Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.02.2024, Az.: 2 A 296/20

Erneuerung; Flugmedizinische Sachverständige; Sorgfaltsanforderungen; Ablehnung der Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige wegen negativer Prognose für zukünftige Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.02.2024
Aktenzeichen
2 A 296/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 13674
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2024:0214.2A296.20.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Anspruch auf Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige besteht nur dann, wenn die Bewerberin die Gewähr dafür bietet, in Zukunft fachlich einwandfreie, unparteiliche und den rechtlichen Bestimmungen entsprechende Tauglichkeitsbeurteilungen zu erstellen.

  2. 2.

    Die Anerkennung ist zu versagen, wenn der Bewerberin entweder ein schwerwiegender Verstoß gegen Sorgfaltsanforderungen zur Last fällt oder sich aus einer Vielzahl für sich genommen leichterer Verstöße im Einzelfall durchgreifende grundsätzliche Zweifel an der erforderlichen Sorgfalt und Zuverlässigkeit der Bewerberin ergeben.

  3. 3.

    Weil die Bewerberin die Beweislast dafür trägt, dass sie über die flugmedizinische Befähigung verfügt sowie über Einrichtungen, Verfahren, Unterlagen und funktionsfähige Ausrüstung, die für die Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen geeignet sind, gehen verbleibende Zweifel an der Erfüllung dieser Anforderungen zu ihren Lasten.

  4. 4.

    Das letzte gültige Tauglichkeitszeugnis ist bei der Verlängerung oder Erneuerung eines Tauglichkeitszeugnisses als Bestandteil der vollständigen Krankengeschichte des Bewerbers zu betrachten und deshalb von dem AME zwingend einzusehen.

  5. 5.

    Der AME muss alle gebotenen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen ergreifen, um zu vermeiden, dass farbenblinde Bewerber den Ishihara-Test mithilfe von Täuschung bestehen können.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige (aeromedical examiner, AME) durch das Luftfahrt-Bundesamt (LBA).

Sie war seit ihrer erstmaligen Anerkennung durch das LBA vor ca. zehn Jahren als flugmedizinische Sachverständige für die Tauglichkeitsklassen 1, 2 und LAPL tätig, zuletzt aufgrund des Anerkennungsbescheides vom 03.12.2019.

Am 27.02.2014 führte die Klägerin im flugmedizinischen Zentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln bei einem Piloten eine Folgeuntersuchung aufgrund seines Antrags auf Erteilung eines Tauglichkeitszeugnisses durch. Der Pilot war erstmals am 28.12.2012 im selben Zentrum durch einen anderen AME untersucht worden. Damals war bei ihm augenfachärztlich eine Farbsehschwäche festgestellt und daraufhin die Einschränkung VCL (valid by day only) in sein Tauglichkeitszeugnis für Klasse 2 und LAPL eingetragen worden, aufgrund derer Piloten ausschließlich zum Tagflug berechtigt sind.

Der Pilot war der Klägerin zum Zeitpunkt der Tauglichkeitsuntersuchung bereits bekannt, weil er seit dem Jahr 2012 eine Ausbildung bei der Flugschule Aviation Training & Transport Center (ATC) in A-Stadt absolviert hatte, an der die Klägerin seit etwa 2010/2011 Gesellschaftsanteile hält. Im Jahr 2013 hatte die Klägerin eine Sprachprüfung für den Piloten abgenommen. Heute ist die Klägerin Geschäftsführerin und Gesellschafterin der Flugschule ATC. An dem Flugplatz, an dem die Flugschule liegt, befinden sich auch ihre Untersuchungsräume.

Bei der Stellung seines Antrags bei der Klägerin im Jahr 2014 vermerkte der Pilot in dem standardisierten Antragsformular, er leide nicht unter Augenerkrankungen und er benötige keine Einschränkungen in seinem Tauglichkeitszeugnis. Die Klägerin nahm dennoch die Auflagen VCL und VML (Gleitsichtbrille) in das neu ausgestellte Tauglichkeitszeugnis vom 27.02.2014 auf. Im Untersuchungsbericht vom selben Tag führte sie aus, dass sie mit dem Piloten den Ishihara-Test (24 Tafeln) durchgeführt habe. Bei zehn verwendeten Tafeln habe der Pilot drei Fehler gemacht. Sie kam deshalb zu dem Schluss, dass bei ihm eine abnormale Farberkennung vorliege.

Im Jahr 2015 beantragte der Pilot bei der Klägerin die Verlängerung seines Tauglichkeitszeugnisses und gab im Antragsformular erneut an, nicht unter Augenerkrankungen zu leiden und keine Einschränkungen in seinem Tauglichkeitszeugnis zu haben bzw. zu benötigen. Nach einer weiteren Tauglichkeitsuntersuchung am 25.02.2015 nahm die Klägerin die Einschränkung VCL nicht mehr in das neue Tauglichkeitszeugnis des Piloten auf. In dem Untersuchungsbericht vermerkte sie, dass sie den Ishihara-Test (24 Tafeln) durchgeführt habe und dabei eine normale Farberkennung festgestellt habe. Die Felder zur Anzahl der verwendeten Tafeln und Anzahl der Fehler ließ sie unausgefüllt.

Im Anschluss an die Neuausstellung des Tauglichkeitszeugnisses im Jahr 2015 begann der Pilot eine Ausbildung zur Erlangung der Instrumentenflugberechtigung (IR) einschließlich Nachtflugberechtigung bei einer anderen Flugschule und schloss diese am 19.04.2016 erfolgreich ab.

Im Rahmen der Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses des Piloten in den Folgejahren 2016, 2017, 2018 und 2019 nahm die Klägerin die Einschränkung VCL nicht erneut in das Tauglichkeitszeugnis auf. In den jeweiligen Untersuchungsberichten gab die Klägerin jeweils an, der Pilot sei einem Farbsehtest mittels Ishihara-Farbsehtafeln (24 Tafeln) unterzogen worden. Sie vermerkte, der Pilot habe den Farbsehtest mit 26 (2016), zwölf (2017), 16 (2018) bzw. 15 (2019) verwendeten Tafeln fehlerfrei bestanden. Seine Fähigkeit zur Farberkennung bewertete sie jeweils als normal.

Am 21.12.2019 verunglückte der Pilot mit seinen beiden neun und zwölf Jahre alten Töchtern bei einem Instrumentenflug am Tag mit schlechter Sicht auf dem Weg nach Zell am See in Österreich. Dabei kam der Pilot ums Leben. Beide Töchter überlebten den Flugunfall zunächst und konnten geborgen werden, doch eine der beiden verstarb wenige Tage später im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen.

Am 31.01.2020 richtete das LBA eine Beanstandungsmitteilung an die Klägerin und forderte diese auf, zu Unstimmigkeiten in der flugmedizinischen Chronologie des verunglückten Piloten Stellung zu nehmen.

Die Klägerin antwortete daraufhin zunächst mit Schreiben vom 04.02.2020, dass sie in den Jahren 2014 und 2016 bis 2019 Tauglichkeitsuntersuchungen bei dem Piloten durchgeführt habe. Im Jahr 2014 habe sie noch die Auflagen VML und VCL in das Tauglichkeitszeugnis eingetragen. Im Jahr 2016 habe der Pilot die Auflage VCL in seinem Antrag nicht angegeben. Sie nehme an, dass er sie wissentlich getäuscht habe, weil er unbedingt eine Instrumentenflugausbildung angestrebt habe und diese schließlich auch durchgeführt habe.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.02.2020 korrigierte die Klägerin, dass sie auch im Jahr 2015 eine Tauglichkeitsuntersuchung bei dem Piloten durchgeführt habe. Bei dieser Untersuchung habe der Pilot sie um die Durchführung eines Audiogramms gebeten, um das IFR-Training beginnen zu können. Ein AME sei nicht verpflichtet, sich zum Zwecke der Verlängerung eines Tauglichkeitszeugnisses das letzte Tauglichkeitszeugnis vorlegen zu lassen. Dies habe die Klägerin im Jahr 2016 auch nicht getan und deswegen keine positive Kenntnis von den im Jahr 2014 noch bestehenden Einschränkungen erhalten. Sie habe sich vielmehr auf die Angaben des Piloten im Antragsformular verlassen. Dass die Einschränkung VML notwendig gewesen sei, sei für sie hingegen erkennbar gewesen, weil der Pilot bei der Tauglichkeitsuntersuchung eine Brille getragen habe. In Zukunft wolle sie nicht mehr so verfahren, sondern sich die früheren Tauglichkeitszeugnisse von den Bewerbern vorlegen lassen bzw. in die Kopien Einsicht nehmen, wenn die Untersuchungen in ihrer eigenen Praxis erfolgt seien.

