Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 22.06.2010, Az.: 2 A 523/08

Bauaufsicht; Beeinträchtigung; Bescheinigung; Einschreiten; Ermessen; Ermessensreduzierung; Erteilung; Feuerungsanlage; Form; Nachbar; Nachbarn; Nachbarschutz; Nutzungsuntersagung; Nutzungsuntersagung; unzumutbare Beeinträchtigung; Verwaltungsakt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.06.2010
Aktenzeichen
2 A 523/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47872
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

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Die Kläger wenden sich gegen eine ihrem Nachbarn erteilte Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters für eine Feuerungsanlage.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Wohnhauses K. 12 in L.. Der Beigeladene ist Eigentümer des Nachbarhauses Nr. 14. Im Herbst 2006 errichtete der Beigeladene in seinem Wohnzimmer einen Kaminofen und montierte an der dem Klägergrundstück zugewandten Nordostseite seines Hauses einen neuen Schornstein zur Abführung der durch den Kaminofen verursachten Rauchgase. In seiner Funktion als Bezirksschornsteinfegermeister erteilte der Beklagte dem Beigeladenen unter dem 12. Oktober 2006 für diese Feuerungsanlage eine Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO.

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Im Folgenden kam es zu Beschwerden der Kläger gegenüber dem Beigeladenen und auch gegenüber dem Beklagten wegen Rauchabgasbelästigungen. Auf Anraten des Beklagten wandten sich die Kläger im Juni 2007 an die zuständige Immissionsschutzbehörde, den Landkreis Lüneburg. Ferner legten sie mit Schreiben vom 28. Juli 2007 beim Landkreis Lüneburg gegen die vom Beklagten erteilte Bescheinigung Widerspruch ein.

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Mit Schreiben vom 7. September 2007 bestätigte der Landkreis Lüneburg den Klägern, dass der Widerspruch zulässig sei, da es sich bei der Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO um einen Verwaltungsakt handele. Mit Bescheid vom 26. November 2007 half der Landkreis Lüneburg dem Widerspruch ab und hob mit einem an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom gleichen Tage die vom Beklagten erteilte Bescheinigung auf. Zur Begründung führte er aus, dass die Schornsteinmündung lediglich sieben Meter entfernt vom Wohnhaus der Kläger und in etwa gleicher Höhe wie die Fenster des Hauses der Kläger angebracht sei. Aufgrund der geringen Höhe der Schornsteinmündung verdünne sich der Rauch nicht ausreichend und unzumutbare Belästigungen oder gar Gesundheitsgefährdungen seien nicht auszuschließen. Der Rauch ziehe in einer starken Konzentration in die Aufenthaltsräume des Nachbargebäudes. Dies sei den Klägern unzumutbar.

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Im Folgenden nahm der Beigeladene Umbaumaßnahmen vor, indem er den Schornstein sowohl erhöhte als auch versetzte. Trotzdem kam es im Folgenden zu weiteren Beschwerden der Kläger über Rauchbelästigungen. Im Rahmen einer Ortsbesichtigung am 19. Dezember 2007 verabredeten die Beteiligten und der Landkreis Lüneburg, dass der Beigeladene das Schornsteinrohr nochmals um 0,5 m erhöhen werde und dass vor Erteilung einer neuen Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO ein etwa drei Wochen langer Testbetrieb des Kaminofens erfolgen solle, um möglichst alle Rauchentwicklungen, Windrichtungen etc. beurteilen zu können. Dieser Testbetrieb fand im Folgenden auch statt. Die Kläger trugen mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten an den Landkreis Lüneburg vom 24. Januar 2008 jedoch vor, dass der Testbetrieb seinen Zweck nicht habe erfüllen können, weil der Beigeladene anders als in der Vergangenheit die Feuerungsanlage nur sehr eingeschränkt und überwiegend nur mit kleinen Holzmengen betrieben habe.

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Unter dem 14. März 2008 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen für den Kaminofen und den Montageschornstein neuerlich eine Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO. Gegen diese Bescheinigung legten die Kläger mit Schreiben vom 10. April 2008 Widerspruch ein.

