Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.04.2004, Az.: 2 A 259/03

Flächennutzungsplan; Nassauskiesung; Planungshoheit; überörtliche Bedeutung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
21.04.2004
Aktenzeichen
2 A 259/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden für erstattungsfähig erklärt.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig

vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte oder die Beigeladene zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich unter Berufung auf ihre Planungshoheit gegen einen Planfeststellungsbeschluss des Beklagten.

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Die Beigeladene betreibt Bodenabbau. Den geförderten Sand und Kies benötigt sie für ihr Bauunternehmen (Kultur-, Tief-, Erd- u. Straßenbau). Aufgrund eines Planfeststellungsbeschlusses des Beklagten vom 22.06.1998 (Änderung durch Beschluss vom 21.05.1999) betreibt sie westlich von F. im Bereich G. einen Nassabbau. Dort ist ein sogenannter Baggersee entstanden. Im August 2002 beantragte sie eine Planfeststellung nach § 31 Abs. 2 Satz 1 WHG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 NWG für eine westlich und südlich daran angrenzende Fläche. Die Beigeladene plant, die vorhandene Abbaufläche zu erweitern, so dass der Baggersee größer würde. Die gesamte neue Abbaustätte einschließlich der Bereiche für die Bodenentnahme und für die Kompensations- und Gestaltungsmaßnahmen ist ca. 9,3 ha groß (davon neu hinzukommende Abbaufläche ca. 7,9 ha zuzüglich ca. 2,3 ha Restabbau auf alter Abbaustätte). Die Mächtigkeit der nutzbaren Lagerstätte umfasst mindestens 25 m außerhalb bereits abgebauter Bereiche. Es sollen Sande und Kiese unterschiedlicher Korngrößen gewonnen werden. Der Abbau ist für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren geplant.

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Im Anhörungsverfahren erhob die Klägerin Einwendungen gegen die Planfeststellung. Sie stimmte dem Ausbau des Sees, eines Gewässers III. Ordnung, lediglich für die Flurstücke H. (vorhandener Abbau) und I., jeweils der Flur J., Gemarkung F., zu. Für die Flurstücke K. der Flur L., Gemarkung F. verweigerte sie die Zustimmung. Die noch im Aufstellungsverfahren befindliche 17. Änderung ihres Flächennutzungsplans weise einen Bodenabbau nur auf dem Flurstück I. aus (Abbaufläche Nr. 3). Die 17. Änderung sehe Vorrangflächen für den Bodenabbau mit Ausschlusswirkung für die übrigen Gebiete der Samtgemeinde F. vor. Auch der von dem Gemeinderat beschlossene Gemeindeentwicklungsplan beschränke den Bodenabbau auf die Flurstücke H. und I..

4

Die 17. Änderung des Flächennutzungsplans der Samtgemeinde Wesendorf ist mit der Bekanntmachung im Amtsblatt des Beklagten am 28.02.2003 (Amtsbl. Nr. 5, S. 166) wirksam geworden.

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Am 04.03.2003 ist der Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 27.02.2003 der Beigeladenen zugestellt worden. Die Zustellung an die Klägerin erfolgte am 12.03.2003.

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Am 24.03.2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, das fehlende Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB stehe der Planfeststellung entgegen. Die Fiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB greife mangels eines entsprechenden Ersuchens ebenfalls nicht. Auch müsse der Antrag auf Planfeststellung nach Landesrecht nicht bei der Klägerin eingereicht werden. § 36 gelte unmittelbar, da es sich nicht um ein Vorhaben von überörtlicher Bedeutung i. S. des § 38 Satz 1 BauGB handele. Die Planung erstrecke sich weder auf das Gebiet zweier Gemeinden noch wirke sie sich auf das Gebiet zweier Gemeinden aus. Der Beklagte habe die Anpassungspflicht nach § 7 Satz 1 BauGB verletzt. Die 17. Änderung des Flächennutzungsplanes sei mit dem Gebot einer gerechten Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB zu vereinbaren. Das ergebe sich insbesondere aus dem Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan.