Das LBA hielt dem Vortrag der Klägerin mit Schreiben vom 13.03.2020 entgegen, dass sich aus der Historie der Aufzeichnungen in der flugmedizinischen Datenbank EMPIC ergebe, dass die Klägerin die darin gespeicherte Auflage VCL am 23.02.2019 aktiv entfernt habe.

Daraufhin erwiderte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 23.03.2020, dass sie die Einschränkung VCL nicht wissentlich entfernt habe. Womöglich sei es zu dem elektronischen Eintrag "Removed limitations: VCL" nur deswegen gekommen, weil sie die Auflage nicht neu eingetragen habe. Im Jahr 2014 habe sie die Auflage indes lediglich übernommen, nachdem im Jahr 2012 bereits eine Farbsehschwäche bei dem Piloten festgestellt worden war. Dementsprechend habe sie den Piloten danach auch nicht mehr auf eine Farbfehlsichtigkeit getestet, weil sich die Farbtüchtigkeit des Auges ein Leben lang nicht ändere.

Nachdem die Klägerin auf mehrfache Nachfrage durch das LBA hin die medizinischen Untersuchungsberichte der Jahre 2014 bis 2018 vorgelegt hatte, wies das LBA sie mit E-Mail vom 21.04.2020 darauf hin, dass aus den Untersuchungsberichten entgegen ihrer früheren Darstellung hervorgehe, dass sie jährlich eine Untersuchung der Farberkennung mittels Ishihara-Tafeln durchgeführt habe. Als AME dürfe die Klägerin weder nicht erhobene Befunde dokumentieren noch ungeprüft die Angaben eines Piloten übernehmen.

Die Klägerin wechselte daraufhin ihren Prozessbevollmächtigten und trug nunmehr mit Schreiben vom 12.05.2020 vor, ihr bisheriger Rechtsanwalt habe sie missverstanden. Im Jahr 2014 habe sie bei der ersten Untersuchung des Piloten eine vollständige Untersuchung durchgeführt und alle medizinischen Unterlagen angesehen. Auf dieser Grundlage habe sie die Einschränkungen VML und VCL in das Tauglichkeitszeugnis aufgenommen. Im Jahr 2015 habe sie sich ebenfalls das Tauglichkeitszeugnis und die vorausgegangenen medizinischen Befunde angesehen. Bei der Ausstellung des neuen Tauglichkeitszeugnisses sei es dann aber zu einem Fehler gekommen. Sie erinnere sich nicht mehr an den Ablauf der Tauglichkeitsuntersuchung und der Ausstellung des Zeugnisses, aber mutmaßlich sei es bei der Übernahme der Daten infolge einer Systemumstellung zu einem technischen Fehler und damit zum Verlust der Beschränkung VCL gekommen. In den Folgejahren habe sie das neue Tauglichkeitszeugnis dann stets auf Basis des vorherigen Tauglichkeitszeugnisses ausgestellt und dabei die fehlerhaften Daten übernommen, sodass sich der Fehler fortgesetzt habe. Die Untersuchungen seien in medizinischer Hinsicht jedoch stets korrekt durchgeführt worden. In Zukunft könne der Fehler nach der Einführung des neuen EMPIC-Systems nicht mehr auftreten. Sie bedauere den Fehler sehr und sei bereit, dem LBA zukünftig ihre Untersuchungen vorzulegen, damit dieses als Aufsichtsbehörde ihre Ergebnisse überprüfen könne.

Mit Bescheid vom 08.06.2020 widerrief das LBA den Anerkennungsbescheid der Klägerin vom 03.12.2019 (Ziffer 1), ordnete die sofortige Vollziehung zu Ziffer 1 an (Ziffer 2), forderte die Klägerin auf, das zu der Anerkennung ausgestellte Zeugnis, die dazugehörige Anlage sowie die ihr noch zur Verfügung stehenden Tauglichkeitsvordrucke innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides an das LBA zu übersenden (Ziffer 3) und legte fest, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen habe (Ziffer 4). Das LBA begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Klägerin entgegen den Vorgaben der Verordnung (EU) 1178/2011 falsche Daten bzw. Informationen vorgelegt, medizinische Berichte gefälscht und Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Antrag auf ein Tauglichkeitszeugnis bzw. mit dem Inhaber des Tauglichkeitszeugnisses verheimlicht habe. Der AME sei verpflichtet, sich von dem jeweiligen Antragsteller bei der Beantragung einer Verlängerung oder Erneuerung das letzte Tauglichkeitszeugnis vorlegen zu lassen. Das Entfernen der Einschränkung VCL obliege alleine der zuständigen Genehmigungsbehörde bzw. habe in Konsultation mit dieser und nicht eigenmächtig durch den AME zu erfolgen. Im Jahr 2014 habe die Klägerin noch sowohl die Einschränkung VML als auch die Einschränkung VCL in das neue Tauglichkeitszeugnis des Piloten übernommen, obwohl dieser die Einschränkungen in seinem Antrag auch damals schon nicht angegeben habe. Im Jahr 2015 sei die Einschränkung dann jedoch von der Klägerin entfernt und in den Folgejahren ebenfalls nicht wiederaufgenommen worden. Im Jahr 2019 habe sie sie sogar erneut aktiv entfernt, nachdem sie standardisiert im System EMPIC ausgewiesen worden war. Der Vortrag der Klägerin, es habe sich um einen Systemfehler gehandelt, stelle eine Schutzbehauptung dar. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin dem ihr aus der Flugschule bekannten Piloten mit der Entfernung der Einschränkung eine Gefälligkeit habe erweisen wollen, um ihm den Erwerb einer Instrumentenflugberechtigung zu ermöglichen. Eine bloße Beschränkung ihrer Anerkennung als AME sei kein gleich geeignetes, milderes Mittel, weil diese das Auftreten weiterer schwerer Mängel im Rahmen der Tätigkeit der Klägerin nicht verhindern könne. Eine Vorlage ihrer Untersuchungsergebnisse bei der Aufsichtsbehörde könne eine dauerhafte rechtskonforme Arbeitsweise ebenfalls nicht gewährleisten und würde einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand hervorrufen. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass der betroffene Pilot bei ordnungsgemäßer Eintragung der Einschränkung durch die Klägerin keine Instrumentenflugberechtigung erlangt und mithin wahrscheinlich nicht mit seiner Tochter tödlich verunglückt wäre. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete das LBA damit, dass die Sicherheit des Luftverkehrs bei einer fortgesetzten Tätigkeit der Klägerin einer erheblichen potentiellen Gefährdung ausgesetzt sei. Weil die Klägerin die einschlägigen Vorschriften nicht einhalte, sei nicht gewährleistet, dass ein von ihr untersuchter Pilot aus medizinischer Sicht tatsächlich in der Lage sei, ein Luftfahrzeug sicher zu führen.

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 03.07.2020 Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.06.2020 und beantragte die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Sie hielt den Erwägungen des Bescheides entgegen, dass sie lediglich einen einzigen Fehler gemacht haben, dem zudem eine mögliche Täuschung durch den untersuchten Piloten zugrunde gelegen habe. Dies stelle ihre Zuverlässigkeit nicht infrage. Das LBA dürfe sich bei seiner Entscheidung nicht dadurch beeinflussen lassen, dass der Pilot und seine Tochter bei dem Flugunfall zu Tode gekommen seien, denn zu dem Unfall wäre es auch gekommen, wenn die Klägerin die Tauglichkeitsuntersuchung korrekt durchgeführt hätte. Richtigerweise hätte der Pilot die Instrumentenflugberechtigung auch mit der Einschränkung VCL in seinem Tauglichkeitszeugnis erwerben können. Denn farbensicher müssten nach MED.A.030 Buchst. d VO (EU) 1178/2011 nur Piloten sein, die eine Nachtflugberechtigung erwerben wollten. Die Instrumentenflugberechtigung setze nach einer Änderung der Verordnung im Jahr 2014 nach MED.A.030 Buchst. e VO (EU) 1178/2011 hingegen lediglich voraus, dass sich der Pilot einer Reinaudiometrie-Untersuchung, also einem Hörtest, unterziehe. Die Instrumentenflugberechtigung beinhalte nicht zwangsläufig auch die Berechtigung zum Nachtflug. Dies sei ihr auch bereits seit Langem bekannt.

