Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 16.12.1998, Az.: 2 U 221/98
Vorliegen grober Fahrlässigkeit im Sinne einer Versicherung bei Durchführen von Winkelschleiferarbeiten an Trapezblechen über gelagerten Erntevorräten; Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit auf Grund der Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften; Voraussetzungen für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 16.12.1998
- Aktenzeichen
- 2 U 221/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28954
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:1216.2U221.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 VVG
- § 61 VVG
Fundstellen
- NVersZ 1999, 436
- OLGReport Gerichtsort 1999, 85-86
- VersR 1999, 1489 (red. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Feuerversicherung: Grobe Fahrlässigkeit bei Winkelschleiferarbeiten an Trapezblechen über gelagerten Erntevorräten.
Entscheidungsgründe
Allerdings ist es zweifelhaft, ob die Ansicht des Landgerichts zutrifft, wonach die Beklagte gemäß § 6 Abs. 1 VVG i.V.m. § 7 Nr. 1 a und Nr. 2 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AFB 87) auf Grund einer Verletzung der Ziffer 2.12.14 der "Besonderen Sicherheitsvorschriften für die Landwirtschaft" leistungsfrei ist. Eine Leistungsfreiheit auf Grund der Nichteinhaltung von Sicherheitsvorschriften kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn dem Versicherungsnehmer konkrete Verhaltensweisen vorgeschrieben werden; nicht ausreichend ist die Normierung allgemeiner Sorgfaltspflichten, aus denen für den Versicherungsnehmer nicht mit der erforderlichen Klarheit hervorgeht, was er genau in einer gegebenen Lage zu tun oder zu unterlassen hat (BGH VersR 1972, 85, 86; Senat r + s 1997, 470; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 6 VVG Rdn. 19 m.w.N.). An einer hinreichend bestimmten Handlungspflicht dürfte es vorliegend fehlen. Letztlich kann dies dahinstehen. Die Beklagte ist jedenfalls gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, also in hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist dann der Fall, wenn schon einfache, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige nicht beachtet wird, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste. Es muss sich um ein auch subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten handeln, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt; der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit schließen (BGH r + s 1989, 209; Senat a.a.O.; Prölss/Martin § 6 VVG, Rdn. 117 m.w.N.).
Vorliegend sind die Voraussetzungen eines grob fahrlässigen Verhaltens erfüllt. Maßgeblich ist dabei das Handeln des Sohns des Klägers, sind also die von diesem zusammen mit dem Zeugen A mittels eines Winkelschleifers vorgenommenen Schneidearbeiten an Trapezblechen auf dem Dach des Wirtschaftsgebäudes. Unerheblich ist, ob der Zeuge M Repräsentant des Klägers war, denn er ist ebenso wie der Kläger Versicherungsnehmer. Bei mehreren Versicherungsnehmern genügt im Rahmen des § 61 VVG das Handeln eines von ihnen, wenn - wie dies hier der Fall ist - das gemeinschaftliche und gleichartige Interesse aller Versicherungsnehmer versichert ist (BGH NJW-RR 1991, 1372; Prölss/Martin, § 6 VVG Rdn. 39).
Die Handlungsweise des Sohns des Klägers war objektiv und subjektiv grob fahrlässig. Zusammen mit dem Zeugen A hat er Schneidearbeiten allenfalls wenige Meter über einer großen Menge von darunter gelagertem Stroh vorgenommen. Diese Schneidearbeiten mittels eines Winkelschleifers verursachten einen erheblichen Funkenflug. Dass dies regelmäßig bei derartigen Arbeiten der Fall ist, ist allgemein bekannt, und hier war es - selbstverständlich - nicht anders. Dies folgt aus der glaubhaften Aussage des Zeugen A. Insoweit kann der Vortrag des Klägers, es sei ständig Wasser auf die Schnittstelle gegossen worden, als richtig unterstellt werden. Denn der Zeuge A hat bekundet, auch wenn man genügend Wasser aufgieße, lasse sich beim Flexen Funkenflug nie ganz vermeiden; auch hier sei über eine Entfernung von ca. 30 cm Funkenflug zu erkennen gewesen.
Dass bei einem über 30 cm erkennbaren Funkenflug einzelne Funken auch weiter als 30 cm fliegen können und eine erhebliche Gefahr besteht, dass sie nur wenige Meter davon entfernt gelagertes Heu entzünden, drängt sich jedermann auf. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die in der Scheune gelagerten ca. 250 Heuballen bis unmittelbar unter die teilweise offene Dachfläche reichten oder "nur" ein bis 1,5 m hoch auf der unterhalb des Dachs eingezogenen Zwischendecke lagerten. Jedenfalls fanden die Schneidearbeiten in unmittelbarer Nähe oberhalb der nicht abgedeckten Heuballen statt.
Neben der Brandgefahr durch Funkenflug bestand zudem die erhebliche Gefahr der Entzündung des Heus durch bei den Schneidearbeiten entfernte Blechteile, die durch das teilweise offene Dach nach unten ins Stroh fallen konnten, wie der Zeuge A bekundet hat. Dass die Blechteile eine erhebliche Brandgefahr mit sich brachten, folgt aus der Tatsache, dass sie bei den Schneidearbeiten extrem erhitzt worden sind, und zwar, wie der Zeuge A vor dem Landgericht ausgesagt hat, so stark, dass das Blech sich verfärbt hat. Auch wenn die Schneidearbeiten, wie die Berufung vorträgt, nur zwei bis drei Minuten gedauert haben sollten, war die dadurch hervorgerufene Brandgefahr derart erheblich und augenscheinlich, dass das Verhalten des Zeugen M nur als außergewöhnlich leichtfertig bewertet werden kann.
Ihn trifft auch in subjektiver Hinsicht ein erheblich gesteigerter Verschuldensvorwurf. Denn die durch die Schneidearbeiten hervorgerufenen objektiven Umstände der Brandgefahr sind ihm sehr wohl bewusst gewesen. Dies folgt aus der Tatsache, dass er zusammen mit dem Zeugen A bereits vorher mehrere Dächer mit Trapezblechen erneuert hatte. Wie gefährlich beide Zeugen ihr Tun selbst eingeschätzt haben, hat der Zeuge A im Ermittlungsverfahren bei seiner Vernehmung am 11.09.1997 vor der Kriminalpolizei anschaulich geschildert. Dort hat der Zeuge u.a. bekundet: "Wir wussten wohl, Dass der Schnitt heiß werden würde, weil ja auch die Farbe Blasen geworfen hatte. Aus diesem Grund hatten wir einen Eimer mit Wasser mit nach oben auf das Dach genommen. M sollte jeweils etwas Wasser auf die heißen Stellen gießen, was er grundsätzlich auch gemacht hatte."
Es liegen keine Entschuldigungsgründe vor, die die Handlungsweise des Sohns des Klägers als weniger vorwerfbar erscheinen lassen, wie dies etwa in einer Notsituation der Fall sein kann (vgl. dazu OLG Hamm VersR 1987, 654 [OLG Hamm 23.12.1985 - 20 W 55/85]). Grund für die Tatsache, Dass das Blech auf dem Dach geschnitten worden ist, war ausschließlich, Dass den Zeugen die Arbeit am Boden zu umständlich erschien; denn hätten sie das Blech dort geschnitten, hätten sie - wie der Zeuge A bekundet hat - vorher Platten vom Dach entfernen müssen.
Die Handlungsweise des Zeugen M war schließlich für den eingetretenen Schaden ursächlich. Entweder ist das Stroh durch Funkenflug oder durch heiße heruntergefallene Blechteile entzündet worden, und dies hat dazu geführt, dass das gesamte Wirtschaftsgebäude abgebrannt ist. Daran besteht nach den Gesamtumständen kein ernsthafter Zweifel. Dafür spricht insbesondere der enge örtliche und vor allem zeitliche Zusammenhang zwischen den Schneidearbeiten und dem Brandausbruch. Der Zeuge A hat dazu bekundet, nur "einen Augenblick" nach Beendigung der Flexarbeiten habe er den Brandausbruch bemerkt. Diese Aussage spricht dafür, dass nur Sekunden oder wenige Minuten zwischen Brandentstehung und Beendigung der Schneidearbeiten gelegen haben. Ein enger zeitlicher Zusammenhang bestünde jedoch selbst dann, wenn die Aussage des Zeugen M richtig sein sollte, wonach "nach seinem Zeitgefühl" 15 bis 20 Minuten zwischen dem Ende des Flexens und der Brandentdeckung vergangen sein sollen. Denn eine andere Brandursache kommt selbst in diesem zeitlichen Rahmen nicht ernsthaft in Betracht. Wie das Landgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme zutreffend und von der Berufung nicht angegriffen festgestellt hat, ist der Brand unter dem Dach, und zwar oberhalb der Zwischendecke entstanden. Elektroleitungen und sogenannte Ferkellampen, die durch einen elektrischen Defekt theoretisch einen Brand verursacht haben könnten, waren dort jedenfalls nicht vorhanden, sondern ausschließlich unterhalb der Zwischendecke installiert, und für eine andere Brandursache ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.