Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 20.05.2020, Az.: 6 B 746/20
Abtrennung; Eilverfahren; Eventualantrag; Eventualverhältnis; Feststellungsantrag; Hauptantrag; Hilfsantrag; Kostenentscheidung; Normgebungsanspruch; Rechtsetzungsanspruch; Rechtshängigkeit; Trennung; Verweisung; Zuständigkeit, örtliche
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 20.05.2020
- Aktenzeichen
- 6 B 746/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72006
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 123 VwGO
- § 44 VwGO
- § 52 Nr 1 VwGO
- § 52 Nr 3 VwGO
- § 52 Nr 5 VwGO
- § 53 VwGO
- § 93 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Streit über die Anwendbarkeit zwingenden formelllen Rechts auf eine ortsfeste Einrichtung genügt für sich allein noch nicht, um eine Ortsgebundenheit im Sinn des § 52 Nr. 1 VwGO zu begründen (Geschlossensein von Einrichtungen nach § 1 Absatz 3 der Corona-Verordnungen).
Hilfsanträge sind nicht zur Verweisung abzutrennen, solange der Hauptantrag rechtshängig ist, wenn ein anderes Gericht für sie zuständig wäre.
Zur Annahme des Bestehens fehlender Vorschriften durch das Gericht.
kein Verfahren nach § 53 VwGO, wenn Haupt- und Hilfsanträge unterschiedliche Streitgegenstände betreffen.
Gründe
Der Hauptantrag bleibt ohne Erfolg, den Antragsgegner durch eine einstweilige Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu genehmigen, sein EMS-Mikrostudio zu öffnen und Personaltrainings entsprechend den Vorgaben der derzeit aktuellsten Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 durchzuführen.
Für diesen Hauptantrag ist das Verwaltungsgericht Stade im Sinn des § 52 Nummer 3 Satz 2 und Satz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) örtlich zuständig. Nach diesen Regelungen ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat, wenn eine Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts verpflichtet werden soll, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, wie die des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, gegen das sich der Hauptantrag nach § 79 Absatz 2 des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG) zu richten hat. Der Antragsteller ist in diesem Sinn der Beschwerte. Er hat seinen Sitz oder Wohnsitz in G.. G. liegt nach § 73 Absatz 1 Nummer 7 NJG im Bezirk des Verwaltungsgerichts Stade, nämlich im Landkreis H..
Dieser Hauptantrag ist unbegründet. Das Sozialministerium ist offensichtlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt sachlich oder instanziell zuständig, Genehmigungen für die Öffnung oder den Betrieb von EMS-Mikrostudios zu erteilen. Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt, worauf eine Genehmigung gestützt werden sollte oder woraus sich eine Zuständigkeit des Sozialministeriums für eine solche Genehmigung ergeben sollte. Aus der Email des Sozialministeriums vom 9. April 2020 ergibt sich nichts anderes. Das gilt schon deshalb, weil das Sozialministerium dort ebenfalls nichts dazu ausführt, woraus sich seine Zuständigkeit für eine solche Genehmigung ergeben sollte. Es werden dort lediglich Ausführungen dazu gemacht, dass die Einrichtung des Antragstellers nach § 1 Absatz 3 Nummer 5 der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geschlossen sei beziehungsweise dass eine Ausnahme nicht vorgesehen sei und dass diese Maßnahmen auch notwendig und verhältnismäßig seien. Das Gericht lässt es deshalb dahinstehen, ob der Austausch von nicht signierten elektronischen Nachrichten ein Verwaltungsverfahren mit einem Antrag und einer ablehnenden Entscheidung oder unterbliebenen Entscheidung im Sinn des § 75 VwGO ersetzen kann.
Soweit der Antragsteller genehmigt bekommen möchte, sein EMS-Studio entgegen § 1 Absatz 3 der Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 öffnen zu können, bleibt der Hauptantrag außerdem ohne Erfolg, weil insoweit das Vorbringen des Antragstellers unschlüssig ist. Denn der Antragsteller macht geltend, dass sein EMS-Studio kein Fitness-Studio sei und dass es nicht unter § 1 Absatz 3 Nummer 5 der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu fassen sei. Selbständig tragend bleibt der Hauptantrag unter diesem Gesichtspunkt auch deshalb ohne Erfolg, weil die Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie keine Rechtsgrundlage für die Erteilung von Genehmigungen enthält. Der Antragsteller bezeichnet solche auch nicht.
