Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.03.2013, Az.: 4 K 332/11
Anwendungsmöglichkeit des Halbeinkünfteverfahrens trotz Gewinnen aus Aktienveräußerungen in früheren Jahren
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.03.2013
- Aktenzeichen
- 4 K 332/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 44111
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:0313.4K332.11.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 01.10.2014 - AZ: IX R 13/13
Rechtsgrundlagen
- § 3c Abs. 2 S. 1 EStG
- § 17 Abs. 1 S. 1, 2 EStG
- § 17 Abs. 2 S. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2013, 6
- DStRE 2014, 261-262
- KÖSDI 2014, 18797
- StBW 2013, 965
Amtlicher Leitsatz
Halbeinkünfteverfahren und Veräußerungsverlust
Keine Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens trotz Gewinnen aus Aktienveräußerungen in früheren Jahren
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens auf einen Veräußerungsverlust i.S. § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen für das Streitjahr 2006 zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt u.a. als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, die Wirtschaftsberatungsleistungen für freie Berufe anbietet, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit Vertrag vom 25. Januar 2001 übernahm er zusammen mit zwei weiteren Personen insgesamt 50.000 nennwertlose Stückaktien an einer Vermögensverwaltungs AG, wobei auf ihn 16.500 Stück entfielen. Entsprechend einem Gesamtkonzept beschlossen sie nachfolgend die Umfirmierung der Aktiengesellschaft in X AG, B-Stadt. Geschäftszweck der X AG war die Entwicklung, der Bau und der Betrieb von technischen Geräten. Ferner verteilten sie die Aktien der X AG an unterschiedliche Personen. Der Kläger trat hierzu mit Vertrag vom 26. Januar 2001 13.750 Aktien an die "ABC GbR" ab. Die ABC GbR, an der der Kläger zu 25 % beteiligt war, war mit Gesellschafts- und Einbringungsvertrag vom 26. Januar 2001 gegründet worden. Die GbR hielt insgesamt 27.500 Aktien der X AG, ihr Zweck war die Verwaltung der Aktien der X AG zur Erzielung von Überschüssen. Weitere 500 Aktien der X AG übertrug der Kläger auf eine Einzelperson. Es verblieben ihm persönlich 2.250 Aktien. Somit war der Kläger zu Beginn des Jahres 2001 zu 4,5 % direkt und zu 13,75 % mittelbar über die ABC GbR an der X AG beteiligt.
Zum 31. Dezember 2004 hielt der Kläger 2.790 Aktien und die ABC GbR 27.280 Aktien von insgesamt 62.000 Aktien der X AG. Dies war die Folge von Kapitalerhöhungen und einer Aktienveräußerung durch die GbR im Jahre 2002.
Mit Vertrag vom 20. Dezember 2006 veräußerte der Kläger seine Aktien der X AG sowie seinen Anteil am Gesellschaftsanteil der ABC GbR. Die Übertragung der Anteile im Wege der Abtretung erfolgte mit Wirkung des Vertragstages. Der Kaufpreis betrug 0 €. Unter bestimmten Umständen sollte sich der Kaufpreis erhöhen, wenn etwa die X AG einen Verkaufserlös für Patente erzielt habe.
Die X AG schüttete nie Dividenden aus, sie erzielte 2004 einen Verlust in Höhe von 791.697 €, der Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 betrug 2.622.390 €.
Im Jahre 2002 erzielte die ABC GbR aus der Veräußerung von Aktien der X AG einen Veräußerungsgewinn. Der auf den Kläger entfallende Gewinnanteil wurde bei der Einkommensteuerfestsetzung 2002 der Kläger unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens i.H.v. 15.639 € der Besteuerung unterworfen.
Die Einkünfte der ABC GbR wurden für die Jahre 2000 bis 2006 einheitlich und gesondert als Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von jeweils 0 € festgestellt.
In ihrer Einkommensteuererklärung des Streitjahres 2006 erklärten die Kläger aus der Veräußerung der Aktien der X AG, und zwar sowohl für die, die der Kläger direkt als auch für die, die er über die ABC GbR hielt, einen Veräußerungsverlust in Höhe von 123.616,54 €. Dieser ist der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitig. Das FA setzte bei der mit Bescheid vom 5. Juni 2008 erfolgten Einkommensteuerfestsetzung 2006 im Wege des Halbeinkünfteverfahrens einen Verlust des Klägers im Sinne von § 17 EStG in Höhe von 61.809 € an.
Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Sie beriefen sich darauf, dass das Halbeinkünfteverfahren keine Anwendung finde, da der Kläger aus den im Jahre 2006 veräußerten Aktien der X AG keine Einkünfte erzielt habe. Die Aktienverkäufe des Jahres 2002 seien nicht zu berücksichtigen. Diese Aktien seien im Jahre 2006 nicht mehr im Bestand gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 2. November 2011 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Es war der Auffassung, dass eine Beteiligung im Sinne des § 17 EStG insgesamt in der Beteiligung an der X AG zu sehen sei. § 17 EStG stelle bei der Prüfung der für seine Anwendung relevanten Beteiligungshöhe innerhalb der letzten fünf Jahre auf den nominellen Anteil am Grund- und Stammkapital der Kapitalgesellschaft ab. Dabei seien die Anteile, die zum Gesamthandsvermögen der GbR gehörten, dem Kläger gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) insoweit anteilig wie bei einer Mitberechtigung nach Bruchteilen zuzurechnen und mit seinen Anteilen im Allgemeinen zusammenzurechnen. Es widerspreche der Gesetzessystematik, für die Anwendung des § 17 EStG auf die Beteiligung (Summe der Aktien) abzustellen und dabei auch die innerhalb der letzten fünf Jahre veräußerten Anteile einzubeziehen, bei der Frage der Einnahmen dagegen nur auf die im Zeitpunkt der Veräußerung noch gehaltenen Anteile abzustellen.
Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes in Höhe von insgesamt 123.616,54 €. Sie begründen dies wie folgt: Es sei nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - geklärt, dass eine Veräußerung nicht unter das Halbabzugsverbot des § 3 c EStG falle, wenn der Steuerpflichtige durch seine Beteiligung keine oder nur symbolische Einnahmen erzielt habe. Derartige schädliche Einnahmen lägen im Streitfall nur vor, wenn die Veräußerungen der Aktien in 2002 als Einnahme auch für die in 2006 noch vorhandenen Aktien betrachtet würden. Bei § 17 EStG sei jedoch eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Anteile und Anteilserwerbe vorzunehmen. Aus den im Jahre 2006 veräußerten Anteilen seien keine Einkünfte erzielt worden. Die Veräußerungsgewinne im Jahre 2002 seien für andere Anteile angefallen.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 vom 5. Juni 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2. November 2011 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn weitere Veräußerungsverluste nach § 17 des Einkommensteuergesetzes in Höhe von 61.809 Euro berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Das FA hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Das FA hat zu Unrecht nur die Hälfte des Veräußerungsverlustes gem. § 17 EStG anerkannt. Der Kläger hat Anspruch auf Berücksichtigung der vollen Anschaffungskosten für die im Jahre 2006 veräußerten Aktien der X AG bei der Ermittlung des Veräußerungsverlustes.
1. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Veräußerungsgewinn ist dabei der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Von 1999 bis zum 31. Dezember 2001 galt dies für eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft von mindestens 10 % (§ 17 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304).
Nach § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ist die Hälfte des Veräußerungspreises i. S. d. § 17 Abs. 2 EStG steuerfrei. Die hiermit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Aufwendungen sind nur zur Hälfte abzuziehen; denn nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zur Hälfte abgezogen werden. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert mindernd zu berücksichtigen sind.
In mehreren Entscheidungen hat der BFH klargestellt, dass der Abzug von Erwerbsaufwand im Zusammenhang mit Einkünften aus § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG dann nicht nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG begrenzt ist, wenn der Steuerpflichtige keinerlei durch seine Beteiligung vermittelte Einnahmen hat (BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 IX R 42/08, BStBl II 2010, 220 und vom 14. Juli 2009 IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399 [BFH 14.07.2009 - IX R 8/09]). Der BFH hat dies zum einen aus dem Wortlaut des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG abgeleitet, wonach dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen "anfallen" müssen, und zum anderen auf den Gesetzeszweck verwiesen, wonach eine Doppelbegünstigung - wie sie bei einer unbeschränkten Abzugsmöglichkeit von mit (teilweise) steuerbefreiten Einnahmen zusammenhängenden Aufwendungen eintrete - vermieden werden soll.
