Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.04.2007, Az.: 2 A 436/05
Asylantrag; Asylbewerber; Aufenthaltsgenehmigung; Ausländer; Ausländerbehörde; Ausweisung; Befristung; Flüchtling; Nachträglichkeit; Verfolgung; Zuständigkeit; örtliche Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 26.04.2007
- Aktenzeichen
- 2 A 436/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71924
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 100 Abs 1 S 2 SOG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde für eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung richtet sich nach § 100 I 2 Nds. SOG. Hiernach ist in der Regel die Behörde zuständig, in deren Bezirk der Ausländer nach Wiedereinreise seinen Wohnsitz nehmen will.
Tatbestand:
Der Kläger, ein am … in J. geborener libanesischer Staatsangehöriger, begehrt von der Beklagten eine Verkürzung der Befristung seiner Ausweisung.
Der Kläger reiste 1992 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Im Rahmen des Asylverfahrens wurde er der Stadt K. /L. zugewiesen. Nachdem er die deutsche Staatsangehörige M. N. geheiratet hatte, wurde ihm vom Landkreis K. /L. am 25.11.1992 eine Aufenthaltserlaubnis nach dem damals gültigen Ausländergesetz 1990 (AuslG) erteilt. Im September 1993 verzog das Ehepaar B. nach D.. Die Beklagte verlängerte sodann mehrfach - bis zum 11.11.1997 - die Aufenthaltsgenehmigung des Klägers. Bereits seit Mai 1996 lebte er von seiner Ehefrau, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat, getrennt. Die Ehe wurde Anfang des Jahres 1998 geschieden. Am 08.07.1998 heiratete der Kläger die deutsche Staatsangehörige O. P. und lebte mit ihr ebenfalls in D.. Aus dieser Verbindung ging eine am 20.07.1998 geborene Tochter hervor. Seit dem 07.06.2003 ist auch diese Ehe rechtskräftig geschieden. Zu seinen beiden Kindern hat der Kläger keinerlei Kontakte mehr. Am 13.11.2003 hat der Kläger in Nabatieh (Libanon) erneut eine deutsche Staatsangehörige, die seit dem 01.02.2000 in der Landeshauptstadt Hannover wohnende Zeugin Q. R. geheiratet.
Während seines Aufenthalts in Deutschland wurde der Kläger mehrfach straffällig. Mit Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 12.08.1998 wurde er schließlich zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (wiederum) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.
Mit Verfügung vom 20.11.2000 wurde der Kläger von der Beklagten, in dessen Zuständigkeitsbereich er sich vor der Inhaftierung aufgehalten hatte, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen und ihm die Abschiebung in den Libanon angedroht. Diese Verfügung wurde mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 25.04.2001 bestätigt.
Im Laufe des vom Kläger angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde er am 05.06.2001 in den Libanon abgeschoben. Am 28.07.2004 beantragte er bei der Beklagten über seine Prozessbevollmächtigten, die gegen ihn ergangene Ausweisungs- und Abschiebungsverfügung nachträglich zeitlich zu befristen. Begründet wurde dies mit der Eheschließung des Klägers mit Frau R.. Zur Entscheidung über den Antrag wurde um Abgabe des Vorgangs an die Landeshauptstadt Hannover gebeten. Bereits im Januar 2004 hatte der Kläger von J. aus ein Visumsverfahren mit der Absicht, in Hannover mit seiner neuen Ehefrau zu leben, erfolglos betrieben. Da sich die Landeshauptstadt Hannover als nicht (mehr) zuständig ansah, sandte sie im Juni 2004 die Akten an die Beklagte zurück.
Mit Schreiben vom 07.12.2004 teilte die Beklagte den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass ihre Zuständigkeit für die beantragte Befristungsentscheidung nur dann angenommen werden könne, wenn davon auszugehen sei, dass der Kläger und seine Ehefrau nicht weiter beabsichtigen würden, die familiäre Lebensgemeinschaft in Hannover aufzunehmen. Hierzu teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 01.02.2005 (nur) mit, dass der Kläger beabsichtige, die familiäre Lebensgemeinschaft mit Frau R. in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Unsicher bzw. unklar sei der Ort hierfür. Vorübergehend werde die Ehefrau des Klägers wohl in den Libanon verziehen, damit die familiäre Lebensgemeinschaft nicht zerbreche.
