Amtsgericht Bad Iburg
Urt. v. 01.12.2021, Az.: 4 C 366/21 (4)
Bibliographie
- Gericht
- AG Bad Iburg
- Datum
- 01.12.2021
- Aktenzeichen
- 4 C 366/21 (4)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 72329
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
In dem Rechtsstreit
XXXX
Klägerin
Prozessbevollmächtigte: XXXX
gegen
XXXX
Beklagter
Prozessbevollmächtigte: XXXX
hat das Amtsgericht Bad Iburg auf die mündliche Verhandlung vom 12.11.2021 durch den Richter am Amtsgericht XXXX für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Beklagte wird verurteilt, die Überwachungskameras, welche vorder- und rückseitig am Gebäude unter der Adresse XXXX, angebracht sind, zu entfernen oder so auszurichten, dass die Linsenbereiche der Kameras vom Grundstück der Klägerin aus nicht mehr zu sehen sind.
- 2.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 € zu zahlen.
- 3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 4.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
- 5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 6.
Der Streitwert wird auf bis zu 5000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter des Beklagten. Zugleich sind die Parteien Nachbarn und bewohnen jeweils eine Hälfte eines ländlich gelegenen Doppelhauses. Der Beklagte bewohnt die Doppelhaushälfte mit der Anschrift XXXX, während die Klägerin die Doppelhaushälfte mit der Anschrift XXXX bewohnt, und zwar zusammen mit ihrem Ehemann, der Eigentümer der letztgenannten Doppelhaushälfte ist. Weitere unmittelbare Nachbarhäuser existieren nicht. Die Parteien sind seit mehreren Jahren zerstritten.
Im Juni 2020 brachte der Beklagte auf seinem Grundstück vorder- und rückseitig des Hauses zwei Überwachungskameras der Marke Mobitix an. Es handelt sich um Highend-Kameras mit intelligenter Videotechnologie. Die Kameras können Daten speichern und verarbeiten, Personenzählungen auch nach Alter und Geschlecht sowie Objekt- und Personenerkennung in Echtzeit durchführen.
Die vordere Kamera erfasst aus einer Höhe von ca. 4-5 m den gesamten Einfahrtsbereich sowie die Zufahrtsstraße nebst Wanderweg. Die in einer Höhe von 3-4 m angebrachte Kamera an der Rückseite des Hauses ist auf die hinter dem Doppelhaus befindliche Gartenanlage und die dahinterliegenden Felder ausgerichtet. Die Kamera ist vom Grundstück der Klägerin aus zu sehen.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.07.2020 ließ der Beklagte der Klägerin mitteilen, dass alle Bereiche, die eventuell nicht zu seinem Grundstück gehörten, entsprechend verpixelt würden. Dem Schreiben waren entsprechende Fotos beigefügt. In einem weiteren Schreiben vom 06.10.2020 übersandte er eine Bestätigung der Fachfirma XXX, mit der bestätigt wurde, dass die "von uns montierten Kameras Typ Mobotix Mx-M73 A nicht die Möglichkeit einer elektronischen schwenk/neige, bzw. Brennweitenverstellung haben."
Die Klägerin behauptet, die Kameras seien in der Lage, vorne die Zufahrt der Klägerin und hinten ihren privaten Gartenraum zu filmen. Eine etwaige Verpixelung könne jederzeit aufgehoben werden. Jedenfalls bestehe ein entsprechender Überwachungsdruck.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
- A.
die Überwachungskameras, welche vorder- und rückseitig am Gebäude unter der Adresse XXXX., angebracht sind, zu entfernen,
- B.
hilfsweise, die im Antrag zu A benannten Kameras so auszurichten, dass eine Aufnahme des Nachbargrundstücks oder Teilen hiervon auch ohne Unkenntlichmachung ausgeschlossen ist,
- C.
es unterlassen, neue Kameras in der Weise anzubringen, wenn damit die Aufnahme des Nachbargrundstücks oder Teilen hiervon auch ohne Unkenntlichmachung nicht ausgeschlossen ist,
- D.
in nachvollziehbarer Art und Weise lückenlos Auskunft darüber zu erteilen, welche Kameramodelle er angebracht hat, welche Funktionen diese haben und welche Aufnahmen seit Anbringung erstellt wurden,
- E.
für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter A-D gestellten Anträge ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 € zu zahlen und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anzudrohen,
- F.
an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 540,50 € zu zahlen.
- G.
den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 480,12 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet zunächst die Klagebefugnis der Klägerin. Diese Befugnis stehe nur dem Eigentümer zu.
Der Beklagte behauptet, die Kameras seien zum Eigentumsschutz angebracht worden. Auf seinem Grundstück seien schon einmal Pkw-Reifen zerstochen worden. Außerdem habe er im Mai 2020 einen besonders diebstahlsanfälligen Neuwagen gekauft.
