Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.01.2014, Az.: L 2 R 332/13
Anspruch auf Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung; Anhebung der Regelaltersgrenze für Beamte bei Altersteilzeitregelung; Verfassungsmäßigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 29.01.2014
- Aktenzeichen
- L 2 R 332/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 12625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2014:0129.L2R332.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - AZ: S 41 R 486/12
Rechtsgrundlagen
- (1996) § 2 AltTZG
- (1996) § 3 Abs. 1 Nr. 1 AltTZG
- § 5 Abs. 2 ArbGG
- § 72b BBG
- Art. 3 Abs. 1 GG
- § 235 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB VI
- § 35 SGB VI
- § 99 SGB VI
Fundstelle
- NZS 2014, 342
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der am 24. August 1947 geborene Kläger stand langjährig als Beamter im Dienst der Bundesbank. Diese bewilligte ihm am 21. August 2002 eine Altersteilzeit gemäß § 72b BBG a.F. mit der Maßgabe, dass der Kläger vom 1. September 2002 bis zum 31. August 2007 mit voller Arbeitskraft arbeitete und in den nachfolgenden fünf Jahren bis zum 31. August 2012 vom Dienst vollständig freigestellt war. Seit September 2012 bezieht der Kläger von seinem Dienstherrn Ruhestandsbezüge. Daneben ist ihm auf seinen Antrag vom 19. Juni 2012 seit dem 1. Oktober 2012 eine Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 147,93 EUR (zuzüglich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 10,80 EUR) zugesprochen worden, die allerdings nach Angaben des Klägers zu 82,59 % auf seine Ruhestandsbezüge anzurechnen ist, so dass ihm im Ergebnis nur ein Anteil von 17,41 % (entsprechend dem Anteil der von ihm erbrachten freiwilligen Beitragsleistungen) zuzüglich des Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag verbleibt.
Im vorliegenden Verfahren begehrt er die Gewährung der Regelaltersrente auch bereits für den Monat September 2012. Nach den Berechnungen des Klägers wäre dies für ihn bezüglich der Bruttomonatsbezüge mit einem Vorteil von 36,55 EUR verbunden; er hat überdies einen damit einhergehenden steuerrechtlichen Vorteil von 8,57 EUR errechnet.
Seinen mit dieser Zielrichtung gegen den die Regelaltersrente zum 1. Oktober 2012 zusprechenden Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012 gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 zurück. Erst zum 1. Oktober 2012 habe der Kläger die Regelaltersgrenze erreicht. Er erfülle auch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung des § 235 Abs. 2 Satz 3 SGB VI.
Die dagegen vom Kläger am 25. Oktober 2012 erhobene Klage ist vom Sozialgericht Hildesheim mit Urteil vom 1. Juli 2013, dem Kläger zugestellt am 25. Juli 2013, abgewiesen worden. Der Kläger könne sich insbesondere nicht auf die Ausnahmevorschrift des § 235 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI berufen, wonach für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben, die Regelaltersgrenze nicht angehoben wird. Es begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber davon abgesehen habe, auch beamtenrechtliche Altersteilzeitregelungen in diese Ausnahmeregelung mit einzubeziehen. Mit der vom Sozialgericht zugelassenen und am 26. August 2013 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Im Rahmen der gebotenen verfassungskonformen Auslegung müsse der Tatbestand des § 235 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI so ausgelegt werden, dass auch in Altersteilzeit befindliche Beamte von dieser Ausnahmeregelung erfasst würden, zumal die vom Gesetzeswortlaut in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 2, 3 des Altersteilzeitgesetzes (AltTZG) im Kern mit den Vorgaben des § 72b BBG übereinstimmten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass für die Gewährung von Vertrauensschutz das in den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung gesetzte Vertrauen ausschlaggebend sei. In Fällen der vorliegenden Art stelle die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung die zweite "Säule" der Altersversorgung dar.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 1. Juli 2013 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2012 zu ändern und
2. die Beklagte zur Gewährung einer Regelaltersrente für den Monat September 2012 zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, da er einstimmig eine solche Verhandlung für nicht erforderlich und die Berufung für unbegründet erachtet.
Der Kläger erfüllte in dem allein streitbetroffenen Monat September 2012 noch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für die begehrte Regelaltersrente. Da der 1947 geborene Kläger die für den Bezug einer Regelaltersrente gemäß § 35 Satz 1 SGB VI erforderliche Regelaltersgrenze nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des § 235 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI erst mit 65 Jahren und einen Monat, d.h. am 24. September 2012, erreicht hatte, konnte er nach dieser Vorschrift die Regelaltersrente erst ab dem 1. Oktober 2012 (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) beziehen. Ab diesem Zeitpunkt ist sie ihm von der Beklagten auch zuerkannt worden.
Soweit nach Satz 3 dieser Vorschrift von einer Anhebung der Regelaltersgrenze bei Versicherten abgesehen wird, so dass für diese weiterhin die frühere Altersgrenze von 65 Jahren maßgeblich bleibt, hilft dies dem Kläger nicht weiter, weil er nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung erfüllt. Die allein in Betracht zu ziehende Tatbestandsalternative der Ziffer 1 erfasst lediglich Versicherte, die vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben.
Dabei können nach dem klaren Wortlaut der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes eine Altersteilzeit im Sinne dieses Gesetzes lediglich Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern vereinbaren; Beamte sind hingegen nicht als Arbeitnehmer in diesem Sinne anzusehen (vgl. auch § 5 Abs. 2 ArbGG).
Soweit der Kläger eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin sehen will, dass § 235 Satz 3 SGB VI auf die Vereinbarung einer Altersteilzeit nach dem Altersteilzeitgesetz abstellt und nicht auch die Zuerkennung von Altersteilzeit nach beamtenrechtlichen Vorgaben erfasst, vermag ihm der Senat nicht zu folgen.
Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist von der Rechtsprechung nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat (BVerfG, Beschluss vom 11. November 2008 - 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1 BvL 7/05 -, BVerfGE 122, 151-190). Im Bereich des Sozialrechts hat der Gesetzgeber überdies grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, insbesondere was die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises und die Bezugsdauer der einzelnen Sozialleistung anbelangt (BSG, U.v. 19. Februar 2009 - B 10 KG 2/07 R - SozR 4-5870 § 1 Nr 2 mit weiteren Nachweisen insbesondere auch zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung).
Eine Überschreitung dieser weiten verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Wahrnehmung des gesetzgeberischen Regelungsermessens ist im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang in keiner Weise ersichtlich.
Bei Versicherten, bei denen eine Altersteilzeit nicht nach dem Altersteilzeitgesetz vereinbart wird, darf der Gesetzgeber für den Regelfall und damit im Rahmen der ihm allein möglichen typisierenden Bewertung davon ausgehen, dass die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht den wesentlichen Teil der Altersvorsorge (sondern - wie im Übrigen auch im vorliegenden Fall - nur eine zusätzliche Absicherung von finanziell meistens deutlich untergeordneter Bedeutung) darstellt. Schon darin ist ein wesentlicher die Ungleichbehandlung rechtfertigender Unterschied zu sehen. Im Rahmen einer sachlich gebotenen typisierenden Betrachtung darf der Gesetzgeber überdies davon ausgehen, dass Versicherte, die Altersteilzeit nach beamtenrechtlichen Vorgaben und damit nicht nach Maßgabe der §§ 2, 3 AltTZG in Anspruch nehmen, auch in einem nur geringeren Umfang Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet haben, was ebenfalls einen verfassungsrechtlich zulässigen Differenzierungsgesichtspunkt darstellt (BVerfG, aaO.).
Ergänzend nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.