarung eines fremdüblichen Entgelts das alleinige Nutzungsrecht am gesamten land- und forstwirtschaftlichen Vermögen, das volle Verfügungsrecht über das lebende und tote Inventar und die alleinige Entscheidungsbefugnis für alle zur Führung des Betriebs erforderlichen Maßnahmen bis zum Eintritt des Erbfalls oder zumindest für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum einräumt (BFH-Urteil vom 5. Februar 1976 IV R 31/74, BFHE 118, 37, BStBl. II 1976, 335).
Maßgebend für die Gleichstellung des Wirtschaftsüberlassungsvertrags mit der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen war die Überlegung, dass es sich auch bei diesem um einen familienrechtlichen Vertragstypus mit erbrechtlichen Bezug handelt, dem in aller Regel die Vermögensübertragung in Vorwegnahme der künftigen Erbregelung folgt oder der durch den Erbfall selbst beendet wird (BFH-Urteil in BFHE 170, 553, [BFH 18.02.1993 - IV R 106/92] BStBl. II 1993, 546, unter 2. b) und es sich bei den von dem Nutzungsberechtigten übernommenen Leistungen deshalb nicht um ein Entgelt für die Nutzungsüberlassung, sondern um Erträge aus der Nutzung des überlassenen Vermögens handelt, die sich der Hofeigentümer vorbehalten hat (BFH-Urteil in BFHE 170, 557, [BFH 18.02.1993 - IV R 50/92] BStBl. II 1993, 548, unter 2. b).
b) Entgegen der Auffassung des FA hat sich durch die Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG an der Abziehbarkeit der aufgrund von Wirtschaftsüberlassungsverträgen erbrachten Leistungen nichts geändert. Die gegenteilige Auffassung in Tz. 22 des BMF-Schreibens vom 11. März 2010 (BStBl. I 2010, 227), dass eine begünstigte Vermögensübertragung im Zusammenhang mit Versorgungsleistungen in diesen Fällen erst bei der späteren tatsächlichen Übertragung des Hofs und Betriebs vorliege, wird dem Zweck der gesetzlichen Neuregelung nicht gerecht. Diese war - wie sich aus der Begründung zu Art. 1 Nr. 5 des Regierungsentwurfs des Jahressteuergesetzes (Bundesratsdrucksache 544/07, Seite 66) ergibt - darauf gerichtet, das Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen auf seinen Kernbereich, nämlich die Übertragung von Betriebsvermögen, zurückzuführen, und zur Verhinderung von Mitnahmeeffekten und missbräuchlichen Gestaltungen die Übertragung von Privatvermögen (insbesondere Grundbesitz und Wertpapiervermögen) aus dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG auszuschließen. Die Absicht, die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs von Versorgungsleistungen auch im betrieblichen Bereich gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage einzuschränken, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Dies spricht dafür, unter der "Übertragung" eines Betriebs im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz Buchstabe b nicht nur dessen Übereignung, sondern alle Rechtsvorgänge zu verstehen, bei denen die Führung des Betriebs ohne Gewährung eines fremdüblichen Entgelts in der Weise auf einen Dritten übertragen wird, dass diesem die aus der Bewirtschaftung erzielten laufenden Einkünfte zuzurechnen sind (ebenso Giere, in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, Anmerkung A 693a).
Diese Voraussetzungen sind - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - bei dem von dem Kläger mit seinem Großvater geschlossenen Wirtschaftsüberlassungsvertrag erfüllt. Die Höhe der von dem Kläger aufgrund des Vertrags erbrachten Versorgungsleistungen ist zwischen den Beteiligten ebenfalls nicht streitig. Schließlich stellten diese auch keine nach § 12 Nr. 2 EStG nichtabziehbaren Unterhaltsleistungen dar. Solche liegen regelmäßig nur dann vor, wenn der Wert der Gegenleistung bei überschlägiger und großzügiger Berechnung weniger als die Hälfte des Werts der Versorgungsleistungen beträgt (BFH-Urteile in BFHE 170, 553, [BFH 18.02.1993 - IV R 106/92] BStBl. II 1993, 546, unter III., in BFHE 70, 557, BStBl. II 1993, 548, unter 2.). Dafür fehlt im vorliegenden Fall jeder Anhaltspunkt.
2. Die Einkommensteuer ist daher auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Abzug von Versorgungsleistungen in Höhe von x.xxx EUR als Sonderausgaben ergibt (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Berechnung der Steuer kann dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Kosten sind dem FA als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, wie Versorgungsleistungen aufgrund von Wirtschaftsüberlassungsverträgen nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG zu beurteilen sind, hat grundsätzliche Bedeutung.