Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.12.2020, Az.: 14 U 92/20

Europarechtskonformität von HOAI-Verträgen; Verbindlichkeit des Preisrahmens der HOAI; Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie in Übergangsfällen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.12.2020
Aktenzeichen
14 U 92/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 51784
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2020:1209.14U92.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 3 O 18/19

Fundstellen

  • BauR 2021, 581-589
  • IBR 2021, 82
  • IBR 2021, 83
  • NJW-Spezial 2021, 46
  • ZfBR 2021, 409-414

Amtlicher Leitsatz

Ein Verstoß der HOAI gegen die Niederlassungs- und/oder Dienstleistungsfreiheit ist bei innerstaatlichen Sachverhalten von den nationalen Gerichten grundsätzlich nicht zu prüfen.

Im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung findet der verbindliche Preisrahmen der HOAI 2009 und 2013 keine Anwendung.

  1. 1.

    Die Dienstleistungsrichtlinie findet keine Anwendung auf Vertragsverhältnisse, die während der Umsetzungsfrist der Richtlinie gem. Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt vor dem 28. Dezember 2009 entstanden sind. Das Urteil des europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 - C-377/17 - betrifft daher grundsätzlich keine Sachverhalte, auf die die HOAI 1996/2002 Anwendung findet.

  2. 2.

    Ein der HOAI 1996/2002 unterfallender rein innerstaatlicher Sachverhalt ist grundsätzlich nicht gem. Art. 49 AEUV (ehemals Art. 43 EGV - Niederlassungsfreiheit) und auch nicht gem. Art. 56 AEUV (ex-Artikel 49 EGV - Dienstleistungsfreiheit) auf seine diesbezügliche Vereinbarkeit mit europäischem Recht zu überprüfen (entgegen OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.01.2020 - 21 U 21/19).

  3. 3.

    Mit der auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 - C-377/17 - in die Wege geleiteten Änderung des ArchLG und der HOAI (Entfall der Mindest- und Höchstsätze) hat der Gesetz-/Verordnungsgeber gezeigt, welche Regelung er getroffen hätte, wenn er erkannt hätte, dass die Mindestsätze der HOAI 2009 und 2013 gegen höherrangiges EU-Recht verstoßen. Zusammen mit der vom EuGH positiv festgestellten Europarechtswidrigkeit liegt somit eine für eine teleologische Reduktion erforderliche planwidrige Regelungslücke vor.

  4. 4.

    Im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung findet der verbindliche Preisrahmen der HOAI 2009 und 2013 auch "zwischen Privaten" keine Anwendung (entgegen BGH, Beschl. v. 14.05.2020 - VII ZR 174/19; OLG Dresden, Beschl. v. 30.01.2020 - 10 U 1402/17; OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2019 - I-21 U 24/18).

Gründe

I.

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass sich nach vorläufiger rechtlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage diese wie folgt darstellt:

1. Der Senat ist gegenwärtig der Ansicht, dass der Vertrag vom 21.09.2008, entgegen den Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil, nicht gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden: EuGH) vom 04.07.2019 (Az.: C-377/17) wird für nicht einschlägig erachtet. Es dürfte weiterhin die HOAI 1996 mit ihren Mindestsätzen gelten und die Pauschalhonorarvereinbarung wegen Unterschreitung der Mindestsätze unwirksam sein.

Auf Grundlage des Art. 5 des Euro-Einführungsgesetzes erfolgte zum 01.01.2002 die Währungsumstellung der HOAI auf EUR, eine Novelle war damit nicht verbunden (BR-Drs. 56/01). Deshalb wird im Folgenden nur von der HOAI 1996 gesprochen.

a) Richtlinien enthalten finale Vorgaben für die Mitgliedstaaten, die diese durch Akte der Umsetzung zu realisieren haben. Sie enthalten eine Umsetzungsfrist. Vor Ablauf dieser Frist entfaltet eine Richtlinie bereits insofern Rechtswirkungen, als die Mitgliedstaaten Rechtshandlungen zu unterlassen haben, die den angestrebten Erfolg vereiteln können. Diese sog. Vor- oder Sperrwirkung leitete der EuGH für Richtlinien aus Art. 249 Abs. 3 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 EGV ab (jetzt Art. 288 Abs. 3 AEUV, Art. 4 Abs. 3 EUV) (Calliess/Ruffert/Ruffert, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 23). Dies ergibt sich für die Dienstleistungsrichtlinie aus Art. 15 Abs. 6. Die Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich bis zum Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Frist mit deren Umsetzung warten (Streinz/W. Schroeder, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 68).

Der streitgegenständliche Fall (Vertragsschluss vom 21.09.2008) spielt sich zwischen dem Erlass der Richtlinie (12.12.2006) und dem Ablauf der Umsetzungsfrist (28.12.2009) ab. Gründe, der Dienstleistungsrichtlinie hier bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist Rechtswirkungen zukommen zu lassen, sind unter Zugrundelegung der Ausführungen im Absatz zuvor nicht ersichtlich. Die HOAI 1996 wurde bereits vor der Dienstleistungsrichtlinie erlassen, sodass es sich gerade nicht um eine Maßnahme handelt, die die Umsetzung der Richtlinie zwischen Erlass und Umsetzungsfrist vereiteln könnte.