Sie habe nun allerdings durch Nachfragen bei Verwandten des Piloten herausgefunden, dass ihm dies nicht bewusst gewesen sei. Deshalb habe er sich womöglich entschieden, die Klägerin so zu manipulieren, dass sie die Einschränkung VCL nicht mehr in sein Tauglichkeitszeugnis aufgenommen habe. Sie könne sich nicht erklären, wie es zu der fehlenden Eintragung gekommen sei, und halte sowohl einen technischen Fehler als auch eine bewusste Täuschung durch den Piloten für eine mögliche Ursache. Denkbar sei auch, dass der Pilot sie bei der Tauglichkeitsuntersuchung im Jahr 2015 abgelenkt und ihr das Zeugnis aus dem Vorjahr gar nicht vorgelegt oder das Untersuchungsergebnis selbst manipuliert habe. Sie habe in jedem Fall standardmäßig stets die Ishihara-Tafeln geprüft. Allerdings habe sie das Standardwerk verwendet, das offen in ihrem Behandlungszimmer gelegen habe und auch frei verkäuflich sei. Sie nehme an, dass der Pilot die Ishihara-Tafeln auswendig gelernt habe und so die richtigen Antworten habe geben können. Bei der ersten Untersuchung im Jahr 2014 habe er das hingegen offenbar noch nicht getan und seine Farbenschwäche angegeben, weil er damals noch nicht die Instrumentenflugberechtigung angestrebt habe. Alternativ sei auch möglich, dass die Farbsehschwäche des Piloten tatsächlich nicht so stark ausgeprägt gewesen sei. Soweit sie im Jahr 2019 den Eintrag VCL aus der Datenbank EMPIC entfernt habe, könne sie dies nur darauf zurückführen, dass sie davon überzeugt gewesen sei, es handele sich um einen Fehler in der Datenübertragung, weil der Pilot diese Einschränkung tatsächlich nicht habe.

Sie sei im Jahr 2015 noch nicht Geschäftsführerin der Flugschule ATC gewesen, sondern habe nur die Inhaberin finanziell unterstützt und dafür Firmenanteile als Sicherheit überschrieben bekommen. Der Pilot sei für sie lediglich ein Bekannter wie viele andere auch gewesen, sodass sie kein Interesse daran gehabt habe, ihn zu bevorteilen und sich dadurch dem Risiko auszusetzen, dass ihr Fehlverhalten bei einer Überprüfung durch das LBA auffallen könnte. Sie werfe sich selbst vor, dass sie aufgrund der persönlichen Bekanntschaft mit dem Piloten nicht dieselbe Distanz wie zu anderen Probanden gehalten und auf die notwendige kritische Vorsicht verzichtet habe. Nach dem Vorfall habe sie ihr Untersuchungssystem neu strukturiert und die Abläufe stark formalisiert, um zukünftige Fehler zu vermeiden. Die Ishihara-Tafeln lägen nunmehr nicht mehr offen im Untersuchungszimmer und sie zeige sie den Probanden nicht durch Durchblättern des Buches von vorne, sondern in zufälliger Reihenfolge, sodass ein Auswendiglernen nicht mehr möglich sei. Das LBA hätte als milderes Mittel gegenüber dem Entzug ihrer Anerkennung als AME zunächst eine Überprüfung durchführen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2020 wies das LBA den Widerspruch der Klägerin wie auch den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung zurück. Das LBA führte dazu aus, der Vortrag der Klägerin, der Pilot habe sie über sein Farbsehvermögen getäuscht, sei eine Schutzbehauptung zu Lasten des Piloten, der selbst nicht mehr befragt werden könne. Allerdings könne selbst eine bewusste Täuschung des Piloten die Klägerin nicht entlasten. Dass der Pilot den Erwerb einer Instrumentenflugberechtigung anstrebte, sei der Klägerin bewusst gewesen, weil er zu diesem Zweck die Durchführung eines Audiogramms bei ihr nachgefragt habe. Es sei ferner nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin jedes Jahr aufs Neue einen Farbsehtest mit Ishihara-Tafeln bei dem Piloten hätte durchführen sollen, obwohl ihr dessen Farbsehschwäche bekannt gewesen sei. Dies sei in der Absicht erfolgt, das LBA zu täuschen. Zwar seien Probanden grundsätzlich imstande, die Ishihara-Tafeln auswendig zu lernen, doch seien die AMEs verpflichtet, diese Tafeln in einer zufälligen Reihenfolge zu zeigen. Wenn die Klägerin dies nicht getan habe, habe sie die Untersuchung nicht korrekt durchgeführt. Darüber hinaus habe der Pilot im Jahr 2015 ohnehin noch davon ausgehen müssen, dass der Klägerin seine Farbsehschwäche aus dem vergangenen Jahr bekannt war, und deswegen keine Veranlassung gehabt, die Ishihara-Tafeln auswendig zu lernen. Um die Einschränkung VCL aus seinem Tauglichkeitszeugnis entfernen zu lassen, sei der Pilot auf die aktive Mitwirkung der Klägerin angewiesen gewesen. Es sei anzunehmen, dass auch die Klägerin geglaubt habe, dass die Eintragung VCL dem Erwerb einer Instrumentenflugberechtigung entgegenstand. Dies sei auch tatsächlich der Fall, weil die Instrumentenflugberechtigung für Piloten mit der Einschränkung VCL auf den Tagflug beschränkt werde.

Die Klägerin hat am 14.10.2020 Klage erhoben.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtswidrig und argumentiert, der Pilot sei für sie letztlich ein Unbekannter gewesen, weil er seine Ausbildung in der Flugschule ATC im Jahr 2012 absolviert habe, jedoch erst im Jahr 2014 zur Untersuchung zu ihr gekommen sei. Damals habe sie ihn auch zum ersten Mal gesehen. Im Jahr 2015 habe sie den Farbsehtest mittels Ishihara-Tafeln nicht durchgeführt, allerdings in den Folgejahren. Dass die Eintragung VCL im System EMPIC hinterlegt gewesen sei, bestreite sie mit Nichtwissen. Jedenfalls sei nicht nachvollziehbar, wie sie die Eintragung überhaupt hätte entfernen können, ohne damit eine Nachfrage der Beklagten hervorzurufen. Außerdem sei ein AME auch erst seit einer Änderung der Verordnung im Jahr 2019 verpflichtet, sich im Rahmen einer Untersuchung das letzte Tauglichkeitszeugnis von dem Probanden vorlegen zu lassen. Die Beklagte versuche, sie zu diskreditieren, um ihre eigenen Fehler zu verschleiern.

Die Anerkennung der Klägerin als flugmedizinische Sachverständige ist zwischenzeitlich abgelaufen. Die Beteiligten haben daraufhin in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2024 den ursprünglich auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 08.06.2020 in Form des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2020 gerichteten Klageantrag für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verpflichten, ihr die Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das LBA wiederholt seinen Vortrag aus dem behördlichen Verfahren und ergänzt, zwar sei der Klägerin zuzugeben, dass die Entfernung der Auflage VCL nicht kausal gewesen sei für den Flugunfall des Piloten, da dieser zwar bei schlechter Sicht, aber am Tag stattgefunden habe. Seine Nachtflugberechtigung, der die Farbfehlsichtigkeit entgegenstehe, habe er dafür also nicht in Anspruch nehmen müssen. Der Flugunfall habe aber auch lediglich den Auslöser für die Überprüfung der Klägerin gebildet. Der Behauptung, der Pilot sei für sie ein Unbekannter gewesen, widersprächen ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren und die Durchführung der Sprachprüfung im Jahr 2013. Eine anlasslose regelmäßige Farbsehprüfung gehöre nicht zum Standardumfang der Verlängerungsuntersuchung. Außerdem bestehe bei der Klägerin ein Interessenkonflikt, weil sie mittlerweile unstreitig Geschäftsführerin der ATC Flugschule sei und sie auch in Zukunft die dort angemeldeten Flugschüler ungerechtfertigt zu bevorzugen drohe.

Ab dem 16.04.2019 habe das LBA zudem die Tätigkeit der Klägerin als flugmedizinische Sachverständige stichprobenartig überprüft. Dabei seien weitere Verstöße der Klägerin aufgefallen: In vier Fällen habe sie trotz der Diagnose Rechtsschenkelblock nicht die notwendige Auflage ORL in das Tauglichkeitszeugnis eingetragen. In einem weiteren Fall habe sie das vorgeschriebene Konsultationsverfahren trotz der Diagnose eines allergischen Asthmas mit Medikation nicht eingeleitet. Sie habe bei der Dokumentation von Farbsehprüfungen vermerkt, dass 24 Ishihara-Tafeln gezeigt worden seien, obwohl tatsächlich nur zwölf oder 13 Tafeln gezeigt worden seien. Bei einer Tauglichkeitsuntersuchung am 23.10.2019 habe sie die Laufzeit des von ihr ausgestellten Tauglichkeitszeugnisses von sechs auf zwölf Monate verlängert. Auch in einem weiteren Fall habe sie die Einleitung eines Konsultationsverfahrens versäumt, weil sie die Angaben eines Probanden über die von ihm eingenommene Medikation nicht nachgeprüft habe.

Auf diesen neuen Vortrag hat die Klägerin erwidert, das LBA habe die Überprüfungen ohne ihr Wissen durchgeführt und ihr keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zudem ergäben sich aus den Feststellungen aber auch keine relevanten Fehler, sondern es handele sich lediglich um Ungenauigkeiten, die bei jeder Überprüfung von fliegerärztlichen Sachverständigen vorkämen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihren Vortrag, die Nichtübernahme der Auflage VCL sei im Jahr 2015 womöglich durch einen technischen Defekt verursacht worden, nicht länger aufrechterhalten. Das Entfallen der Auflage sei dadurch zustande gekommen, dass sie sich im Jahr 2015 das letzte Tauglichkeitszeugnis des Piloten aus dem Jahr 2014 nicht habe vorlegen lassen. Der Pilot habe sie nicht über seine Rot-Grün-Schwäche aufgeklärt und, weil sie ihn als sicheren Vielflieger eingeschätzt habe, habe sie nie infrage gestellt, was er ihr erzählt habe. Sie gehe ferner davon aus, dass der Pilot ab dem Jahr 2015 die Ishihara-Tafeln auswendig gelernt und den Test auf diese Weise bestanden habe. In den Folgejahren habe sie sich dann stets das letzte Tauglichkeitszeugnis vorlegen lassen, in dem die Auflage VCL jeweils nicht enthalten gewesen sei. Dass sie die Auflage VCL im Jahr 2019 aus der flugmedizinischen Datenbank EMPIC entfernt habe, hat die Klägerin damit begründet, dass sie die im System enthaltene Eintragung VCL für eine Fehleintragung ihrerseits gehalten habe, die ihr passiert sei, als sie eigentlich die Auflage VML habe eintragen wollen. Ihr sei nicht klar gewesen, dass die hinterlegten Angaben in der Datenbank aus den Daten der Erstuntersuchung des jeweiligen Piloten übernommen worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des LBA Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Soweit die Beteiligten den auf Aufhebung der Bescheide des LBA gerichteten Klageantrag übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

B. Die Klage ist im Übrigen als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihre abgelaufene Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige (AME) durch das LBA erneuert wird.

In der begehrten Erteilung einer Anerkennung als AME durch das LBA liegt keine Verlängerung ihrer früheren Anerkennung vom 03.12.2019 nach MED.D.030 Satz 2 Buchst. a des Anhangs IV (Teil-MED) der Verordnung (EU) 1178/2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates in der aktuellen Fassung vom 30.10.2022. Demnach ist ein AME-Zeugnis auf Antrag des Inhabers zu verlängern, sofern der Inhaber weiterhin die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung seiner Arzttätigkeit erfüllt und weiterhin als Arzt approbiert ist (Nr. 1), in den letzten drei Jahren eine Auffrischungsschulung in Flugmedizin absolviert hat (Nr. 2), jedes Jahr mindestens zehn flugmedizinische oder gleichwertige Untersuchungen durchgeführt hat (Nr. 3), weiterhin die mit dem Zeugnis verbundenen Bedingungen erfüllt (Nr. 4), seine Rechte gemäß den Bestimmungen dieses Anhangs (Teil-MED) ausübt (Nr. 5) und entsprechend dem von der zuständigen Behörde festgelegten Verfahren nachgewiesen hat, dass er weiterhin über die flugmedizinische Befähigung verfügt (Nr. 6). Die Verlängerung einer früheren Anerkennung setzt im Gegensatz zur Erneuerung nach MED.D.030 Satz 2 Buchst. b nach Systematik und Wortlaut der Regelungen voraus, dass der Antrag auf Verlängerung der Anerkennung noch im Zeitraum der Gültigkeitsdauer der früheren Anerkennung gestellt wird, während die Erneuerung an ein zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufenes AME-Zeugnis anknüpft. Vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer früheren Anerkennung während des laufenden Verfahrens hat die Klägerin jedoch nur den Bescheid angefochten, mit dem das LBA ihren früheren Anerkennungsbescheid widerrufen hatte, anstatt dessen Verlängerung zu beantragen.

Rechtsgrundlage für die begehrte Erneuerung ihrer Anerkennung als AME ist die Regelung in MED.D.030 Satz 2 Buchst. b des Anhangs IV (Teil-MED). Das AME-Zeugnis ist demnach auf Antrag des Inhabers zu erneuern, sofern der Inhaber entweder den in Buchstabe a genannten Anforderungen für die Verlängerung oder sämtlichen folgenden Anforderungen genügt: Er erfüllt weiterhin die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung seiner Arzttätigkeit und ist weiterhin als Arzt approbiert (Nr. 1); er hat im vorangegangenen Jahr eine Auffrischungsschulung in Flugmedizin absolviert (Nr. 2); er hat im vorangegangenen Jahr erfolgreich eine praktische Schulung entweder an einem flugmedizinischen Zentrum oder unter der Aufsicht der zuständigen Behörde absolviert (Nr. 3); er erfüllt weiterhin die Anforderungen von Punkt MED.D.010 (Nr. 4); er hat entsprechend dem von der zuständigen Behörde festgelegten Verfahren nachgewiesen, dass er weiterhin über die flugmedizinische Befähigung verfügt (Nr. 5). Nach MED.D.010 ist Bewerbern ein Zeugnis als flugmedizinischer Sachverständiger zu erteilen, wenn sie alle folgenden Bedingungen erfüllen: Sie verfügen über eine vollständige Befähigung und Approbation als Arzt sowie über eine Bescheinigung über den Abschluss einer fachärztlichen Ausbildung (Buchst. a); sie haben erfolgreich einen Grundlehrgang in Flugmedizin abgeschlossen, einschließlich einer praktischen Ausbildung in Untersuchungsmethoden und flugmedizinischer Beurteilung (Buchst. b); sie haben der zuständigen Behörde nachgewiesen, dass sie über geeignete Einrichtungen, Verfahren, Unterlagen sowie über funktionsfähige Ausrüstung verfügen, die für die Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen geeignet sind (Buchst. c Nr. 1), und dass sie die notwendigen Verfahren eingerichtet und Voraussetzungen geschaffen haben, um die ärztliche Schweigepflicht zu gewährleisten (Buchst. c Nr. 2). Zu beachten ist, dass die Anforderungen an die Erneuerung des AME-Zeugnisses nach den unionsrechtlichen Vorschriften zum Teil alternativ sind. Wenn der Bewerber die Anforderungen nach MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nrn. 1 bis 5 (Block 2 der Erneuerungsvoraussetzungen) nicht erfüllt, kann sein Zeugnis dennoch zu verlängern sein, weil die Anforderungen nach MED.D.030 Satz 2 Buchst. b i. V. m. Buchst. a (Block 1 der Erneuerungsvoraussetzungen) erfüllt werden.

