Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.02.2013, Az.: 5 A 5296/12

Ausschluss von Abschiebungsverbot; Drogendelikt; Flüchtlingsanerkennung; Prognose; Statusbereinigung; Straftäter; Widerruf; konkrete Wiederholungsgefahr; Wiederholungsgefahr

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.02.2013
Aktenzeichen
5 A 5296/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64229
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft (Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG).

Der 1965 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Er reiste am 14. Juli 1994 auf dem Landweg über Polen (erneut) in das Bundesgebiet ein. In seinem Asylerstverfahren erkannte ihn das Bundesamt nach Anhörung durch Bescheid vom 23. November 1994 als Asylberechtigten und Flüchtling im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG an. Auf die Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hob das Verwaltungsgericht - VG - G. mit Urteil vom 12. April 2002 (2 A 686/94 As -) die Anerkennung als Asylberechtigter unter Abweisung der Klage im Übrigen auf, weil der Kläger über Polen und damit einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26 a AsylVfG eingereist war. Hinsichtlich der unbeanstandeten Flüchtlingseigenschaft ließ es offen, ob der Kläger infolge regimekritischen Verhaltens vorverfolgt ausgereist sei, zumal wegen exponierter exilpolitischer Betätigungen (Vielzahl regimekritischer Zeitungsartikel, Teilnahme an einer öffentlich bekannt gewordenen Solidaritätsaktion für Öcalan, Teilnahme an der Kampagne „Ich bin ein PKK’ler“ und Mitgliedschaft des „Volkshauses Kurdistan“) beachtliche Nachfluchtgründe vorlägen. Die Ausschlussgründe des § 51 Abs. 3 AuslG griffen nicht, da der Kläger nicht aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland anzusehen sei. Mangels einer gesehenen Wiederholungsgefahr sei der Kläger auch nicht wegen zwischenzeitlich im Bundesgebiet begangener Straftaten als Gefahr für die Allgemeinheit anzusehen. Denn der Kläger sei Ersttäter, sein Vollzugsverhalten sei nicht zu beanstanden gewesen und die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts - LG - Hamburg vom 13. Februar 1998 sei zur Bewährung ausgesetzt worden. Das Strafgericht habe seinerzeit von der Milderungsmöglichkeit des § 31 BtmG Gebrauch gemacht, da der Kläger an der Aufklärung der Tat mitgewirkt und nachdrücklich betont habe, sich von dem tatbegünstigenden sozialen Umfeld zu distanzieren.

Bereits am 13. Februar 1998 hatte das LG Hamburg den Kläger wegen unerlaubtem Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, unerlaubtem Erwerbs und unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubten Führens einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe und anderen Delikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt (- 2500 Js 66/95 - 631 KLs 23/96 -). Nach Teilverbüßung wurde ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und nach Verlängerung der Bewährungszeit mit Wirkung vom 29. Juli 2005 erlassen.

Der Kläger erhielt von den Ausländerbehörden zunächst anknüpfend an seinen Flüchtlingsstatus befristete Aufenthaltserlaubnisse. Seit längerem besitzt er sog. Fiktionsbescheinigungen, weil die Ausländerbehörden seinen Verlängerungsantrag, aber auch Ausweisungsgründe prüfen. Entsprechendes gilt für seine türkische Ehefrau und seine 2003 und 2012 geborenen minderjährigen Kinder. Die weiteren 1990 und 1991 geborenen Töchter haben mittlerweile Niederlassungserlaubnisse.

Im März 2008 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren wegen geänderter Verfolgungslage gegen den Kläger ein und hörte ihn hierzu unter dem 2. April 2008 schriftlich an. Mit Schreiben vom 12. Juni 2008 wandte sein früherer Bevollmächtigter ein, die Gefahr politischer Verfolgung bestehe wegen exponierter exilpolitischer Tätigkeit des Klägers fort. Dieser sei Vorstandsmitglied des „Kurdischen Sportvereins e.V.“, der von türkischen Behörden als „PKK-Unterstützer-Verein“ angesehen werde. Außerdem führe die Staatsanwaltschaft - StA - B. ein Verfahren wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gegen ihn, weil er „ seit etwa November 2007 als sog. Frontarbeiter im PKK/Kongra-Gel-Gebiet B. tätig“ sei. Folglich sähen ihn türkische Sicherheitsbehörden als „gefährlichen Terrorist und PKK’ler“ an und ihm drohten bei Rückkehr Verhöre mit asylrelevanten Misshandlungen.

In seinem Bericht vom 9. September 2009 äußerte das Nds. Ministerium für Inneres und Sport (Verfassungsschutz) - ungeachtet der Einstellung Strafverfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung durch Beschluss des LG B. vom 29. Juli 2009 (- 1 AR 48/0 -) nach § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit - sicherheitsmäßige Bedenken gegen die Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger, zumal dieser Spendengelder eingetrieben und sich in anderer Weise für prokurdische Vereinigungen mit PKK-Nähe engagiert habe. Unter dem 26. Januar 2010 wies der Bevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass ungeachtet der hiesigen Verfahrenseinstellung eine Verfolgungsgefahr in der Türkei fortbestehe, zumal - wie die beigefügten Zeitungsartikel belegten - eingeleitete Reformen in der Praxis türkischer Sicherheitsbehörden nicht wirksam griffen.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Januar 2011 verurteilte das AG Kleve den Kläger wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit diesen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (13 Ls - 102 Js 566/10 - 130/10). Daraufhin hörte das Bundesamt den Kläger unter dem 25. Mai 2011 schriftlich dazu an, den Widerruf nunmehr auf § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alt. AufenthG stützen und gleichzeitig festzustellen zu wollen, dass die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen. Eine Stellungnahme des Klägers hierzu ging nicht ein.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2011, zugestellt am 13. Juli 2011, widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 23. November 1994 festgestellte Flüchtlingseigenschaft des Klägers gemäß § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Flüchtlingsstatus sei zwingend nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu widerrufen, da der Kläger infolge seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen begangener Straftaten als Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne von § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alt. AufenthG anzusehen sei, zumal unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine Wiederholungsgefahr vorliege. Bei Straftaten, die eine derart hohe Freiheitsstrafe auslösten, sei typischerweise ein hohes Wiederholungsrisiko anzunehmen. Für den Kläger nachteilig sei, dass er Rückfalltäter sei, erneut ein Delikt der schweren Kriminalität begangen habe, die große Menge und der Wirkstoffgehalt des eingeführten Betäubungsmittels sowie seine schlechte wirtschaftliche Situation auch angesichts der eigenen Drogenabhängigkeit. § 30 Abs. 4 AsylVfG gebiete wegen des genannten Ausschlussgrundes den Offensichtlichkeitsausspruch zu § 60 Abs. 1 AufenthG.

Der Kläger hat am 25. Juli 2011 - der Rechtsbehelfsmittelbelehrung folgend - vor dem Verwaltungsgericht O. Klage erhoben, das den Rechtsstreit durch Beschluss vom 13. Dezember 2012 (5 A 193/11) unter Hinweis auf den trotz Inhaftierung fortbestehenden allgemeinen Wohnsitz des Klägers bei seiner Familie (seinerzeit) in D. an das erkennende Gericht verwiesen hat. Ergänzend trägt er vor: Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände fehle eine konkrete Wiederholungsgefahr für die Annahme des Ausschlussgrundes nach § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alt. AufenthG. Er habe seine Verhaltensweisen und seine soziale Situation seit der zweiten Inhaftierung nachhaltig positiv verändert. Infolge verbesserter sprachlicher Fähigkeiten besitze er mittlerweile das Sprachniveau des Referenzrahmens B1 (Zertifikat der Volkshochschule L. gGmbH vom 1. Dezember 2011). Mit Förderung durch die Agentur für Arbeit habe er die Grundqualifikation gemäß § 2 Abs. 4 der Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung - BKrFQV - für den Güterkraftverkehr erworben (Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit für eine Maßnahme zur Qualifizierung zum Berufskraftfahrer in der Zeit vom 15. August bis 15. September 2012; Bescheinigung der IHK vom 14. November 2012). Nunmehr könne er nach späterer praktischer Fahrprüfung seine beruflichen Möglichkeiten erweitern. Derzeit bemühe er sich um weitere Bildungsgutscheine für die praktische Prüfung bei der Dekra, die ihm später auch bei der Vermittlung eines passenden Arbeitsplatzes helfen könne. Seine Frau D. sei mit den gemeinsamen Kindern von D. weg nach D. gezogen, damit er nach Haftentlassung nicht in sein früheres Milieu zurückfalle. Am 9. Dezember 2012 sei seine jüngste Tochter Y. geboren, die ihm ebenso Halt gebe wie sein erstes Enkelkind, die jüngst geborene Tochter seiner ältesten Tochter aus L.. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung zum 6. November 2012 sei er zur Familie gezogen (Meldebestätigung vom 7. November 2012). Zur Regelung seiner Schulden (ca. 50.000 €) habe er beim AG L. - Insolvenzgericht - ein Insolvenzverfahren beantragt. Das Gericht habe etwa im September 2012 darüber entschieden. Er habe Aussicht auf Arbeit bei dem Unternehmen K. Lebensmittel in V., wolle aber derzeit vorrangig die praktische Prüfung für den Güterkraftverkehr erwerben. Wegen seines ungesicherten Aufenthaltsstatus habe die Deutsche Rentenversicherung die Übernahme der Kosten für eine Therapie wegen seines Kokainkonsums (seit Ende 2006, Anfang 2007 bis etwa Oktober 2010) abgelehnt. Infolge eigener Anstrengungen sei er mittlerweile nicht mehr drogenabhängig. Dies ergebe sich auch aus den Haftbescheinigungen und den dort erwähnten negativen Urinkontrollen, sowie weiteren negativen Urinkontrollen anlässlich seiner Bemühungen um die Erlangung eines LKW-Führerscheins. Als Mitglied einer religiösen Familie fühle er sich insoweit auch gegenüber seiner Ehefrau verpflichtet, die erst im Zusammenhang mit seiner zweiten Verurteilung von seiner Sucht erfahren habe und der er Besserung gelobt habe. Auch seine positive Entwicklung während der zweiten Inhaftierung (vgl. Stellungnahme der JVA L. vom 4. Juli 2012, forensisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, forensischer Psychiater Dr. B. vom 9. Oktober 2012, Beschluss des LG O. vom 5. November 2012 - 13 StVK 247/12 D - über die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe nach Verbüßung von 2/3 zur Bewährung auf drei Jahre) spreche gegen eine Wiederholungsgefahr. Seine frühere Vorstandstätigkeit im Kurdischer Sportverein e.V. B. übe er nicht mehr aus. Weder dort noch bei der Vereinigung „Volkshaus Kurdistan“ sei er mehr Mitglied. Seit Anfang November 2012 sei er einfaches Mitglied in einem kurdischen Verein in .L..

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere nach wie vor eine konkrete Wiederholungsgefahr beim Kläger.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes, die Vollzugsakten der JVA L. und die Ausländerakte des Landkreises D. verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die mit der Ladung versandte Auflistung der Erkenntnismittel, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 73 AsylVfG in der gegenwärtig geltenden Fassung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). Insoweit liegen die formellen ebenso wie die materiellen Voraussetzungen vor.

Der angefochtene Widerruf leidet nicht an formellen Mängeln. Insbesondere durfte er trotz des Ablaufs der in § 73 Abs. 7 i.V.m Abs. 2a Satz 4 AsylVfG vorgegebenen Fristen (also bis zum 31. Dezember 2008) als sog. zwingender Widerruf ergehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2012 - 10 C 4.11 - juris; BayVGH, Urteil vom 21. März 2011 - 13a B 10.30074 - juris sogar für Fälle, in denen selbst die Prüfung der Widerrufslage nach Ablauf der genannten Frist begann). Bei der - wie hier - nach altem Recht (AuslG 1990) erfolgten Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kann auch noch dann ein (zwingender) Widerruf ergehen, wenn das Bundesamt bis zum 31. Dezember 2008 keine Prüfung der Voraussetzungen vorgenommen hat. Die bloße Untätigkeit steht einer sog. Negativentscheidung i.S.v. § 73 Abs. 2a Satz 1 - 3 AsylVfG nicht gleich, so dass ein Widerruf in diesem Fall keiner Ermessensausübung bedarf. Der Gesetzgeber hat bei verständiger Auslegung der Vorschriften den tendenziell günstigeren Ermessenswiderruf nur für den Fall vorgesehen, dass das Bundesamt die Frage des zwingenden Widerrufs bereits geprüft und verneint hat. Im Übrigen belässt er es bei der Regelung bestimmter Fristen als bloße Handlungsanweisung an das Bundesamt, ohne jedoch an die Verletzung der Prüfungsfristen subjektive Rechte zugunsten des Ausländers zu knüpfen. Die einjährige Ausschlussfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist hier unproblematisch eingehalten; sie findet ohnehin auf den Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG keine Anwendung. Die bereichsspezifische Fristenregelung für den Widerruf und die Rücknahme von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen durch das Bundesamt in § 73 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 7 AsylVfG verdrängt diese allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Fristbestimmungen.

Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ist u.a. die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Ausländer infolge der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsstaat keine Verfolgung mehr droht, sondern auch, wenn nachträglich von ihm nach Maßgabe von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit ausgeht, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - juris Rn. 25 m. w. N.).

Die Voraussetzungen der 2. Alternative dieser Vorschrift sind zunächst insoweit erfüllt, als der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts - AG - Kleve vom 14. Januar 2011 (13 Ls - 102 Js 566/10 - 130/10) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit diesen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Insbesondere sich bezieht die Verurteilung auf eine einzelne besonders schwerwiegende Straftat und folgt nicht etwa aus einer Gesamtstrafenbildung (vgl. hierzu BVerwG, Entscheidung vom 31. Januar 2013 - 10 C 17.12 -).

Die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren führt nur dann zum Ausschluss eines Abschiebungsverbots (bzw. der Asylberechtigung), wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungsgefahr festgestellt wird. Eine Wiederholungsgefahr im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen; eine lediglich entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten genügt hingegen nicht. Bei dieser Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2009 - 10 B 17.09 - juris und Urteil vom 16. November 2000 - 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185; Nds. OVG, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - juris Rn. 27; OVG NRW, Urteil vom 29. Juli 2008 - 15 A 620/07.A - juris und Hess VGH, Urteil vom 10. August 2011 - 6 A 95/10.A - juris).

Angesichts des Erfordernisses, bei der Gefahrenprognose die spezifischen Besonderheiten des Einzelfalles unter Einbeziehung der Persönlichkeitsentwicklung des Straftäters und der konkreten Umstände der Tatbegehung zu berücksichtigen, kann allein die Tatsache, dass der Ausländer die für die Taten ausgesprochene Freiheitsstrafe (größtenteils) verbüßt hat, das Wiederholungsrisiko nicht entfallen lassen. Denn rechtskräftige Verurteilungen im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alternative AufenthG führen regelmäßig zur Verbüßung der Freiheitsstrafe, da eine Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung nach § 56 StGB wegen der Strafhöhe von vornherein nicht in Betracht kommt. Würde der bloße mit der Strafverbüßung verbundene Zeitablauf regelmäßig zum Wegfall des Ausschlussgrundes führen, liefe die Vorschrift praktisch weitgehend leer. Dies gilt insbesondere in Asylverfahren, da es hier im Falle eines Rechtsstreits nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt.

Ist die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB - wie hier - zur Bewährung ausgesetzt, begründet dies ein gewichtiges Indiz, aber keine Vermutung gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr (BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 - 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185; vgl. auch Urteil vom 13. Dezember 2012 - 1 C 20.11 - juris zur ähnlich gelagerten Gefahrenprognose im Ausweisungsrecht). Behörden und Verwaltungsgerichte haben eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen, sind hierbei an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden und können zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen.

Ausgehend von diesen Maßstäben kann bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller Umstände eine vom Kläger ausgehende Gefahr im Sinne einer beachtlichen Wiederholungsgefahr trotz der positiven Prognose im strafvollzuglichen Bereich angenommen werden. Aufgrund der in das Klageverfahren eingeführten Berichte und Stellungnahmen und der persönlichen Anhörung des Klägers in den mündlichen Verhandlungen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass von dem Kläger bei der hier gebotenen längerfristigen Betrachtung seiner künftigen Entwicklung (auch nach Ablauf der Bewährungszeit im November 2015) eine Gefahr für die Allgemeinheit, namentlich eine konkrete Wiederholungsgefahr im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alternative AufenthG, ausgeht.

Unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse aus der (kurzen) Zeit nach Haftentlassung und insbesondere aus der aktuellen ausführlichen Befragung des Klägers ergeben sich durchgreifende Zweifel daran, dass der Kläger auch über die Bewährungszeit hinaus straffrei bleiben wird. Bei der Bewertung seines zugegebenermaßen unauffälligen bis positiven Verhaltens in der zurückliegenden Zeit sind auch der ordnende Rahmen des Strafvollzugs und der Druck des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung einerseits und der schwebenden Verfahren über den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft sowie über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltserlaubnis/Ausweisung andererseits zu berücksichtigen. Was die erst kurze Zeit nach vorzeitiger Haftentlassung Anfang November 2012 angeht, gibt es zwar etliche Äußerungen des Klägers zum angestrebten Wohlverhalten und zur Bewährung, aber noch keine hinreichend gesicherten positiven Fakten. Dies gilt sowohl hinsichtlich seiner langjährigen Drogensucht nach Kokain, seinen Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit als auch für seinen Umgang mit der hohen Schuldenlast (ca. 50.000,-- bis 60.000,-- Euro).

Der Kläger war von Ende 2006/Anfang 2007 bis zur Inhaftnahme im Oktober 2010 kokainabhängig. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Kleve beruhte die wirtschaftliche Erfolglosigkeit seiner diversen unternehmerischen Tätigkeiten darauf, dass er jeweils zu viel Geld aus seinem Unternehmen für seinen Kokainkonsum herausnahm. Seine Sucht und der wirtschaftliche Druck haben ihn zu der - im Übrigen wiederholten - Straftat getrieben. Weitere Drogendelikte seit den Ersttaten im Jahre 1996 sind zwar nicht bekannt geworden, erfahrungsgemäß ist die Dunkelziffer gerade bei abhängigen Personen hoch. Aus den Vollzugsakten erschließt sich, dass es während der Inhaftierung zwei negative Urinkontrollen - UK - gegeben habe. Im Übrigen verweist der Kläger auf den neuen Halt bzw. Druck seiner Familie sowie die erfolgversprechenden Bestrebungen zum Erwerb einer Fahrerlaubnis für den Güterkraftverkehr, die wiederum strikte Drogenfreiheit voraussetzt. Nachweise über weitere negative UK bei der Fahrschule oder bei einem Arzt in D. hat er zwar behauptet, aber nicht vorgelegt. Erfahrungsgemäß ist die Rückfallquote bei Suchtgefährdeten hoch und der Entwöhnungsprozess erfordert professionelle Hilfen. Dies gilt insbesondere bei - wie hier - langjähriger Drogenabhängigkeit. Der Kläger hat zwar belegt, dass ihm wegen seines ungesicherten Aufenthaltsstatus die Kostenübernahme für eine Drogentherapie während der Haftzeit versagt wurde. Bemühungen um eine anderweitige Drogentherapie nach Haftentlassung - oder die Einbindung in eine andere Entzugsgruppe - hat er hingegen nicht entfaltet, sondern erstmals nach Befragung in der mündlichen Verhandlung erwogen. Das Gericht verkennt in diesem Zusammenhang weder den familiären Halt des Klägers zu seiner Ehefrau, seinen im selben Haushalt lebenden 1991, 2003 und 2012 geborenen Kindern sowie zu der in L. wohnhaften verheirateten Tochter S. (geb. 1990) nebst deren Familie noch den vollzogenen Wohnsitzwechsel weg von D. nach D.. Insoweit ist aber zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass er auch zur Tatzeit seines letzten Drogendelikts im Oktober 2010 in einem vergleichbaren familiären Umfeld lebte. Der Kläger vermochte es nicht, überzeugend die neue Qualität seiner familiären oder religiösen Bindung darzulegen. Entsprechendes gilt für seine dauerhaft wirksame Entfernung aus dem bisherigen D./B. Drogenmilieu. Dem Kläger ist zuzugeben, dass er sich räumlich mindestens 80 km vom bisherigen Wohnort entfernt hat. Nach wie vor ist er jedoch u.a. in kurdischen Vereinigungen, konkret einen kurdischen Verein in L. eingebunden und schließt - zumindest bei verbesserten finanziellen Verhältnissen - nicht aus, künftig vermehrt an überregionalen Zusammenkünften teilzunehmen. Ein dauerhaft belastbares Konzept zur Vermeidung künftiger Kontakte zu Angehörigen aus seinem früheren Drogenmilieu vermochte der Kläger nicht überzeugend darzulegen.

Was die sprachliche und berufliche Qualifizierung des Klägers angeht, sieht das Gericht durchaus positive Bemühungen, aber (noch) keine nachhaltigen Erfolge. Trotz Teilnahme am Deutschunterricht während der Inhaftierung und Verbesserung seines Sprachniveaus (Zertifikat der Volkshochschule L. g GmbH vom 1. Dezember 2011 zum Referenzrahmen B 1) erschienen die Deutschkenntnisse des Klägers in der mündlichen Verhandlung eingeschränkt und weiter verbesserungsbedürftig, um gute Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu haben. Der Kläger hat zwar mit Förderung der Agentur für Arbeit (im dritten Versuch) die theoretische Prüfung für den Güterkraftverkehr im November 2012 erlangt und bemüht sich nach seiner Darstellung nachhaltig um Förderung und Erwerb der zugehörigen praktischen Qualifikation. Allerdings ist bisher der Erwerb der praktischen Berechtigung noch ebenso vage wie die anschließende Aufnahme einer längerfristigen beruflichen Tätigkeit in diesem Bereich. Offenbar verkennt der Kläger in diesem Zusammenhang mögliche Hindernisse wegen seiner eingeschränkten Sprachkenntnisse, geringer Erfahrungen in dem Berufsfeld und seines fortgeschrittenen Alters. Derzeit erhält er jedenfalls - ebenso wie seine Familie - ALG II-Leistungen und lediglich Kindergeld als eigenes Einkommen. Trotz anderweitiger Bekundungen im Verfahren zur vorzeitigen Haftentlassung hat er die ihm in Aussicht gestellte Tätigkeit beim Unternehmen K. Lebensmittel in V. nicht aufgenommen, was sich zumindest vorübergehend angeboten hätte. Obwohl diese Option nach eigenem Bekunden nach wie vor offensteht, hat er es vorgezogen, sich auf den Erwerb der praktischen Fahrprüfung zu konzentrieren.

Auf Anraten der Schuldnerberatung während der Inhaftierung hat der Kläger nach eigener Darstellung zwar zwischenzeitlich beim AG L. - Insolvenzgericht - ein Privat-Insolvenzverfahren beantragt. Die Befragung hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht offenbarte aber eine fragwürdige Einstellung zum Verlauf und zur Wirkungsweise dieses Verfahrens. Offenbar hat der Kläger nicht verinnerlicht, dass die (teilweise) Schuldenfreiheit nicht sofort nach Antragstellung eintritt, sondern lange Zeiten des Wohlverhaltens und der ernsthaften Bemühungen um eine teilweise Schuldentilgung voraussetzt.

Unter Berücksichtigung sämtlicher für und gegen den Kläger sprechenden Umstände kann folglich derzeit mit dem Bundesamt eine positive längerfristige aufenthaltsrechtliche Gefahrenprognose auch über die Bewährungszeit hinaus nicht ausgestellt werden. Auf dessen Ausführungen im angefochtenen Bescheid wird ergänzend Bezug genommen.

Zum Vorliegen anderweitiger Widerrufsgründe - etwa nach § 60 Abs. 8 Satz 1 1. Alt AufenthG (schwerwiegende Gefahr für Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wegen bedeutsamer nachträglicher Aktivitäten für die verbotene PKK oder nahe stehende Organisationen) - bedurfte es keiner gerichtlichen Ausführungen, zumal das Bundesamt seine angefochtene Entscheidung nicht auch darauf stützt.

Zutreffend hat das Bundesamt schließlich ausgeführt, dass § 30 Abs. 4 AsylVfG wegen des genannten Ausschlussgrundes den Offensichtlichkeitsausspruch zu § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2 des Bescheides) gebietet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.