Es handelt sich hier also um den Regelfall, dass eine Richtlinie vor Fristablauf keine unmittelbare Wirkung entfaltet (EuGH, Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629, Rn. 43 f., Ratti; GA Jacobs, Schlußantr. zu EuGH, Rs. C-156/91, Slg. 1992, I-5567, Ziff. 18 ff., Hansa Fleisch Ernst Mundt; Rs. C-316/93, Slg. 1994, I-763, Rn. 16 ff., Vaneetveld).

Auch wenn die Dienstleistungsrichtlinie nach Fristablauf unmittelbare Wirkung entfaltet, ist dies für den streitgegenständlichen Fall irrelevant. Ein Verstoß käme nur in Betracht, wenn die Dienstleistungsrichtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist rückwirken würde auf Sachverhalte, die sich vor der Umsetzungsfrist ereignet haben. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat der Dienstleistungsrichtlinie keine rückwirkende Kraft beigelegt. In Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie heißt es vielmehr, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis spätestens ab dem 28. Dezember 2009 nachzukommen. Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV wird dabei den Mitgliedsstaaten die Wahl der Form und Mittel zu ihrer Umsetzung überlassen. Seitens der Bundesrepublik Deutschland ist am 17.08.2009 die HOAI 2009 in Kraft getreten und damit vor der Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie. Gemäß § 56 HOAI 2009 tritt mit dem Inkrafttreten der HOAI 2009 gleichzeitig die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. März 1991 (BGBl. I S. 533), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. November 2001 (BGBl. I S. 2992) geändert worden ist, außer Kraft. In § 55 HOAI 2009 heißt es, dass die Verordnung nicht für Leistungen gilt, die vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden; insoweit bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar.

Die während der HOAI 1996 entstandenen Sachverhalte fallen somit grundsätzlich nicht unter die Dienstleistungsrichtlinie und die HOAI 2009. Das Problem der Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsrichtlinie stellt sich daher erst mit der HOAI 2009.

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der richtlinienkonformen Auslegung. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beginnt ebenfalls mit Ablauf der Umsetzungsfrist, nicht schon mit Erlass der Richtlinienbestimmung (Calliess/Ruffert/Ruffert, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 80).

Da der Vertrag vor Ablauf der Umsetzungsfrist geschlossen worden ist, findet hier daher auch keine richtlinienkonforme Auslegung der HOAI 1996 anhand der Dienstleistungsrichtlinie statt.

c) Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV (ehemals Art. 43 EGV) oder die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV (ex-Artikel 49 EGV) liegt ebenfalls nicht vor. Der jeweilige Schutzbereich ist nicht beeinträchtigt/eröffnet.

Es handelt sich hier um einen ausschließlich innerstaatlichen Sachverhalt. Vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sind aber nur grenzüberschreitende Fälle innerhalb des Binnenmarkts erfasst (Müller-Graff in: Streinz EUV/AEUV, 3. Auflage, 2018, Art. 49 Rn. 20). Ein interner Sachverhalt ist gegeben, wenn kein beachtlicher grenzüberschreitender Aspekt besteht (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, 71. EL August 2020, AEUV Art. 45 Rn. 54). Dabei ist aber weiterhin auf den konkreten Fall abzustellen. Gleiches gilt für die Dienstleistungsfreiheit (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Randelzhofer/Forsthoff, 71. EL August 2020, AEUV Art. 56, Art. 57 Rn. 49).

Die von dem Oberlandesgericht Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 28.01.2020 (Az.: 21 U 21/19, Rn. 79) zitierten Entscheidungen des EuGH besagen nichts anderes. Es genügt nicht die bloße abstrakte Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Bezugs.

aa) In dem "Pistre" Urteil des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 07.05.1997, Az.: C-321/94 - C-324/94) geht es um die Verwendung der Herkunftsangabe "montagne" (Gebirge) in Frankreich. Die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnisse werden benachteiligt, da die nationale Regelung die Verwendung der Bezeichnung "montagne" den im Inland hergestellten Erzeugnissen vorbehält. Eine Einfuhr unter der allgemeinen Bezeichnung war schlicht unmöglich und damit ein Verstoß gegen Art. 28 EGV (ex-Art. 30) evident. Darüber hinaus hat die Bezeichnung "montagne" einen derart allgemeinen Charakter, der über die nationalen Grenzen hinausgeht.

bb) Im Fall "Oosthoek´s Uitgeversmaatschappij" (Urt. v. 15.12.1982, Az.: C-286/81) ist der grenzüberschreitende Sachverhalt deshalb gegeben, da das Unternehmen Oosthök in den Niederlanden, Belgien und in einem kleinen Teil von Nordfrankreich verschiedene Nachschlagewerke vertreibt, die von ihr in den Niederlanden und von einem Schwesterunternehmen in Belgien hergestellt werden. Den Subskribenten eines Nachschlagewerks wurden Zugaben angeboten, was mit den belgischen, nicht aber den niederländischen Rechtsvorschriften vereinbar war.

cc)

Bei der Entscheidung Blanco Pérez und Chao Gómez (Urt. v. 01.06.2010, Az. C-570/07 und C-571/07) ist die Frage der Anwendbarkeit des Art. 49 AEUV von der Frage der Zuständigkeit des EuGH, einem vorlegenden nationalen Gericht eine Antwort auf Fragen zu den Grundfreiheiten selbst bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt zu geben, zu unterscheiden (vgl. auch Streinz/Müller-Graff, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 49 Rn. 20, Fn. 80, und insbesondere EuGH Urt. v. 15.11.2016 "Fernand Ullens de Schooten", Az.: C-268/15). Der EuGH führt in der Entscheidung Blanco Pérez und Chao Gómez unter Rn. 39 aus:

"Es steht zwar fest, dass die Kläger der Ausgangsverfahren spanische Staatsangehörige sind und dass sämtliche Elemente der Ausgangsrechtsstreitigkeiten innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats liegen. Dennoch kann die Antwort des Gerichtshofs, wie aus der Rechtsprechung hervorgeht, dem vorlegenden Gericht auch unter derartigen Umständen von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreiben sollte, dass einem spanischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zustehen, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats als des Königreichs Spanien in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (vgl. insbesondere Urteile vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C-451/03, Slg. 2006, I-2941, Randnr. 29, und Cipolla u. a., Randnr. 30)."

dd) Gleiches gilt für die von dem OLG Düsseldorf zitierte Entscheidung des EuGH vom 05.12.2013 (Az.: C-159/12 bis C-161/12 "Venturini"). Dort wird ebenfalls auf die zuvor zitierte Passage der Entscheidung Blanco Pérez und Chao Gómez verwiesen.

ee) Da es sich um einen originär grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt, setzt sich der EuGH mit den Voraussetzungen einer Vorabentscheidung in seinen Entscheidungen "Pistre" und "Oosthoek´s Uitgeversmaatschappij" nicht auseinander.

ff) Es ist somit zwischen einem originär grenzüberschreitenden Sachverhalt und der Entscheidung aufgrund einer Vorlage gemäß § 267 AEUV zu unterscheiden.

Im Rahmen einer Vorabentscheidung setzt sich der EuGH auch losgelöst von dem konkreten nationalen Fall mit einer etwaigen Europarechtswidrigkeit auseinander.

Es ist grundsätzlich "allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen". So hat der Gerichtshof Auslegungsfragen betreffend die Grundfreiheiten auch ohne grenzüberschreitende Bezüge beantwortet, da das innerstaatliche Recht nach den Grundsätzen der Inländerdiskriminierung eine Gleichstellung rein interner Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Sachverhalten verlangen könne (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 71. EL August 2020, AEUV Art. 267 Rn. 25, 26).

Der EuGH führt in der Entscheidung Fernand Ullens de Schooten (BeckRS 2016, 82680 Rn. 51 beck-online) dann auch aus:

"[D]er Gerichtshof [hat] ausgeführt, dass dann, wenn das vorlegende Gericht ihn im Rahmen eines Verfahrens zur Nichtigerklärung von Bestimmungen anruft, die nicht nur für Inländer, sondern auch für die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Geltung haben, die Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Anschluss an das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs treffen wird, auch in Bezug auf die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Wirkungen entfalten wird, was es rechtfertigt, dass er die ihm im Zusammenhang mit den die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des Vertrags gestellten Fragen trotz des Umstands beantwortet, dass die Merkmale des Ausgangsrechtsstreits sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen [...].

Nur für den Fall, dass eine irgendwie geartete grenzüberschreitende Bedeutung nicht vorliegt, wird das Vorabentscheidungsersuchen zurückgewiesen beziehungsweise ist der EuGH hierfür nicht zuständig (EuGH, Urt. v. 13.02.2014, Az.: C-419/12 und C-420/12).

Daraus ergibt sich, dass ein rein innerstaatlicher Sachverhalt von den nationalen Gerichten nicht entgegen dem Wortlaut des Art. 49 AEUV (ex-Artikel 43 EGV) oder des Art. 56 AEUV (ex-Artikel 49 EGV) stets auf seine Vereinbarkeit mit europäischem Recht zu überprüfen ist.

d) Dies hat zur Folge, dass das in dem Architektenvertrag vereinbarte Pauschalhonorar wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 2 HOAI 1996 unwirksam ist. Mit der Vereinbarung werden die jeweiligen Mindestsätze nach der HOAI unterschritten, ohne dass nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ein dies rechtfertigender Ausnahmefall ersichtlich ist oder die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung ein Architekt nach Treu und Glauben an eine unwirksame Honorarvereinbarung gebunden sein kann.

Hierzu führte der Senat in seiner zum hiesigen Sachverhalt ergangenen Entscheidung vom 25.09.2013 (14 U 39/13) aus:

"Für das Bauvorhaben O. errechnen sich nach Mindestsätzen der (auch hier unstreitigen) Honorarzone III für die Leistungsphasen 1 - 4 gem. §§ 16 Abs. 1, 65 Abs. 1 HOAI 1996 allein für die Objekt- und Tragwerksplanung 87.591,73 € netto, was ebenfalls den vereinbarten Pauschalpreis von 80.000 € netto (einschließlich Wärme- und Schallschutz) übersteigt. Dabei ist der Senat entsprechend den von der Beklagten vorgelegten Plänen (Anlage B 5, Bl. 243 ff. d. A.) und der Darstellung in der Klagerwiderung (Seite 7, 2. Satz des 3. Absatzes - Bl. 153 d. A.) von sechs gleichartigen Baukörpern ausgegangen und hat pro Baukörper anrechenbare Kosten für die Gebäudeplanung von 700.000 € und für die Tragwerksplanung von 200.000 € zugrunde gelegt. Das ist jeweils weniger, als die Beklagte ihrerseits für das nach ihrem Vorbringen im Wesentlichen baugleiche Bauvorhaben A. zugestanden hat. Ferner hat der Senat entsprechend der Rechtsauffassung der Beklagten für das 2. bis 6. Gebäude gem. § 22

Abs. 2 HOAI 1996 die jeweiligen Nettohonorare auf 50 % gekürzt."

An diesen Ausführungen hält der Senat nach kritischer Prüfung an. Aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. J. R. vom 19.07.2019 ergeben sich sogar noch höhere anrechenbare Kosten (dazu weiter unten).

e) Mit Schriftsatz vom 07.02.2017 hat die Beklagte noch vorgetragen, dass der Vertrag ungekündigt fortbestehe. Die von der Klägerin geltend gemachten Leistungen dürften davor erbracht worden sein. Die Parteien haben nunmehr in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2020 übereinstimmend erklärt, dass sie an einer Erfüllung des Vertrages kein Interesse mehr haben. Das Vertragsverhältnis hat sich somit in ein Abrechnungsverhältnis umgewandelt. Auf die Abnahme kommt es für die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs daher nicht mehr an. Bei der vorzunehmenden Abrechnung sind die Vergütungen des Auftragnehmers und die Schadensersatzansprüche des Auftraggebers endgültig abzurechnen.

Die Klägerin hat klargestellt, welche Rechnungen ihrem Klagebegehren nunmehr zugrunde liegen, nämlich die Teilschluss- und die Schlussrechnung vom 30.10.2019. Die Teilschlussrechnung umfasst die Leistungsphasen 1 und 2 (Gesamtkomplex) und die Schlussrechnung auch die Leistungsphase 3 (Apotheke).

Die Abschlagszahlung in Höhe von 5.950,00 EUR ist in diesen Rechnungen berücksichtigt worden. Die weiteren Zahlungen der Beklagten betreffen das Bauvorhaben A. (2.380,00 EUR) und - nach dem Vortrag der Klägerin - die Bauvoranfrage (10.500,00 EUR).

Diesen Rechnungen liegen die Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. J. R. zugrunde. Die Beklagte hat die Mengen- und Masseangaben aus dem Gutachten bestritten. Der Sachverständige führt aus, dass er das Honorar nach rein statistischen Werten ermittelt habe. Es handele sich aber nicht um das Honorar, was tatsächlich von der Klägerin zu fordern sei.

Hier besteht derzeit weiterer Aufklärungsbedarf. Gegebenenfalls ist ein weiteres Gutachten einzuholen oder der Sachverständige R. ergänzend zu befragen.

Wegen der Vergütung für die Leistungsphase 3 des Blocks 1 wäre zu prüfen, ob der Beklagten im Hinblick auf die geltend gemachten Planungsmängel ein Schadensersatz- oder ein Minderungsanspruch zusteht. Momentan fehlt hierzu substantiierter Vortrag, ein etwaiger Anspruch ist bisher nicht beziffert worden. Hier ist unter Umständen ebenfalls ein Sachverständigengutachten einzuholen.

2. Für den Vertrag vom 26.02.2010 gilt die HOAI 2009. Der Vertrag ist zudem nach der Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie geschlossen worden. Insofern hat hier der EuGH mit Urteil vom 4.7.2019 (MDR 2019, 1124) festgestellt, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen die Niederlassungsfreiheit und damit gegen EU-Recht verstoßen.

Uneinigkeit besteht darüber, ob nunmehr der verbindliche Preisrahmen des § 7 Abs. 1 HOAI insbesondere bei sog. "Aufstockungklagen" durch nationale Gerichte unangewendet bleiben oder ob zunächst der Gesetz- und Verordnungsgeber tätig werden muss, um die HOAI und ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage an das EuGH-Urteil anzupassen.

a) Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass es bei der vertraglichen, außerhalb des Preisrahmens liegenden Vergütungsvereinbarung der Parteien verbleibt. Dies jeweils mit unterschiedlicher Begründung (KG Urt. v. 13.9.2019, Az.: 7 U 87/18; OLG Schleswig Urt. v. 25.10.2019, Az.: 1 U 74/18; OLG München, Beschl. v. 7.7.2020, Az.: 9 U 2001/19 Bau; OLG Düsseldorf Urt. v. 28.1.2020, Az.: 21 U 21/19; Urt. v. 17.9.2019, Az.: 23 U 155/18; OLG Celle, Urt. v. 13.5.2020, Az.: 14 U 71/19; Urt. v. 8.1.2020, Az.: 14 U 96/19; Urt. v.14.8.2019, Az.: 14 U 198/18; Urt. v. 23.7.2019, Az.: 14 U 182/18; Urt. v. 17.7.2019, Az.: 14 U 188/18; LG München I Beschl. v. 31.1.2020, Az.: 8 O 1866/13; Fuchs BauR 2020, 348; Fuchs/van der Hout/Opitz NZBau 2019, 483, 486; Sienz BauR 2020, 1069, 1070; Wessel MDR 2019, 1349, 1354; Orlowski NJW 2019, 2505, 2506; Ehlers JZ 2019, 889, 892; Bitzer/Wittig NZBau 2019, 683; Steeger IBR 2019, 1144; Oriwol/Honer NVwZ 2019, 1123, 1125; Thode jurisPR-PrivBauR 11/2019 Anm. 1; Schwenker jurisPR-PrivBauR 10/2019, Anm. 1; Lederer jurisPR-PrivBauR 8/2019, Anm. 1).

aa) Der Senat ist weiterhin der Auffassung, dass die in der HOAI geregelte Mindestsatzfiktion gem. § 7 Abs. 5 HOAI gegen Art. 15 der RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden Dienstleistungs-RL) verstößt und in der Folge von den nationalstaatlichen Gerichten nicht mehr anzuwenden ist. Es wird vollumfänglich auf die Begründung der Entscheidung des Senats vom 08.01.2020 (Az.: 14 U 96/19, ergangen zur HOAI 2013, gilt ebenfalls für die HOAI 2009) verwiesen.

bb) Das OLG München führt unter Verweis auf die Entscheidung des Senats vom 08.01.2020 zusätzlich aus, dass das Aufstockungsverlangen, soweit man die HOAI bis auf weiteres als wirksam ansehe, treuwidrig sei, da eine klare Pflichtverletzung der Bundesrepublik Deutschland ausgenutzt werde, um den Anspruch zu begründen. Die Berufung auf eine irreparabel europarechtswidrige Anspruchsgrundlage erscheine treuwidrig (OLG München, Beschl. v. 07.07.2020, Az.: 9 U 2001/19 Bau).

cc) Das Landgericht München I hat hierzu im Beschluss vom 31.01.2020 (Az.: 8 O 1866/13) ausgeführt, dass entgegen der Ansicht des OLG Hamm durch das Außerachtlassen des § 7 Abs. 3 HOAI auch nicht in das horizontale Verhältnis zwischen Privaten eingegriffen werde. Das Gegenteil sei der Fall: Das Gericht würde durch Anwendung der Mindestsätze der HOAI in die zwischen den Parteien individuell vereinbarten Preise eingreifen. Nicht die Dienstleistungsrichtlinie bestimme hier das materielle Recht, sondern die Parteivereinbarung. Demjenigen, der sich bislang auf die Mindestpreise der HOAI berufen konnte, werde durch die Nichtanwendung der Mindestsätze keine subjektive Rechtsposition genommen. Es gelte weiterhin das vereinbarte Pauschalhonorar.

b) Andererseits wird mit unterschiedlicher Begründung die Auffassung vertreten, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber erst tätig werden müsse und daher für den Übergangszeitraum für den Vergütungsanspruch der verbindliche Preisrahmen aus § 7 Abs. 1 HOAI weitergelte (BGH Beschl. v. 14.5.2020, Az.: VII ZR 174/19; KG, Urt. v. 12.5.2020, Az.: 21 U 125/19; Urt. v. 27.8.2019, Az.: 21 U 160/18; OLG Dresden Beschl. v. 30.1.2020, Az.: 10 U 1402/17; OLG München Beschl. v. 8.10.2019, Az.: 20 U 94/19; OLG Hamm Urt. v. 23.7.2019, Az.: 21 U 24/18; OLG Naumburg Urt. v. 13.4.2017, Az.: 1 U 48/11; Koeble in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, 11. Teil Rn. 249h; Koeble in LKF Einl. Rn. 43; Tschäpe ZfBR 2020, 10, 12; Pfeiffer IBR 2019, 1145; Meurer IBR 2019, 1143; Kottmann NJW 2019, 3025, 3027; Sturmberg BauR 2019, 1505, 1511; Gundel BauR 2020, 23, 30).

aa) Das Oberlandesgericht Dresden führt hierzu in seinem Beschluss vom 30.01.2020 (Az.: 10 U 1402/17) aus, dass die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels durch gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung ihre Grenzen in dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten finde und nicht einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen dürfe. Im Fall eines Widerspruchs sei nicht der Wille des Verordnungsgebers, sondern der Wille des Gesetzgebers der Ermächtigungsgrundlage maßgeblich.

Die Richtlinie 2006/123/EG entfalte auch keine unmittelbare horizontale Direktwirkung. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV bedürfe sie der Umsetzung durch den Mitgliedstaat und begründe selbst keine unmittelbaren Verpflichtungen für den Einzelnen. Zwar solle es einem Mitgliedstaat, der eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, nicht gestattet sein, sich in einem Rechtsstreit auf das eigene Versäumnis, also das nicht angepasste nationale Recht gegenüber dem Bürger zu berufen. Dies führe jedoch nicht dazu, dass sich Private, die nicht zum Staat und seinen Untergliederungen gehören, sich das Umsetzungsdefizit zurechnen lassen müssten, mit der Folge, dass die Richtlinie unmittelbar anzuwenden wäre.

bb) Das Kammergericht führt in dem Urteil vom 12.05.2020 (Az.: 21 U 125/19) aus, dass es für die Frage, ob vertikale oder horizontale unmittelbare Geltung der Richtlinie in Rede stehe, auf die Qualifikation der Parteien des Streits (privat oder staatlich) ankomme und nicht auf die Qualifikation des Rechtsanwenders (staatliches Gericht oder Schiedsgericht). Sähe man dies anders, gäbe es die Frage der horizontalen Direktwirkung von EU-Richtlinien praktisch nicht. Denn solange keine Schiedsvereinbarung getroffen sei, seien es auch in einem "horizontalen" Rechtsstreit zwischen Privaten am Ende immer die staatlichen Gerichte, die über die direkte Anwendung einer europäischen Richtlinie zu befinden haben.

Setze eine Richtlinie europäisches Primärrecht um, dessen Schutzbereich nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfasse, nehme die Richtlinie am Anwendungsvorrang des Primärrechts nur insoweit teil, wie sie solche grenzüberschreitenden Sachverhalte regelt. Zwar regele die Dienstleistungsrichtlinie keineswegs nur grenzüberschreitende Fälle, die Regelung von innerstaatlichen Sachverhalten durch die Dienstleistungsrichtlinie konkretisiere jedoch nicht europäisches Primärrecht, die Richtlinie sei insoweit "überschießend".

cc) Der Bundesgerichtshof führt in seinem Beschluss vom 14.05.2020 (Az.: VII ZR 174/19) aus, dass die Auslegung des nationalen Rechts nicht dazu führen dürfe, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt werde. Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege finde ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten. Auch der Wille des Verordnungsgebers bei Einführung der HOAI 2009 und 2013, die Dienstleistungsrichtlinie richtig umzusetzen und die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Verordnungsgeber habe sich im Rahmen der Neuregelung der HOAI bewusst für die Beibehaltung verbindlicher Mindestsätze entschieden, obwohl ihm die Problematik der Zulässigkeit eines verbindlichen Preisrahmens im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie bekannt gewesen sei. Der Verordnungsgeber sei lediglich der - unzutreffenden - Auffassung gewesen, dem Problem durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs in § 1 HOAI auf innerstaatliche Sachverhalte hinreichend Rechnung zu tragen.

Der Richtlinienbestimmung komme kein Anwendungsvorrang gegenüber den nationalen Regelungen über die Verbindlichkeit der Mindestsätze in § 7 HOAI zu. Bei der Annahme einer unmittelbaren Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie im laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen würde einem Privaten ein nach nationalem Recht bestehendes subjektives Rechts, ein aus § 631 I BGB i.V.m. § 7 HOAI bestehender Anspruch auf ein Honorar in Höhe der Mindestsätze, entzogen werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union stütze grundsätzlich die Nichtanwendung nationaler Vorschriften in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen darauf, dass diese Vorschriften gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstießen, nicht jedoch auf eine unmittelbare Anwendung der diese Grundsätze konkretisierenden Richtlinie.

c) Auch unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Rechtsprechung verbleibt der Senat bei seiner Auffassung.

aa) Es handelt sich hier nicht um den Fall, dass sich jemand unmittelbar auf Rechte aus einer Richtlinie aufgrund eines Umsetzungsdefizits beruft, sondern darum, dass die HOAI gegen die Richtlinie verstößt. Nicht die Dienstleistungsrichtlinie bestimmt hier das materielle Recht, sondern die Parteivereinbarung, die wiederum gegen die HOAI 2009 verstößt. Es handelt sich somit um eine Frage der richtlinienkonformen Auslegung und des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts.

Dann ist Anknüpfungspunkt der Ablauf der Umsetzungsfrist. Verpflichtungen Privater entstehen bei der richtlinienkonformen Auslegung nicht unmittelbar aufgrund Unions(Richtlinien)rechts, sondern aufgrund mitgliedstaatlichen, richtlinienkonform ausgelegten Rechts (Calliess/Ruffert/Ruffert, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 81).

Die richtlinienkonforme Auslegung schließt nicht nur eine Auslegung im engeren Sinne ein, sondern auch eine den Wortlaut übersteigende Rechtsfortbildung. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 26.11.2008 (NJW 2009, 427 [BGH 26.11.2008 - VIII ZR 200/05]) ausgeführt, dass der von der Rechtsprechung des EuGH geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung von den nationalen Gerichten mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne verlangt. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des Begriffs "Auslegung" nicht von der im deutschen Rechtskreis - anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen - üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung (im engeren Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Auch die vom EuGH formulierte Einschränkung, nach der die richtlinienkonforme Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf, bezieht sich nicht auf die Wortlautgrenze. Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist.

Es stellt sich deshalb die Frage, welche Regelung der Gesetz-/Verordnungsgeber getroffen hätte, wenn er erkannt hätte, dass die Mindestsätze entgegen seiner Absicht trotzdem gegen höherrangiges Recht verstoßen.

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 14.05.2020 zum Willen des Verordnungsgebers ausgeführt, dass er sich im Rahmen der Neuregelung der HOAI bewusst für die Beibehaltung verbindlicher Mindestsätze entschieden habe, obwohl ihm die Problematik der Zulässigkeit eines verbindlichen Preisrahmens im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie bekannt gewesen sei. Der Verordnungsgeber sei lediglich der - unzutreffenden - Auffassung gewesen, dem Problem durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs in § 1 HOAI auf innerstaatliche Sachverhalte hinreichend Rechnung zu tragen.

Dies ändert aber nichts daran, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der HOAI in der jeweiligen Fassung nicht gegen seine Pflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV verstoßen wollte. Das in Unkenntnis erfolgte richtlinienwidrige Verhalten kann nicht als Argument benutzt werden, dass eine richtlinienkonforme Auslegung am klaren Willen des Verordnungsgebers scheitere. Dieser Wille war nur scheinbar klar.

Es handelt sich um eine verdeckte Regelungslücke, weil § 7 Abs. 1 entgegen Art. 15 Abs. 2 lit. g) der Dienstleistungsrichtlinie weiter verbindliche Mindest- und Höchstsätze vorsieht und deshalb mit der Richtlinie nicht im Einklang steht.

Wenn dies der Gesetz-/Verordnungsgeber erkannt hätte, hätte er eine andere und richtlinienkonforme Umsetzung gewählt. Die richterliche Rechtsfortbildung berechtigt den Richter zwar nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen (BVerfG WM 2012, 1179, 1181 [BVerfG 26.09.2011 - 2 BvR 2216/06; 2 BvR 469/07]). Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetz-/Verordnungsgeber nunmehr eine Änderung des ArchLG und der HOAI in die Wege geleitet hat, die der Entscheidung des EuGH Rechnung tragen und eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie gewährleisten soll. Die Nichtanwendbarkeit der Mindestpreisgarantie in § 7 HOAI kann somit auf den Willen des Gesetz-/Verordnungsgebers gestützt werden und steht deshalb nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BGH vom 31.03.2020 (Az.: XI ZR 198/19). Dort heißt es zwar, dass eine richtlinienkonforme Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut, dem Sinn und Zweck und der Gesetzgebungsgeschichte die Befugnis der Gerichte überschreite. Hier liegt der Fall aber so, dass die Europarechtswidrigkeit vom EuGH positiv festgestellt worden ist und der Wille des Gesetz-/Verordnungsgebers nach Kenntnis des Verstoßes nach einer richtlinienkonformen Umsetzung (Wegfall der Mindestpreisgarantie) ebenfalls positiv feststeht. Eine für eine teleologische Reduktion erforderliche planwidrige Regelungslücke liegt somit vor (BGH, Urt. v. 15.10.2019, Az.: XI ZR 759/17). Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 14.05.2020 indes eine teleologische Reduktion der Norm/Verordnung nicht geprüft.

Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Die Parteien haben ein von der HOAI abweichendes Honorar vereinbart. Das Gericht würde vielmehr, wie es das Landgericht München I in seiner Entscheidung vom 31.01.2020 zutreffend ausgeführt hat, durch Anwendung der Mindestsätze der HOAI in die zwischen den Parteien individuell vereinbarten Preise eingreifen.

bb) Soweit das Kammergericht ausführt, dass die Dienstleistungsrichtlinie bezogen auf innerstaatliche Sachverhalte europäisches Primärrecht nicht konkretisiere und insoweit "überschießend" sei, wird übersehen, dass die Dienstleistungsrichtlinie - im Unterschied zu den privatrechtsgestaltenden Richtlinien - nicht der Harmonisierung von bestimmten Rechtsgebieten des Privatrechts der einzelnen Mitgliedsstaaten dient, sondern der Beseitigung von europarechtswidrigen Beschränkungen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit. Die Dienstleistungsrichtlinie unterscheidet sich von den herkömmlichen Richtlinien, die der Harmonisierung dienen, dadurch, dass sie - wie das Primärrecht - zugleich bestehende Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und für die Dienstleistungsfreiheit beseitigen soll. Die Funktion der Dienstleistungsrichtlinie besteht nicht in der Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen, sondern, vergleichbar den Grundfreiheiten des EU-Vertrages, in der Beseitigung unberechtigter Beschränkungen. Es gilt der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (Schwenker, jurisPR-PrivBauR 10/2019 Anm. 1; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2019 Anm. 1).

cc) Gemäß Art. 260 AEUV gilt, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union feststellt hat, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, dieser Staat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben. Diese Pflicht gilt für alle Organe des Mitgliedstaats (EuGH Urt. v. 14.12.1982, Az.: C-314 bis 316/81 und 83/82, Slg. 1982, 4338 = BeckRS 2004, 70739 - Procureur de la République/Waterkeyn, Rn. 14). Zu den Organen gehören auch die Gerichte als Teil der Judikative. Würde ein nationales Gericht nach dem EuGH-Urteil das verbindliche Preisrecht der HOAI weiter anwenden, würde es gerade keine Konsequenzen aus diesem Urteil ziehen, sondern es schlicht ignorieren und den Vertragsverstoß perpetuieren (Wessel MDR 2019, 1349, 1354).

