Landgericht Stade
Urt. v. 28.02.2003, Az.: 2 O 238/02
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 28.02.2003
- Aktenzeichen
- 2 O 238/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 39678
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:2003:0228.2O238.02.0A
Amtlicher Leitsatz
Den Betreiber eines Freibades trifft keine Verpflichtung, eine dort installierte Wasserrutsche ununterbrochen zu überwachen.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangte von der beklagten Samtgemeinde Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR für angemessen erachtet. Darüber hinaus begehrte sie die Feststellung, dass die Samtgemeinde verpflichtet ist, sämtliche weiteren Schäden im Zusammenhang mit einem Unfall am 25. August 2001 im Hallen- und Freibad am Dobrock, Wingst, zu tragen.
Die damals 8-jährige Klägerin besuchte mit einer Familie aus der Nachbarschaft das Freibad. Sie benutzte dort die ca. 90 m lange kurvenreiche Wasserrutsche. Auf die angebrachten Schilder am Eingang der Rutsche und im Rutschbereich wird Bezug genommen, s. Lichtbilder Bl. 6 d. A.. Danach dürfen Kinder unter sieben Jahren die Rutsche nicht benutzen. Zugelassen ist die Rutschposition "Rückenlage, Blick nach vorn". Ferner sollte eine Wartezeit von mindestens 30 Sekunden eingehalten werden.
Die Klägerin machte geltend, vor der Rutschbahn einige Zeit gewartet zu haben, die sie für 30 Sekunden gehalten habe. Nach der dritten Kurve habe sie ein dickeres Mädchen gesehen, das in der Rutsche festgehangen habe. In der unteren Hälfte sei es zu einer Verkeilung gekommen. Sie habe ausweichen wollen, sei jedoch mit ihrem Gesicht gegen die Rutschwand und das dickere Mädchen gestoßen. Nach dem Zusammenstoß habe sie starke Schmerzen verspürt und aus dem Mund geblutet. Ein Schneidezahn sei ganz ausgeschlagen worden und nicht mehr zu retten gewesen. Der andere Zahn sei zur Hälfte ausgeschlagen worden. Der Zahnarzt habe versucht, den halben Zahn noch durch eine Krone zu retten. Insgesamt habe sie ca. sechsmal behandelt werden müssen. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Insbesondere Kindern falle es schwer, die Wartezeit richtig einzuschätzen. Die Beklagte habe es verabsäumt, entweder im Startbereich eine Vorrichtung (Ampelzeituhr o. ä.) zu installieren, anhand derer der Ablauf der Vorgabezeit zu kontrollieren sei, oder die Rutsche mit einer Videoanlage auszustatten, die dem Benutzer die Prüfung ermögliche, ob der Vorausrutschende das Ende der Wasserrutsche erreicht habe, bzw. die Rutsche frei sei. Solche besseren Sicherheitsvorkehrungen, wie z. B. Ampelzeituhren, würden heute zum Stand der Technik gehören.
Gründe
Das Landgericht Stade hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte haftet nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.
Die Beklagte hat der Allgemeinheit eine öffentliche Freizeiteinrichtung, hier ein Freibad, zur Verfügung gestellt. Daher hat sie die Benutzer vor den Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Dem Betreiber eines Freibades obliegt neben seiner Verpflichtung zur Erfüllung der von den Besuchern abgeschlossenen Benutzungsverträge auch die deliktische (Garanten-)Pflicht, dafür zu sorgen, dass keiner der Besucher beim Badebetrieb durch solche Risiken zu Schaden kommt. Das einzuhaltende Ausmaß der Sicherheitsvorkehrungen hat sich dabei nach dem jeweiligen Benutzerkreis zu richten; insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei Spiel- und Freizeitanlagen kindliche bzw. jugendliche Benutzer dazu neigen, sich im Spieleifer auch unbesonnen zu verhalten. Allerdings können keine Vorkehrungen gegen jede denkbare, nur entfernt liegende Möglichkeit einer Gefährdung verlangt werden. Bei größeren Wasserrutschen ist zumindest durch deutlich sichtbare Schilder, unterstützt durch entsprechende grafische Symbole, auf eine sachgemäße Benutzung hinzuweisen, insbesondere auf den einzuhaltenden Mindestabstand. Diese Hinweise sind hier erfolgt.
Die Rutsche weist jedoch ein nicht zu verkennendes Gefährdungspotenzial auf. Es besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass es zu erheblichen Verletzungen kommen kann, falls ein Benutzer den Rutschvorgang vorzeitig beginnt. Gerade Kindern können im Spieleifer Fehler bei der Schätzung von 30 Sekunden unterlaufen. Die Installation einer Ampelanlage, die nach 30 Sekunden die Rutsche durch Grünlicht wieder freige-ben würde, würde die Sicherheit weiter erhöhen. Wollte man eine solche Anlage fordern und zum Inhalt der Verkehrssicherungspflicht erheben, so würde aber die Kausalität einer Verkehrssicherungspflichtverletzung hinsichtlich des eingetretenen Schadens fehlen. Es ist schon nicht feststellbar, wie lange die Klägerin gewartet hatte, bis sie nach dem "dickeren Mädchen" in die Rutsche eingestiegen war. Es mag sein, dass dies 30 Sekunden gewesen sind. Eine Ampelanlage hätte die von der Klägerin geschilderte Kollision auch nicht verhindert. Das "dickere Mädchen" hat deshalb ein Hindernis gebildet, weil es sich dem Vorbringen der Klägerin unsachgemäß verhielt, denn es kann sich nur dann "verkeilt" haben, wenn es sich festgehalten hatte. Für daraus resultierende Folgen hat aber die Beklagte im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht einzustehen. Eine Videoanlage, die dem Benutzer aufgibt zu kontrollieren, ob der Vorausrutschende die Bahn tatsächlich verlassen hat, kann nach Auffassung der Kammer nicht verlangt werden. Nicht nur in Spitzenzeiten würden sich dann erhebliche Warteschlangen ergeben, eine zügige Benutzung wäre nicht mehr gewährleistet. Videoanlage oder Lichtschranke können auch dann keinen hinreichenden Schutz gewähren, wenn sich der Vorausrutschende unsachgemäß verhält oder etwa zwei Personen gleichzeitig eingestiegen sind. Der von den Benutzern regelmäßig geäußerte Wunsch, sich einigermaßen zügig auf die lange Rutschfahrt zu begeben, wäre so nicht zu erfüllen. Die Kammer meint zwar nicht, dass sich in dem vorliegenden Unfall das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hätte. Nur kann die Klägerin nicht die Beklagte unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz mit Schmerzensgeld in Anspruch nehmen.