Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 23.05.2008, Az.: 1 B 155/08

Rechtmäßigkeit einer wasserrechtlichen Anordnung betreffend die Beseitigung eines Abflusshindernisses in einem verrohrten Graben; Aufgrabung an der Schadstelle auf einem Grundstück zur Beseitigung eines Abflusshindernisses ; Vollziehung wasserrechtlicher Vorschriften zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit ; Unterhaltungspflicht bezüglich eines Gewässers aufgrund besonderen Titels für den Westerwischstrom im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Niedersächsischen Wassergesetzes

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
23.05.2008
Aktenzeichen
1 B 155/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 17762
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2008:0523.1B155.08.0A

Fundstelle

  • ZfW 2010, 38

Verfahrensgegenstand

Wasserrecht;
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
am 23. Mai 2008
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2008 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine wasserrechtliche Anordnung der Antragsgegnerin, mit der ihm die Beseitigung eines Abflusshindernisses in einem verrohrten Graben aufgegeben wird.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Flurstücks E. sowie der angrenzenden Flurstücke F., G. und H. der Flur 6 der Gemarkung Cuxhaven. An der Westseite der Flurstücke E. und F. verläuft auf dem im Eigentum des Antragstellers stehenden Flurstück G. der Westerwischstrom, ein Gewässer II. Ordnung. Hierbei handelt es sich um ein offenes Gewässer, das lediglich entlang der Grundstücke I. verrohrt ist. Dabei ist das Grundstück des Antragstellers, .- .-W. , am südlichen Ende der verrohrten Gewässerstrecke gelegen.

3

Zu der Verrohrung ist es im Zusammenhang mit der Bebauung der Grundstücke im J. gekommen. Der Antragsteller hat mit seinem Bauantrag vom 14. Oktober 1975 auch einen Antrag auf Verrohrung des "vorhandenen Zuggrabens westlich des Baugrundstückes" gestellt. Die Stadt Cuxhaven hat unter dem 5. Februar 1976 u.a. den Bau einer Entwässerungsanlage für das Grundstück des Antragstellers sowie die Verrohrung des vorhandenen Zuggrabens genehmigt. Dem Deich- und Schleusenverband Cuxhaven hat die Antragsgegnerin hiervon Kenntnis erteilt. In der Anlage zum Bauschein Nr. 63-18/1384/75 ist bestimmt, dass für die Verrohrung Betonfallsrohre mit einem Durchmesser von 900 mm zu verwenden sind. Unter Ziffer 2 der Anlage zum Bauschein ist Folgendes bestimmt:

"Gräben bzw. Rohrleitungen sind, sofern sie der Obenflächenentwässerung dienen, entsprechend den Forderungen der Entwässerungsabteilung anzulegen, laufend zu reinigen und zu unterhalten."

4

Der Antragsteller hat in der Folge die Verrohrung des Grabens an der westlichen Seite seines Grundstückes durchgeführt (29 m Betonrohre mit 900 mm Durchmesser sowie ein Kontrollschacht mit 1000 mm Durchmesser). Das Flurstück G., auf dem sich die Verrohrung befindet, hatte der Antragsteller zunächst von der Antragsgegnerin gepachtet und später käuflich erworben (notarieller Kaufvertrag vom 30. Januar 1998). Zuvor hatte der Antragsteller bereits mit Grundstückskaufvertrag vom 17. Mai 1988 von der Antragsgegnerin das im Süden an sein Hausgrundstück angrenzende Flurstück F. erworben. Auch im Bereich dieses Flurstücks hat der Antragsteller die Verrohrung des Gewässers fortgeführt.

5

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 wies der Antragsteller die Antragsgegnerin darauf hin, dass es seit längerer Zeit mit der Verrohrung des Westerwischstroms Probleme gebe. Ein am Anfangspunkt der Verrohrung vorhandener Rechen werde nicht mehr gereinigt, so dass das Rohr verstopfe. Deshalb laufe Wasser in seinen Keller. Die Verstopfung sei unverzüglich zu beseitigen. Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller daraufhin mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 mit, die Verrohrung sei von der Entwässerungsgesellschaft K. zu unterhalten. Diese bemühe sich um eine Lösung. Hauptproblem sei jedoch die schwierige Erreichbarkeit der Verrohrung. Die Antragsgegnerin werde die Entwässerungsgesellschaft K. im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen, damit für die Zukunft ein gesicherter Wasserabfluss gewährleistet sei.