Die Anforderungen an die Erneuerung eines AME-Zeugnisses sind nicht erfüllt. Es ist nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten, dass die Klägerin die Rechte als AME gemäß den Bestimmungen des Anhangs IV (Teil-MED) der Verordnung 1178/2011 ausübt (MED.D.030 Satz 2 Buchst. b i. V. m. Buchst. a Nr. 5). Sie hat außerdem nicht nachgewiesen, dass sie weiterhin über die flugmedizinische Befähigung verfügt (MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nr. 5) und dass sie über geeignete Verfahren verfügt, die für die Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen geeignet sind (MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nr. 4 i. V. m. MED.D.010 Buchst. c Nr. 1).

Im Rahmen der Prüfung dieser Anforderungen ist eine Prognose über das künftige Verhalten des AME vorzunehmen. Dies ergibt sich schon aus dem Zweck des Anerkennungsverfahrens für AME. Die Regelungen sollen eine fachlich einwandfreie, unparteiliche und den rechtlichen Bestimmungen entsprechende Tauglichkeitsbeurteilung gewährleisten, die sicherstellt, dass Piloten, die nach den anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht zum Führen eines Luftfahrzeugs geeignet sind, von der Teilnahme am Luftverkehr ausgeschlossen werden. Die Bestimmungen dienen damit der Luftsicherheit: Sie sind auf die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben gerichtet, die durch ein abstürzendes oder in anderer Weise außer Kontrolle geratendes Luftfahrzeug entstehen. Ob der Bewerber seine Rechte gemäß den Bestimmungen des Anhangs IV (Teil-MED) ausübt, weiterhin über die flugmedizinische Befähigung sowie über Verfahren verfügt, die für die Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen geeignet sind, ist danach aufgrund einer zukunftsgerichteten Betrachtung zu prüfen. Nur wenn eine solche Betrachtung, basierend auf den bisherigen, auf Tatsachen beruhenden Erkenntnissen über die Tätigkeit des Bewerbers als AME, die Annahme rechtfertigt, dass der Bewerber seine Rechte als flugmedizinischer Sachverständiger mit der notwendigen Sorgfalt und Zuverlässigkeit ausüben wird, sind die sich aus MED.D.030 Satz 2 Buchst. b i. V. m. Buchst. a Nr. 5 und MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nr. 5 ergebenden Verhaltens-, Befähigungs- und auf das vom Bewerber angewandte Verfahren bezogenen Anforderungen erfüllt. Nur dann darf das LBA das AME-Zeugnis erneuern.

Die Rechte des Inhabers eines Zeugnisses als flugmedizinischer Sachverständiger, auf die die Regelung in MED.D.030 Abs. 2 Buchst. b i. V. m. Buchst. a Nr. 5 ausdrücklich Bezug nimmt, bestehen nach MED.D.001 Buchst. a und b in der Erteilung, Verlängerung und Erneuerung von Tauglichkeitszeugnissen sowie in der Durchführung der betreffenden medizinischen Untersuchungen und Beurteilungen. Jedenfalls auf diese Rechte beziehen sich auch die Anforderungen an die Befähigung des Bewerbers in MED.D.030 Abs. 2 Buchst. b Nr. 5 und die Anforderungen an geeignete Einrichtungen, Verfahren, Unterlagen sowie die Ausrüstung des Bewerbers in MED.D.030 Abs. 2 Buchst. b Nr. 4 i. V. m. MED.D.010 Buchst. c Nr. 1. Nicht jeder Verstoß gegen Sorgfaltsanforderungen im Hinblick auf die genannten Vorschriften rechtfertigt es, die Erneuerung des AME-Zeugnisses zu versagen. Erforderlich ist ein schwerwiegender Verstoß, der grundsätzliche Zweifel an der notwendigen Sorgfalt und Zuverlässigkeit des Bewerbers begründet und damit die Annahme rechtfertigt, dass die Luftsicherheit bei fortgesetzter Betätigung des Bewerbers als AME gefährdet ist. Ein solcher Fall liegt in der Regel jedenfalls dann vor, wenn der Verstoß zu einer Fehldiagnose hinsichtlich luftsicherheitsrelevanter Tauglichkeitskriterien oder zu einer unzutreffenden Tauglichkeitsbeurteilung führt, weil der Bewerber den Piloten objektiv entweder als untauglich hätte beurteilen müssen oder nur mit einer im Tauglichkeitszeugnis auszuweisenden Einschränkung als tauglich hätte beurteilen dürfen. Leichte Verstöße oder gelegentliche Unzulänglichkeiten, welche die sorgfältige Durchführung der betreffenden medizinischen Untersuchungen und Beurteilungen sowie die ordnungsgemäße Prüfung und Anwendung der Anforderungen an die Erteilung, Verlängerung und Erneuerung von Tauglichkeitszeugnissen nicht infrage stellen, berechtigen grundsätzlich nicht dazu, die Anerkennung zu versagen. Allerdings können sich aus einer Vielzahl für sich genommen leichterer Verstöße im Einzelfall durchgreifende grundsätzliche Zweifel an der erforderlichen Sorgfalt und Zuverlässigkeit des Bewerbers bei Tauglichkeitsbeurteilungen ergeben. Einer positiven Prognose steht bereits ein nur einmaliger Verstoß des AME gegen Vorschriften der Verordnung (EU) 1178/2011 entgegen, wenn dieser Verstoß seine in MED.D.001 Buchst. a und b beschriebene Kerntätigkeit als flugmedizinischer Sachverständiger betrifft und zudem hinreichend schwer wiegt. Da die Regelungen der Gefahrenabwehr dienen, ist für die Versagung der Erneuerung nicht erforderlich, dass es aufgrund des Fehlverhaltens des Bewerbers bereits zu einem Schaden gekommen ist.

Der Bewerber muss nachweisen, dass er weiterhin über die flugmedizinische Befähigung verfügt und über Einrichtungen, Verfahren, Unterlagen sowie über funktionsfähige Ausrüstung, die für die Durchführung flugmedizinischer Untersuchungen geeignet sind (so ausdrücklich die Regelungen in MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nr. 5 und MED.D.030 Satz 2 Buchst. b Nr. 4 i. V. m. MED.D.010 Buchst. c Nr. 1). Ergeben sich aus seinem bisherigen Verhalten Zweifel an der Erfüllung der Anforderungen, die der Bewerber nicht ausräumen konnte, geht dies zu seinen Lasten. Solche Zweifel reichen bereits aus, um die Erneuerung zu versagen. Dies gilt im Ergebnis auch für das Erfordernis, dass der Bewerber die Gewähr bieten muss, die AME-Rechte gemäß den Bestimmungen des Anhangs IV (Teil-MED) auszuüben, weil es sich dabei um eine den Bewerber begünstigende Regelung handelt und er hinsichtlich der der Beurteilung insoweit zugrundeliegenden Tatsachen die Beweislast trägt. Nicht das LBA hat dem Bewerber daher für die Versagung der Erneuerung nachzuweisen, dass er den unionsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Vielmehr hat der Bewerber darzulegen und nachzuweisen, dass er alle Anforderungen für die Erneuerung erfüllt.

Der Klägerin ist es nicht gelungen, nachzuweisen, dass sich aus der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit als flugmedizinische Sachverständige keine beachtlichen Gefahren für den Luftverkehr ergeben würden. Ihr fallen mehrere Verstöße gegen luftsicherheitsrelevante Vorschriften und Sorgfaltsanforderungen zur Last (I.). Diese rechtfertigen es, die Erneuerung zu versagen (II.).

I. Die Klägerin hat mehrfach gegen Sorgfaltsanforderungen verstoßen.

1. Der erste Verstoß der Klägerin gegen luftsicherheitsrechtliche Vorschriften liegt darin, dass sie im Anschluss an die Tauglichkeitsuntersuchung am 25.02.2015 die Einschränkung VCL nicht in das verlängerte Tauglichkeitszeugnis des Piloten aufgenommen hat. Nach MED.B.001 Buchst. a Nr. 1 Ziff. iii i. V. m. MED.B.075 Buchst. b Nr. 3 Ziff. ii hätte die Klägerin dem Piloten richtigerweise eine Verlängerung seines Tauglichkeitszeugnisses nur mit der Einschränkung VCL erteilen dürfen. Dieses Versäumnis beruht auf einem fehlerhaften Verfahren und einem sorgfaltswidrigen Verhalten der Klägerin.

Wenn ein Bewerber die Anforderungen, die für die Erteilung eines Tauglichkeitszeugnisses der jeweiligen Klasse gelten, nicht vollständig erfüllt, aber davon ausgegangen werden kann, dass die sichere Ausübung der mit der verwendeten Lizenz verbundenen Rechte dadurch wahrscheinlich nicht gefährdet wird, muss das flugmedizinische Zentrum oder der flugmedizinische Sachverständige nach MED.B.001 Buchst. a Nr. 1 Ziff. iii VO (EU) 1178/2011 bei Bewerbern um ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 2 in Konsultation mit dem medizinischen Sachverständigen der Genehmigungsbehörde, wie in diesem Abschnitt angegeben, beurteilen, ob der Bewerber imstande ist, seine Aufgaben sicher auszuüben, wenn die auf dem Tauglichkeitszeugnis angegebene(n) Einschränkung(en) eingehalten wird/werden, und das Tauglichkeitszeugnis mit der (den) erforderlichen Einschränkung(en) erteilen. Nach MED.B.075 Buchst. a sind Bewerber als untauglich zu beurteilen, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie die für die sichere Ausübung der mit der Lizenz verbundenen Rechte relevanten Farben erkennen können. Nach MED.B.075 Buchst. b Nr. 1 müssen sich Bewerber, die sich erstmals ein Tauglichkeitszeugnis erteilen lassen möchten, dem Ishihara-Test unterziehen. Bei Bewerbern um ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 2, deren Farberkennung nicht zufriedenstellend ist, ist das Tauglichkeitszeugnis nach MED.B.075 Buchst. b Nr. 3 Ziff. ii auf die Ausübung der mit der verwendeten Lizenz verbundenen Rechte auf Flüge am Tag einzuschränken.

Bei dem Piloten lag unstreitig eine Rot-Grün-Schwäche vor. Dies hat die Klägerin weder dem vorherigen Tauglichkeitszeugnis von 2014 entnommen noch dies im Rahmen ihrer Tauglichkeitsuntersuchung festgestellt.

Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie das vorherige Tauglichkeitszeugnis aus dem Jahr 2014 im Vorfeld der Verlängerung des Tauglichkeitszeugnisses im Jahr 2015 nicht eingesehen, sondern sich stattdessen auf die Angaben des Piloten verlassen hat.

Nach MED.A.040 Buchst. a VO (EU) 1178/2011 darf ein Tauglichkeitszeugnis erst erteilt, verlängert oder erneuert werden, wenn die erforderlichen flugmedizinischen Untersuchungen bzw. Beurteilungen abgeschlossen sind und der Bewerber als tauglich beurteilt wurde. MED.A.040 Buchst. d regelt, dass der flugmedizinische Sachverständige ein Tauglichkeitszeugnis nur erteilen, verlängern oder erneuern darf, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Der Bewerber hat ihm eine vollständige Krankengeschichte und - sofern vom flugmedizinischen Sachverständigen gefordert - die Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen und Tests vorgelegt, die vom behandelnden Arzt des Bewerbers oder von sonstigen Fachärzten durchgeführt wurden (Nr. 1); der flugmedizinische Sachverständige hat die flugmedizinische Beurteilung auf Grundlage der medizinischen Untersuchungen und Tests durchgeführt, die für das betreffende Tauglichkeitszeugnis erforderlich sind, um zu bestätigen, dass der Bewerber sämtlichen relevanten Anforderungen dieses Anhangs (Teil-MED) genügt (Nr. 2).

Das letzte gültige Tauglichkeitszeugnis ist bei der Verlängerung oder Erneuerung eines Tauglichkeitszeugnisses als Bestandteil der vollständigen Krankengeschichte des Bewerbers zu betrachten und deshalb von dem AME zwingend einzusehen und zu beachten. Dafür spricht insbesondere MED.A.035 Buchst. c, demzufolge Bewerber bei der Beantragung einer Verlängerung oder Erneuerung des Tauglichkeitszeugnisses vor Beginn der entsprechenden flugmedizinischen Untersuchungen dem flugmedizinischen Sachverständigen das letzte Tauglichkeitszeugnis vorlegen müssen. Diese Vorschrift existiert entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erst seit dem Jahr 2019, sondern war bereits in der zum Zeitpunkt der Tauglichkeitsuntersuchung am 25.02.2015 gültigen Fassung der Verordnung vom 03.04.2014 enthalten, damals lediglich noch in einer anderen sprachlichen Fassung, in der es hieß, Bewerber müssten bei der Verlängerung ihres Tauglichkeitszeugnisses "dieses" - anstelle von "das letzte" - Tauglichkeitszeugnis vorlegen. Mit "diesem" Tauglichkeitszeugnis war ersichtlich schon in der damaligen Fassung der Vorschrift das zu verlängernde bzw. zu erneuernde und damit ebenfalls das letzte Tauglichkeitszeugnis gemeint. Ergänzend regelte MED.A.035 Buchst. b Nr. 2 Ziff. ii zudem bereits in der Fassung der Verordnung vom 03.04.2014, dass Bewerber dem flugmedizinischen Sachverständigen eine unterzeichnete Erklärung darüber vorlegen müssen, ob sie sich zu einem früheren Zeitpunkt einer Untersuchung zum Erwerb eines Tauglichkeitszeugnisses unterzogen haben (falls zutreffend, unter Angabe des Untersuchenden und des Untersuchungsergebnisses).

Ferner unterliegen die Erstausstellung, die Verlängerung und die Erneuerung von Tauglichkeitszeugnissen nach MED.A.040 und MED.A.045 unterschiedlichen Anforderungen an die flugmedizinische Untersuchung des Bewerbers. Um feststellen zu können, welche Voraussetzungen im konkreten Einzelfall erfüllt sein müssen, damit dem Bewerber ein Tauglichkeitszeugnis verlängert oder erneuert werden kann, muss der AME somit in Erfahrung bringen, ob ein früheres Tauglichkeitszeugnis vorliegt und wann dieses gegebenenfalls abgelaufen ist. Dabei arf der AME sich nicht ausschließlich auf die Angaben des Bewerbers verlassen, sondern muss sich einen eigenen Eindruck von dem Inhalt des früheren Tauglichkeitszeugnisses verschaffen, insbesondere auch, um auszuschließen, dass sich daraus Anhaltspunkte für eine Untauglichkeit oder nur eingeschränkte Tauglichkeit des Bewerbers ergeben. Dass ein früheres Tauglichkeitszeugnis existieren musste, war für die Klägerin im Jahr 2015 schon daraus ersichtlich, dass der Pilot ausweislich des Antragsformulars eine "Verlängerung/Erneuerung" seines Tauglichkeitszeugnisses beantragt hatte und dass die letzte Tauglichkeitsuntersuchung im Jahr 2014 ebenfalls in ihrer Praxis durchgeführt worden war.

2. Im Übrigen hat die Klägerin im Rahmen der Untersuchung von 2015 nicht sicherstellen können, dass die Farbsehschwäche des Piloten diagnostiziert und die gebotene Einschränkung VCL in das Tauglichkeitszeugnis der Klasse 2 eingetragen wurde. In dem Untersuchungsbericht vom 25.02.2015 hat die Klägerin dokumentiert, sie habe die Farberkennung des Piloten mittels pseudoisochromatischer Tafeln des Typs Ishihara (24 Tafeln) durchgeführt. Die Felder "Anzahl der Tafeln" und "Anzahl der Fehler" wurden jedoch nicht ausgefüllt. Außerdem kam die Klägerin auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, die Farberkennung des Piloten sei normal.

