Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.04.2004, Az.: 7 A 14/04
abgestufte Bewertung; Besorgnis der Befangenheit; Beurteilungsrichtlinie; Binnendifferenzierung; Braunschweiger Modell; Dienstliche Beurteilung; Gesamtnoten; handschriftliche Verfügung; negative Werturteile; Notenbeschreibung der Einzelnoten; objektive Beurteilung; Plausibilität; Rechtspfleger; sachliche Unabhängigkeit; Verfahrensfehler; Voreingenommenheit; Weisungsfreiheit; Werturteil; Zwischennote
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.04.2004
- Aktenzeichen
- 7 A 14/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50593
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 40 LbV ND
- § 16 Abs 5 LbV ND
- § 9 RPflG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zwischennoten für dienstliche Beurteilungen sind zu beanstanden, wenn sie nicht einheitlich verwendet werden und keinen einheitlichen Aussagegehalt haben.
2. Der Dienstvorgesetzte hat bei der dienstlichen Beurteilung von Rechtspflegern deren (eingeschränkte) sachliche Unabhängigkeit zu berücksichtigen.
Tenor:
Die dienstliche Beurteilung des Direktors des Amtsgerichts Wolfsburg vom 19. Juli 2002 sowie der Bescheid vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 02. Dezember 2003 werden aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine neue dienstliche Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 19. November 2001 bis zum 19. Juli 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung gegenüber der Klägerin in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die C. geborene Klägerin steht als Rechtspflegerin im Landesdienst und wendet sich gegen eine dienstliche Beurteilung.
Nachdem die Klägerin 1995 in Potsdam die Rechtspflegerprüfung mit der Gesamtnote „vollbefriedigend“ bestanden hatte, war sie zunächst im Justizdienst des Landes Brandenburg tätig. Mit Wirkung vom 19. November 2001 wechselte sie in den niedersächsischen Landesdienst und wird seither im Amtsgericht Wolfsburg als Grundbuch- und Familienrechtspflegerin eingesetzt.
Am 19. Juli 2002 wurde die Klägerin anlässlich ihrer bevorstehenden Beförderung zur Justizoberinspektorin (BesGr. A 10 BBesO) dienstlich beurteilt. Die Gesamtnote lautete auf „vollbefriedigend“.
Hiergegen erhob sie mit Anwaltschreiben vom 24. Juli 2002 Einwendungen. Sie beanstandete die Einzelnoten in den Punkten 19 (Belastbarkeit), 20 (Arbeitszuverlässigkeit), 21 (Kooperation und Sozialverhalten, Verhalten zu Rechtssuchenden) und 24 (Gesamtbeurteilung). Die erteilte Gesamtnote sei im Beurteilungssystem nicht vorgesehen. Der textliche Beurteilungsinhalt lasse sich nicht mit der gesetzlich verbrieften sachlichen Unabhängigkeit einer Rechtspflegerin vereinbaren. Sie beantragte die Bewertung ihrer Leistungen mit der Gesamtnote „gut“. Der Beklagte wies die Einwendungen durch Bescheid vom 09. Januar 2003 zurück. Zur Begründung bezog er sich auf ein Schreiben vom 21. November 2002. Darin erklärte er, es sei ihm bewusst, dass es die Note „vollbefriedigend“ formal nicht gebe. „Vollbefriedigend“ sei „befriedigend“. Er habe in der Beurteilung den gut gemeinten Versuch gesehen, der Klägerin zu zeigen, dass eine Tendenz zum „gut“ vorhanden sei. Soweit für die Bewertung der Punkte 19, 20, 21 und 24 die fehlenden Belegung durch Tatsachen kritisiert worden sei, habe er unter Punkt 27 seine Quellen für seine Erkenntnisse genannt (Beitrag der Gruppenleiterin, Gespräche mit Folgediensten). Er hätte diesen Punkt auch noch mit dem Zusatz „Akteneinsicht“ anreichern können. Einzelne Tatsachen stünden nicht in der Beurteilung, seien aber Gegenstand verschiedener Gespräche und der mündlichen Beurteilungseröffnung gewesen. Der Beurteilungsinhalt greife nicht in die sachliche Unabhängigkeit der Rechtspflegerin ein.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das OLG Braunschweig durch Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2003 – zugestellt am 11. Dezember 2003 - zurück. Zur Begründung wurde zur Gesamtnote ausgeführt, aus dem Wesen einer Beurteilung ergebe sich, dass eine Gesamtbeurteilung zwar nicht im Widerspruch zu den Wertungen im Einzelnen stehen dürfe, aber auch nicht aus dem arithmetischen Mittel der Einzelwertungen gebildet werden könne. Gegenstand der Einzelmerkmale sei eine Vielzahl von Eindrücken und Beobachtungen, die zu Werturteilen des Beurteilers geführt hätten. Die Darlegung und der Nachweis einzelner Tatsachen könne nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden. Die sachliche Unabhängigkeit der Klägerin werde durch die Beurteilung nicht in Frage gestellt.
Am 7. Januar 2004 wurde Klage erhoben. Zur Begründung wurde ausgeführt:
Zu Punkt 19 (Belastbarkeit): Die Bemerkung „sie ist fleißig und ehrgeizig und folglich ständig bemüht, das hohe Arbeitsaufkommen zu bewältigen“ sei unzulässig. Die Klägerin bestreite einen Arbeitsrückstand, der einem beamtenrechtlich vorgebildeten Leser suggeriert werde. Selbst für den Fall bewiesener Arbeitsrückstände hätte die Bewertung des Beurteilers angesichts der sachlichen Unabhängigkeit der Klägerin als Rechtspflegerin in dieser Form nicht vorgenommen werden dürfen.
Zu Punkt 20 (Arbeitszuverlässigkeit): Die Bemerkung „das zu bewältigende Pensum wird gründlich, in der Regel sorgfältig und unter Ausnutzung der vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten bearbeitet; persönliches Engagement ist erkennbar“ sei ebenfalls unzulässig. Sie suggeriere, dass die Klägerin Defizite bei der Arbeitssorgfalt erkennen lasse und keinen ausreichenden Arbeitseinsatz zeige. Die Klägerin bestreite, dass es im Beurteilungszeitraum zu tatsächlichen Vorgängen gekommen sei, die die Bewertung des Beurteilers rechtfertigen könnten.
Zu Punkt 21 (Kooperation u.a.): Die Bemerkung „die Zusammenarbeit mit Frau D. ist problematisch. Kooperation scheint es – wenn überhaupt – nur zu ihren Bedingungen zu geben. Versuche anderer Grundbuchrechtspfleger, mit ihr zur Vereinfachung für die Notare aber auch der Folgedienst(e) einheitliche Bearbeitungswege zu vereinbaren, werden von ihr als Angriffe auf ihre rechtspflegerische Unabhängigkeit angesehen. Teamfähigkeit ist nicht erkennbar. Den Folgediensten gegenüber wird die Rechtspflegerposition herausgekehrt“ sei unzulässig. Die Kritik sei unsachlich, weil sie das Persönlichkeitsbild der Klägerin gerade auch in ihrer Funktion als Rechtspflegerin negativ beleuchte. Der Beurteiler habe die Grenze der Sachlichkeit überschritten. Die Ausführungen stellten die objektive Voreingenommenheit des Beurteilers unter Beweis, weil sie weit über das noch zulässige Maß an unangemessener, salopper, ungeschickter und missglückter Formulierung hinausgehen. Die Beurteilung stelle die sachliche Unabhängigkeit der Klägerin in Frage.
Zu Punkt 24 (Gesamtbeurteilung): Die Bemerkung „wenig ausgeprägt sind ihre Kooperationsbereitschaft und ihr Sozialverhalten. Möglicherweise reicht die kurze Zugehörigkeit zum hiesigen Gericht nicht aus, um bei ihr vorhandene Vorbehalte gegen Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen abzubauen. Die zu diesem Thema geführten Einzel- und Gruppengespräche lassen jedoch Zweifel daran aufkommen. Dennoch soll in diesem Bereich zunächst auf den Faktor Zeit gesetzt werden. Fachlich und leistungsmäßig könnte die Gesamtbeurteilung schon jetzt besser ausfallen. Insgesamt bewerte ich die Fähigkeiten und Leistungen der Beamtin weiterhin mit vollbefriedigend“ sei unzulässig. Die gefundene Gesamtnote sei dem niedersächsischen Beurteilungssystem fremd. Das Beurteilungssystem mit den Beurteilungsmerkmalen von „entspricht den Anforderungen nicht“ bis „übertrifft die Anforderungen herausragend“ entspreche nicht den Noten in § 16 Abs. 5 NLVO.
