Landgericht Stade
Beschl. v. 21.02.2003, Az.: 2 S 198/02

2 Monate; Aktenvorlagezeitpunkt; Berufungsbegründungsfrist; Büropersonal; Büroversehen; Eigenverantwortlichkeit; Fristenkontrolle; Fristversäumnis; Fristversäumung; Kanzleiangestellter; Prüfungspflicht; Rechtsanwaltsbüro; Rechtsanwaltsverschulden; Vorfristnotierung; voriger Stand; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Wiedereinsetzungsantrag; Zweimonatsfrist

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
21.02.2003
Aktenzeichen
2 S 198/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48589
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei Versäumung der zweimonatige Berufungsbegründungsfrist kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann nicht in Betracht, wenn sich der Rechtsanwalt die Akte eine Woche vor Fristablauf vorlegen lässt, sich dann aber auf die unzutreffenden Angaben seiner Angestellten verlässt, die Frist würde noch nicht ablaufen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom ... wird als unzulässig verworfen. Der Antrag der Beklagten vom ... auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufungsklägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Gründe

I.

1

Durch das angefochtene amtsgerichtliche Urteil ist der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts ... vom 27. Mai 2002 aufrechterhalten worden. Gegen dieses der Beklagten am 14. November 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Dezember 2002 (Montag) Berufung eingelegt. Durch den Vorsitzenden der Kammer ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unter dem 15. Januar 2003 darauf hingewiesen worden, dass die Frist zur Berufungsbegründung am 14. Januar 2003 abgelaufen und eine Berufungsbegründung bisher nicht eingegangen sei. Mit Telefax-Schreiben vom 16. Januar 2003 hat die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich ihre Berufung begründet. Zur Rechtfertigung des Wiedereinsetzungsgesuches trägt der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor: Nach Eingang der amtsgerichtlichen Entscheidung habe er seine Fachanwaltsgehilfin Frau M. angewiesen, die Antragsfrist im Fristenkalender zu notieren. Die Überwachung von Notfristen sei in dem Büro so organisiert, dass er vor Ausstellung des Empfangsbekenntnisses auf der Urteilsausfertigung die Rechtsmittelfrist vermerke und den Vorgang an Frau M. weiterleite. Diese notiere die Frist in einem besonders geführten Fristenkalender und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein, jeweils mit einem auffälligen Hinweis darauf. Die Vorfrist sei auf den 09.01.2003 notiert worden. Die Akten seien ihm am 09.01.2003 auch vorgelegt worden. Er sei jedoch erst am 06.01.2003 aus dem Urlaub zurückgekehrt. Aufgrund der starken Arbeitsbelastung und diversen Gerichtsterminen am 09.01., 10.01. sowie einem langen auswärtigen Termin am 14.01.2003 habe er bei seiner Mitarbeiterin nochmals nach sämtlichen Fristen gefragt, auch danach, wann genau die Berufungsbegründungsfrist in dieser Sache ablaufe. Diese Nachfrage sei am 14.01.2003 erfolgt. Die Mitarbeiterin habe ihm jedoch leider die falsch im Fristenkalender notierte Berufungsbegründungsfrist „16.01.2003“ mitgeteilt.

2

Bei Frau M. handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die, wie regelmäßige Kontrollen ergeben hätten, den Kalender seit Beginn ihrer Tätigkeit sorgfältig und fehlerlos geführt habe. Es bleibe unerklärlich, warum sich dieser Fehler eingeschlichen habe. Er sei erst am 16.01.2003 offenbar geworden. Die Anwaltsfachgehilfin hätte auch nach Einlegung der Berufung die Akten erneut zur Kontrolle vorlegen müssen. Dies sei am 16.12.2002 jedoch nicht geschehen, weil Frau M. an diesem Tage hohem privaten Stress ausgesetzt gewesen sei. Außerdem habe sie ganz erhebliche Schreibarbeiten zu erledigen gehabt. In dieser Atmosphäre habe sie es versäumt, trotz seiner von Anfang an ihrer bisherigen Tätigkeit gegebenen Anordnungen, die Fristenvorlage unbedingt zu gewährleisten.

II.

3

Die Berufung der Beklagten ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist von 2 Monaten nach Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils (§ 520 ZPO), sondern erst am 16. Januar 2003 (Donnerstag) begründet worden ist. Die Berufung ist daher auf Kosten der Beklagten zu verwerfen, § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

4

Das frist- und formgerecht eingegangene und auch sonst zulässige Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten ist sachlich nicht gerechtfertigt.

5

Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, dass sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist des § 520 ZPO einzuhalten. Zwar haftet die Beklagte nicht für Büroversehen, die einer sonst zuverlässigen Anwaltssekretärin unterlaufen. Zuzurechnen ist ihr aber gemäß § 85 Abs. 2 ZPO jedes Verschulden des von ihr mit ihrer Vertretung beauftragten Rechtsanwalts. Ein solches hat die Beklagte nicht auszuräumen vermocht.

6

Nach der eidesstattlichen Versicherung der Frau M. ist die falsche Frist auf den 16.01.2003 offenbar deshalb notiert, weil ihr die neue Rechtslage nicht bekannt gewesen ist. Sie hat erklärt, aus dem Umstand, dass der 16.12.2002 der Ablauf der Berufungsfrist gewesen sei, auch der 16.01.2003 für die Begründung maßgeblich sei. Diese Annahme entspricht der alten Rechtslage vor der ZPO-Reform. Nach neuem Recht gilt jedoch eine Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten ab Urteilszustellung. Dies weist auf einen Ausbildungsmangel bzw. eine fehlende Unterweisung durch den Anwalt hin. Darum geht es aber letztlich nicht entscheidend. Das eigene Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ergibt sich vielmehr aus folgendem Grund. Ein Rechtsanwalt muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, dass jedenfalls bei solchen Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs auch noch eine so genannte Vorfrist von etwa einer Woche zu notieren ist (vgl. dazu BGH NJW 1994, 2551 f [BGH 06.07.1994 - VIII ZB 26/94], ferner Zöller-Greger, ZPO, 22. Aufl., § 233 Rdnr. 23 unter „Fristenbehandlungen“). Diese Vorfristnotierung soll bewirken, dass dem Rechtsanwalt durch rechtzeitige Vorlage der Akten auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit verbleibt. Die Vorfristnotierung dient aber auch dazu, dass die nicht oder nicht richtig erfolgte Eintragung eines Fristendes bei der Vorlage der Akten noch bemerkt und korrigiert werden kann. Hier wurden die Akten aufgrund der notierten Vorfrist am 09.01.2003 den Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorgelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat sich auf die Mitteilung der Anwaltssekretärin verlassen, die Frist laufe am 16.01.2003 ab. Diese Mitteilung reichte indes nicht aus. Zwar hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Überarbeitung bis zum 16.01.2003 zurückstellen dürfen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er zuvor selbst sorgfältig die Frist zur Berufungsbegründung überprüft gehabt hätte. Bei einer Erfüllung seiner mit der Aktenvorlage an ihn entstehenden Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Fristenkontrolle hätte er festgestellt, dass die Berufungsbegründungsfrist falsch notiert war. Er hätte dann noch rechtzeitig die Berufung begründen oder eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragen können. Dann wäre es nicht zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen. Die fehlende eigene Überprüfung und Kontrolle nach Vorlage aufgrund der Vorfrist lässt die Gewährung der Wiedereinsetzung nicht zu; denn schon die bloße Möglichkeit einer auf Verschulden beruhenden Fristversäumung schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, (vgl. dazu BGH NJW 1994, 2551 f, 1994, 2831 und FamRZ 1994, 1519 f).