Keine Einnahmen erzielt auch derjenige, der objektiv wertlose Anteile zu einem symbolischen Kaufpreis veräußert. Maßgebend ist, ob ein einem Veräußerungspreis von 0 € gleichzusetzender Kaufpreis für die Übernahme wertloser Anteile im Rechtsverkehr lediglich symbolische Bedeutung zukommt (BFH-Urteil vom 6. April 2011 IX R 61/10, BStBl II 2012, 8).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FA bei Ermittlung des Veräußerungsverlustes zu Unrecht eine hälftige Kürzung der Anschaffungskosten vorgenommen.
Im Streitfall hat der Kläger aus den veräußerten Aktien keine Einnahmen erzielt. Er hat keine laufenden Gewinnausschüttungen (Dividenden) aus der Beteiligung an der X AG bezogen und er hat bei der Veräußerung der Anteile im Streitjahr für die wertlosen Aktien der X AG auch keine Gegenleistung erhalten; der Kaufpreis betrug 0 €. Es ist daher nicht gerechtfertigt, eine hälftige Kürzung der Anschaffungskosten gem. § 3 c Abs. 2 EStG vorzunehmen.
Die Tatsache, dass der Kläger im Jahre 2002 aus der Veräußerung von Aktien der X AG einen Gewinn erzielt hatte, der dem Halbeinkünfteverfahren im Sinne von § 3 Nr. 40 EStG unterlag, ändert an dieser Beurteilung nichts. Zwar hat der Kläger insoweit Einnahmen aus der Beteiligung an der X AG erzielt. Allerdings reicht dies für die Anwendung des Halbabzugsverbots nicht aus. Denn der Veräußerungsgewinn des Jahres 2002 steht nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung der restlichen Aktien im Jahre 2006. Diese beruht vielmehr auf der wirtschaftlichen Entwicklung der X AG seit der Aktienveräußerung 2002. Mit Urteil vom 18. April 2012 (X R 7/10, BFH/NV 2012,1363 [BFH 18.04.2012 - X R 7/10]) hat der BFH erläutert, dass nach dem Wortlaut des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG ein nur mittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang für das Eingreifen des Abzugsverbots ausreicht, aber auch erforderlich ist. Nach dem Normzweck des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG sollen nämlich alle Ausgaben, die mit nach § 3 Nr. 40 EStG nur hälftig besteuerten Einnahmen in Zusammenhang stehen, ebenfalls nur hälftig steuerlich berücksichtigt werden, um eine inkongruente Begünstigung auszuschließen.
Zutreffend hat der Kläger daher darauf hingewiesen, dass das Halbabzugsverbot im Streitfall nicht eingreife, da er aus den im Jahre 2006 verkauften Aktien der X AG keinerlei Einnahmen erzielt hat. Eine doppelte Begünstigung ist daher auszuschließen.
Bedenkt man ferner, dass der Kläger trotz des Verkaufs von Aktien im Jahre 2002 nie die Wesentlichkeitsgrenze für eine steuerlich verhaftete Beteiligung unterschritten hat, wirkte sich der Verkauf der Anteile im Jahre 2002 auch nicht auf seine steuerliche Gesamtbeteiligung an der X AG aus. Da der Kläger aus den ihm verbliebenen, immer noch eine wesentliche Beteiligung bildenden Aktien im Sinne von § 17 EStG keine steuerlichen Erträge erwirtschaftet hat, ist kein Grund ersichtlich, warum das steuerliche Abzugsverbot zum Tragen kommen sollte.
3. Die Einkommensteuer ist daher auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Abzug von weiteren Veräußerungsverlusten im Sinne von § 17 EStG in Höhe von 61.809 € ergibt (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Berechnung der Steuer kann dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Kosten sind dem FA als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, ob ein Veräußerungsgewinn das Halbabzugsverbot für nachfolgende unentgeltliche Anteilsübertragungen ausschließt, hat grundsätzliche Bedeutung.