Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.08.2013, Az.: L 13 AS 301/11

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.08.2013
Aktenzeichen
L 13 AS 301/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 46716
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0828.L13AS301.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 13.10.2011 - AZ: S 38 AS 503/10

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit steht eine Kostenentscheidung der Rechtsvorgängerin des Beklagten im Widerspruchsbescheid.

Die 1981 geborene Klägerin zu 1) und ihre in Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2) und 3), standen im Bezug laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) durch die Rechtsvorgängerin des Beklagten. Mit (Änderungs-) Bescheid vom 17. Dezember 2009 gewährte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. März 2010 in Höhe von monatlich 610,59 EUR. Dabei berücksichtigte die Rechtsvorgängerin des Beklagten Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 467,59 EUR sowie das den Bedarf der Kläger zu 2) und 3) übersteigende Einkommen aus Kindergeld als Einkommen der Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 33,26 EUR (nach Abzug des Pauschbetrages für private Versicherungen in Höhe von 30,00 EUR). Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 15. Januar 2010 und 28. Januar 2010 begründeten. Sie beanstandeten die Höhe des Abzugs der Kosten für die Warmwasseraufbereitung von den Heizkosten und wandten sich gegen die anteilige Anrechnung von Einkünften der Kläger zu 2) und 3) aus Kindergeld als Einkommen der Klägerin zu 1). Weiterhin baten die Kläger die Rechtsvorgängerin des Beklagten um Auskunft darüber, ob zugunsten der Kläger zu 2) und 3) eine Zusicherung mit Blick auf die - seinerzeit - zu erwartende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung und des Sozialgeldes (entschieden am 9. Februar 2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09) erteilt wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 19. Februar 2010 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Klägern sodann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. März 2010 in Höhe von monatlich 610,62 EUR, namentlich unter Berücksichtigung weiterer Aufwendungen für Unterkunft und Heizung der Kläger in Höhe von jeweils 0,01 EUR monatlich. Die Rechtsvorgängerin des Beklagten begründete dies mit der Neuberechnung der Heizkosten aufgrund aktueller Rechtsprechung. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010 wies die Rechtsvorgängerin des Beklagten des Widerspruch der Kläger im Übrigen zurück und stellte fest, dass die im Widerspruchsverfahren gegebenenfalls entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet werden können, da sich die durch den Änderungsbescheid vom 19. Februar 2010 bewilligten weiteren Leistungen in Relation zum weiteren Begehren im Widerspruchsverfahren als unbeachtlich darstellen.

Hiergegen haben die Kläger am 4. März 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Durchführung des Widerspruchsverfahrens sei notwendig gewesen, da der Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 17. Dezember 2009 trotz des - seinerzeit - beim BVerfG anhängigen Verfahrens zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung und des Sozialgeldes keine Zusicherung enthalten habe. Im Anschluss an eine Entscheidung des BVerfG, die eine höhere Regelleistung zur Folge gehabt hätte, hätten die Kläger nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) keine Ansprüche mehr durchsetzen können, da deren Geltendmachung die Vorschrift des § 330 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) entgegengestanden hätte.

Die Rechtsvorgängerin des Beklagten ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, dass nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Kostenfolge für ein Widerspruchsverfahren ausschließlich vom Obsiegen bzw. Unterliegen abhänge und kein Raum für Veranlassungsgesichtspunkte bestehe.

Mit Urteil vom 13. Oktober 2011 hat das SG Oldenburg die Klage mit der tragenden Begründung abgewiesen, dass die Entscheidung über die Kostenerstattung nach § 63 SGB X keine Wertungsentscheidung sei, die nach billigem Ermessen zu treffen ist; maßgebend sei allein der Erfolg des Widerspruchs. Der Widerspruch der Kläger sei jedoch lediglich hinsichtlich der Überprüfung der Warmwasserpauschale erfolgreich i. S. von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewesen. Selbst ohne Berücksichtigung der - nicht näher bezifferten - Rüge der Verfassungskonformität der §§ 20, 28 SGB II sei der Erfolg der Kläger im Widerspruchsverfahren in Höhe von allenfalls 0,01 % verschwindend gering. Bei einem Erfolgsanteil unter 1 % komme in Anlehnung an § 92 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat das SG Oldenburg gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trotz des Nichterreichens des Streitwertes von 750,00 EUR die Berufung zugelassen.

Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 21. Oktober 2011 zugestellte Urteil haben die Kläger am 31. Oktober 2011 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Diese haben sie dahingehend begründet, dass es nicht gerechtfertigt sei, eine Verpflichtung der Behörde zu einer Beteiligung an den im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten gänzlich entfallen zu lassen, wenn der Obsiegensanteil nur ganz gering ausfällt. Mit Blick auf die aus ihrer Sicht eindeutige Formulierung des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X müsse vielmehr umgekehrt die Behörde jedenfalls im Mindestmaß, etwa mit 5 %, an den Kosten des Widerspruchsverfahrens zu beteiligen sein.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2011 aufzuheben

und

den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 22. Februar 2010 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, die ihnen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens anteilig zu erstatten.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 4. April 2012 und 9. August 2012 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtskate und de Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung des Senats.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 SGG i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG.

Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß erhoben (§ 151 SGG). Da das SG Oldenburg die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, ist das LSG an die Zulassung gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf anteilige Erstattung ihrer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid der Rechtsvorgängerin des Beklagten vom 17. Dezember 2009. Die Kostenentscheidung der Rechtsvorgängerin des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010 ist rechtmäßig.