6

Die Entwässerungsgesellschaft Cuxhaven mbH führte in der Folge Spülungen der Verrohrung durch. Dabei wurde das Vorhandensein eines Abflusshindernisses in der Rohrleitung auf dem Grundstück des Antragstellers festgestellt.

7

Die Antragsgegnerin hat am 18. Januar 2008 in Anwesenheit des Antragstellers eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit hat die Antragsgegnerin den Antragsteller mit mündlicher Verfügung aufgefordert, unverzüglich das Abflusshindernis auf seinem Grundstück zu beseitigen. Mit schriftlichem Bescheid vom 22. Januar 2008 hat die Antragsgegnerin diese mündliche Verfügung wiederholt. Sie hat ihm aufgegeben, das in der Verrohrung auf seinem Grundstück festgestellte Abschlusshindernis innerhalb von zwei Wochen zu beseitigen. Die sofortige Vollziehung ist angeordnet worden. Das Abflusshindernis sei auf dem Grundstück des Antragstellers lokalisiert worden. Nach § 169 NWG in Verbindung mit § 11 SOG habe die Antragsgegnerin als zuständige Wasserbehörde die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Einzig mögliche Maßnahme sei die Beseitigung des Abflusshindernisses in der Rohrleitung. Dies könne nur durch Aufgrabung an der Schadstelle auf dem Grundstück des Antragstellers geschehen. Der Antragsteller sei als Eigentümer des Grundstücks, auf dem die Leitung verlaufe und als Adressat der entsprechenden Entwässerungsgenehmigung für die Verrohrung auf seinem Grundstück verantwortlich und habe diese laufend zu reinigen und zu unterhalten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse, da das Eigentum unbeteiligter Dritter in Gefahr sei. Es drohten dritten Grundstücken Gefahren durch Hochwasser.

8

Der Antragsteller hat gegen diese Verfügung mit Schreiben vom 24. Januar 2008 Widerspruch erhoben. Er selbst habe die Grabenverrohrung nicht errichtet. In dem Kaufvertrag vom 30. Januar 1998 sei vermerkt, dass ein verrohrter Entwässerungsgraben vorhanden sei. Deshalb habe er die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit bewilligt, wonach der Antragsgegnerin bzw. der Entwässerungsgesellschaft ein Leitungsrecht für den verrohrten Entwässerungsgraben eingeräumt sei. Dem gemäß sei nicht der Antragsteller, sondern die EGC zuständig für Unterhaltung und Reparatur des verrohrten Entwässerungsgrabens. Der Antragsteller sei gar nicht berechtigt, sich an einer fremden Rohrleitung zu schaffen zu machen.

9

Mit Schreiben vom 28. Januar 2008 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs werde abgelehnt. Nach Aktenlage sei die Verrohrung von dem Antragsteller errichtet worden. Zwar habe das Tiefbauamt der Stadt immer wieder das Einlaufgitter vor der Verrohrung gereinigt. Dafür sei jedoch kein Rechtsgrund vorhanden gewesen. Eine generelle Unterhaltungspflicht für die gesamte Verrohrung ergebe sich für die EGC daraus nicht. Diese folge auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin in Unkenntnis der Lage und wegen der akuten Hochwassergefahr zunächst alles Notwendige zur Beseitigung der Gefahr selbst veranlasst habe.

