Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.04.2007, Az.: 2 B 30/07
Unteragung der Benutzung baulicher Anlagen; Interessenabwägung durch das Gericht bei Erlass einer einstweiligen Verfügung; Rechtfertigung einer Nutzungsuntersagung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 11.04.2007
- Aktenzeichen
- 2 B 30/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 31861
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2007:0411.2B30.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
- § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 43 BauO,NI
- § 44 BauO,NI
- § 78 Abs. 1 S. 1 BauO,NI
- § 89 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BauO,NI
- § 8 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 BauNVO
Verfahrensgegenstand
Anfechtung einer Nutzungsuntersagung
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
Hinweis
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In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 2. Kammer -
am 11. April 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 13.02.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.02.2007 anzuordnen, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wehrt sich gegen die Untersagung der Nutzung einer Wohnung und eines Gebetsraumes.
Der am xx.xx.xxxx in Alexandria, Ägypten, geborene Antragsteller, deutscher Staatsangehöriger, ist seit 2006 Eigentümer des mit einem früher als Möbelhaus genutzten Gebäude bebauten Grundstücks F. in E. (Flur x, Flurstück xxx u.a. der Gemarkung G.). Das Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. xx, H., der für das Grundstück ein Gewerbegebiet festsetzt. Der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin hat am 19.03.2007 beschlossen, den Bebauungsplan dahingehend ändern zu wollen, dass Einzelhandelsnutzungen und ausnahmsweise Nutzungen (Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke sowie Vergnügungsstätten) ausgeschlossen werden. Unter dem 16.01.2007 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Genehmigung der Nutzungsänderung von einem Büro zu einer Hausmeisterwohnung im Erdgeschoss des Gebäudes und legte in diesem Zusammenhang auch Planunterlagen betreffend das von ihm ebenfalls geplante Begegnungszentrum im ersten Obergeschoss vor. Die entsprechende Baugenehmigung ist bisher nicht erteilt worden. Am 01.02.2007 stellte ein Polizeibeamter der Polizeiinspektion E. fest, dass im ersten Obergeschoss des Gebäudes ein etwa 200 qm großer Gebetsraum mit Teppichen ausgelegt war und dass sich an einer Tür ein Zettel befand, auf dem Zeiten für vier tägliche Gebete angegeben waren. Bei einer am selben Tage durchgeführten Ortsbesichtigung durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin wurde dem Antragsteller aufgegeben, keine weitere ungenehmigte Nutzung in dem Gebäude aufzunehmen.
Mit Bescheid vom 05.02.2007 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die weitere Nutzung der Wohnung im Erdgeschoss und die Nutzung des Obergeschosses als Gebetsraum und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Anordnung mit der Begründung an, im wirtschaftlichen Ergebnis dürfe der Antragsteller nicht besser gestellt sein als ein redlicher Bauherr, der seine Nutzung erst nach Vorlage der Baugenehmigung aufnehme; hinzu komme, dass der Antragsgegnerin daran gelegen sei, eine Breitenwirkung infolge einer Schwarznutzung durch einen rechtswidrigen Dauerzustand zu vermeiden.
Der Antragsteller erhob am 13.02.2007 Widerspruch, den er zunächst nicht begründete, und stellte am 15.02.2007 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Er trägt vor: Der Gebetsraum im Obergeschoss werde noch nicht genutzt; allerdings sei die Nutzung der Hausmeisterwohnung durch ihn und seine siebenköpfige Familie (deren bisherige Wohnung aufgegeben worden sei) bereits jetzt wegen der Überwachung des Umfelds unbedingt erforderlich; er plane, in dem weiträumigen Gebäude auch noch eine Kinderkrippe, eine Kindertagesstätte, eine private Grundschule mit Hort und eine Musikschule unterzubringen und habe dieses Vorhaben bereits am 13.03.2007 mit einem Bürgermeister der Antragsgegnerin erörtert; der angefochtene Bescheid sei offensichtlich unverhältnismäßig, weil der Gebetsraum offensichtlich planungsrechtlich zulässig sei; der Antragsteller dürfe auf die derzeitige Plansituation vertrauen, das von der Antragsgegnerin betriebene Planänderungsverfahren dürfe nicht investitionshemmend sein.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 13.02.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.02.2007 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor: Der Bauantrag des Antragstellers befinde sich noch in der Vorprüfung; da der Bebauungsplan zeitgemäßen Erfordernissen angepasst werden solle, sei bisher darauf verzichtet worden, von dem Antragsteller weitere Bauvorlagen zu verlangen; die von ihm durchgeführte Nutzungsänderung sei genehmigungspflichtig und nach dem derzeitigen Planungsrecht wohl unzulässig; ein Grund für eine Ausnahmegenehmigung im Hinblick auf die Begegnungsstätte sei nicht zu erkennen; der bereits von dem Antragsteller und seiner Familie genutzten Wohnung könne zur Zeit kein gewerblicher Betrieb zugeordnet werden; im übrigen seien zahlreiche bauordnungsrechtliche Fragen zu klären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
II.