Die Klägerin beantragt,
die dienstliche Beurteilung des Direktors des Amtsgerichts Wolfsburg vom 19. Juli 2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 9. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 02. Dezember 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine neue dienstliche Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 19. November 2001 bis zum 19. Juli 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und bezieht sich auf den angefochtenen Bescheid.
Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 26. März 2004, in der ein inzwischen widerrufener Vergleich abgeschlossenen worden ist, auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen weiterer Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakte und die der Kammer vorliegenden Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die streitbefangene Beurteilung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die angefochtene Beurteilung war daher aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine neue dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 19. November 2001 bis zum 19. Juli 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO).
Die gerichtliche Überprüfung dienstlicher Beurteilungen ist nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich in eingeschränktem Maße möglich. Danach hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle gegenüber der dem Dienstherrn gegebenen Beurteilungsermächtigung darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verwaltungsvorschriften (Richtlinien), die sie den Beurteilungen zugrunde legt, verstoßen hat.
Auch die Voreingenommenheit des Beurteilers unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Tatsächliche Voreingenommenheit liegt vor, wenn der Beurteiler nicht willens oder in der Lage ist, den Beamten sachlich und gerecht zu beurteilen. Die Voreingenommenheit stellt einen Verfahrensfehler dar. Dieser führt zur Aufhebung, wenn der Dienstherr gegen seine selbstverständliche Pflicht verstoßen hat, den Beamten unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen (BVerwG, Urt. v. 23. April 1998, 2 C 16/97, BVerwGE 106, 318 ff, - JURIS). Die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht des beurteilten Beamten genügt allerdings nicht. Vielmehr ist die tatsächliche Voreingenommenheit aus der Sicht eines objektiven Dritte festzustellen. Diese kann sich aus der Beurteilung selbst, aber auch aus seinem Verhalten in Angelegenheiten des zu beurteilenden Beamten oder diesem gegenüber während des Beurteilungszeitraumes und des Beurteilungsverfahrens ergeben (BVerfG, Beschl. v. 06. August 2002, 2 BvR 2357/00). In besonders gelagerten Einzelfällen können auch Vorgänge aus der Zeit vor dem jeweiligen Beurteilungszeitraum eine derartige Feststellung stützen. Der entscheidungserhebliche Zeitraum endet im Regelfall mit der Entscheidung des Dienstherrn über die nach der förmlichen Eröffnung und Besprechung vom Beamten vorgebrachten Gegenvorstellungen und Änderungswünsche. Ein späteres Verhalten kann nur dann herangezogen werden, soweit daraus Rückschlüsse auf den Beurteilungszeitraum gezogen werden können. (BVerwG, a.a.O.)
Ausgehend von diesen Erwägungen ist die angegriffene Beurteilung rechtswidrig.
Die Rechtswidrigkeit der Beurteilung beruht allerdings nicht auf einer Voreingenommenheit des Beurteilers. Denn die vom Beurteiler gewählte kritische und teilweise umgangssprachliche Wortwahl in der textlichen Umschreibung der Einzelnote zu Punkt 21 bewegt sich noch innerhalb des Spielraums, den weder die Klägerin noch das Gericht beanstanden können. Weitere Anhaltspunkte, die auf eine Voreingenommenheit des Direktors des Amtsgerichts schließen lassen, sind weder vorgetragen noch aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich.
Die dienstliche Beurteilung ist allerdings in der Sache zu beanstanden, weil der Dienstvorgesetzte eine in der Beurteilungsrichtlinie nicht vorgesehene Gesamtnote gewählt und für die Klägerin negative Werturteile nicht plausibel gemacht hat.
Die angegriffene Beurteilung hat den durch § 16 Abs. 5 NLVO gesetzten Rahmen für die Notenbeschreibungen der Einzelnoten noch eingehalten, obwohl diese dort nicht genannt sind. Denn laut einer telefonischen Anfrage des Gerichts beim OLG Braunschweig beruht der vorliegend verwendete Vordruck auf dem sog. „Braunschweiger Modell“, das die Vorgaben der NLVO für den Bereich des Niedersächsischen Justizministeriums konkretisiert.
Die Beurteilung ist aber zu beanstanden, weil die Gesamtnote „vollbefriedigend“ weder in § 16 Abs. 5 NLVO noch in dem dem Gericht auch aus anderen Verfahren bekannten Notensystem des „Braunschweiger Modells“ vorgesehen ist. Grundsätzlich darf der Dienstherr Zwischennoten für Beurteilungen vergeben. Das gilt indes nicht uneingeschränkt. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 27. Februar 2003, 2 C 16/02 – JURIS – NVwZ 2003, 1397) hat zur abgestuften Bewertung von Gesamtnoten (sog. Binnendifferenzierung) ausgeführt:
„Verbale Zusätze sind nur zulässig, wenn sie einheitlich verwendet werden und einen eindeutigen Aussagegehalt haben, der auch für den Beurteilten zweifelsfrei erkennbar Zwischenstufen innerhalb einer Gesamtnote bezeichnet. Letzteres ist etwa bei Zusätzen wie „obere Grenze“ („oberer Bereich“) und „untere Grenze“ (unterer Bereich“) zu bejahen...Für Zusätze wie „uneingeschränkt“ und „insgesamt“ trifft das nicht zu....
Binnendifferenzierungen, die nicht in Rechtsvorschriften oder den Beurteilten zugänglichen Verwaltungsvorschriften vorgesehen sind, müssen hinsichtlich ihrer Bezeichnung und ihres abstufenden Aussagegehalts den Beurteilten allgemein bekannt gegeben werden. Anderenfalls können die Beurteilungen nicht ihren Zweck erfüllen, auch den Beurteilten Kenntnis über ihren Standort im Leistungswettbewerb zu verschaffen. Verbale Binnendifferenzierungen, deren Verwendung und abstufende Bedeutung nicht allgemein bekannt sind, führen den Beurteilten in die Irre. Sie sind rechtswidrig und unbeachtlich.“
Nach dieser Auffassung, der sich die Kammer anschließt, liegen keine der genannten Voraussetzungen vor: Die Gesamtnote „vollbefriedigend“ wird nicht einheitlich verwendet. Zwischennoten werden, wie dem Gericht aus einer Reihe von Verfahren und ergänzend aus einer Nachfrage beim OLG Braunschweig bekannt ist, im Bereich der Justiz mit Notenzusätzen wie „oberer Bereich“ oder unterer Bereich“ gekennzeichnet. Darüber hinaus ist die gewählten Bezeichnung „vollbefriedigend“ auch irreführend, weil sie sowohl den Eindruck einer von der Vorgabe der NLVO abweichenden zusätzlichen (aus der Juristenausbildung bekannten) Note erweckt und als auch nicht erkennen lässt, ob die Zwischennote besser, gleich oder schlechter ist als der Zusatz „oberer Bereich“. Diese Unklarheit kann eine Auswahlentscheidung erheblich erschweren, was keiner weiteren Vertiefung bedarf.
Auch die der Klägerin erteilten Einzelnoten sind zu beanstanden. Soweit der Widerspruchsbescheid die Anfechtbarkeit mit der Begründung verneint, die Darlegung und der Nachweis einzelner Tatsachen könne nicht verlangt werden, greift er zu kurz.
Im Rahmen der nur eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ist zu differenzieren: Soweit der Dienstvorgesetzte entweder historische Einzelvorgänge aus dem gesamten dienstlichen Verhalten des Beamten ausdrücklich in der dienstlichen Beurteilung erwähnt oder die dienstliche Beurteilung auf einzelne Tatsachen oder Einzelvorkommnisse beruht, muss er im Streitfall diese Tatsachen darlegen und trägt das Risiko des Beweises. Gleiches gilt, wenn er die Behauptung auf allgemeine oder pauschal formulierte Werturteile stützt. Lediglich dann, wenn eine dienstliche Beurteilung auf reine Werturteile gestützt wird, die nicht auf konkrete einzelne Vorgänge beruhen und die auch aus dem Zusammenhang der Aussage nicht in einer der beweismäßigen Prüfung zugänglichen Weise erkennen lassen, auf welcher bestimmten Tatsachengrundlage sie beruhen, hat sie der Dienstherr lediglich durch nähere (schriftliche) Darlegungen zu erläutern, zu konkretisieren und dadurch plausibel zu machen. Mehr kann der Beamte nicht verlangen, weil die Vielzahl von zu Werturteilen führenden Beobachtungen und Eindrücke nicht mit zumutbarem Aufwand protokolliert und festgehalten werden können (st. Rspr., vgl. zur Kontrolldichte dienstlicher Beurteilungen BVerfG, Beschl. v. 29. Mai 2002, 2 BvR 723/99, DVBl. 2002, 1203, 1204 und BVerwG, Urt. v. 26. Juni 1980, 2 C 8/78, DVBl. 1981, 497).
Vorliegend ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei den beanstandeten Formulierungen um (reine) Werturteile handelt, die lediglich einer Plausibilitätskontrolle unterliegen. Es spricht einiges dafür, dass hier Tatsachen behauptet werden, die zu beweisen wären. Das Gericht teilt die Bedenken der Klägerin, dass ihr Punkt 19 einen Arbeitsrückstand und Punkt 20 Mängel in der Arbeitssorgfalt vorhalten.
Eine abschließende Entscheidung kann aber dahingestellt bleiben, weil die Einzelnoten auch dann zu beanstanden sind, wenn es sich um reine Werturteile handelt. Denn der Beklagte hat diese nicht plausibel gemacht. Es reichte für die Plausibilisierung der Einzelpunkte 19, 20, 21 und 24 nicht aus, dass der Beklagte seine Erkenntnisquellen genannt hat. Weder ein bloßer Hinweis auf die Erkenntnisquellen noch die Berufung auf mit der Klägerin geführte Gespräche können Auskunft über den Leistungsstand der Beamtin geben. Demzufolge fordert auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Juni 1980 (a.a.O.), dass die Werturteile schriftlich zu plausibilisieren sind. Daran fehlt es hier.
Zwar kann die Plausibilisierung noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (BVerwG v. 26. Juni 1980, a.a.O.). Die Plausibilisierung ist dem Beklagten aber nicht gelungen. Der Vortrag des Prozessvertreters in der mündlichen Verhandlung, die Klägerin habe jetzt Arbeitsrückstände, lässt weder einen Bezug zum Beurteilungszeitraum noch einen Leistungsvergleich mit anderen Beamten der BesGr. A 10 BBesO zu. Soweit vorgetragen wurde, die Klägerin verfasse ihre Verfügungen handschriftlich und diktiere sie nicht, ist schon weder der Umfang noch eine Schlechtleistung erkennbar, die die für die Klägerin äußerst negativen Einzelbewertungen 21 und 24 rechtfertigen könnte. Der Prozessvertreter konnte darüber hinaus keine Aussagen zu den von der Klägerin erbrachten Leistungen im Grundbuchbereich machen.
Der Beklagte wird bei Neuerstellung der Beurteilung folgendes zu beachten haben:
Er muss eine neue Gesamtnote finden und für die Bezeichnung die Vorgaben des „Braunschweiger Modells“ beachten. Anhaltspunkte dafür, dass er der Klägerin eine bestimmte Note zu geben hat, bestehen nicht. Der Beklagte hat zu beachten, dass die Gesamtnote nicht im Widerspruch zu den Einzelnoten stehen darf. Er hat der Klägerin einerseits in seinem Schriftsatz vom 21. November 2002 bescheinigt, dass ihre Leistungen eine Tendenz zum „gut“ aufweisen. Diese Einschätzung dürfte andererseits mit den der Klägerin attestierten erheblichen Defiziten in den Bereichen Arbeitsqualität, Arbeitsmenge und Umgang mit den Mitarbeitern kaum zu vereinbaren sein.
Weiterhin wird der Beklagte die durch die (eingeschränkte) sachliche Unabhängigkeit der Rechtspfleger gezogene Grenze der Beurteilung dienstlicher Leistungen zu beachten haben. Zwar üben Rechtspfleger keine rechtsprechende Gewalt aus, so dass sie sich nicht auf die richterliche Unabhängigkeit berufen können (BVerfG, Beschl. v. 18. Januar 2000, 1 BvR 321/96 – JURIS und Nds. OVG, Urt. v. 04. September 1996, 2 L 7916/94). Allerdings garantiert und konkretisiert die Neufassung des § 9 RPflG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes vom 6. August 1998 (BGBl. I, S. 2030) die volle sachliche Weisungsfreiheit des Rechtspflegers (Mielke, Der Rechtspfleger und das Grundgesetz – Auswirkungen einer gestärkten Stellung des Rechtspflegers, ZRP 2003, 442, 444; Meyer – Stolte, RPflG, 6. Aufl. 2002, § 9, Rn. 15, 17; a.A.: Detterbeck, in: Sachs u.a., Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 97, Rn. 10). Diese sachliche Unabhängigkeit ist bei der Neuvergabe der Einzelnoten wie folgt zu berücksichtigen:
Wenn der Beklagte an seiner (schriftlich durch Niederlegung in der Personalakte oder in der Beurteilung selbst) zu plausibilisieren Einschätzung, die Klägerin habe das Arbeitsaufkommen (Punkt 19) im Beurteilungszeitraum nur unvollständig bewältigt, festhalten will, so ist er an dieser Einschätzung auch durch die sachliche Unabhängigkeit nicht gehindert. Das von der Klägerin für ihre gegenteilige Auffassung angeführte Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16. September 1987 (RiZ (R) 4/87, NJW 1988, S. 419 ff.) steht dem nicht entgegen, sondern bestätigt vielmehr, dass selbst im richterlichen Bereich die Erörterung von Erledigungszahlen und der Vergleich mit Erledigungen anderer Richter zulässig ist.
Dem Dienstvorgesetzten ist es auch unbenommen, die Arbeitssorgfalt (Punkt 20) der Klägerin zu bewerten. Eine Einflussnahme auf die sachliche Unabhängigkeit ist fernliegend, wenn er sich auf die Bewertung der „handwerklichen“ Bearbeitung beschränkt und keinen (mittelbaren) Einfluss auf das Arbeitsergebnis nimmt.
Hingegen ist es dem Dienstvorgesetzten verwehrt, der Klägerin mangelnde Zusammenarbeit mit anderen Rechtspflegern und den Folgediensten (Punkt 21) vorzuwerfen, soweit die Vorwürfe allein auf Meinungsverschiedenheiten über den Gebrauch von Formularen beruhen. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hat, sind im Amtsgericht Wolfsburg bestimmte Formulare in Gebrauch, die sie aus inhaltlichen Gründen nicht nutzen will. Die inhaltliche Gestaltung von Verfügungen einer Rechtspflegerin ist Bestandteil ihrer sachlichen Unabhängigkeit und entzieht sich der Einflussnahme durch Kollegen und Folgedienste. Wenn die Klägerin Verfügungen handschriftlich und nicht nach Diktat erstellt hat, dann ist diese Arbeitsweise Bestandteil ihrer Unabhängigkeit und kann nicht als mangelnde Kooperationsbereitschaft bemängelt werden. Vielmehr wird der Beklagte zu prüfen haben, ob der Vorwurf der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, in ihrer Abwesenheit sei von dem genannten Personenkreis Verfügungen abgeändert worden, zutrifft. Falls das der Fall sein sollte, hatte die Klägerin das Recht und die Pflicht, einzuschreiten und sich auf ihre Unabhängigkeit zu berufen, was ihr nicht vorgehalten werden kann. Unabhängig davon ist es dem Beklagten unbenommen, Tonfall und Gesprächsführung der Klägerin gegenüber dem genannten Personenkreis zu bewerten.
Ziffer 24 ist über die Bewertung von Kooperationsbereitschaft, Sozialverhalten und Gesamtnote hinaus neu zu fassen. Da die Klägerin auf eigenen Wunsch zum Amtsgericht Wolfsburg gewechselt ist, lässt sich nicht nachvollziehen, warum sie Vorbehalte gegen Kollegen und Folgedienste haben soll und warum insoweit (sprachlich verunglückt) „auf den Faktor Zeit gesetzt“ werden soll. Der Begriff „Vorbehalte“ lässt im Übrigen offen, ob es sich um solche persönlicher oder sachlicher Art handelt.
Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124 a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.