10

Der Antragsteller hat am 1. Februar 2008 bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er macht geltend:

11

Die Antragsgegnerin sei für die Unterhaltung, den Betrieb und die Kontrolle ihrer öffentlichen Einrichtungen zuständig. Hierzu gehöre das gesamte öffentliche Entwässerungsnetz, so auch offene und verrohrte Gräben. Nachdem der Erwerber eines der Nachbargrundstücke in seinem Bereich die Verrohrung des Grabens durchgeführt habe, hätten auch die anderen Anlieger, so auch der Antragsteller, dies gewünscht. Die Rohre hierfür habe die Antragsgegnerin geliefert. Eine Rechnung habe der Antragsteller nicht erhalten. Durchgeführt sei die Maßnahme im November/Dezember 1975 worden. Als der Antragsteller im Baugenehmigungsverfahren für sein Einfamilienhaus die Verrohrung des vorhandenen Zuggrabens beantragt habe, sei diese tatsächlich schon vorhanden gewesen. Die Antragsgegnerin habe am südlichen Ende des Grabens ein Rechen eingebaut, den sie sodann 30 Jahre lang unterhalten habe. Nachdem der Antragsteller mit Vertrag vom 30. Januar 1998 das Grabengrundstück erworben hatte, sei in diesem Vertrag ausdrücklich eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit betreffend das Leitungsrecht für den verrohrten Entwässerungsgraben eingeräumt worden. Demzufolge seien in der Folge die Antragsgegnerin bzw. die EGC stets davon ausgegangen, dass sie für die Unterhaltung der Verrohrung zuständig seien. Dies habe die Antragsgegnerin noch mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 mitgeteilt. Anlässlich eines nach Auftreten der Verstopfung durchgeführten Ortstermins hätten Mitarbeiter der EGC auf einen Bereich der Rohrleitung hingewiesen, in dem sich die Verstopfung befinden solle. Dieser Bereich habe jedoch nördlich der Grundstücksgrenze des Antragstellers gelegen. Der Antragsteller sei dem gemäß weder verpflichtet noch in der Lage, das in der Verrohrung befindliche Hindernis zu beseitigen, zumal es sich nicht im Bereich seines Grundstücks befinde. Die Antragsgegnerin äußere insoweit nur eine Vermutung. Zu beanstanden sei auch, dass die Antragsgegnerin bzw. die EGC die Rohrleitungsspülung zu früh eingestellt habe. Es sei durchaus möglich, eine Rohrleitung frei zu fräsen bzw. zunächst einmal durch eine Kamera festzustellen, welches Hindernis an welcher Stelle überhaupt vorhanden sei. Dieses habe die Antragsgegnerin nicht unternommen. Die grundsätzliche Unterhaltungsverpflichtung des Unterhaltungsverbandes sei auf den Antragsteller nicht übergegangen.

12

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2008 wiederherzustellen.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

14

Sie tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen. Die Verfügung der Antragsgegnerin beruhe auf § 169 Abs. 1 NWG. Hiernach treffen die Wasserbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen die zur Vollziehung der wasserrechtlichen Vorschriften und zur Abwehr von Gefahren erforderlichen Anordnungen einschließlich der Maßnahmen nach dem allgemeinen Recht der Gefahrenabwehr. Die Inanspruchnahme des Antragstellers sei notwendig geworden, weil er sich geweigert habe, die ihm obliegenden Unterhaltungspflichten an dem streitigen Gewässerabschnitt zu erfüllen. Grundsätzlich sei zwar gemäß § 100 NWG der Unterhaltungsverband, also der Beigeladene, für die Unterhaltung der Gewässer II. Ordnung zuständig. Im vorliegenden Fall sei diese öffentlich-rechtliche Verpflichtung jedoch auf den Antragsteller übertragen worden. Dieser habe die Verrohrung des Westerwischstroms westlich seines Baugrundstücks beantragt. Der Antrag sei genehmigt worden, wobei in der Anlage zu dieser Genehmigung geregelt sei, dass Rohrleitungen laufend zu reinigen und zu unterhalten seien. Für die Antragsgegnerin stehe fest, dass der Antragsteller selbst die Verrohrung durchgeführt habe. Dies folge schon daraus, dass er diese beantragt habe. Außerdem habe er mit Schreiben vom 9. März 1988 selbst eingeräumt, dass ihm durch die Verrohrung erhebliche Kosten entstanden seien. Die öffentlich-rechtliche Unterhaltungspflicht knüpfe im Übrigen nicht daran an, wer die Verrohung tatsächlich hergestellt habe. Entscheidend sei, dass die Unterhaltungspflicht dem Antragsteller übertragen worden sei. Durch die vom Antragsteller unterlassenen Unterhaltungsmaßnahmen sei ein Zustand eingetreten, der eine Störung im Sinne des Gefahrenabwehrrechts begründe und hinreichenden Anlass zum wasserbehördlichen Einschreiten biete. Der Antragsteller gehe im Übrigen fehl in der Annahme, dass Abflusshindernis befinde sich nicht auf seinem Grundstück. Dieses habe die EGC bei Spülarbeiten genau lokalisiert. Bei Spülversuchen von beiden Enden der Verrohrung sei man jeweils an derselben Stelle, nämlich auf dem Grundstück des Antragstellers auf ein Hindernis gestoßen. Im Übrigen sei dem Antragsteller im Jahre 1976 auch die Errichtung eines Einlaufgitters aufgegeben worden. Dieses habe er damit auch zu unterhalten.