Es ist dem Gericht nicht gestattet, davon auszugehen, dass die Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eine Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Genehmigung zur Öffnung des EMS-Studios des Antragstellers und zur Durchführung von Training in diesem enthält, etwa im Sinn einer Ausnahmegenehmigung. Das wäre allenfalls dann zulässig (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 1996 – 3 C 29/96, zitiert nach Juris), wenn die Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nur dann verfassungsgerecht wäre, wenn sie einen solchen Anspruch vorsähe. Das ist nicht der Fall. Abgesehen davon, dass eine Regelung zur Ausnahmegenehmigung gegenüber dem Antragsteller schon deshalb nicht in diesem Sinn verfassungsrechtlich erforderlich ist, weil der Antragsteller geltend macht, § 1 Absatz 3 der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sei für ihn nicht einschlägig, gilt insoweit: Selbst wenn eine Rechtsgrundlage für eine Ausnahmegenehmigung anzunehmen wäre, könnte der Hauptantrag keinen Erfolg haben. Denn die Durchsetzung der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, und damit auch die Zuständigkeit für Verwaltungsentscheidungen auf der Grundlage dieser Verordnung, liegt, wie § 12 Absatz 2 der Verordnung zeigt, nicht bei dem Sozialministerium oder beim Land Niedersachsen, sondern bei den nach dem Infektionsschutzgesetz zuständigen Behörden. Es ist dem Gericht auch nicht gestattet, davon auszugehen, dass die Zuständigkeit für eine Ausnahmegenehmigung beim Sozialministerium oder beim Land Niedersachsen liegen müßte, wenn eine Rechtsgrundlage für eine Ausnahmegenehmigung bestände oder zugrundezulegen wäre. Denn nach dem aufgezeigten Maßstab ist es offensichtlich nicht verfassungsrechtlich geboten, dass eine oberste Landesbehörde Ausnahmegenehmigungen in Sachgebieten erteilt, für die untere Verwaltungsbehörden eingerichtet sind.
Aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 11. Mai 2020 ergibt sich nichts für eine Genehmigung. Denn jenes Gericht hat nicht über eine Genehmigung entschieden, sondern gegen den I., dessen Ministerien ihren Sitz allesamt in der Landeshauptstadt J. haben, eine Feststellung getroffen, dass Regelungen des bayerischen Landesrechts bestimmten Tätigkeiten in Bayern nicht entgegenstehen. Zu solchen Feststellungen verhält sich der Hauptantrag nicht, denn die Feststellungen hat der Antragsteller mit seinen Hilfsanträgen beantragt.
Der Hauptantrag bleibt auch ohne Erfolg, wenn er dahin verstanden wird, das Land Niedersachsen solle verpflichtet werden, die Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 dahingehend zu ändern, dass aus dem Wortlaut ersichtlich wird, dass das EMS-Studio des Antragstellers nicht geschlossen ist. Das Gericht lässt offen, ob das Land Niedersachsen insoweit der richtige Antragsgegner wäre, obwohl die Zuständigkeit zum Erlass von Verordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz in § 3 Nummer 2 der Subdelegationsverordnung auf das – derzeitige – Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung übertragen wurde, oder ob der Antrag sich direkt gegen das zum Erlass ermächtigte Ministerium zu richten hätte. Ein solcher Normsetzungsantrag wäre im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit dem Antrag nach § 123 Absatz 1 VwGO und im Klageverfahren nicht mit der Leistungsklage zu verfolgen. Denn einer sich daraus ergebenden abstrakten Normsetzungsverpflichtung durch das Verwaltungsgericht stände das Gewaltenteilungsprinzip des Artikels 20 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes entgegen (Sodan, Der Anspruch auf Rechtsetzung und seine prozessuale Durchsetzbarkeit, NVwZ 2000, 601 ff., 608 f.).