Nachdem der Kläger zwischenzeitlich die Abschiebungskosten beglichen und eine Arbeitsplatzzusage der Firma S. GmbH aus T. (Rhein-Sieg-Kreis) vorgelegt hatte, befristete die Beklagte mit Bescheid vom 21.09.2005 die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung nachträglich auf 12 Jahre.
Der Kläger hat am 05.10.2005 Klage erhoben, zu deren Begründung er im wesentlichen geltend macht: Nach seiner Abschiebung halte er sich nun mittlerweile mehr als fünf Jahre im Libanon auf, er habe seine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und gehe einer geregelten Arbeit nach. Zudem verfüge er über eine Arbeitsplatzzusage für den Fall seiner Rückkehr in die Bundesrepublik. Die von der Beklagten getroffene Entscheidung verstoße gegen Art. 6 GG und 8 EMRK. Seiner Ehefrau sei es im Hinblick auf die bürgerkriegsähnliche Situation im Libanon nicht zuzumuten, die eheliche Lebensgemeinschaft dort herzustellen. Aufgrund der instabilen Sicherheitslage habe sie von einem zunächst geplanten Umzug in den Libanon Abstand genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag auf nachträgliche zeitliche Befristung von Ausweisung und Abschiebung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage im Einzelnen entgegen und meint, der Kläger hätte die Einreise weiter gegenüber der Bundesrepublik Deutschland im Visumsverfahren betreiben müssen. In diesem Fall wäre nicht sie - die Beklagte -, sondern die Landeshauptstadt Hannover als Ausländerbehörde zu beteiligen, die ihre Zustimmung zur Visumserteilung allerdings schon abgelehnt hätte. Bezeichnenderweise habe der Kläger dabei eine Adresse in D. angegeben, obgleich seine Ehefrau bereits Jahre zuvor nach Hannover verzogen sei.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung Beweis über die Frage erhoben, wo der Kläger nach seiner beabsichtigten Einreise in das Bundesgebiet mit seiner jetzigen Ehefrau zu leben gedenkt und wie die eheliche Lebensgemeinschaft ausgestaltet werden soll, durch Vernehmung der Zeugin Q. R.. Die Zeugin hat bekundet: eigentlich habe sie zunächst zu ihrem Ehemann in den Libanon übersiedeln wollen, dies aber im Hinblick auf das anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren und den Bürgerkrieg nicht umgesetzt; lieber würde sie mit ihm in Deutschland leben, übergangsweise zunächst in Hannover, da der Kläger in T. eine Arbeit in Aussicht habe, nach D. ziehe sie zur Zeit nichts Besonderes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A bis C) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur im tenorierten Umfang begründet.
Der angefochtene Bescheid ist aufzuheben, weil die Beklagte für die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung des Klägers nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG örtlich nicht zuständig gewesen ist.
Nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts - der die Kammer folgt - beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit bei einer Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr nach der gegenüber § 3 VwVfG spezielleren Regelung des § 100 Nds. SOG (vgl. etwa Beschlüsse vom 05.10.1998 - 11 M 4532/98 - und 24.08.1995 - 11 L 1047/95 -). Hieraus ist abzuleiten, dass diese Vorschrift gleichfalls für die daran anknüpfende Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung Anwendung findet.
Nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG ist die Behörde, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet sind, örtlich zuständig. Wird eine Gefahr, die sich in anderen Bezirken auswirkt, von einer Person verursacht, so ist auch die Behörde zuständig, in deren Bezirk die Person wohnt, sich aufhält oder ihren Sitz hat (Satz 3).