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Mit Bescheid vom 22. September 2008 wies der Landkreis Lüneburg den Widerspruch gegen diesen "Bescheid" als zulässig, aber unbegründet zurück. Die Anfechtung einer dem Nachbarn erteilten Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters könne nur Erfolg haben, wenn der Bescheid rechtswidrig sei und der Nachbar dadurch in eigenen subjektiven Rechten verletzt sei. Dies sei nicht der Fall, da der angefochtene Bescheid weder gegen nachbarschützende Normen noch gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße. § 19 Satz 1 NBauO, nach dem bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein müssen, dass durch chemische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen, habe zwar nachbarschützende Wirkung. Von dem Kaminofen und der Schornsteinanlage gingen jedoch keine unzumutbaren Rauchbelästigungen aus. Hierfür könne zur näheren Beurteilung auf das Regelwerk der VDI-Richtlinie 3781 Teil 4 - Heizen mit Holz - zurückgegriffen werden. Diesem Regelwerk entspreche die Feuerungsanlage. Im Übrigen habe auch eine Überprüfung des Einzelfalles durch eine Brennprobe bei einem Ortstermin am 18. Januar 2008 zu keinem anderen Ergebnis geführt. Zudem belege auch das von den Klägern selbst geführte Protokoll über die im Dezember 2007 vereinbarte Testphase, dass von der Feuerungsanlage keine unzumutbaren Belästigungen oder Gefahren ausgingen.

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Die Kläger haben am 10. Oktober 2008 Klage erhoben. Sie tragen vor:

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Die Klage sei zulässig, da es sich bei der Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO um einen Verwaltungsakt handele, mit dem der Betrieb der Feuerungsanlage genehmigt worden sei. Anderslautende Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts Minden sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da § 40 Abs. 8 NBauO erheblich von § 43 Abs. 7 der Nordrhein-Westfälischen Bauordnung abweiche, welcher dem Bezirksschornsteinfegermeister lediglich aufgebe, festgestellte Mängel der Bauaufsichtsbehörde mitzuteilen. Im Gegensatz dazu handele es sich bei § 40 Abs. 8 NBauO, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergebe, um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Erst mit Ausstellung der Bescheinigung sei der Bauherr befugt, die Feuerungsanlage in Betrieb zu nehmen; zugleich verpflichte die Bescheinigung die Nachbarn zur Duldung des Betriebes. Die Klage sei zudem auch begründet, da sie - die Kläger - unzumutbaren Umwelteinwirkungen in Form von Rauchabgasen der Feuerungsanlage ausgesetzt seien. Die Feuerungsanlage entspreche nicht den Regeln der Technik, insbesondere nicht den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3871 Teil 4 - Heizen mit Holz - und der DIN 18060 Teil 1. Zudem führe die konkrete Lage des Schornsteins und die Hauptwindrichtung West bis Südwest dazu, dass Rauchabgase in unzumutbarem Maße auf ihr Grundstück und in ihre Wohnräume zögen. Dies sei durch Fotos, Zeugen und von ihnen - den Klägern - angefertigte Protokolle über die Rauchbelästigungen auch hinreichend dokumentiert. Aufgrund dieser Umstände hätte der Beklagte die Bescheinigung nicht erteilen dürfen, ohne zuvor ein Sachverständigengutachten einzuholen.

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Die Kläger beantragen,

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die Bescheinigung des Beklagten vom 22. März 2008 sowie den Widerspruchsbescheid des Landkreises Lüneburg vom 22. September 2008 aufzuheben

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sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er trägt zu seiner Rechtsverteidigung vor:

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Bei der Erteilung der Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO durch den Bezirksschornsteinfeger handele es sich um eine rein bauordnungsrechtliche Sicherheitskontrolle bei der lediglich die Bauart der Anlage und ihre Umgebung zu würdigen seien. Eine Prüfung, ob und in welchem Maße Immissionen konkret auftreten, könne in diesem Rahmen nicht gefordert werden, da das Prüfungsverfahren in der Regel vor der Inbetriebnahme der Anlage und somit vor dem tatsächlichen Auftreten der Immissionen durchgeführt werde. Zur Durchsetzung der nachbarschützenden Vorschriften zur Abwehr unzumutbarer Immissionen sei nicht der Bezirksschornsteinfeger, sondern die Bauaufsichtsbehörde zuständig. Gehe man davon aus, dass es sich bei der Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO um keinen Verwaltungsakt handele, so führe der Umstand, dass der Landkreis Lüneburg als "selbsternannte" Widerspruchsbehörde tätig geworden und der Bescheinigung durch den Widerspruchsbescheid nachträglich den Charakter eines Verwaltungsaktes verliehen habe, höchstens zur Zulässigkeit, nicht aber zur Begründetheit der Klage, da die Kläger eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften nicht substantiiert dargelegt hätten.

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Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Landkreises Lüneburg Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

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Die Klage ist zulässig als Anfechtungsklage. Die Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters für Feuerungsanlagen nach § 40 Abs. 8 NBauO stellt zwar generell keinen Verwaltungsakt dar. Die vom Beklagten ausgestellte Bescheinigung vom 22. März 2008 ist jedoch durch den Widerspruchsbescheid des Landkreises Lüneburg nachträglich zu einem Verwaltungsakt umgestaltet worden. Diese Entscheidung der Widerspruchsbehörde muss sich der Beklagte zurechnen lassen.

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Nach § 40 Abs. 8 NBauO dürfen Feuerungsanlagen erst in Betrieb genommen werden, wenn der Bezirksschornsteinfegermeister die Tauglichkeit der Abgasanlagen und die sichere Benutzbarkeit der Feuerungsanlagen bescheinigt hat. Nach Auffassung des Einzelrichters handelt es sich bei dieser Bescheinigung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt im Sinne einer sachverständigen Begutachtung der Feuerungsanlage durch den Bezirksschornsteinfegermeister (so auch VG Minden, Urt. v. 01.08.2002 - 9 K 1543/01 - in Juris). Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass die Qualifizierung der Bescheinigung als Realakt im nordrhein-westfälischen Bauordnungsrecht durch den Gesetzeswortlaut deutlicher zum Ausdruck kommt: Nach § 43 Abs. 7 Satz 3 BauO NRW hat der Bezirksschornsteinfegermeister von ihm festgestellte Mängel an Feuerungsanlagen lediglich der Bauaufsichtsbehörde mitzuteilen, woraus sich klar ergibt, dass der Bezirksschornsteinfegermeister selbst nicht die Aufgabe hat, über die Genehmigungsfähigkeit und Nutzung der Feuerungsanlage bindend zu entscheiden. Aber auch der Wortlaut des § 40 Abs. 8 NBauO zwingt nicht dazu, die Bescheinigung als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Zwar darf die Feuerungsanlage erst bei Vorliegen der Bescheinigung betrieben werden, so dass die Erteilung der Bescheinigung zwingende Voraussetzung für die Nutzung der Feuerungsanlage ist. Eine Genehmigungswirkung der Bescheinigung ist daraus jedoch nicht zwingend abzuleiten, zumal es gesetzestechnisch ohne weiteres möglich ist, die Erlaubtheit eines Tuns vom Eintritt bestimmter tatsächlicher Voraussetzungen abhängig zu machen.

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Soweit auch in der einschlägigen Kommentarliteratur vertreten wird, dass die Prüfung von Abgasanlagen und Feuerungsanlagen eine hoheitliche Aufgabe darstelle, die den Bezirksschornsteinfegermeistern zur Erledigung im eigenen Namen übertragen worden sei (Große/Suchsdorf u. a., NBauO, 8. Aufl., § 80 Rdnr. 8), folgt der Einzelrichter dieser Auffassung nicht, soweit sie darauf hinausläuft, dass es sich bei der Bescheinigung um einen Verwaltungsakt handelt. Die in der zitierten Kommentierung zur Begründung angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 05.10.1990 - 7 C 7.90 -, NVwZ-RR 1991, 330), lässt sich auf § 40 Abs. 8 NBauO nicht übertragen. Dieses Urteil betrifft Prüfbescheinigungen für die allgemeine Zulassung schlagwettergeschützter und explosionsgeschützter elektrischer Betriebsmittel im Bergbau, die von der Bergbau- Versuchsstrecke, einer juristischen Person des Privatrechts, auf der Grundlage der Elektrozulassungs-Bergverordnung ausgestellt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Prüfbescheinigung als Verwaltungsakt qualifiziert und sich zur Begründung insbesondere auf eine Regelung der einschlägigen Verordnung gestützt, nach der die Bergbau- Versuchsstrecke die von ihr ausgestellten Bescheinigungen "widerrufen" kann, wobei die einschlägige Regelung ausdrücklich auf die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze Bezug nimmt. Eine vergleichbare Regelung, die den Charakter der Bescheinigung als Verwaltungsakt klarstellt, fehlt in § 40 Abs. 8 NBauO.

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Vielmehr ergibt sich aus der Systematik der NBauO, dass die Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO keinen Verwaltungsakt darstellt. Die §§ 68 ff NBauO enthalten ein differenziertes System für die Genehmigung von Bauvorhaben. Schon die systematische Stellung des § 40 NBauO an gänzlich anderer Stelle der Niedersächsischen Bauordnung spricht dagegen, dass es sich bei der Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters um einen Verwaltungsakt handelt, der den Betrieb der Feuerungsanlage genehmigt. Eine "Feuerungsanlagen-Genehmigung" ließe sich auch nicht in die Systematik der §§ 68 ff NBauO sinnvoll integrieren. Dort wird in einem abgestuften System zwischen genehmigungspflichtigen und genehmigungsfreien Vorhaben unterschieden. Zusätzlich regelt das niedersächsische Baugenehmigungsrecht u.a. noch den Bauvorbescheid über einzelne Rechtsfragen, die selbständig beurteilt werden können, und das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren. Eine Genehmigung von Feuerungsanlagen durch den Bezirksschornsteinfegermeister ist in diesem Regelungskonzept nicht vorgesehen. Abweichend von der grundsätzlichen Genehmigungsbedürftigkeit von baulichen Anlagen regelt der Anhang der NBauO über genehmigungsfreie bauliche Anlagen und Teile baulicher Anlagen in Ziffer 2.1 und 2.2 die Genehmigungsfreiheit von Feuerungsanlagen, welche bei Schornsteinen jedoch nur für bereits vorhandene Gebäude gilt. Das heißt, dass beim Neubau eines Gebäudes der Schornstein wie das gesamte Vorhaben der Baugenehmigung durch die Bauaufsicht, und nicht etwa einer Genehmigung durch den Bezirksschornsteinfegermeister unterliegt. Umgekehrt entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, dass alle sonstigen Feuerungsanlagen gerade genehmigungsfrei sein sollen, also auch nicht von einer Genehmigung des Bezirksschornsteinfegermeisters abhängen sollen. Bestätigt wird dies durch § 89 NBauO, der nur der Bauaufsicht, nicht aber dem Bezirksschornsteinfeger die Befugnis verleiht, gegen eine Feuerungsanlage im Wege einer Nutzungsuntersagung einzuschreiten, soweit sie ohne Erteilung einer Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO betrieben wird. Dass die Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters kein Verwaltungsakt ist, zeigt zudem § 80 Abs. 4 NBauO, der einzelne Bauabnahmeschritte vom Vorliegen dieser Bescheinigung abhängig macht. Indem die Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO damit in den Kontext der Bauabnahmen gestellt wird, die ebenfalls keine Verwaltungsakte sind, wird verdeutlicht, dass es sich bei der Bescheinigung des Bezirksschornsteinfegermeisters ebenso wie bei den Baumaßnahmen um tatsächliche Kontrollmaßnahmen ohne Rechtswirkung handelt, die der Bauaufsicht lediglich die tatsächliche Durchführung der Bauüberwachung erleichtern sollen.

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Mit dieser Rechtsauffassung steht der Einzelrichter auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Dieses hat zwar in einem nicht veröffentlichten Beschluss vom 2. Dezember 2008 (1 PA 225/08) einer ohne Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO in Betrieb genommenen Feuerungsanlage die "formelle Illegalität" attestiert. Den Begriff der formellen Illegalität hat es dabei aber in Anführungszeichen gesetzt und damit tendenziell zu erkennen gegeben, dass es die Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO nicht als Verwaltungsakt einordnet.

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Die Bescheinigung des Beklagten vom 22. März 2008 hat jedoch durch den Widerspruchsbescheid des Landkreises Lüneburg, der als Aufsichtsbehörde des Beklagten die zuständige Widerspruchsbehörde ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 73 Rdnr. 3), den Charakter eines Verwaltungsaktes erhalten. Bereits in seinem Schreiben vom 7. September 2007, das auf den ersten Widerspruch der Kläger ergangen ist, hat der Landkreis Lüneburg bestätigt, dass er die Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO als Verwaltungsakt ansehe und der Widerspruch daher zulässig sei. An dieser Rechtsauffassung hat er auch in seinem Widerspruchsbescheid vom 22. September 2008 festgehalten, da er den Widerspruch gegen den "Bescheid" ausdrücklich für zulässig erklärte und lediglich als unbegründet zurückwies.

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Bei einem derartigen Vorgehen der Widerspruchsbehörde erhält die ursprünglich nicht als Verwaltungsakt zu qualifizierende Handlung der Ausgangsbehörde nachträglich den Charakter eines Verwaltungsaktes oder ist jedenfalls prozessual so zu behandeln, als ob ein Verwaltungsakt vorliegen würde. Insoweit muss sich der Beklagte als Ausgangsbehörde das Handeln der Widerspruchsbehörde zurechnen lassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in einer Entscheidung über eine von der Ausgangsbehörde ausgesprochene schlichte Zahlungsaufforderung, die im Widerspruchsbescheid als Verwaltungsakt eingeordnet worden war, ausgeführt (Urt. v. 26.06.1987 - 8 C 21.86 - BVerwGE 78, 3 = NVwZ 1988, 51):

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"Die Rechnung vom 18. Mai 1982 ist mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides zum Verwaltungsakt geworden. Die Widerspruchsbehörde hat ihr diese "Gestalt" gegeben (s. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). In den Gründen des Widerspruchsbescheides wird die von der Klägerin angefochtene Rechnung ausdrücklich als "Verwaltungsakt in Form der Rechnung vom 18.5.1982" bezeichnet, der "rechtmäßig ergangen" sei, und es wird dementsprechend der Widerspruch der Klägerin als zulässig (und lediglich unbegründet) behandelt. Ob daraus die Folgerung, daß (zumindest fortan) ein Verwaltungsakt vorliege, zweifelsfrei zu ziehen war, mag dahinstehen. Darauf kommt es nicht an. Der Bürger als Empfänger einer nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt mißverständlichen Willensäußerung der Verwaltung darf durch etwaige Unklarheiten nicht benachteiligt werden; das gebietet nicht zuletzt die Grundrechtsbestimmung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (s. Urteil vom 12. Januar 1973, a.a.O.).

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Auf die Gestalt, die ein Erst"bescheid" durch den Widerspruchsbescheid findet, ist auch in den - hier interessierenden - Fällen abzustellen, in denen der Widerspruchsbescheid aus einer (schlichten) Willenserklärung einen Verwaltungsakt macht (s. Urteile vom 12. Januar 1973, a.a.O. S. 307 f., vom 6. Dezember 1978 - BVerwG 8 C 24.78 - BVerwGE 57, 158 (161), vom 21. November 1980 - BVerwG 7 C 18.79 - BVerwGE 61, 164 (168) und vom 17. März 1982 - BVerwG 8 C 36.80 - Buchholz 454.4 § 69 II. WoBauG Nr. 3 S. 1 (3)). Daran kann schon wegen der Konsequenzen kein Zweifel sein: Der Widerspruchsbescheid programmiert das weitere Verhalten des Betroffenen. Es wäre unbefriedigend, ja unerträglich, wenn der Betroffene, der durch den Widerspruchsbescheid zur Erhebung einer Anfechtungsklage veranlaßt wird, mit dieser Klage - in Ermangelung eines Verwaltungsaktes - ohne weitere Prüfung abgewiesen werden und angesichts dessen die Kosten tragen müßte (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO). Der Empfänger eines Widerspruchsbescheides braucht, was die weitere Rechtsverfolgung anlangt, nicht "klüger" zu sein, als es die Widerspruchsbehörde ist; es kann nicht zu seinen Lasten gehen, wenn er sich so verhält, wie sich zu verhalten ihm der Widerspruchsbescheid - bei objektiver Würdigung - nahegelegt hat.

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In der vorstehend dargelegten Weise zu folgern, führt auch dann nicht auf Bedenken, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Erstbehörde und die Widerspruchsbehörde nicht identisch sind (vgl. § 73 Abs. 1 VwGO) und wenn infolgedessen denkbar ist, daß die Widerspruchsbehörde durch eine Umgestaltung des Erstbescheides Rechte der Erstbehörde verletzt. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nimmt keine Rücksicht darauf, ob die Widerspruchsbehörde bei ihrer etwaigen Umgestaltung rechtmäßig gehandelt hat. Entscheidend ist die Gestalt, die der Erstbescheid durch den Widerspruchsbescheid "gefunden hat", unerheblich dagegen, ob die Widerspruchsbehörde so handeln durfte. Das leuchtet auch ein. Für die Schutzwürdigkeit des jeweils Betroffenen ist belanglos, ob die Erstbehörde und die Widerspruchsbehörde identisch sind oder nicht. Diese Schutzwürdigkeit hat im Vergleich zu einer etwaigen Schutzwürdigkeit auch der Erstbehörde das größere Gewicht. Die Anfechtungsklage ist zudem allgemein so konzipiert, daß die Erstbehörde grundsätzlich auch Fehler der Widerspruchsbehörde zu tragen hat (vgl. §§ 78 Abs. 1 Nr. 1 und 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Anders liegt es allein dann, wenn die mit dem Widerspruchsbescheid vorgenommene Umgestaltung als solche für den Betroffenen "eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält" (§ 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Das trifft bei einem Wechsel lediglich in der Rechtsform - d.h. hier: der Ersetzung einer (schlichten) Willenserklärung durch einen Verwaltungsakt - nicht zu; ein solcher Wechsel ist bei der gebotenen verallgemeinernden Betrachtung als solcher für den Betroffenen belastungs-indifferent."

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Nach den vorstehenden Grundsätzen enthält auch der Widerspruchsbescheid des Landkreises Lüneburg vom 22. September 2008 keine zusätzliche selbständige Beschwer im Sinne von § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die dazu führen würde, dass die Klage isoliert gegen den Widerspruchsbescheid und folglich nicht gegen den Beklagten, sondern gegen den Landkreis Lüneburg zu richten wäre. Der Widerspruchsbescheid bewirkt lediglich einen Wechsel der Rechtsform, in dem er eine Bescheinigung im Sinne eines Realaktes in einen Verwaltungsakt umgewandelt hat. Weitergehende Regelungen trifft der Widerspruchsbescheid nicht. Insbesondere kann in der Begründung des Widerspruchsbescheides, die im Einzelnen darlegt, dass der "angefochtene Bescheid" nicht gegen nachbarschützende Normen oder das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße, keine inzidente ablehnende Entscheidung über bauaufsichtliches Einschreiten auf der Grundlage von § 89 NBauO erblickt werden. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur fehlenden Verletzung nachbarschützender Vorschriften verdeutlichen vielmehr lediglich den bei Nachbarwidersprüchen allgemein gültigen Prüfungsmaßstab, nach dem keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle erfolgt, sondern nur zu prüfen ist, ob eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften vorliegt.

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Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die vom Beklagten ausgestellte Bescheinigung ist in der Fassung, die sie durch den Widerspruchsbescheid des Landkreises Lüneburg erhalten hat, rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die vom Beklagten erteilte Bescheinigung ist in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, rechtswidrig. Nach dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1987 ist in dieser Konstellation in der Begründetheit zu prüfen, ob die mit der Klage angegriffene Handlung im Wege eines Verwaltungsaktes ergehen durfte. Dies ist hier - wie bereits ausgeführt - nicht der Fall, da § 40 Abs. 8 NBauO dem Bezirksschornsteinfegermeister keine Befugnis erteilt, die Bescheinigung in der Handlungsform eines Verwaltungsaktes zu erlassen.

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Die Kläger werden durch das rechtswidrige Verwaltungshandeln auch in eigenen Rechten verletzt.

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Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erteilung der Bescheinigung nach § 40 Abs. 8 NBauO in der rechtswidrigen Handlungsform des Verwaltungsaktes nicht zu einer Verletzung nachbarschützender Rechte führt. Es handelt sich dabei nämlich um einen Verwaltungsakt, der vom Bezirksschornsteinfeger an den Bauherrn adressiert ist und prinzipiell keine Drittwirkung gegenüber der Bauaufsicht hat. Die Erteilung der Bescheinigung in der Form des Verwaltungsaktes schränkt somit die Möglichkeit der Bauaufsicht, im Wege einer späteren Nutzungsuntersagung nach § 89 NBauO gegen die Feuerungsanlage vorzugehen, rechtlich nicht ein. Somit steht sie auch nicht einem Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten entgegen, der gegeben sein kann, soweit eine unzumutbare Beeinträchtigung in nachbarlichen Rechten das von § 89 NBauO angeordnete Ermessen auf null reduziert.

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Hier tritt jedoch hinzu, dass die Bauaufsicht, die gegebenenfalls über eine Nutzungsuntersagung gegenüber dem Beigeladenen zu entscheiden hätte, mit der Widerspruchsbehörde identisch ist und deshalb an die vom Beklagten erteilte Bescheinigung gebunden ist. Dies folgt aus der Selbstbindung der Behörden an die von ihnen erlassenen Bescheide. Bei einem Verwaltungsakt, zu dem auch ein Widerspruchsbescheid ergangen ist, beschränkt sich diese Bindungswirkung nicht auf die Ausgangsbehörde, sondern gilt auch für die Widerspruchsbehörde (Bader u. a., VwGO, 4. Aufl., § 79 Rdnr. 12; Kopp/Schenke, a. a. O., § 73 Rdnr. 10). Diese Bindungswirkung reicht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soweit, dass die Widerspruchsbehörde nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens durch Zustellung des Widerspruchsbescheides nicht mehr befugt ist, über die Sache weiter zu befinden; insbesondere kann sie den Widerspruchsbescheid nicht mehr sachlich ändern (Urt. v. 11.05.1979 - 6 C 70.78 -, BVerwGE 58, 101, 105 m.w.N.). Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens darf also nur noch die Ausgangsbehörde über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und eine Änderung der Sachentscheidung auf der Grundlage der §§ 48 ff VwVfG entscheiden.

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Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass der Landkreis Lüneburg im Falle eines Antrages der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten an die Bescheinigung des Beklagten, die durch den eigenen Widerspruchsbescheid des Landkreises den Charakter einer Genehmigungsentscheidung erhalten hat, gebunden ist. Dem späteren Erlass einer Nutzungsuntersagung auf der Grundlage von § 89 NBauO steht somit die durch die Bescheinigung in Form des Widerspruchsbescheides bewirkte formelle Legalität des Vorhabens entgegen.

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Doch auch wenn man dem angefochtenen Bescheid nicht eine derartige Genehmigungswirkung beimisst, sondern darin nur einen feststellenden Verwaltungsakt erkennt, der "die Tauglichkeit der Abgasanlage und die sichere Benutzbarkeit der Feuerungsanlage bescheinigt" (§ 40 Abs. 8 NBauO), werden durch diesen Bescheid die Entscheidungsbefugnisse der Bauaufsicht bei einem künftigen Antrag der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten zu deren Lasten eingeengt. Ein gegenüber dem Landkreis Lüneburg durchzusetzender Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten kommt in Betracht, soweit von der Feuerungsanlage für die Kläger unzumutbare Umwelteinwirkungen in Form von Rauchbelästigungen ausgehen und der Landkreis deshalb aufgrund des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebotes, das unter anderem in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG niedergelegt ist, zum Einschreiten verpflichtet ist. Wie sich aus § 40 Abs. 4 Satz 3 und Abs. 5 NBauO ergibt, umfasst die Tauglichkeitsprüfung von Abgasanlagen durch den Bezirksschornsteinfegermeister auch die Feststellung, dass "Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen" können. Die Erteilung der Bescheinigung in der Form eines feststellenden Verwaltungsaktes führt somit dazu, dass auch über die nachbarschützende Frage von Gefahren oder unzumutbare Belästigungen, die von der Abgasanlage ausgehen, bereits rechtlich bindend entschieden wird. Ist die Bauaufsichtsbehörde wie hier aufgrund ihrer Stellung als Widerspruchsbehörde an diese Feststellung gebunden, so kann sie später im Rahmen einer Entscheidung über bauaufsichtliches Einschreiten über die Frage, ob von der Feuerungsanlage bei ordnungsgemäßem Betrieb unzumutbare Belästigungen ausgehen, keine eigenständige Entscheidung mehr treffen. Ihr obliegt dann höchstens noch die Prüfung, ob durch unsachgemäßen Gebrauch oder einen Defekt der Anlage zusätzliche Belästigungen entstanden sind, die den Klägern nicht zumutbar sind.

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Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.