Dies würde zu der widersinnigen Situation führen, dass die Parteien eine Pauschalhonorarvereinbarung getroffen haben und sich eine Partei entgegen dem gemeinsamen Willen (ein geheimer Vorbehalt einer Partei ist gemäß § 116 S. 1 BGB unbeachtlich) auf eine irreparabel europarechtswidrige Anspruchsgrundlage beruft, um abweichend von der Vereinbarung ihr Honorar "aufzustocken".

d) Das Honorar ergibt sich somit aus der Pauschalhonorarabrede. Diese wiederum ergibt sich aus Ziff. 8.3 des Vertrags vom 26.02.2020 (Bl. 40 d.A.). Diese Vereinbarung ist eindeutig und klar gefasst worden. Auch wenn zuvor wegen des Honorars auf § 5 HOAI 2009 Bezug genommen worden ist, ändert dies hieran nichts. Der abschließende Charakter der Honorarvereinbarung ist eindeutig.

Es liegen momentan auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Pauschalhonorarvereinbarung sittenwidrig wäre. Vorliegend kommt eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nur unter dem Gesichtspunkt eines besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung in Betracht. Ein auffälliges Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der Leistung rund doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Auflage, § 138 Rn. 34a m.w.N.). Dann besteht eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung (Palandt/Ellenberger a.a.O.). Die Vermutung befreit die Prozessparteien allerdings nicht von ihrer Behauptungslast, an die wiederum aber keine hohen Anforderungen zu stellen sind (Palandt/Ellenberger a.a.O.). Das Missverhältnis muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sorgfältig ermittelt werden (Palandt/Ellenberger a.a.O., Rn. 35). Die HOAI-Mindestsätze können jedenfalls nicht als Marktpreis im Sinne einer üblichen Vergütung gemäß § 632 Abs. 2 BGB angesehen werden (Senat, Urt. v. 08.01.2020, Az.: 14 U 96/19, juris-Rn. 76).

e) Die Klägerin hat ihre Klage bisher nicht hilfsweise auf die Pauschalpreisvereinbarung gestützt, obgleich sie in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2020 vom Landgericht darauf hingewiesen worden ist, dass nunmehr nach der Rechtsprechung des EuGH das Honorar anhand der vereinbarten pauschalen Honorare darzustellen sei.

Soweit die Klägerin ihre Klage hilfsweise auch auf die Pauschalhonorarvereinbarung stützen sollte, dürfte es sich hierbei um eine Klageänderung handeln, da der Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge abgeleitet wird, ausgewechselt wird. Diese könnte aber sachdienlich gemäß § 533 ZPO sein, da eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht gegeben sein dürfte, da zu dem anderen Vertrag (siehe oben) höchstwahrscheinlich Beweis zu erheben ist und das Ergebnis der bisherigen Prozessführung zumindest teilweise verwertet werden kann.

Darüber hinaus wird neues Vorbringen auch für zulässig erachtet. Durch eine etwaige Beweisaufnahme zum ersten Vertrag dürfte durch die Zulassung neuen Vortrags zum zweiten Vertrag die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert werden.

Die Pauschalhonorarvereinbarung umfasst einen Betrag in Höhe von 5.500,00 EUR netto, bzw. 6.545,00 EUR brutto. Hierauf hat die Beklagte bereits einen Betrag in Höhe von 2.380,00 EUR brutto gezahlt. Es verbleibt ein Rest in Höhe von 4.165,00 EUR brutto. Dieser setzt aber die vollständige Leistungserbringung voraus.

In Anbetracht der Wirksamkeit der Pauschalhonorarvereinbarung wird die auf die mit Schreiben vom 16.03.2020 angeforderte und ausgebliebene Sicherheitsleistung hin ausgesprochene Kündigung der Klägerin vom 01.04.2010 für unwirksam erachtet. Bei der Kündigung der Beklagten vom 16.04.2010 dürfte es sich dann wiederum um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund handeln. Es besteht daher nur ein Anspruch der Klägerin auf eine anteilige Vergütung erbrachter Leistungen, wenn und soweit diese mangelfrei und für den Besteller brauchbar oder zumutbar verwertbar sind (BGH NJW 97, 3018 [BGH 21.08.1997 - VII ZR 17/96]).

Eine Vergütung seitens der Klägerin setzt die Darlegung voraus, wie sich die erbrachten Teilleistungen zum nicht erbrachten Teil verhalten und wie sich das Verhältnis der bewirkten Leistungen zur vereinbarten Gesamtleistung sowie des Preisansatzes für die Teilleistung zum Pauschalpreis darstellt (Senat, Urt. v. 10.08.2020, Az.: 14 U 54/20, Rn. 66, juris).

II.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 08. Januar 2021.