Auf Beklagtenseite ist das L. als gemeinsame Einrichtung i. S. von § 44 b Abs. 1 Satz 1 SGB II, die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 kraft Gesetzes entstanden ist, als Rechtsnachfolger kraft Gesetzes an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten; das Passivrubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 45/09 R - juris Rdn. 12, sowie vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr. 5 - juris Rdn. 11).

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Entscheidung über die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010, soweit der Beklagte eine auch nur anteilige Erstattung der entstandenen Kosten abgelehnt hat. Gegen diese Regelung des Widerspruchsbescheides wenden sich die Kläger zutreffend im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Die unmittelbare Klageerhebung gegen die Kostenentscheidung des Beklagten im Widerspruchsverfahren ist zulässig. Der Durchführung eines gesonderten Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 SGG wegen der Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 - B 4 AS 142/11 R -).

Die Voraussetzungen für den begehrten Aufwendungsersatz gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht gegeben. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Erfolg i. S. von § 63 Abs. 1 Satz SGB X hat der Widerspruch nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur dann, wenn die Behörde ihm stattgibt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2012, aaO.), d.h. wenn sie dem Widerspruch abhilft oder den angefochtenen Verwaltungsakt zugunsten des Widerspruchsführers aufhebt oder abändert (vgl. Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 63 Rdn. 18). Es wird rein formal auf das erfolgreiche Ergebnis des Widerspruchsverfahrens abgestellt; ob eine Abhilfeentscheidung ihrerseits rechtmäßig ist, ist ohne Bedeutung, weil es allein auf den Erfolg des Widerspruchs ankommt.

War der Widerspruch erfolgreich, besteht der Kostenerstattungsanspruch. Er entsteht nicht nur, wenn der Widerspruch in vollem Umfang Erfolg hat, sondern - wie sich aus dem einleitenden Wort "soweit" im § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergibt - auch bei dessen teilweisem Erfolg. Zur Ermittlung der Erfolgsanteils ist das mit dem Widerspruch erstrebte Ziel mit dem Ausmaß des Erfolgs zu vergleichen und ins Verhältnis zu setzen. Dieses Verhältnis von Erfolg und Misserfolg ist dann in eine Kostenquote zu übertragen.

Vorliegend hatte der Widerspruch der Kläger teilweise Erfolg, denn mit Änderungsbescheid vom 19. Februar 2010 hat die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Klägern weitere Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 0,03 EUR für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 31. März 2010 bewilligt. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil und macht sich diese gemäß § 153 Abs. 2 SGG zu Eigen. Insbesondere weist der erkennende Senat darauf hin, dass sich bereits aus dem Wortlaut von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X "soweit der Widerspruch erfolgreich ist" ergibt, dass es bei der Entscheidung über die Erstattung von Kosten für das Vorverfahren allein auf den tatsächlichen Erfolg des Widerspruchs ankommt. Mit dieser Gesetzesformulierung wird - rein formal - auf das erfolgreiche Ergebnis des Rechtsbehelfs abgestellt. Es ist unerheblich, wodurch der Erfolg des Widerspruchs herbeigeführt worden ist. Ob dieser auf einer Änderung des Sach- oder Rechtslage beruht, oder ob sich aufgrund des Widerspruchvorbringens neue Aspekte des Falles ergeben, ist nicht relevant. Es reicht grundsätzlich auch aus, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt aus Gründen aufgehoben wird, auf die in der Widerspruchsbegründung nicht Bezug genommen worden ist.

Den im vorliegenden Fall zentralen Streitpunkt, ob der Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Kostentragung wegen einer Geringfügigkeit (die regelmäßig bei 10 % des Gesamtanspruchs angenommen wird, vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Auflage 2013, § 93 Rdn. 49; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 34. Auflage 2013, § 92 Rdn. 8) entfallen zu lassen, auf die Regelung in § 63 SGB X zu übertragen ist, musste der Senat hier nicht entscheiden. Zwar dürfte hierfür wegen des eindeutigen Wortlauts des § 63 SGB X regelmäßig kein Raum sein; die Behörde hat daher dem Grunde nach die Kosten auch bei nur geringfügigem Obsiegen zu tragen (vgl. SG Cottbus, Urteil vom 30. Juli 2012 - S 14 AS 1530/12; Feddern in: jurisPK-SGB X, § 63 Rdn. 19). Aufgrund eines Obsiegensanteils von - wie hier - unter 0,1 % gibt es nach Auffassung des erkennenden Senats indes keinen Grund mehr für eine für die Kläger günstigere Kostenaufteilung, als sie in der Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2010 getroffen worden ist. Vorliegend hatte der Widerspruch der Kläger in Höhe von monatlich 0,03 EUR im Hinblick auf die Höhe des Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung Erfolg. Hinsichtlich des bei der Klägerin zu 1) als Einkommen in Abzug gebrachten monatlichen Betrages von 33,26 EUR aus übersteigendem Kindergeld war der Widerspruch hingegen erfolglos, so dass selbst ohne Berücksichtigung der nicht näher bezifferten Rüge der Verfassungskonformität der §§ 20, 28 SGB II bzw. der diesbezüglich fehlenden Zusicherung der Obsiegensanteil bei 0,09 % liegt. Unter Berücksichtigung der Rüge der Verfassungskonformität der Regelleistung und des Sozialgeldes ergibt sich daher eine Kostenquote, die weit unter diesem Obsiegensanteil von 0,09 % liegt. Bei einem derart geringem Obsiegen musste der Senat indes nicht entscheiden, ob auch im Rahmen des § 63 SGB X auf den Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zum Entfallen der Kostentragung wegen Geringfügigkeit zurückgegriffen werden kann, da selbst nach den allgemeinen Rundungsregelungen kein Grund mehr für einen auch nur anteiligen Kostenausspruch zugunsten der Kläger bestand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG.