Landgericht Stade
Urt. v. 25.09.2003, Az.: 4 O 159/03

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
25.09.2003
Aktenzeichen
4 O 159/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 39677
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:2003:0925.4O159.03.0A

Tatbestand:

1

Der Kläger nahm die Beklagte auf Leistung aus einem Pkw-Versicherungsvertrag nach einem Pkw-Diebstahl in Anspruch. Der Kläger schloss bei der Beklagten eine Fahrzeug-Vollversicherung über den Pkw Landrover Discovery TDI, amtl. KZ ... ab.

2

Am 29. Oktober 2002 führte der Kläger gemeinsam mit seinem Bruder Handwerksarbeiten in seinem noch unbezogenen Haus A.Straße in D. durch. Sein Schlüsselbund hatte er im Erdgeschoß des Hauses in der Küche abgelegt. Die Türen des Hauses waren geschlossen, während des Aufenthaltes der Klägerin wegen des häufigen Materialtransports aber unverschlossen. Der Kläger selbst hielt sich im Obergeschoß auf. Als der Kläger den Verlust des Schlüssels bemerkte, ging dieser zunächst davon aus, dass er den Schlüssel lediglich verlegt hatte. Gemeinsam mit seinem Bruder suchte er längere Zeit nach dem Schlüssel. Als die Suche erfolglos blieb, ließ er sich einen Ersatzschlüssel bringen und fuhr mit seinem Pkw zu seinem damaligen Wohnort.

3

Der versicherte Pkw wurde am 30. Oktober 2002 zwischen 7.00 und 15.30 Uhr in der N.Straße in S. vor dem Betriebsgelände des Arbeitgebers des Klägers entwendet, wobei der Kläger das Fahrzeug vor Arbeitsantritt ordnungsgemäß verschlossen hatte. Das Fahrzeug ist bislang nicht wieder aufgefunden worden. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden, das Ermittlungsverfahren ist inzwischen eingestellt.

4

Der Netto-Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs beträgt einschließlich Mehrwertsteuer 12.470, 00 EUR. Im Versicherungsvertrag ist für Schadensfälle, die den Regeln der Teilkasko unterliegen, eine Selbstbeteiligung i.H.v. 153, 00 EUR vereinbart.

5

Der Kläger war der Auffassung, er habe den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeigeführt. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass fremde Personen sich zum Zwecke des Diebstahls seiner Schlüssel in das Haus begeben. Zudem habe er nicht damit rechnen müssen, dass das Fahrzeug an einem Ort entwendet wird, der weit von dem Haus in D. entfernt liegt.

6

Die Beklagte meinte, dem Kläger sei grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe zu Recht den Versicherungsschutz verweigert. Insbesondere da - was zwischen den Parteien auch unstreitig ist - ca. eine Woche vor dem Verlust des Schlüssels abends eine unbekannte männliche Person in dem Haus aufgetaucht sei und danach gefragt habe, ob der Kläger eine Wohnung zu vermieten habe und zu einem weiteren Zeitpunkt der Nachbar des Klägers erschienen sei und angeboten habe, dass dieser Werkzeug von ihm ausleihen könne, sei der Kläger verpflichtet gewesen, die Türen verschlossen zu halten. Er habe Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen, nachdem er den Verlust des Schlüssels bemerkt habe und sich nicht darauf beschränken dürfen, sich den Reserveschlüssel zu besorgen. Hinzukomme, dass derer Fahrzeugschein mit den persönlichen Daten im Handschuhfach gelegen habe, was zwischen den Parteien im Übrigen unstreitig ist. Jedenfalls aufgrund einer Gesamtschau dieser Umstände sei dem Kläger grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Gründe

7

Das Landgericht Stade hat den Versicherer zur Leistung von 12.317,00 € verurteilt und zur Begründung ausgeführt:

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Dem Kläger steht wegen des Diebstahls seines Fahrzeugs am 30. Oktober 2002 ein Anspruch auf Versicherungsleistung aus der zwischen den Parteien geschlossenen Pkw-Vollkaskoversicherung zu.

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Die Voraussetzungen für eine Regulierung des Schadensfalles liegen vor. Der versicherte Pkw ist unstreitig am 30. Oktober 2002 entwendet worden. Die Beklagte ist nicht gem. § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger leistungsfrei geworden.

10

Der Kläger hat den Versicherungsfall nach Auffassung des Gerichts nicht grob fahrlässig herbeigeführt. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit setzt voraus, dass in objektiver Hinsicht das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich überschritten wird und auch in subjektiver Sicht ein unentschuldbares Fehlverhalten vorliegt, das erheblich über das übliche Maß hinausgeht. Grobe Fahrlässigkeit ist regelmäßig dann gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, mithin bereits einfachste und naheliegendste Überlegungen nicht getätigt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedem hätten einleuchten müssen (vgl. BGH Z 10, 14; VersR 1972, 877; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Dezember 2001, Az. 4 U 141/01). Dem Kläger ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen.

11

Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Kläger den Diebstahl seines Fahrzeugs hätte vermeiden können. Es steht fest, dass der Diebstahl des Schlüssels zur Entwendung des Fahrzeugs geführt hat und nicht zwei unabhängig voneinander abgelaufene Taten vorliegen. Angesichts des Umstandes, dass das Fahrzeug kurze Zeit nach dem Verlust des Schlüssels entwendet wurde bestehen daran keine durchgreifenden Zweifel. Das Fahrzeug hätte daher nicht entwendet werden können, wenn der Kläger sein Schlüsselbund bei sich getragen hätte oder aber die Türen des Hauses stets abgeschlossen hätte bzw. später geeignete Sicherungsmaßnahmen ergriffen hätte. Es bestand insofern eine erhöhte Diebstahlsgefahr.

12

Zu den von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres zu erwartenden Sicherungsvorkehrungen gegen einen Diebstahl seines Fahrzeuges gehört es, die Fahrzeugschlüssel so aufzubewahren, dass sie vor dem unbefugten Zugriff beliebiger Dritter geschützt sind (vgl. auch OLG Hamm, VersR 1994, 1463). Der Kläger hat derlei Maßnahmen nicht ergriffen. Er hat weder den Fahrzeugschlüssel bei sich getragen oder beaufsichtigt, noch die Türen des Hauses verschlossen, so dass ihm Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Einen Sorgfaltsverstoß in einem besonders hohen Maße vermag das Gericht indessen weder im Hinblick auf einzelne Fehlhandlungen, noch im Rahmen einer Gesamtschau des Verhaltens zu erkennen. Der Kläger hat sich so verhalten, wie dies eine Vielzahl von Versicherungsnehmern tun. Er bewahrte den Schlüssel in seinen eigenen umschlossenen Räumen auf. Das Ablegen des Schlüsselbundes bei Betreten des Hauses ist ein Verhalten, dass von einer Vielzahl von Versicherungsnehmern praktiziert wird. Ob sich die Schlüssel in einer Ledertasche befanden oder offen in der Küche lagen, kann dabei offen bleiben. Jedenfalls befand sich das Schlüsselbund in einem für Fremde nicht bestimmten Bereich. Die Zugangstüren zu dem Haus waren geschlossen, wenn auch nicht verschlossen. Es bestand für Dritte daher jedenfalls eine psychologische Zugangssperre. Das Schlüsselbund ist auch nicht allein in den Räumlichkeiten verblieben, sondern der Kläger hat sich ebenfalls in dem Haus, einige Meter entfernt im Obergeschoß aufgehalten. Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass er seit dem Einparken seines Fahrzeugs oder kurze Zeit später beobachtet worden war bzw. sich unbefugt Personen in das Haus begeben. Dies umso mehr, als das Haus noch unbewohnt war und insofern - mit Ausnahme des Schlüssels oder ggf. eines Portemonnaies - keine Wertgegenstände vorhanden waren. Die besondere Gefährlichkeit musste ihm nicht ohne weiteres einleuchten. Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass er ausspioniert wurde. Anlass hierfür hätten lediglich die unangemeldeten Besucher in dem Zeitraum vor der Tat sein können. Da es sich jedoch einerseits um den zukünftigen Nachbarn handelte und auch die weitere Person angesichts des leerstehenden Hauses kein ungewöhnliches Anliegen vortrug, musste der Kläger aufgrund dieser Vorkommnisse nicht damit rechnen, dass eine erhöhte Diebstahlsgefahr vorlag. Gerade weil sich der Kläger im Haus aufhielt, konnte er davon ausgehen, dass Fremde nicht unbemerkt die Küche betreten würden, zumal der Täter damit rechnen musste, dass der Kläger sich - beispielsweise, um weiteres Werkzeug oder Baumaterial zu holen - jederzeit in das Erdgeschoß begeben konnte oder aber er von Nachbarn beim Betreten des Hauses beobachtet wird. Dass der Schlüsselbund bereits von der Straße aus sichtbar war, ist im Übrigen nicht dargetan und angesichts der Größe eines Schlüsselbundes auch fernliegend.

13

Dem Kläger ist auch nicht deshalb eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil er nach dem Verlust des Schlüssels keine geeigneten Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat. Dem Kläger war - anders als in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt (VersR 1992, 817 f.) zu entscheidenden Fall - nicht bewusst, dass der Schlüssel gestohlen worden war. Er ist vielmehr davon ausgegangen, den Schlüssel bloß verlegt zu haben. Dieser Gedanke war auch durchaus naheliegend, nachdem das Handy, welches der Kläger ebenfalls in der Küche zurückgelassen hatte, nicht entwendet worden war. Zudem hatte sich in dem noch unbewohnten Haus gerade noch kein fester Platz für das Schlüsselbund etabliert. Ein Schlossaustausch ist zwar regelmäßig geboten, wenn ein Finder bzw. Dieb den Schlüssel konkret einem Fahrzeug zuordnen kann (vgl. dazu LG Magdeburg, Urteil vom 5. März 2002, Az 2 S 736/01). Das der Kläger mit dem Austausch des Schlosses noch zuwarten wollte, ist nach Auffassung des Gerichts insofern fahrlässig, zumal er - nachdem die Schlüsselsuche erfolglos geblieben war - durchaus damit rechnen musste, dass dieser gestohlen worden war. Schlechthin unentschuldbar ist dieses Verhalten gerade auch im subjektiven Bereich vorliegend aber nicht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger das Fahrzeug mit dem Reserveschlüssel an einen anderen Ort verbracht hat. Das Fahrzeug ist auch nicht vor dem noch unbewohnten Haus oder vor seiner damaligen Wohnung, sondern in geraumer Entfernung vor dem Betriebsgelände des Arbeitsgebers gestohlen worden. Das dort eine rasche Zuordnung möglich war oder aber der Täter ihm seit dem Diebstahl des Schlüssels folgte und ihn auch am nächsten Morgen auf seinem Arbeitsweg beobachtete, damit musste der Kläger nicht ohne weiteres rechnen.

14

Auch das Zurücklassen eines Kfz-Scheines im Fahrzeug genügt nicht, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu begründen (vgl. auch BGH RuS 1995, 288; OLG Düsseldorf VersR 1997, 304; OLG Hamm RuS 1996, 295; OLG Köln VersR 1983, 847). Dieser Umstand war nicht kausal für die Entwendung des Fahrzeugs und hat den Diebstahl in keiner Weise erleichtert. Da der Fahrzeugschein von außen nicht sichtbar im Handschuhfach verwahrt wurde, konnte der Täter auch nicht wissen, ob er diese Papiere im Wagen vorfinden würde.

15

Schließlich ist das Verhalten des Klägers auch nicht in seiner Gesamtheit geeignet, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu begründen. Zwar können einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen grundsätzlich auch im Rahmen einer Gesamtschau die Annahme einer groben Fahrlässigkeit rechtfertigen (vgl. nur Prölss/ Martin, § 61 VVG, Rn. 15). Vorliegend kommt aber auch unter Berücksichtigung aller Umstände die Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht in Betracht. Auf die obigen Ausführungen wird zunächst Bezug genommen. Die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls erfordert zudem ein Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass sein Verhalten den Eintritt des Versicherungsfalls zu fördern geeignet war. Daran fehlt es hier, denn der Kläger ging gerade davon aus, dass er den Schlüssel lediglich verlegt hatte.

16

Die Beklagte ist demzufolge verpflichtet, den durch den Diebstahl entstandenen Schaden zu regulieren. Die Schadenshöhe hat die Beklagte nicht bestritten, so dass von einem Wiederbeschaffungswert i.H.v. insgesamt 12.470, 00 EUR auszugehen ist. Da der Schaden den Regeln der Teil-Kaskoversicherung unterliegt, ist eine Selbstbeteiligung i.H.v. 153, 00 EUR in Abzug zu bringen. Der Kläger kann aufgrund des Schadensfalles vom 30. Oktober 2002 mithin eine Versicherungsleistung in Höhe von 12.317, 00 EUR beanspruchen.