15

Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt. Er ist der Auffassung, dass für den verrohrten Gewässerabschnitt die Unterhaltungspflicht durch den Beigeladenen nicht mehr gegeben sei, da es sich um einen Gewässerabschnitt handele, der aufgrund anderweitiger Interessen entsprechend umgestaltet worden sei. Bei der Herstellung von Anlagen bzw. Verrohrungen im und am Gewässer gehe grundsätzlich die Unterhaltungspflicht auf die Anlagenersteller bzw. Eigentümer über; dieses werde im Normalfall über die erforderlichen Genehmigungen geregelt. Dies gelte insbesondere für diverse Rohrdurchlässe, Überfahrten, Brücken, Uferbefestigungen usw. Die Verrohrung des Westerwischstromes in diesem Abschnitt sei letztlich erfolgt, um die angrenzenden Grundstücke wesentlich besser nutzen zu können, denn nach der Satzung des Beigeladenen sei von der Uferkante der Böschung beidseitig des Gewässers ein 5 m breiter Räumstreifen für die Gewässerunterhaltung frei zu halten. Ebenso gelte ein Bauverbot innerhalb eines 10 m breiten Streifens auf beiden Seiten des Gewässers. Bereits im Herbst des Jahres 2007 sei der Beigeladene auf Entwässerungsprobleme in dem besagten Abschnitt hingewiesen worden. Viele Verbandsmitglieder, deren Grundstücke oberhalb belegen seien, hätten mit Schadensersatzansprüchen gedroht, weil der Beigeladene sein Gewässer nicht in Ordnung halte.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

17

II.

Der Antrag hat Erfolg.

18

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Ob das Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von der Vollziehung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt, beurteilt sich maßgeblich nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, soweit diese Aussichten im Eilverfahren bereits absehbar sind. Von einem überwiegenden Aussetzungsinteresse des Betroffenen ist immer dann auszugehen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Überprüfung aller Wahrscheinlichkeit nach als rechtswidrig darstellt, denn an der Vollziehung rechtswidriger Verfügungen kann ein öffentliches Interesse nicht bestehen. Andererseits überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzugs des Verwaltungsaktes dann, wenn sich dieser mit großer Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweisen wird.

19

Im vorliegenden Fall ergibt die im Rahmen des Aussetzungsverfahrens anzustellende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage, dass der Widerspruch des Antragstellers voraussichtlich erfolgreich sein wird. Denn Überwiegendes spricht dafür, dass die angegriffene Verfügung der Antragsgegnerin der Rechtslage nicht entspricht.

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Die Antragsgegnerin ist in ihrer Verfügung vom 22. Januar 2008 davon ausgegangen, dass sie als zuständige Wasserbehörde nach § 169 NWG die notwendigen Maßnahmen zu treffen habe, um eine Gefahr abzuwehren. Den Antragsteller hat sie als Adressaten ihrer Verfügung deshalb gewählt, weil dieser als Eigentümer des Grundstücks, auf dem die Rohrleitung verläuft und als Adressat der entsprechenden Entwässerungsgenehmigung für die Verrohrung auf seinem Grundstück verantwortlich sei und diese laufend zu reinigen und zu unterhalten habe.