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) des Bescheides vom 05.02.2007 ist im Sinne von § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ordnungsgemäß und ausreichend begründet. Die Begründung erschöpft sich nicht im Allgemeinen, sondern geht im Einzelfall auf die konkreten Umstände ein und legt vor allem dar, weshalb die Antragsgegnerin sich daran gehindert sieht, die unerlaubte Benutzung in dem Gebäude des Antragstellers vorübergehend zu dulden.
In der Sache hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und das Interesse des Antragstellers an einer vorläufigen Suspendierung der angeordneten Maßnahme gegen das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung gegeneinander abzuwägen. Dabei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des Widerspruchs abzustellen. Das Gericht ist der Auffassung, dass der Widerspruch aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird.
Gemäß § 89 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, insbesondere die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen. Als in aller Regel geringstmöglicher Eingriff, der keinerlei Substanzverlust zur Folge hat, ist eine Nutzungsuntersagung regelmäßig gerechtfertigt, wenn die Nutzung einer baulichen Anlage ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommen oder fortgesetzt wird, denn vor Erteilung der Baugenehmigung darf gem. § 78 Abs. 1 S. 1 NBauO mit der Baumaßnahme nicht einmal begonnen werden (vgl. dazu Große-Suchsdorf u.a., Nds. Bauordnung, 8. Aufl., § 89, Rn. 27). Die Nutzungsuntersagung kann in solchen Fällen jedoch ermessensfehlerhaft sein, wenn die Bauaufsichtsbehörde zuvor ein Vertrauen des Bauherrn dahin geweckt hat, dass die Nutzung ohne vorherige Baugenehmigung erfolgen darf, wenn diese bereits seit längerer Zeit geduldet worden ist, wenn gegen vergleichbare Sachverhalte nicht in gleicher Weise vorgegangen wird oder wenn die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens offensichtlich ist (Große-Suchsdorf u.a., a.a.O., § 89 Rn. 28 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Der Antragsteller nutzt bereits frühere Büroräume des Möbelhauses als Wohnung für sich und seine Familie und hat jedenfalls vor, Teile des Obergeschosses des streitbefangenen Gebäudes als Gebetsraum (bzw. - wie er es nennt - Begegnungszentrum) zu nutzen. Beide Nutzungsänderungen sind gem. §§ 68 Abs. 1, 69 Abs. 4 Nr. 1 NBauO genehmigungsbedürftig, weil an Aufenthaltsräume und Wohnungen zahlreiche bauplanungsrechtliche (auf die weiter unten einzugehen sein wird) und bauordnungsrechtliche (§§ 43, 44 NBauO i.V.m. der dazu ergangenen Durchführungsverordnung) Anforderungen gestellt werden, die für ein Möbelhaus nicht gelten. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob nicht infolge des mehrjährigen Leerstehens des Gebäudes nach der Aufgabe der bisherigen Nutzung als Möbelhaus sogar von einer erstmaligen Nutzung ausgegangen werden muss.