Dies stellt eine unzutreffende Diagnose dar, die nach der Überzeugung der Kammer nicht allein dadurch zustande gekommen sein kann, dass der Pilot zuvor die Ishihara-Tafeln auswendig gelernt hatte. Bei dem Ishihara-Test handelt es sich um eine anerkannte Prüfmethode, um die Wahrnehmungsfähigkeit der Augen für Farben festzustellen. Die Verordnung (EU) 1178/2011 geht in MED.B.075 Buchst. b Nr. 1 von der Zuverlässigkeit dieses Tests aus. Die Kammer hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Pilot die Ishihara-Tafeln bei der Untersuchung im Jahr 2015 allein deswegen erkannt hat, weil seine Farbsehschwäche weniger stark ausgeprägt war. Denn wenn seine Rot-Grün-Schwäche tatsächlich so schwach ausgeprägt gewesen wäre, wie die Klägerin vermutete, so wäre bei ihm auch in den Jahren 2012 und 2014 keine Farbsehschwäche diagnostiziert worden, weil er den Test dann bereits bei der Erstuntersuchung bestanden hätte.

Dagegen, dass der Pilot im Jahr 2015 tatsächlich versucht haben soll, den Test durch Täuschung zu bestehen, spricht bereits, dass er keinen Grund hatte anzunehmen, dass die Klägerin das letzte Tauglichkeitszeugnis und ihre Untersuchungsergebnisse aus dem Vorjahr ignorieren oder vergessen und ihrem Urteil über das Farbsehvermögen des Klägers einen völlig neuen Test zugrunde legen würde. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angegeben, dass sie sich das letzte Tauglichkeitszeugnis normalerweise bei jeder Untersuchung habe vorlegen lassen - auch als sie noch angenommen habe, dazu rechtlich nicht verpflichtet zu sein -, weil sie ordentlich habe arbeiten wollen. Dementsprechend nehme sie auch an, dass sie sich bei der ersten Untersuchung des Piloten im Jahr 2014 noch das letzte Tauglichkeitszeugnis habe vorlegen lassen. Wenn der Pilot jedoch im Jahr 2014 diese Erfahrung mit der Klägerin gemacht hatte und ferner auch von anderen Piloten nur die Auskunft erhalten konnte, die Klägerin sehe normalerweise das letzte Tauglichkeitszeugnis ein, war ein aufwendiges Auswendiglernen der Ishihara-Tafeln nicht erfolgversprechend.

Zwar kann die Kammer nicht ausschließen, dass es theoretisch möglich ist, durch Auswendiglernen der Tafeln auch als farbenblinder Bewerber den Ishihara-Test zu bestehen, zumal im Internet Anleitungen zu diesem Zweck verfügbar sind. Die Klägerin hat jedoch nicht nachweisen können, dass sie alle gebotenen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen ergriffen hat, um zu vermeiden, dass farbenblinde Bewerber den Ishihara-Test mithilfe von Täuschung bestehen konnten. Speziell für den Ishihara-Test regelt AMC2 MED.B.075 Buchst. b, dass der Test (Version mit 24 Tafeln) als bestanden gilt, wenn die ersten 15 Tafeln, die in zufälliger Reihenfolge vorgelegt werden, ohne Fehler erkannt werden (übersetzt mit DeepL-Übersetzer, engl. Original: "The Ishihara test (24 plate version) is considered passed if the first 15 plates, presented in a random order, are identified without error.").

Die von der EASA gemäß Anhang VI (Teil-ARA) ARA.GEN.120 Buchst. a VO (EU) 1178/2011 erarbeiteten "Acceptable Means of Compliance (AMC) and Guidance Material (GM) to Part-MED", hier anwendbar in der 2. Ausgabe vom 28.01.2019, sind nach Art. 2 Nr. 14 VO (EU) 1178/2011 unverbindliche Standards, die veranschaulichen, in welcher Weise die Einhaltung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 und ihrer Durchführungsbestimmungen erreicht werden kann. Als Guidance Material ("Anleitungen") wird von der EASA erarbeitetes nichtverbindliches Material bezeichnet, das die Bedeutung einer Anforderung oder Spezifikation erläutert und zur Unterstützung bei der Auslegung der Grundverordnung, ihrer Durchführungsbestimmungen und von AMC dient. Zwar handelt es sich bei den AMC und dem GM mithin nicht um Rechtsnormen; sie sind jedoch als Niederschlag sachverständiger Erfahrung von Gewicht und werden vom LBA im Interesse der Gleichbehandlung aller Bewerber und im Hinblick auf das europarechtliche Effizienzgebot ("effet utile") wie eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift angewandt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zwar ausgeführt, sie gehe davon aus, dass sie dem Piloten die Tafeln stets zufällig gezeigt habe. Abweichend hatte sie indes in ihrem Widerspruch vom 03.07.2020 noch vorgetragen, "[sie sei] nach dem Vorfall [Flugunfall] und auch noch bei dem ersten Gespräch mit [ihrem neuen Prozessbevollmächtigten] fest davon ausgegangen, dass sie bei der Übertragung des Tauglichkeitszeugnisses aus dem Jahre 2015 einen Fehler bei der Übertragung der Einschränkungen gemacht [habe]" (S. 4 f.). Nunmehr "[lägen] die Ishihara-Tafeln [...], nachdem [sie] Kenntnis davon erlangt [habe], dass es möglich [sei], diese auswendig zu lernen, nicht mehr im Untersuchungszimmer und die Tafeln [würden] auch nicht durch Durchblättern des Buches von vorne beginnend vorgehalten, sondern im Zufallsprinzip gezeigt, so dass ein Auswendiglernen nicht möglich [sei]." (S. 7). Aufgrund dieser Angaben ist anzunehmen, dass die Klägerin - nicht nur bei dem betroffenen Piloten, sondern bei sämtlichen Tauglichkeitsuntersuchungen vor dem Jahr 2020 - nicht alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen hat, um Täuschungen ihrer Probanden bei der Durchführung des Ishihara-Tests zu vermeiden. Zu diesen Vorkehrungen gehören indes nicht nur die zufällige Präsentation und die sichere Verwahrung der Tafeln wie auch des Lösungsbogens. Die Gebrauchsanweisung zu den Ishihara-Tafeln sieht ferner vor, dass die Antwort des Probanden jeweils in drei Sekunden erfolgen solle, dass die Tafeln also jeweils nicht länger als drei Sekunden präsentiert werden sollen (engl. Original: "each answer should be given without more than three seconds delay", Stanford University, Ishihara Plate Instructions, S. 2, https://web.stanford.edu/group/vista/wikiupload/0/0a/Ishihara.14.Plate.Instructions.pdf, aufgerufen am 14.02.2024).

Die Kammer konnte aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Klägerin nicht zu der Überzeugung gelangen, dass sie bei der Durchführung des Ishihara-Tests im Jahr 2015 alle notwendigen Sorgfaltsanforderungen erfüllt hat.

3. Über die beiden dargelegten Verstöße gegen ihre Sorgfaltspflichten hinaus hat die Klägerin auch in den Folgejahren 2016 bis 2019 weitere fehlerhafte Tauglichkeitszeugnisse auf Grundlage nicht ordnungsgemäß durchgeführter Ishihara-Testreihen ausgestellt. Dabei handelte es sich nicht lediglich um unvermeidbare Folgefehler. Selbst wenn die Klägerin sich in diesen Jahren jeweils das (fehlerhafte) Zeugnis des Vorjahres hat vorlegen lassen, so erachtete sie eine jährliche erneute Durchführung des Ishihara-Tests offenbar dennoch für medizinisch indiziert - oder vermerkte wiederholt ein positives Ergebnis aus einer tatsächlich nicht vorgenommenen medizinischen Untersuchung. Gesetzt den Fall, dass die Klägerin die Ishihara-Tests in den vier Folgejahren tatsächlich durchgeführt hat, so erfolgte dies ebenso in fehlerhafter Art und Weise wie im Jahr 2015. Dabei handelt es sich um vier gesonderte Verstöße gegen MED.B.075 Buchst. b Nr. 1 VO (EU) 1178/2011 i. V. m. AMC2 MED.B.075 Buchst. b und die sonstigen Sorgfaltsanforderungen bei der Durchführung des Ishihara-Tests.

4. Ferner hat die Klägerin im Jahr 2019 sorgfaltswidrig die Eintragung VCL aus der flugmedizinischen Datenbank EMPIC entfernt. Damit hat die Klägerin die flugmedizinischen Aufzeichnungen der Aufsichtsbehörde verfälscht. Nach ARA.GEN.220 Buchst. a Nr. 5 richtet die zuständige Behörde ein Aufzeichnungssystem ein für die angemessene Aufbewahrung, Zugänglichkeit und verlässliche Rückverfolgbarkeit u. a. der Verfahren für die Erteilung von Lizenzen, Berechtigungen, Zeugnissen und Bescheinigungen an Personal und für die fortlaufende Aufsicht über die Inhaber dieser Lizenzen, Berechtigungen, Zeugnisse und Bescheinigungen. Nach ARA.MED.150 Buchst. a hat die zuständige Behörde zusätzlich zu den gemäß ARA.GEN.220 erforderlichen Aufzeichnungen Einzelheiten zu den von AME, AeMC und Ärzten für Allgemeinmedizin vorgelegten flugmedizinischen Untersuchungen und Beurteilungen in ihr Aufzeichnungssystem aufzunehmen. Das LBA hat diese Anforderungen durch die Einführung der flugmedizinischen Datenbank EMPIC umgesetzt. Es kann seine Aufgaben als Aufsichtsbehörde nach ARA.GEN.300 jedoch nur dann ordnungsgemäß durchführen, wenn die in der Datenbank gespeicherten Daten zuverlässig und zutreffend sind.

II. Die aufgeführten Verstöße der Klägerin begründen grundsätzliche Zweifel an ihrer notwendigen Sorgfalt und Zuverlässigkeit und rechtfertigen damit die Annahme, dass die Luftsicherheit bei fortgesetzter Betätigung der Klägerin als AME gefährdet ist. Sowohl die unterlassene Einsichtnahme in das Tauglichkeitszeugnis des Piloten aus dem Jahr 2014 bei der Tauglichkeitsuntersuchung im Jahr 2015 (I. 1.) als auch die jeweils nicht ordnungsgemäße Durchführung der Ishihara-Tests in den Jahren 2015 bis 2019 (I. 2. und I. 3.) stellen besonders gravierende Sorgfaltsverstöße dar, da sie unmittelbar die Durchführung von medizinischen Untersuchungen und Beurteilungen von Piloten und damit die Kerntätigkeit des AME betreffen. Ferner haben diese Sorgfaltsverstöße im Ergebnis zu einer unzutreffenden Tauglichkeitsbeurteilung geführt, weil der Pilot nur mit der im Tauglichkeitszeugnis auszuweisenden Einschränkung VCL als tauglich hätte beurteilt werden dürfen. Auch die Entfernung der Auflage VCL aus der flugmedizinischen Datenbank EMPIC (I. 4) ist als besonders schwerwiegend anzusehen, weil die Klägerin damit unmittelbar das LBA bei der Ausübung seiner Aufsichtstätigkeit beeinträchtigt hat. Ferner verlassen sich auch andere flugmedizinische Sachverständige auf die Richtigkeit der in EMPIC gespeicherten Daten, sodass die Verfälschung dieser Daten die Gefahr fehlerhafter Tauglichkeitsbeurteilungen in der Zukunft mit sich bringt.

Offenbleiben kann indes, ob die Klägerin durch die Nichtübernahme der Auflage VCL aus dem Tauglichkeitszeugnis des Jahres 2014 und die fehlerhafte bzw. unterbliebene Durchführung der Ishihara-Tests kausal zu dem tödlichen Flugunfall des Piloten und seiner Tochter im Jahr 2019 beigetragen hat bzw. ob der Pilot sich trotz seiner Fehlvorstellung über deren Voraussetzungen noch dazu entschlossen hätte, die Instrumentenflugberechtigung (ohne Nachtflugberechtigung) auch mit der Auflage VCL zu erwerben. In jedem Fall hat die Klägerin dem Piloten durch die wiederholte Ausstellung eines Tauglichkeitszeugnisses ohne die notwendige Auflage VCL ermöglicht, eine Nachtflugberechtigung zu erwerben, obwohl er aufgrund seiner Rot-Grün-Schwäche nicht in der Lage war, eine solche Berechtigung sicher und ohne Eigengefährdung bzw. ohne Gefährdung von Passagieren oder Dritten auszuüben. Die festgestellten Verstöße führen zu dem Schluss, dass die Klägerin derzeit nicht gewährleisten kann, zukünftig medizinisch fachgemäße Tauglichkeitsuntersuchungen durchzuführen, die Ergebnisse dieser Untersuchungen ordnungsgemäß zu dokumentieren und sie in rechtkonformer und unparteilicher Art und Weise in die Ausstellung oder Versagung von Tauglichkeitszeugnissen umzusetzen. Die aufgeführten Verstöße lassen eine positive Prognose, dass die Klägerin ihre Aufgabe als flugmedizinische Sachverständige mit der notwendigen Sorgfalt und Zuverlässigkeit ausüben wird und dass sich aus der Wiederaufnahme ihrer Untersuchungs- und Begutachtungstätigkeit keine beachtlichen Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs ergeben werden, nicht zu.

C. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des Verpflichtungsantrags aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Soweit die Beteiligten hinsichtlich des Anfechtungsantrags das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nach § 161 Abs. 2 VwGO über die Verfahrenskosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, demjenigen Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung bei nur noch summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich unterlegen wäre oder der die Erledigung des Rechtsstreits aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat (BVerwG, Beschluss vom 02.02.2006 - 1 C 4/05 -, juris Rn. 2). Die Klägerin wäre bei einer Entscheidung über den Anfechtungsantrag bis zum Zeitpunkt der Erledigung in Form des zeitlichen Ablaufs ihrer Anerkennung als AME voraussichtlich unterlegen, weil die dargestellten Gründe ebenfalls einen Widerruf ihrer Anerkennung als AME nach ARA.MED.250 Buchst. a rechtfertigten. Demnach muss die zuständige Behörde ein AME-Zeugnis u. a. dann beschränken, aussetzen oder widerrufen, wenn der AME die einschlägigen Anforderungen nicht länger erfüllt (Nr. 1) oder wenn die flugmedizinischen Aufzeichnungen mangelhaft geführt oder falsche Daten oder Informationen vorgelegt werden (Nr. 3). Dieser Tatbestand war durch die oben aufgeführten Verstöße der Klägerin erfüllt. Es kommt auch bei der Entscheidung über den Widerruf nicht auf die Frage an, ob es bereits zu einem Unfall oder einer kritischen Situation gekommen ist. In Anbetracht der aufgeführten Verstöße war ein sofortiger Widerruf eines neu erteilten AME-Zeugnisses der Klägerin aufgrund einer Reduzierung des Auswahlermessens zwischen Beschränkung, Aussetzung und Widerruf auf Null zudem das einzig geeignete Mittel, um Gefahren für die Luftsicherheit effektiv abzuwenden. Die bloße Beschränkung des AME-Zeugnisses nach ARA.MED.250, etwa auf die Klasse 2 und LAPL oder eine bestimmte zeitliche Dauer oder auf die Ausübung unter Auflagen wie etwa der vermehrten Durchführung von Überprüfungen durch das LBA, hätte nicht sicherstellen können, dass die Klägerin nicht erneut fehlerhafte Untersuchungsverfahren anwenden und insbesondere bei der Untersuchung von Probanden, die ihr persönlich bekannt sind, die notwendigen Sorgfaltsanforderungen vernachlässigen würde. Somit sind ihr auch insoweit die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und richtet sich orientiert am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57) nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Verdienstes unabhängig davon, ob man die Klägerin als flugmedizinische Sachverständige nach Nr. 26.4 zum Luftfahrtpersonal im weiteren Sinne zählt, nach Nr. 54.1 die Richtlinien für die Gewerbeerlaubnis oder nach Nr. 14.1 die Richtlinien für die Berufsberechtigung im Gebiet der freien Berufe jeweils analog anwendet. Die Klägerin hat ihren erwarteten Jahresverdienst im Falle einer Fortsetzung ihrer Tätigkeit als flugmedizinische Sachverständige auf 24.000,00 Euro beziffert.