21

Diese Rechtsauffassung ist unzutreffend.

22

Bei dem Westerwischstrom handelt es sich um ein Gewässer II. Ordnung. Er ist in dem Verzeichnis gemäß § 67 NWG aufgeführt. Die Unterhaltung der Gewässer II. Ordnung obliegt gemäß § 100 Abs. 1 NWG den Unterhaltungsverbänden, soweit sich nicht aus den §§ 105, 106, 110 und 111 etwas anderes ergibt. Zuständiger Unterhaltungsverband ist im vorliegenden Fall der Beigeladene. Dessen Unterhaltungspflicht wird durch die Regelungen der §§ 105, 106, 110 und 111 NWG nicht berührt. Insbesondere greift § 111 NWG nicht ein. Denn eine Unterhaltungspflicht aufgrund besonderen Titels bestand für den Westerwischstrom im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nds. Wassergesetzes nicht. Aus der ausdrücklichen Zuweisung der Unterhaltungspflicht an die Unterhaltungsverbände und den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen ergibt sich zugleich, dass eine Übertragung der gesetzlichen Unterhaltungspflicht - wie dies die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall annimmt - grundsätzlich nicht in Betracht kommen kann. Hierfür spricht bereits die Absicht des Gesetzgebers, durch die Zuständigkeit von Unterhaltungsverbänden die Lasten der Unterhaltung der Gewässer II. Ordnung auf mehrere Schultern zu verteilen und diese somit tragbar zu machen (vgl. Haupt/Reffken/Rhode, NWG, § 100 Anmerkung 1). Denn Gewässer II. Ordnung sind nach der Definition in § 67 NWG die nicht zur I. Ordnung gehörenden Gewässer, die für das Gebiet eines Unterhaltungsverbandes eine überörtliche Bedeutung besitzen. Anders als bei Gewässern III. Ordnung, die diese überörtliche Bedeutung nicht besitzen, ist somit durch den Gesetzgeber bewusst die Regelung geschaffen worden, die Unterhaltung nicht einem Einzelnen, etwa dem Eigentümer oder dem Anlieger aufzubürden, sondern diese Verpflichtung einem leistungsfähigen Verband zuzuschreiben. Damit wird zugleich die Verantwortlichkeit einer Stelle für den gesamten in seinen Bereich fallenden Wasserlauf festgelegt.

23

Im Übrigen lässt sich dem Bauschein der Antragsgegnerin vom 5. Februar 1976 und den dazu ergangenen Nebenbestimmungen nicht entnehmen, dass mit dem Hinweis auf die erforderliche Reinigung und Unterhaltung von Gräben bzw. Rohrleitungen die Übertragung einer gesetzlichen Unterhaltungspflicht durch Hoheitsakt auf eine Privatperson beabsichtigt war, zumal in diesem Zusammenhang eine Beteiligung des gesetzlich unterhaltspflichtigen Unterhaltungsverbandes Hadeln, des Beigeladenen, ausweislich der vorgelegten Verwaltungsvorgänge nicht erfolgt ist.

24

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass auch eine einvernehmliche Verlagerung der Unterhaltungspflicht etwa im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages auf den Antragsteller nicht erfolgt sein kann.