Der Antragsteller ist der Auffassung, sowohl die Nutzung als Begegnungsstätte wie die als Wohnung für ihn und seine Familie seien offensichtlich genehmigungsfähig. Abgesehen davon, dass sich aus dem von der Antragsgegnerin überreichten Vorgang nicht ergibt, dass eine Baugenehmigung betreffend die Nutzungsänderung in eine Begegnungsstätte überhaupt beantragt worden ist, kann sich das Gericht dieser Überlegung auch in der Sache nicht anschließen. Die bereits weiter oben angesprochene bauordnungsrechtliche Prüfung, vor allem anhand der §§ 43, 44 NBauO steht noch aus, zumal die vom Antragsteller eingereichten Bauvorlagen nicht vollständig sind; das Ergebnis dieser Prüfung ist derzeit völlig offen. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht ist § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BauNVO maßgeblich. Danach können in Gewerbegebieten
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbegebiet zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind,
Anlagen für kirchliche, soziale und gesundheitliche Zwecke
ausnahmsweise zugelassen werden. Den von dem Antragsteller geplanten Begegnungsraum wird man als Anlage für kirchliche Zwecke in diesem Sinne bezeichnen können, denn in ihm sollen sich Mitglieder muslimischer Gemeinden treffen. Dadurch, dass derartige Einrichtungen (anders als in Wohn- und Mischgebieten) in Gewerbegebieten nur ausnahmsweise zugelassen werden sollen, wird deutlich, dass ein Ausnahmetatbestand vorliegen muss, der die Bauaufsichtsbehörde veranlasst, in die Ermessensprüfung einzutreten (vgl. Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 9. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 2 - 9, 12 - 14, Rn. 6.5). Einen derartigen Ausnahmetatbestand hat der Antragsteller bisher nicht benannt; sein Hinweis darauf, dass auch christliche und jüdische Gotteshäuser in Gewerbe- und Industriegebieten vorhanden sind, ist im Hinblick auf die konkrete Situation nichtssagend. Mithin ist völlig offen, ob (auf der Grundlage des derzeitig geltenden Bebauungsplans!) eine Begegnungsstätte in dem Gebäude des Antragstellers zugelassen werden wird. Ist diese Frage offen, steht daneben zur Überlegung der Kammer fest, dass die Wohnnutzung bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Aus dem Regelungsgefüge von § 8 Abs. 3 BauNVO ergibt sich nach Auffassung der Kammer, dass Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter ausschließlich zugelassen werden können, wenn sie einem Gewerbebetrieb zugeordnet sind, der in diesem Gebiet allgemein zulässig ist; im Hinblick auf lediglich ausnahmsweise zulässige Anlagen für kirchliche pp. Zwecke kann nicht - gleichsam im Wege einer weiteren Ausnahme - die Errichtung bzw. einer Nutzung für Aufsichtspersonal usw. zugelassen werden.
Im Hinblick auf das Begegnungszentrum im Obergeschoss des Gebäudes liegt ein Verstoß gegen das Übermaßverbot nicht vor. Selbst wenn - wie der Antragsteller vorträgt - die genannte Nutzung tatsächlich noch nicht stattfindet, so steht sie doch unmittelbar bevor, wie der bei der Ortsbesichtigung am 01.02.2007 vorgefundene dokumentierte räumliche Zustand eindrucksvoll bestätigt. Die Erörterung dieses und weiterer Vorhaben mit einem Bürgermeister der Antragsgegnerin ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, denn der Antragsteller trägt nicht vor, dass ihm bei dieser Erörterung bedeutet worden sei, er dürfte das Gebäude weiter ohne Baugenehmigung nutzen.
Das Gericht hat erwogen, dem Antragsteller ausnahmsweise zu erlauben, die Wohnung im Erdgeschoss weiterhin vorläufig zu nutzen, da ihm und seiner Familie möglicherweise Obdachlosigkeit droht. Es hat davon abgesehen, weil der Antragsteller diese - mögliche - Gefahr vorsätzlich herbeigeführt hat, indem er den bisher von seiner Familie benutzten Wohnraum aufgegeben und - ohne auch nur Rücksprache mit der Antragsgegnerin zu halten - die ungenehmigte Wohnnutzung aufgenommen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.000,00 EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht bemisst die Bedeutung der Sache für den Antragsteller nach dem jährlichen Nutzungswert der Wohnung und des Gebetsraums, den es auf 12.000,00 EUR bzw. 24.000,00 EUR schätzt und im Hinblick auf die nur begehrte vorläufige Regelung halbiert.