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Die Klägerin beantragt,

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den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 27.02.2003 aufzuheben, soweit die Flurstücke M. der Flur L., Gemarkung F., betroffen sind.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist u. a. der Auffassung, es handele sich um ein überörtliches Vorhaben i. S. des § 38 BauGB. Die §§ 29 bis 37 BauGB seien nicht direkt anwendbar. Überörtlich sei ein Vorhaben nicht nur dann, wenn es Gemeindegrenzen überschreite, sondern auch dann, wenn es einen überörtlichen Koordinierungsbedarf auslöse oder es nach der jeweiligen Genehmigungsgrundlage eine nicht-gemeindliche übergeordnete Planungszuständigkeit gebe. Nach diesen Kriterien sei ein Vorhaben immer dann von überörtlicher Bedeutung, wenn es einer Einbettung in überörtliche Planungen oder einer übergreifenden Abstimmung mehrerer örtlicher Planungen bedürfe. Das sei immer dann der Fall, wenn ein Vorhaben zum Beispiel der Raumordnung unterliege. Der Zweckverband Großraum Braunschweig habe in seiner Stellungnahme im Rahmen des Anhörungsverfahrens die grundsätzliche Notwendigkeit eines Raumordnungsverfahrens bei einem Nassabbau dieser Größenordnung bejaht. Der Zweckverband habe auf das Raumordnungsprogramm jedoch verzichtet, da die Vorprüfung ergeben habe, dass aus raumordnerischer Sicht keine Bedenken bestünden. Die planungsrechtlichen Belange der Klägerin und der Samtgemeinde Wesendorf seien im Genehmigungsverfahren ausdrücklich geprüft und abgewogen worden. Beide seien in ihren Rechten nicht verletzt.

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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren der Samtgemeinde Wesendorf (2 A 156/03) sowie die Verwaltungsvorgänge der Samtgemeinde Wesendorf und des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen haben dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, da sich die Klägerin auf das fehlende Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB und - allgemein - auf ihre Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) beruft, weshalb ihr eine Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 1 VwGO zusteht.

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Die Klage ist jedoch unbegründet.

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Der Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 27.02.2003 verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Sie kann zunächst nicht mit Erfolg geltend machen, das fehlende Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB verletze ihre Planungshoheit. Denn § 36 BauGB war im vorliegenden Planfeststellungsverfahren nicht unmittelbar anzuwenden, da es sich um ein Vorhaben von überörtlicher Bedeutung i. S. d. § 38 Abs. 1 Satz 1 BauGB handelt.

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Rechtsprechung und Literatur haben zur „überörtlichen Bedeutung“ folgende Grundsätze entwickelt: Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 03.04.1981 (DVBl. 1981, 930 [BVerwG 03.04.1981 - BVerwG 4 C 11.79]) die Überörtlichkeit von Planungen auf den Gebieten des Verkehrs-, Wege- und Wasserrechts nach landesrechtlichen Vorschriften gem. § 38 Satz 2 BauGB a. F. zunächst danach bestimmt, ob ein überörtlicher Träger der Planungshoheit Planungen von überörtlicher Bedeutung mit Verbindlichkeit auch für die Ortsplanung durchführt. Mit Urteil vom 04.05.1988 (BVerwGE 79, 318) hat das Bundesverwaltungsgericht die überörtliche Zuständigkeit als Kriterium verworfen und darauf abgestellt, ob das Vorhaben das Gebiet von zumindest zwei Gemeinden berührt. Die Fachplanung soll sich gegenüber der kommunalen Planung nur durchsetzen, wenn sie als eine überörtliche Planung ein derartiges Gewicht entwickelt, dass die gemeindliche Bauleitplanung als eine Maßnahme der kleineren Planungseinheit gegenüber der größeren Einheit zurückzustehen hat (BVerwG, Urt. v. 04.05.1988, aaO). Entscheidend ist daher, ob ein Vorhaben einen Koordinierungsbedarf im Hinblick auf die Belange anderer Planungsträger mit überörtlicher Zielsetzung auslöst, den zu bewältigen die planerische Kraft der einzelnen Gemeinde mutmaßlich übersteigt (Schrödter, BauGB, Komm., 6. Aufl., § 38, Rn. 7, Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Runkel, BauGB, Komm., Stand: 01.10.2003, § 38, Rn. 33, 36). Die Überörtlichkeit bestimmt sich nicht entsprechend den konkreten Umständen des Einzelfalls, sondern anhand einer generalisierenden Betrachtungsweise des Vorhabentyps (Ernst-Zinkahn, aaO; Gaentzsch, Rechtliche Fragen des Abbaus von Kies und Sand, NVwZ 1998, 889, 896).