Für die Entscheidung über die Hilfsanträge ist das Gericht dagegen nicht zuständig. Weil der Antragsteller die Hilfsanträge in ein Eventualverhältnis zum Hauptantrag gestellt hat, sieht das Gericht sich gehindert, das Verfahren über die Hilfsanträge abzutrennen und gesondert weiterzuverweisen. Stehen die Anträge in einem Eventualverhältnis, ist vielmehr zunächst über den Hauptantrag zu entscheiden und dann das Verfahren wegen der Hilfsanträge an das für die Hilfsanträge zuständige Gericht zu verweisen (BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 – 7 C 5/85, zitiert nach Juris). – Deshalb kann noch keine Kostenentscheidung getroffen werden. – Mit der Entscheidung über den Hauptantrag endet auch nicht die Rechtshängigkeit des Hauptantrags, so dass die Hilfsanträge abgetrennt werden könnten, wie nach einer Rücknahme des Hauptantrags (VG Koblenz, Beschluss vom 1. Februar 2005 – 7 K 200/05, NVwZ-RR 2005, 661). Schließlich ist im Hinblick auf eine abweichende örtliche Zuständigkeit für die Hilfsanträge auch nicht eine Entscheidung nach § 53 Absatz 1 Nummer 3 VwGO einzuholen. Denn § 53 Absatz 1 Nummer 3 VwGO ist auf den Fall einer Eventualklagehäufung jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn die Anträge sich nicht auf denselben Streitgegenstand beziehen (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Bier/Schenk, VwGO, Rdnr. 9a zu § 53), beziehungsweise ist für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Absatz 1 Nummer 3 VwGO kein Raum, wenn sich bei einer Eventualklagehäufung der Gerichtsstand, wie hier für den Hauptantrag einerseits und die Hilfsanträge andererseits, aus der Verwaltungsgerichtsordnung jeweils unzweifelhaft ergibt (BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2002 – 7 AV 2/02, zitiert nach Juris; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Rdnr. 8 zu § 53; a.A., allerdings ohne Erwähnung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: Nds. OVG, Beschluss vom 27. März 2003 – 8 PS 37/03, zitiert nach Juris).
Für die Hilfsanträge ist das Verwaltungsgericht Stade örtlich unzuständig. Die Hilfsanträge betreffen kein ortsgebundenes Recht im Sinn des § 52 Nummer 1 VwGO, weil insoweit ein örtlicher Bezug im Sinn einer Ortsgebundenheit nach § 52 Nummer 1 VwGO nicht gegeben ist (Schoch/Schneider/Bier/Schenk, VwGO, Rdnr. 16 zu § 52 m.w.N.; BeckOK VwGO/Berstermann, Rdnr. 7 zu § 52 m.w.N.). Soweit es darum geht, ob die Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie der Öffnung des EMS-Studios entgegensteht, ist das Verwaltungsgericht Stade örtlich nicht zuständig, weil nach dieser Verordnung die Schließung der in ihrem § 1 Absatz 3 bezeichneten Einrichtungen ungeachtet der örtlichen Lage der Einrichtungen für ganz Niedersachsen angeordnet ist. Ein örtlicher Bezug in diesem Sinn ergibt sich auch nicht schon daraus, dass zwingendes objektives förmliches Recht auf eine ortsfeste Sache anwendbar ist oder anwendbar sein könnte. Die hiervon abweichende Auffassung, die in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts K. vom 11. Mai 2020 vertreten wird, teilt das Gericht nicht.
Für die Hilfsanträge ist anders als für den Hauptantrag § 52 Nummer 3 Satz 3 und 5 VwGO nicht einschlägig. Denn bei den Hilfsanträgen handelt es sich nicht um Verpflichtungsanträge. Das Gericht sieht anders als der Antragsteller im geltenden Recht keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich insoweit eine örtliche Zuständigkeit aus Gründen der Prozessökonomie ergeben könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2002 – 7 AV 2/02, zitiert nach Juris).
Für Feststellungsanträge, die nicht ortsgebundene Rechte im Sinn des § 52 Nummer 1 VwGO betreffen, ist die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nummer 5 VwGO zu bestimmen. Für eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Stade nach dieser Vorschrift sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich.
Der Rechtsstreit ist hinsichtlich der Hilfsanträge daher gemäß § 83 Satz 1 VwGO entsprechend § 17a Absatz 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes an das Verwaltungsgericht L. zu verweisen. Dieses Gericht ist örtlich zuständig. Nach § 52 Nummer 5 VwGO ist allen anderen Fällen als denen der Nummern 1 bis 4 das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder letzten Aufenthalt hatte. Beklagter ist das Land Niedersachsen, vertreten durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, vertreten durch die Sozialministerin. Dessen Sitz, Wohnsitz oder letzter Wohnsitz oder letzter Aufenthalt ist in der Landeshauptstadt L.. L. gehört nach § 73 Absatz 1 Nummer 3 NJG zum Bezirk des Verwaltungsgerichts L..
Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Verweisung nach § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar.