Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 21.09.2007, Az.: L 7 AS 183/07 ER

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung einer Auskunftspflicht in Niedersachsen; Entfall der aufschiebenden Wirkung im sozialgerichtlichen Verfahren; Aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Androhung oder Festsetzung von Zwangsmitteln in Niedersachsen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
21.09.2007
Aktenzeichen
L 7 AS 183/07 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 44338
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2007:0921.L7AS183.07ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 15.01.2007 - AZ: S 33 AS 1335/06 ER

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Festsetzung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung einer Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 SGB II ist nicht nach dem niedersächsischem Landesrecht (Nds. SOG) sofort vollziehbar. Die landesrechtlichen Vorschriften sind im Hinblick auf die Garantie eines effizienten Rechtsschutzes nicht geeignet, eine sofortige Vollziehbarkeit i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG herbeizuführen.

  2. 2.

    Die Anordnung des Sofortvollzugs der Zwangsgeldfestsetzung ist rechtswidrig, wenn die schriftliche Begründung nicht erkennen lässt, dass die Behörde eine rechtsfehlerfreie Interessenabwägung vorgenommen hat.

  3. 3.

    Eine vorherige Anhörung ist bei der Anordnung des Sofortvollzugs jedenfalls dann geboten, wenn zwischen dem Erlass des Bescheides und der Vollzugsanordnung über 10 Monate liegen und nicht ersichtlich ist, dass durch eine vorherige Anhörung das Vollzugsinteresse gefährdet wird.

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Januar 2007 wird aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 01. November 2006 gegen den Bescheid der Samtgemeinde D. vom 02. Oktober 2006 wird angeordnet.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Instanzen zu tragen.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Antragsgegners beziehungsweise der in dessen Namen und Auftrag handelnden Samtgemeinde Bad E. zur Durchsetzung einer Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch.

2

Der am 14. Mai 1942 geborene Antragsteller war als Handelsvertreter beruflich tätig. Er bewohnt zusammen mit der 1956 geborenen Frau F. eine Wohnung unter der Anschrift G. in H ... Der Antragsgegner hatte Frau I. zuletzt Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende bis zum 31. März 2006 bewilligt. Im Rahmen der Prüfung eines Fortzahlungsantrages hörte er Frau J. zu einer Leistungsablehnung wegen Bestehens einer Einstandsgemeinschaft mit dem Antragsteller an. Im Rahmen des daraufhin angestrengten Verfahrens auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes verpflichtete das Sozialgericht (SG) Hildesheim den Antragsgegner mit Beschluss vom 19.05.2006 (S 33 AS 437/06 ER) zur vorläufigen Gewährung von Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 311,00 EUR. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Zwar bestehe zwischen dem Antragsteller und Frau J. eine eheähnliche Gemeinschaft. Da Frau J. jedoch hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers nicht gegenüber dem Antragsgegner auskunftspflichtig sei, könne eine Leistungsverweigerung nicht auf diesen Umstand gestützt werden. Die dagegen erhobene Beschwerde der Frau J. wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen wegen fehlender Eilbedürftigkeit mit Beschluss vom 08. September 2006 (L 6 AS 468/06 ER) zurück, wobei es im Übrigen auch von gewichtigen Indizien für das Vorliegen einer Einstandsgemeinschaft ausging.

3

Mit Bescheid vom 23. Juni 2006 gab die im Namen des Antragsgegners handelnde Samtgemeinde D. dem Antragsteller auf, bis zum 10. Juli 2006 anhand eines beigefügten Fragebogens Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse seit dem 01. Januar 2005 zu geben und entsprechende Belege beizufügen. Für den Fall der nicht fristgerechten Auskunftserteilung drohte sie ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR an. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung des Auskunftsverlangens an und begründete dies mit dem öffentlichen Interesse an einer zügigen Auskunftserteilung zur Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist. Mit weiterem Bescheid vom 11. Juli 2006 setzte die Samtgemeinde D. das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR fest, gewährte eine Nachfrist bis zum 25. Juli 2006 und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 600,00 EUR an. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - eine Entscheidung noch nicht ergangen ist. Mit Bescheid vom 09. August 2006 setzte die Samtgemeinde D. das angedrohte weitere Zwangsgeld in Höhe von 600,00 EUR fest, gewährte eine Nachfrist bis zum 25. August 2006 und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 900,00 EUR an. Dagegen legte der Antragsteller unter dem 14. August 2006 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - ebenfalls eine Entscheidung noch nicht ergangen ist.

4

Am 10. August 2006 suchte der Antragsteller beim SG Hildesheim um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes im Hinblick auf die bislang gegen ihn ergangenen Bescheide der Samtgemeinde D. vom 23. Juni, 11. Juli und 09. August 2006 nach. Mit Beschluss vom 05. Oktober 2006 (S 23 AS 942/06 ER) lehnte das SG Hildesheim diesen Antrag ab. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung komme nicht in Betracht, da im Hinblick auf die angegriffenen Bescheide durchgreifende rechtliche Bedenken nicht bestünden. Daher überwiege das Vollzugsinteresse. Es sei von einer Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau J. auszugehen, so dass sich eine Auskunftspflicht des Antragstellers nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch ergebe. Demgegenüber müsse das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten. Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht zu beanstanden, insoweit könne von einer korrekten Ermessensausübung ausgegangen werden. Das öffentliche Interesse, an einer zügigen Abwicklung der Anspruchsprüfung überwiege die privaten Interessen des Antragstellers. Auch die ergangenen Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen seien formell und materiell rechtmäßig: Die Zwangsgelder seien in bestimmter Höhe angedroht und festgesetzt worden und das geeignete Mittel den Auskunftsanspruch durchzusetzen. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller nicht eingelegt.

5

Mit Bescheid vom 02. Oktober 2006 setzte die Samtgemeinde D. das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 900,00 EUR fest, gewährte eine Nachfrist für die Auskunftserteilung bis zum 13. Oktober 2006 und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 1.800,00 EUR an. Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 01. November 2006 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist. Mit Eingang 13. Oktober 2006 reichte der Antragsteller den ihm übersandten Fragebogen ausgefüllt sowie weitere Belege bei der Samtgemeinde D. ein. Mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 forderte ihn die Samtgemeinde D. auf, bis zum 01. November 2006 weitere Auskünfte für die Jahre 2003 bis 2005 zu erteilen und entsprechende Belege vorzulegen. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung drohte sie die Festsetzung des angedrohten Zwangsgelds in Höhe von 1.800,00 EUR an.

6

Der Antragsteller hat am 07. November 2006 beim SG Hildesheim im Hinblick auf den Bescheid vom 02. Oktober 2006 um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung hat er angegeben, seiner Pflicht zur Auskunftserteilung aus dem Bescheid vom 23. Juni 2006 nachgekommen zu sein und alle erforderlichen Angaben gemacht und Unterlagen vorgelegt zu haben. Eine darüber hinausgehende Auskunftspflicht bestehe nicht, so dass nicht nachvollziehbar sei, welche Verpflichtung mit der weiteren Zwangsgeldfestsetzung- und Androhung durchgesetzt werden solle. Frühestens mit dem Bescheid vom 23. Oktober 2006 seien ihm weitere Pflichten auferlegt worden. Diese seien jedoch rechtswidrig und mit Widerspruch angegriffen worden. Im Übrigen fehle es insoweit an der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsteller weitere Auskünfte zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in den Jahren 2004 und 2005 erteilt und Unterlagen vorgelegt.

7

Mit Beschluss vom 08. Januar 2007 hat das Amtsgericht K. (5 M 858/06) auf Antrag des Antragsgegners gegen den Antragsteller wegen der Nichteinbringlichkeit des mit Bescheid vom 02. Oktober 2006 festgesetzten Zwangsgeldes in Höhe von 900,00 EUR eine Ersatzzwangshaft von 5 Tagen angeordnet. Dagegen hat der Antragsteller beim Landgericht L. Beschwerde erhoben (5 T 23/07), über die - soweit ersichtlich - eine Entscheidung noch nicht ergangen ist.

8

Mit Schreiben vom 12. Januar 2007 hat der Antragsteller beim SG Hildesheim daraufhin beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben, den Haftbefehl nicht zu vollstrecken.

9

Mit Beschluss vom 15. Januar 2007 hat das SG Hildesheim eine Vollzugsaussetzung im Hinblick auf den Bescheid vom 02. Oktober 2006 abgelehnt. Die angegriffene Entscheidung begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so dass von einem Überwiegen des Vollzugsinteresses ausgegangen werden könne. Es spreche Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller auskunftspflichtig sei. Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögenssituation, insbesondere über seine Geschäftstätigkeit als Handelsvertreter habe er jedoch noch nicht vollständig erteilt.