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Die überörtliche Bedeutung des Vorhabens ergibt sich bei einer generalisierenden und typisierenden Betrachtung hier bereits aus der Anwendung der bundesgesetzlichen Rahmenvorschrift des § 31 Abs. 2 Satz 1 WHG, die eine Planfeststellung vorschreibt und die mit § 127 NWG umgesetzt wird. Nicht nur die bundesgesetzliche Ausformung, sondern auch die Tatsache, dass für die Nassauskiesung eine Planfeststellung erforderlich ist und eine Plangenehmigung nicht genügt, indiziert die Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 1 BauGB (so auch Gaentzsch, aaO; Dippel, Alte und neue Anwendungsprobleme der §§ 36, 38 BauGB, NVwZ 1999, 921). Der Bodenabbau auf der vorgesehenen Fläche westlich von F. löst aber auch unabhängig davon konkret einen überörtlichen Planungsbedarf aus. Dieser ergibt sich zum einen daraus, dass die reine Abbaufläche 10,2 ha umfasst (alte und neue Abbaustätte). Der Zweckverband Großraum Braunschweig als untere Landesplanungsbehörde nach dem NROG führt in seiner Stellungnahme vom 15.08.2001 aus, ein Raumordnungsverfahren sei in der Regel durchzuführen, wenn die beanspruchte Fläche größer als 10 ha sei. Der Zweckverband geht von 9,3 ha aus, nimmt aber an, dass auch solche kleinerflächigen Abbauvorhaben mit erheblichen Auswirkungen auf Raum und Umwelt verbunden sein könnten. Auf die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens werde hier verzichtet, weil jetzt bereits absehbar sei, dass gegen die Verwirklichung des Vorhabens aus raumordnerischer Sicht keine Bedenken bestünden und den Erfordernissen der Raumordnung im Planfeststellungsverfahren Rechnung getragen werden könne. Der Zweckverband geht also nicht von lediglich örtlichen Auswirkungen des Vorhabens aus. Deutlich wird dies durch den Verweis auf die Darstellung der Abbaufläche im Regionalen Raumordnungsprogramm 1995 für den Großraum Braunschweig als Vorsorgegebiet für die Trinkwassergewinnung. Der Frage einer möglichen Grundwasserbeeinträchtigung werde im Zulassungsverfahren, der wasserrechtlichen Planfeststellung mit integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung umfassend nachgegangen. Insofern werde die mit dem Vorsorgegebiet für Trinkwassergewinnung verbundene raumordnerische Zielsetzung gewährleistet. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich weiterreichende Auswirkungen hier auch daraus ergeben, dass die Abbaufläche ein vorhandenes Gewässer erweitert. Die schon vorhandene Abbaustätte ist zusammen mit der geplanten auf ihre vielfältigen Auswirkungen hin zu untersuchen (vgl. zu der überörtlichen Bedeutung eines Gesamtvorhabens Ernst/Zinkahn, aaO, § 38, Rn. 35). Der Gesichtspunkt, dass das Vorhaben lediglich das Gebiet der Gemeinde F. berührt, muss hinter den gewichtigeren Aspekten, die für die Überörtlichkeit sprechen, zurücktreten. Der überörtlichen Bedeutung steht hier auch nicht entgegen, dass es sich um eine privatnützige Planfeststellung handelt (vgl. zur Unterscheidung von der gemeinnützigen Planfeststellung, BVerwG, Urt. v. 07.07.1978 - 4 C 79.76 -, BVerwGE 56, 110; BVerwG, Urt. v. 10.02.1978 - 4 C 25.75 -, BVerwGE 55, 220). Der Bodenabbau westlich von F. liegt - abgesehen von den positiven Auswirkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Beigeladenen - ganz überwiegend im Interesse der Beigeladenen. Das überwiegende private Interesse ist indessen allein kein ausschlaggebendes Kriterium.

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Nach alledem muss davon ausgegangen werden, dass der Abwägungsvorgang vorliegend Anforderungen stellt, welche die planerische Kraft der Klägerin übersteigen. § 29 bis 37 BauGB sind daher nicht unmittelbar anzuwenden. Die in ihnen enthaltenen städtebaulichen Grundvorstellungen sind lediglich eine fachplanerisch zu berücksichtigende Orientierungshilfe (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.05.1990 - 7 C 3/90 -, BVerwGE 85, 155).

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Durch die Verletzung der Anpassungspflicht des § 7 Satz 1 BauGB und den daraus resultierenden Abwägungsmangel des Planfeststellungsbeschlusses (s. das Urteil vom selben Tag in dem Parallelverfahren der Samtgemeinde Wesendorf - 2 A 156/03 -) wird die Klägerin ebenfalls nicht in eigenen Rechten verletzt. Erforderlich ist ein unmittelbarer Eingriff in die kommunale Planungshoheit, der sich nur im Hinblick auf konkrete Planungsabsichten ergeben kann (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 29.07.1999 - 1 A 11871/98 -, NuR 2000, 519 m.w.N.).

22

Durch eine von dem Flächennutzungsplan der Samtgemeinde Wesendorf (17. Änderung) abweichende Zulassung des Sand- und Kiesabbaus der Beigeladenen wird die Planungshoheit der Klägerin nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar verletzt. Die Samtgemeinde ist eine eigenständige Selbstverwaltungskörperschaft, der das Recht zusteht, Flächennutzungspläne aufzustellen (§ 71 Abs. 3 Satz 1 NGO, § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGO). Als Mitgliedgemeinde der Samtgemeinde ist die Gemeinde Wesendorf in städtebaulichen Fragen nicht Vertreterin der Samtgemeinde. Sie handelt auch nicht in Prozessstandschaft für die Samtgemeinde, die selbst Klage erhoben hat. Die Gemeinde ist (nur) für die Aufstellung von Bebauungsplänen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB, § 2 Abs. 1 Satz 1 NGO, § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGO) zuständig. Ein Bebauungsplan ist aus dem Flächennutzungsplan hinsichtlich der Abbaufläche jedoch noch nicht entwickelt worden. Entsprechende Absichten der Gemeinde werden nicht vorgetragen. Den Gemeinden steht keine allgemeine Überwachungsfunktion in den Bereichen des Bodenschutzes, der Landwirtschaft oder der Wasserwirtschaft zu (vgl. OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 29.07.1999, aaO).

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Erst recht führt die Missachtung des Gemeindeentwicklungsplans 2001/2002 der Klägerin nicht zu einer Rechtsverletzung. Im Gegensatz zum Flächennutzungsplan handelt es sich zwar um ein eigenes städtebauliches Planungsinstrument der Gemeinde Wesendorf. Eine hinreichend konkrete Planung für die betroffene Abbaufläche ergibt sich daraus jedoch nicht.

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Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 VwGO).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nach § 162 Abs. 3 VwGO war über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu entscheiden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.