Der Beklagte behauptet weiter, die Bereiche der Klägerin seien von der Kamera nicht erfasst, da alle Bereiche, die nicht dem Grundstück des Beklagten zuzuordnen seien, verpixelt würden. Es bestehe keine Möglichkeit, die Klägerin auf ihrem Grundstück zu überwachen. Es sei auch nicht möglich, die Videokamera frei einzustellen, sie zu schwenken oder den Neigungswinkel zu ändern.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
A.
Der Antrag zu A ist teilweise begründet.
Die Aktivlegitimation der Klägerin ist gegeben. Einen Anspruch entsprechend § 1004 BGB kann nicht nur der Eigentümer geltend machen, sondern auch der rechtmäßige Mitbesitzer des Objekts. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin als dort wohnende Ehefrau des Eigentümers.
Der Klägerin steht ein Anspruch gemäß §§ 823, 1004 BGB analog i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Beseitigung der Kameras in der jetzigen Form zu, da die Installation ihr Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.
Dabei kann offenbleiben, ob die Kameras tatsächlich Teile des klägerischen Grundstücks er-fassen. Auch wenn dies tatsächlich nicht der Fall wäre, kann das Persönlichkeitsrecht der Klägerin beeinträchtigt sein. Ein Unterlassungsanspruch kann nämlich auch bestehen, wenn Dritte eine Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen ("Überwachungsdruck", vgl. BGH, Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09). Eine solche Befürchtung ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH, Urt. v. 21.10.2011 - 265/10, Rn. 9 ff.; Urt. v. 16.03.2010 - VI ZR 176/09).
Hier ist im konkreten Fall eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu bejahen. Denn die Klägerin muss aufgrund der Umstände objektiv ernsthaft befürchten, in den Überwachungsbereich der Kameras einbezogen zu werden.
Beide Kameras sind grundsätzlich von der Anbringung und vom Erfassungswinkel her in der Lage, das Grundstück der Klägerin teilweise zu erfassen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Kameras vom Grundstück der Klägerin aus von vorne zu sehen sind. Zum anderen zeigen schon die vom Beklagten vorgelegten Bilder Anlage B3, Blatt 54 der Akte, dass das Nachbargrundstück gefilmt werden kann. Sind die entsprechenden Partien dort auch verpixelt, so fällt das klägerische Grundstück doch zumindest teilweise grundsätzlich in den Aufnahmebereich. Darüber hinaus erscheint es zumindest aus Sicht der Klägerin durchaus nachvollziehbar und wahrscheinlich, dass auch weitere Bereiche des Grundstücks erfasst werden können. Zwar mögen die Kameras nicht mechanisch schwenkbar sein. Allerdings sind die Kameras ausweislich der technischen Spezifikationen (Blatt 5 der Akte) mit einer digitalen Schwenkbarkeit von 2 × 180° horizontal und 110° vertikal ausgestattet. Ein derartiger digitaler Schwenk ist äußerlich nicht wahrnehmbar. Letztlich kommt es aber hierauf noch nicht einmal an, da aus den oben dargelegten Gründen bereits jetzt das Grundstück der Klägerin im Erfassungsbereich ist.
Die Tatsache, dass Teile des Erfassungsbereichs verpixelt sind, steht dem Anspruch nicht entgegen. Die Aufhebung der Verpixelung ist grundsätzlich möglich und für die Klägerin von außen nicht wahrzunehmen.
Darüber hinaus ist - wie auch das beiderseitige Verhalten in diesem Prozess gezeigt hat - das nachbarschaftliche und familiäre Verhältnis der Parteien durchweg von Auseinandersetzungen und Misstrauen geprägt, so dass die Klägerin auch die konkrete Befürchtung haben kann, dass es zu einer Überwachung durch die streitgegenständlichen Kameras kommt.
Aufgrund dessen sind die Kameras entweder zu entfernen oder durch äußerlich wahrnehmbare, mechanische Maßnahmen so anzubringen, dass die Linsen nicht mehr vom Grundstück der Klägerseite aus zu sehen sind (siehe hierzu LG Rottweil, ZD 2018, 590 Rn. 6, beck-online).
B.
Über den Hilfsantrag B war nicht zu entscheiden, da der Tenor zu 1) auch unter Berücksichtigung der Einschränkung immer noch über den Antrag zu B hinausgeht.
C.
Der Antrag zu C ist unbegründet. Da der Zustand durch den Tenor zu 1) geregelt ist, besteht für einen Unterlassungsanspruch kein Rechtsschutzbedürfnis.
D.
Der Antrag zu D ist unbegründet. Der Beklagte hat vorprozessual und während des Prozesses alle verlangten Auskünfte erteilt.
E.
Der Antrag zu E geht wegen § 888 Abs. 2 ZPO ins Leere.
F.
Der Antrag zu F ist begründet. Der Beklagte ist gemäß § 823 BGB zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verpflichtet, und zwar, da der Anspruch nicht in voller Höhe begründet ist, nach einem Streitwert von bis zu 3000 €.
G.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92, 708, 711 ZPO.