25

Eine Unterhaltungspflicht des Antragstellers folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Vorschrift des § 109 NWG. Hiernach hat Anlagen in und an Gewässern deren Eigentümer zu unterhalten. Er hat sie so zu unterhalten und zu betreiben, dass die ordnungsmäßige Unterhaltung des Gewässers nicht beeinträchtigt wird. Aus dem Begriff "Anlage" ergibt sich, dass es sich um künstlich geschaffene Einrichtungen handeln muss, wie zum Beispiel Gebäude, Straßen, Brücken, Lagerplätze, Stauanlagen, Leitungen, Einlassbauwerke, Masten, Werbeeinrichtungen, aber auch Aufschüttungen (vgl. hierzu Haupt/Reffken/Rhode, NWG, § 109 Anmerkung 2). Voraussetzung ist allerdings, dass die künstlich geschaffene Anlage nicht als integraler Bestandteil des Gewässers anzusehen ist, sondern eine eigene vom Gewässer losgelöste Funktion erfüllt. Dem gemäß sind zum Beispiel Rohrdurchlässe, im Gegensatz zu längeren Verrohrungen, als Anlagen nach § 109 NWG zu werten. Dies bedeutet, dass Rohrdurchlässe, etwa unter einer Überwegung, als vom Eigentümer zu unterhaltende Anlage anzusehen sind, während eine längere Verrohrung zu einem untrennbaren Bestandteil des Gewässers wird, weil sie das Gewässerbett bildet (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 A 4623/94 -, zitiert nach [...]). Dem entspricht es, dass die teilweise Verrohrung eines ansonsten oberirdischen Gewässers diesem Gewässer insgesamt nicht die Eigenschaft eines oberirdischen Gewässers nimmt (OVG Hamburg, Urteil vom 18. Juni 1991, Zeitschrift für Wasserrecht 1993, S. 114 ff.).

26

Die Auffassung des OVG Münster (Urteil vom 22. August 1991, Zeitschrift für Wasserrecht 1992, S. 387) vermag dem gegenüber nicht zu überzeugen. Danach bedeutet eine Verrohrung zwar einen Gewässerausbau, gleichwohl sei die Verrohrung und damit das Gewässerbett selbst als Anlage in oder an einem Gewässer zu betrachten. Die Kammer hält diese Rechtsmeinung nicht für überzeugend. Denn bereits begrifflich setzt eine Anlage in oder an einem Gewässer voraus, dass es sich hierbei um etwas handelt, was neben dem Gewässer existiert und nicht das Gewässer selbst ist.

27

Auch das Nds. Oberverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 5. März 2007 - 13 LA 231/06 - mit dem Begriff "Anlage" in § 109 NWG befasst. Den gesetzlichen Regelungen ist danach zu entnehmen, dass die jeweilige Anlage von einem Gewässer unterschieden wird. Das Gewässer selbst werde von dem Begriff der "Anlage" nicht erfasst. Hierzu kann auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 29. Januar 1996, Zeitschrift für Wasserrecht 1997, 25 ff.) verwiesen werden. Danach kann keine Rede davon sein, dass durch eine Verrohrung der Zusammenhang mit dem natürlichen Wasserhaushalt aufgehoben wird. Ein oberirdisches Gewässer verliert seine Eigenschaft nicht allein deshalb, weil es an einzelnen Stellen unterirdisch, d.h. außerhalb eines an der Erdoberfläche erkennbaren Bettes verläuft. Dieses kann nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann der Fall sein, wenn ein oberirdisches Gewässer vollständig in einem Leitungssystem gefasst und vom unmittelbaren Zusammenhang mit dem natürlichen Wasserkreislauf abgesondert wird. Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, denn der Westerwischstrom ist abgesehen von dem Bereich auf dem Grundstück des Antragstellers und dem weiteren Verlauf auf den Nachbargrundstücken ein offenes und damit frei zugängliches Gewässer.

28

Nach den vorstehenden Erwägungen ergibt sich damit Folgendes:

29

Der Westerwischstrom, der im Bereich des Grundstücks des Antragstellers als Verrohrung geführt wird, ist auch in diesem Bereich ein Gewässer II. Ordnung, das der Unterhaltungspflicht des Beigeladenen unterliegt. Die an den Antragsteller gerichtete wasserrechtliche Verfügung der Antragsgegnerin betrifft somit nicht den richtigen Adressaten. Damit spricht Überwiegendes dafür, dass der Widerspruch des Antragstellers erfolgreich ist. Die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs war aus diesem Grunde wieder herzustellen.

30

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus den §§ 52, 53 GKG.

Schmidt
Steffen
Plog