In Anwendung dieser Vorschrift ist die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung also nicht stets von der Behörde zu treffen, die die Ausweisung verfügt hat. Ein Antrag auf nachträgliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung löst nämlich ein weiteres, vom Ausweisungsverfahren unabhängiges Verwaltungsverfahren aus, das schließlich in einen (selbständigen) Verwaltungsakt mündet. Zwischenzeitliche Änderungen, die die örtliche Zuständigkeit im ausländerrechtlichen Verfahren berühren, dürfen deshalb nicht außer Betracht bleiben. Dieses Ergebnis bestätigt die Vorschrift über Beteiligungserfordernisse im AufenthG - § 72 Abs. 3 Satz 1 -, wonach in solchen Fällen „nur“ das Einvernehmen mit der Behörde, welche die Ausweisung erlassen hat, erforderlich ist.
Zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in Anwendung des § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds.SOG ist eine Prognoseentscheidung zu treffen. Eine „Gefährdung der Interessen“ findet dort statt, wo bei prognostischer Betrachtung im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung die Gefahr weiterer Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit, also hier in erster Linie gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen besteht. Dies wird in der Regel, sofern keine anderen Anhaltspunkte bestehen, grundsätzlich der Ort sein, in welchem die Ausweisung verfügt worden ist. Im vorliegenden Fall sind indessen besondere Umstände ersichtlich, die einen erneuten Aufenthalt des Klägers im Zuständigkeitsbezirk der Beklagten ausgeschlossen erscheinen lassen.
Der Kläger lebte zwar vor seiner Inhaftierung im Jahre 1999 im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Im Zeitpunkt seiner Abschiebung im Juni 2001 hatte er jedoch bereits keinerlei familiäre Kontakte mehr nach D., da seine zweite Ehe gescheitert war und auch zu seinen beiden Kindern keinerlei Besuchskontakte bestanden.
Für die Annahme, dass der Kläger bei einer Wiedereinreise in das Bundesgebiet nach D. zurückkehren könnte, gab es weder im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vom 21.09.2005 irgendwelche Anhaltspunkte noch ist derzeit dafür etwas ersichtlich. Die Arbeitsplatzzusage der Fa. S. für den Kläger vom 01.08.2005 lag - unbeschadet der Frage ihrer Ernsthaftigkeit - bereits vor der Entscheidung über den Antrag der Beklagten vor. Eine sichere Konkretisierung des zukünftigen Aufenthalts des ausgewiesenen Ausländers hätte die Beklagte - was möglicherweise aus Nr. 71.8.2 der Vorläufigen Nds. VV zum AufenthG vom 31.03.2005 entnommen werden kann - aus der förmlichen Stellung eines Visumsantrages bei der Landeshauptstadt Hannover, was bereits vor dem bei der Beklagten gestellten Antrag geschehen war, rückschließen können.
Die jetzige Ehefrau des Klägers, die bereits seit über 7 Jahren nicht mehr in D., sondern in der Landeshauptstadt Hannover lebt - was der Beklagten vor der Sachbescheidung bekannt war -, hat in der mündlichen Verhandlung als Zeugin ausgesagt, dass sie keinerlei Interesse hat, erneut nach D. zu ziehen. Für eine solche Entscheidung wäre auch kein Anlass erkennbar. Vielmehr hat sie klar und unmissverständlich bekundet, dass sie und ihr Ehemann nach dessen Rückkehr aus dem Libanon zunächst sich in Hannover aufhalten würden, um dann evt. gemeinsam nach T. überzusiedeln. Möglicherweise würde sie auch schon vorher (zunächst allein) nach T. ziehen, wenn sie selbst dort ein Arbeit fände. Die Kammer hat keinerlei Zweifel an der Richtigkeit dieser Zeugenaussage, da die Zeugin keinerlei Gründe hätte, insoweit die Unwahrheit zu sagen, um sich für sich oder ihren Ehemann irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Daher steht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts fest, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt für eine Sachentscheidung über den Befristungsantrag zuständig war.
Eine örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergab sich schließlich auch nicht aus § 100 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG (Aufgabenwahrnehmung der Ausländerbehörde in „anderen“ Bezirken).
Abzuweisen ist die Klage allerdings hinsichtlich des gestellten Verpflichtungsantrages, was sich zwanglos aus der örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kammer bemisst das Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten mit gleichen Teilen.