10

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 18. Januar 2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 15. Februar 2007 Beschwerde eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem LSG Niedersachsen-Bremen vorgelegt.

11

Nachdem eine zwischen den Beteiligten zunächst wohl angestrebte einvernehmliche Regelung nicht zustande gekommen ist, hat der Antragsteller mit Schreiben vom 16. Juli 2007 zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass eine Einstandsgemeinschaft zwischen ihm und Frau J. nicht bestehe.

12

Der Antragsteller beantragt,

  1. 1.

    den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Januar 2007 aufzuheben und

  2. 2.

    festzustellen, dass seinem Widerspruch vom 01. November 2006 gegen den Bescheid vom 02. Oktober 2006 aufschiebende Wirkung zukommt.

13

Der Antragsgegner tritt dem Begehren des Antragstellers entgegen.

14

Mit Verfügung vom 15. August 2007 hat er die sofortige Vollziehung der Bescheide der Samtgemeinde D. vom 11. Juli 2006, 09. August 2006 und 02. Oktober 2006 angeordnet. Zur Begründung hat er auf die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid vom 23. Juni 2006 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an der sparsamen und zielgerichteten Verwendung öffentlicher Finanzmittel das Interesse, mit einer Auskunftserteilung bis zur Bestandskraft der Auskunftsverfügung abwarten zu können, überwiege. Auch liege es im Interesse von Frau J., gegebenenfalls Sozialleistungen für lange Zeiträume nicht zurückzahlen zu müssen. Das öffentliche Interesse überwiege auch, wenn die Auskunftsverpflichtung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden müsse. Dies gelte erst recht, als der Antragsteller gegen den Grundbescheid vom 23. Juni 2006 keinen einstweiligen Rechtsschutz beantragt und damit die grundlegende Rechtsfrage der Auskunftsverpflichtung und ihrer sofortigen Vollziehbarkeit selbst nicht einer rechtlichen Überprüfung unterstellt habe.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie auf die von dem Antragsgegner als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

16

II.

Der angerufene Senat entscheidet vorliegend nur über die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides der Samtgemeinde D. vom 02. Oktober 2006. Nicht Gegenstand des Verfahrens sind der Grundbescheid vom 23. Juni 2006, die Vollstreckungsbescheide vom 11. Juli und vom 09. August 2006 und der weitere Bescheid der Samtgemeinde D. vom 23. Oktober 2006. Zunächst fehlt es diesbezüglich an einem entsprechenden Antrag des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren. Darüber hinaus hat das SG Hildesheim mit seinem Beschluss vom 05. Oktober 2006 (S 23 AS 942/06 ER) hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit der Bescheide vom 23. Juni, 11. Juli und 09. August 2006 rechtskräftig eine Vollzugsaussetzung abgelehnt, so dass der Senat aufgrund der Rechtskraftwirkung dieser Entscheidung an einer erneuten Prüfung gehindert ist (vgl. zur materiellen Rechtskraft von Beschlüssen im Vollzugsaussetzungsverfahren: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage 1998, Rdnr. 108; Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, 14. Erglfg Februar 2007, § 80 Rdnr. 358 ff; § 121 Rdnr. 13 ff; § 122, Rdnr. 4). Es war daher auch keine inhaltliche Überprüfung des Grundbescheides vom 23. Juni 2006 und damit der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau J. im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II - beziehungsweise der Rechtmäßigkeit der Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 SGB II vorzunehmen. Ebenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Anordnung der Ersatzzwangshaft durch das Amtsgericht K., wogegen der Antragsteller beim Landgericht L. Beschwerde erhoben hat. Eine Befassung damit kommt bereits nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - nicht in Betracht, da während der Rechtshängigkeit ein zweites Verfahren zwischen den Beteiligten über denselben Streitgegenstand unzulässig ist.

17

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist somit einzig die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides der Samtgemeinde D. vom 02. Oktober 2006. Bei verständiger Würdigung ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 01. November 2006 gegen diesen Bescheid begehrt. Die beantragte Feststellung kommt demgegenüber nur dann in Betracht, wenn der Antragsgegner die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs missachtet (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rdnr. 15). Auch die bloße Aufhebung der Vollziehbarkeitsanordnung sieht der insoweit einschlägige § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - nicht vor (vgl. auch Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, a.a.O., § 80 Rdnr. 298).

18

Das so zu verstehende Beschwerdebegehren des Antragstellers ist nach §§ 172, 173 SGG statthaft und zulässig. Es hat darüber hinaus in der Sache Erfolg.

19

Nach § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen leitet sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG - ab. Sie beruht auf der Garantie eines effizienten Rechtsschutzes und ist ein fundamentaler Grundsatz öffentlicher Prozesse. Er verhindert, dass die öffentliche Hand irreparable Maßnahmen durchführt und vollendete Tatsache schafft, bevor die Gerichte die Rechtmäßigkeit überprüft haben (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86a Rdnr. 4 m.w.N.). Der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit kann es in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, den Anspruch auf aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs einstweilen zurück zu stellen. Voraussetzung hierfür ist jedoch ein besonderes Interesse. Es muss über das Interesse hinausgehen, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Januar 1996 - 2 BvR 2718/95 -).

20

In Beachtung dieser Grundsätze entfällt die aufschiebende Wirkung im sozialgerichtlichen Verfahren daher nur in Ausnahmefällen. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahmen in § 86a Abs. 2 SGG enumerativ geregelt. Im vorliegenden Fall scheiden die Nr. 2 und 3 des § 86a Abs. 2 SGG von vornherein aus. Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung kommt auch nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG in Betracht, der die aufschiebende Wirkung bei den Entscheidungen über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderungen von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfallen lässt. Diese Vorschrift betrifft nur die Finanzmittel, die der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs der öffentlichen Hand im Interesse einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung und zur allgemeinen Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienen. Nicht darunter fallen Geldleistungen im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung. Diese dienen nur im geringen Umfang der Haushaltsdeckung und sind vor allem - anders als Abgaben - nicht im Vorfeld kalkulier- und berechenbar (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. § 86a Rdnr. 13; Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, a.a.O. § 80 Rdnr. 120).

21

Die sofortige Vollziehbarkeit ist auch nicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG gegeben. Diese Vorschrift lässt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen entfallen. Zwar war die vorliegend angegriffene Zwangsgeldandrohung beziehungsweise -festsetzung durch den Antragsgegner beziehungsweise durch die in seinem Namen und Auftrag handelnde Samtgemeinde D. als (mittelbare) Landesbehörden verfügt worden. Damit richten sich diese als Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung zu qualifizierenden Handlungen gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X - nach den landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungsvollstreckungsverfahren. Einschlägig sind gemäß § 70 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz - NVwVG - (i.d.F. des Art. 15 des Gesetzes zur Modernisierung der Verwaltung in Niedersachsen vom 05.11.2004, Nds. GVBl., S. 394) die §§ 64 und 65 des Nds. Gesetzes über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG - (i.d.F. der Neubekanntmachung vom 19.01.2005, Nds. GVBl. S. 9). Nach § 64 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG haben Rechtsbehelfe gegen die Androhung oder Festsetzung von Zwangsmitten grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Diese landesrechtlichen Vorschriften sind jedoch im Hinblick auf die Garantie eines effizienten Rechtsschutzes, nach der nur in Ausnahmefällen der Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs wegfallen darf, nicht geeignet, die eine sofortige Vollziehbarkeit i.S.d. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG herbeizuführen. Die Vorschrift sieht ausdrücklich eine bundesgesetzliche Regelung vor (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86a Rdnr. 16, 3; § 86b Rdnr. 12a). Aufgrund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses besteht auch keine Möglichkeit der erweiternden Auslegung beziehungsweise Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG (vgl. auch, Zeihe, Das SGG, Kommentar, § 86a Rn 4g).

22

Zu prüfen war daher die von dem Antragsgegner auf der Grundlage des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnete sofortige Vollziehung des angegriffenen Bescheides. Diese Anordnung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Bei ihren Erwägungen muss sie in Ansehung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG eine sorgfältige Interessenabwägung durchführen. Sie hat die Interessen der Beteiligten umfassend zu berücksichtigen und darf nicht einseitig argumentieren. Sie hat bei ihrer Abwägung zu beachten, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes ein öffentliches Interesse verlangt, das über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgeht. Es muss also um mehr gehen, als um die Frage, seiner Rechtmäßigkeit. Bei allem muss die Behörde schließlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bestimmt ausdrücklich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges ist Ausfluss der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Begründungspflicht gewährleistet nicht nur, dass die Behörde sich selbst kontrolliert und eine Übersicht über die Interessengegensätze gewinnt. Die Begründung schafft insbesondere auch Transparenz und Rechtsklarheit für den Betroffenen und eröffnet ihm die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. An die Begründungspflicht nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Die schriftliche Begründung muss nicht nur sämtliche Gesichtspunkte enthalten, die die Behörde in ihre Entscheidung einbezogen hat. Sie muss außerdem erkennen lassen, warum im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Betroffenen überwiegt. Schließlich muss die Behörde darlegen, inwieweit die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht.

23

Diesen Grundsätzen entspricht die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner nicht. Die schriftliche Begründung lässt nicht erkennen, dass der Antragsgegner eine rechtsfehlerfreie Interessenabwägung vorgenommen hat.

24

Der Antragsgegner nimmt in seiner Vollziehbarkeitsanordnung vom 15. August 2007 zunächst Bezug auf die entsprechende Begründung in dem Grundbescheid vom 23. Juni 2006. Diese betrifft jedoch nur die für die damalige Anordnung der sofortigen Vollziehung maßgeblichen Gründe, nicht jedoch die am 02. Oktober 2006 beziehungsweise am 15. August 2007 bestehende Vollstreckungssituation. So ist nicht nachvollziehbar, welche Gründe in der konkreten Situation dafür sprachen, ein Zwangsgeld in Höhe von 900,00 EUR festzusetzen und ein weiteres in doppelter Höhe anzudrohen. Dass der Antragsgegner situationsbezogene Ermessenserwägungen nicht angestellt hat, folgt auch aus dem Umstand, dass er die Vollziehbarkeitsanordnung gleichzeitig auf die weiteren Bescheide vom 11. Juli und 9. August 2006 erstreckt hat, ohne dafür differenzierte Gründe anzugeben. Darüber hinaus lässt die Begründung insgesamt nicht erkennen, dass sämtliche Interessen des Antragstellers berücksichtigt wurden. So ist nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner damit auseinandergesetzt hat, dass durch die sofortige Vollziehbarkeit möglicherweise auch geschäftliche Interessen des Antragstellers als selbstständiger Handelsvertreter betroffen sein können (vgl. Art. 2, 12, 14 GG). Diesbezüglich ist von einem Ermessensdefizit auszugehen. Die Ermessensausübung erweist sich auch deswegen als rechtswidrig, weil der Antragsgegner offensichtlich von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen ist. So hat er in der Begründung angegeben, dass der Antragsteller gegen den Grundbescheid vom 23. Juni 2006 keinen einstweiligen Rechtsschutz beantragt und diesen damit keiner rechtlichen Überprüfung unterstellt habe, so dass aus diesem Grund die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt sei. Eine diesbezügliche Überprüfung hat jedoch in dem von dem SG Hildesheim mit Beschluss vom 15. Oktober 2006 rechtskräftig entschiedenen Eilverfahren S 23 AS 942/06 ER stattgefunden.

25

Ferner ist zu beachten, dass der Antragsgegner die sofortige Vollziehung ohne vorherige Anhörung des Antragstellers angeordnet hat. Zwar ist die Notwendigkeit einer solchen streitig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 80 Rdnr. 82; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 86a Rdnr. 22), weil die Verwaltungsaktsqualität der Vollziehungsanordnung umstritten ist. Da die vorherige Anhörung jedoch rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, da zwischen dem Erlass des angegriffenen Bescheides und der Vollzugsanordnung über 10 Monate liegen und da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass durch eine vorherige Anhörung das Vollzugsinteresse hätte gefährdet sein können, war im vorliegenden Einzelfall eine vorherige Anhörung geboten (vgl. insoweit Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86a Rdnr. 22; Nds. OVG, Beschluss vom 10.06.1992 - 7 M 3839/91 -). Auch aus diesem Grund ist von einer Rechtswidrigkeit der getroffenen Anordnung auszugehen. Auch daher war die aufschiebende Wirkung anzuordnen.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

27

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).