Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 11.10.2002, Az.: 1 A 65/00

Abänderung; Aufhebung; Behinderung; Bekanntgabe; Besprechung; Beurteilung; Beurteilungsrichtlinie; dienstliche Beurteilung; Folgebeurteilung; Gesamturteil; individuelle Beurteilung; Leistungsmerkmal; Neubescheidung; Plausibilisierungslast; Plausibilität; Ratingkonferenz; unterbliebene Anhörung; Verfahren; Zweitbeurteiler

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
11.10.2002
Aktenzeichen
1 A 65/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43630
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 22.06.2005 - AZ: 5 LB 306/04

Tatbestand:

1

Der Kläger - inzwischen Polizeikommissar - wendet sich noch gegen seine Beurteilung vom 10. August / 12. November 1998, nachdem er zwischenzeitlich bereits wieder für die Zeit 1.6.1998 - 2001 und nochmals zum 1. September 2002 beurteilt worden ist.

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Er wurde für den Beurteilungszeitraum Febr. 1996 bis Mai 1998 vom Erstbeurteiler, dem Leiter des Polizeikommissariats E., mit der Wertungsstufe 4 - „entspricht voll den Anforderungen“ - beurteilt, womit er sich auch einverstanden erklärte. Sein zuständiger Zweitbeurteiler - Leiter der Polizeiinspektion F. - setzte dieses Gesamturteil jedoch auf die Wertungsstufe 3 - „entspricht den Anforderungen“ - herab, u.zw. zunächst ohne Veränderung einzelner Leistungsmerkmale, was zur Aufhebung der Beurteilung durch die Bezirksregierung F. im Januar 1999 führte, und sodann - nach Änderung von zwei Merkmalen - mit einer Begründung zu Punkt 5 „Gesamturteil / Zweitbeurteiler“ (weder Hinweise noch Erkenntnisse für eine über- oder unterdurchschnittliche Leistungsbewertung, geringere Erfahrung des Klägers in der Laufbahn sowie nicht maßstabsgerechte Erstbeurteilung), die im Mai 1999 abermals zur Aufhebung der Beurteilung durch die Bezirksregierung mit der Maßgabe führte, den Vermerk zu Punkt 5 zu streichen. Nachdem das am 7. Mai 1999 geschehen und die entsprd. Seiten des Beurteilungsvordrucks abgeändert worden waren, wurde die Beurteilung dem Kläger in der geänderten Fassung am 12. Mai 1999 bekannt gegeben. Der Kläger erklärte sich mit dieser geänderten Fassung seiner Beurteilung nicht einverstanden.

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Der gegen diese Fassung der Beurteilung bereits am 3. Dezember 1998 erhobene Widerspruch, der als Antrag auf Abänderung gewertet wurde, wurde durch Bescheid vom 29. Mai 1999 zurückgewiesen. Der dagegen gerichtete Widerspruch vom 8. Juni 1998, begründet mit Schreiben vom 10. November 1999, wurde durch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung F. vom 21. Januar 2000 zurückgewiesen.

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Zur Begründung seiner am 25. Februar 2000 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, die erstellte Beurteilung sei rechtswidrig, da seine 1994 versorgungsamtlich mit 30 % festgestellte Behinderung, die zu einer von der Bezirksregierung festgelegten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % geführt habe, bei der Beurteilung keinerlei Berücksichtigung gefunden habe. Daneben sei er zu Unrecht mit Kriminalhauptmeistern verglichen worden, obgleich er erst seit der Zusammenlegung der Polizei mit der Kriminalpolizei im Jahre 1996 - ohne entsprechende Erfahrung - auch noch kriminalpolizeiliche Aufgaben erledigt habe. Schließlich habe der Zweitbeurteiler ihn nicht gekannt und daher auch gar nicht zutreffend beurteilen können.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 21. Januar 2000 zu verurteilen, die dienstliche Beurteilung des Klägers vom 10. August 1998 aufzuheben und den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu beurteilen.

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angegriffenen Bescheide, zu deren Ergänzung sie ausführt, die Behinderung mit nur 10 % MdE sei unbeachtlich und der Vergleich mit Kriminalhauptmeistern formalrechtlich zulässig, wobei lediglich eine innere Differenzierung innerhalb der verschiedenen Vergleichsgruppen gleicher Besoldung derselben Laufbahngruppe „zweifelsfrei notwendig“ sei, u.zw. durch Gewichtung der den jeweiligen Dienstposten besonders prägenden Leistungsmerkmale. Was die Kenntnis des Zweitbeurteilers angehe, genüge es, dass der Zweitbeurteiler sich entsprechende Kenntnisse durch Berichte von dritter Seite verschafft habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, auf eine Neubescheidung gerichtete Klage ist sachlich begründet.

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Der Kläger hat Anspruch auf eine Neubescheidung seines Abänderungsantrages vom 2. Dezember 1998. Denn die Ablehnung dieses Antrages verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO (analog). Trotz zwischenzeitlicher Folgebeurteilungen aus 2001 und 2002 ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis hier noch gegeben, da auch ältere Beurteilungen bei Leistungsvergleichen noch eine - wenn auch ggf. untergeordnete - Rolle spielen können.

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Die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte ist bei dienstlichen Beurteilungen mit Blick auf die dem Dienstherrn zustehende Beurteilungsermächtigung (Kellner, DÖV 1969, 309) naturgemäß eingeschränkt, wie das in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannt ist (vgl. u.a. BVerwG, ZBR 1981, 197 u. 315 [BVerwG 02.04.1981 - BVerwG 2 C 13.80]). Allerdings können die Verwaltungsgerichte neben Verfahrensverstößen vor allem das Einhalten gesetzlicher Vorgaben und Maßstäbe, die Vollständigkeit der Beurteilungsgrundlagen und deren Plausibilität, die Beachtung und Einhaltung allgemeingültiger Wert- und Beurteilungsmaßstäbe und den Einfluss sachfremder Erwägungen kontrollieren (Schnellenbach, NJW-Schriften 40, 4. Aufl. 1998, Rdn. 480 ff. m.w.N.). Hier ist die Beurteilung vom 10. August 1998 in verwaltungsgerichtlich zugänglichen Kontrollbereichen aus mehreren Gründen zu beanstanden.

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1. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass die hier anwendbaren Beurteilungsrichtlinien schon dem Grunde nach eine rechtsfehlerfreie Beurteilung nicht ermöglichen, dass etwa die allgemeinen Beurteilungsmaßstäbe nicht hinreichend konkretisiert sind, die Vorgabe von Quotenrichtwerten grundsätzlich allgemeine Beurteilungsmaßstäbe verletzt oder die Durchführung von sog. Rankingkonferenzen für sich genommen schon dem Erfordernis einer individuellen Beurteilung entgegensteht (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 11.5.1999 - 5 L 3782/98 -). Ferner bestehen keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Quotenrichtwerte erheblich überschritten worden sind und damit eine unzulässige Maßstabsverschiebung (vgl. dazu Urt. d. BVerwG v. 2.3.2000, Buchholz 237.8 § 18 RhPlBG Nr. 1) stattgefunden hat. Allerdings ist es nach den Erkenntnissen der Kammer nicht mehr auszuschließen, vielmehr sogar naheliegend, dass in den Ranking- und Beurteilerkonferenzen der Bezirksregierung die Notenstufen in einer Weise individuell festgelegt werden, die rechtlich nicht mehr hinnehmbar ist. Die Kammer hat insoweit in ihrem Urteil vom v. 20.3.02 - 1 A 8/00 - dieses Verfahren wie folgt beschrieben:

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„Danach sei von der Beurteilerkonferenz die Note für die zu beurteilenden Beamten im Einzelnen verbindlich festgelegt worden. Diese habe der Erstbeurteiler umzusetzen gehabt, auch wenn er sich mit seinem Notenvorschlag in der Konferenz nicht durchgesetzt habe. Für den Fall der Abweichung von der festgelegten Notenstufe seien ihm zum Teil „dienstrechtliche“ Maßnahmen angedroht worden, da in der Abweichung von den Ergebnissen der Beurteilerkonferenz eine Weigerung liege, die Beurteilungsrichtlinien ordnungsgemäß anzuwenden und hierin ein Dienstvergehen zu sehen sei.“

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Ein solches, von der Kammer als rechtswidrig eingestuftes Verfahren (aaO.) lässt den zuständigen, mit einer Beurteilungsermächtigung ausgestatteten Beurteilern nicht mehr die nötige (eigene) Wertungsfreiheit, die sie benötigen, um in einem „Akt wertender Erkenntnis“ zu den allein von ihnen für richtig befundenen Beurteilungen zu gelangen.

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Es ist bei einer Gesamtwürdigung des Verfahrens mit den verschiedenen Verfügungen der Bezirksregierung Lüneburg v. 5.1.1999, v. 31.3.1999 und v. 5.5.1999 nicht auszuschließen, dass auch im vorliegenden Fall in der beschriebenen Weise vorgegangen wurde, so dass gem. § 108 VwGO nicht frei von Zweifeln ist, ob die angegriffene Beurteilung letztlich in einem einwandfreien Verfahren zustande gekommen ist.

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2. Soweit ersichtlich, hat bezüglich der letztlich stattgefundenen Neubeurteilung und der damit verbundenen Änderungen jedoch keine ordnungsgemäße Bekanntgabe und vor allem Besprechung der Beurteilung mehr stattgefunden (§ 40 Abs. 1 BLV): Die abgeänderte Beurteilung mit den „abgeänderten Seiten“ ist dem Kläger lediglich am 12. Mai 1999 eröffnet worden (Bl. 37 Verwaltungsvorgänge). Eine Beurteilungsbesprechung, die voraussetzt, dass die „fertige Beurteilung dem Beamten zuvor bekannt gegeben worden ist“ (Schnellenbach, aaO, Rdn. 443) und dass zwischen Bekanntgabe und Besprechung eine angemessene Überlegungs- und Befassungsfrist von regelmäßig zwei Tagen liegt (Schnellenbach, aaO, Rdn. 442; Schaefer, ZBR 1983, 173 / 177), hat hier offenbar nicht (mehr) stattgefunden.

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Eine solche Besprechung der Beurteilung hätte hier vor allem auch deshalb nahe gelegen, weil die „Nichtberücksichtigung erhobener Einwendungen“ nach deren Vortrag gemäß den Beurteilungsrichtlinien (Pkt. 14.2 Abs. 2 BRLPol) gerade durch den Zweitbeurteiler noch vor Bekanntgabe der Beurteilung an sich zu erörtern und zu besprechen ist (Pkt. 14.2 Abs. 3 BRLPol). Die hier eingeschlagene Verfahrensweise steht daher im Widerspruch zu einer fürsorglichen und fairen Ausgestaltung des Beurteilungsverfahrens (vgl. dazu OVG Münster, DÖD 1997, 43 f [OVG Nordrhein-Westfalen 15.05.1995 - 1 A 2881/91]).

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3. Hiervon abgesehen hat die Klage aber vor allem deshalb Erfolg, weil die Beklagte im vorliegenden Fall nicht ihrer dienstherrlichen Plausibilisierungslast gerecht geworden ist (OVG Saarlouis, DÖD 2000, 65 [OVG Rheinland-Pfalz 10.05.1999 - 3 A 12725/98] mwN.).

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Das hier zur Rede stehende Gesamt-(Wert-)-Urteil mit der Wertungsstufe 3 - „entspricht den Anforderungen“ - ist von der Beklagten für den gesamten Beurteilungszeitraum nicht in der rechtlich gebotenen Weise verifiziert und nachvollziehbar gemacht worden (vgl. BVerwGE 60, 245 / 249 f.; OVG NW, ZBR 1975, 90/91; Bieler, Die dienstliche Beurteilung, 3. Aufl. 2000, Rdn. 91). Das aber ist ihre Aufgabe. Denn aus einer Summe von Einzel- bzw. Teilbewertungen und -beobachtungen ist grundsätzlich ein adäquates, rational nachvollziehbares Gesamturteil zu bilden, das mit der Darstellung der Gesamtpersönlichkeit harmonisch in Einklang zu bringen ist. Es darf auf keinen Fall eine nur „formelhafte Behauptung“ bleiben (BVerwG, aaO, S. 251), die nur mit „allgemeinen Ausführungen“ (BVerwG, aaO., S. 253) belegt wird. Für die Vergabe der Wertungsstufe 3 hätten sich also die Leistungen des Klägers während des gesamten, von der Beklagten hier beurteilten Zeitraums Februar 1996 bis Mai 1998 insgesamt nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei als solche darstellen müssen, die nur dem Durchschnitt zuzuordnen sind. Das ist jedoch nicht der Fall.

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In welcher Weise für die Festlegung von Einzelnoten der Leistungsmerkmale und des Gesamturteils eine hinreichend plausible Begründung zu erfolgen hat, hängt - nach richterlicher Wertung (§ 108 VwGO) - insbesondere von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Entscheidend ist, dass das Werturteil keine formelhafte Behauptung bleibt, sondern dass es für den Beamten einsichtig und für außenstehende Dritte - unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten vor allem für das Gericht - nachvollziehbar wird, dass der Beamte die Gründe und Argumente des Dienstherrn erfährt und für ihn der Weg, der zu der Bewertung geführt hat, sichtbar wird (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Mai 1999 - 5 L 3782/98 -). Dort, wo das Gesamturteil von dem allgemeinen Mittel der Teilbeurteilungen in signifikanter Weise abweicht, muss die Begründung in ganz besonderem Maße erkennen lassen, welche Teilaspekte, -vorgänge und -urteile der Dienstherr stärker gewichtet hat als andere und warum das geschehen ist. In der Begründung ist die unterschiedliche Gewichtung der Teilurteile und die Berücksichtigung weiterer Kriterien und Wertmaßstäbe deshalb im einzelnen plausibel niederzulegen, weil nur so ein willkürliches Vorgehen auszuschließen ist und auch nur so eine effektive gerichtliche Kontrolle der Beurteilungsentscheidung gem. Art. 19 Abs. 4 GG möglich erscheint (vgl. Huber, Anforderungen an die Erstellung dienstlicher Regelbeurteilungen, ZBR 1993, 361/368).

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Die angegriffene Beurteilung ist von der Beklagten nicht ausreichend plausibel gemacht worden: Das dem Kläger letztlich nur noch zugebilligte Gesamturteil „entspricht den Anforderungen“ (Durchschnitt der Einzelmerkmale: 3,54 / gewichteter Durchschnitt: 3,5) steht im Widerspruch zu den in der ersten Beurteilung zum Ausdruck gelangten Einschätzungen des Erstbeurteilers, die deutlich machen, dass der Kläger in überdurchschnittlicher Weise selbständig arbeitet (Merkmal 1.1) und zugleich überdurchschnittlich mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten zusammenzuarbeiten vermag. Auch seine Arbeitsökonomie sowie Arbeitssorgfalt ist nach Einschätzung des Erstbeurteilers überdurchschnittlich. Das soll auch für die Zweckmäßigkeit des Handelns (2.1), die Fach-/Praxiskenntnisse und deren Anwendung gelten (2.2) sowie für die Beachtung von Vorschriften, Zusammenhängen und deren Anwendung (2.3).Der rechnerische Durchschnitt der vom Erstbeurteiler festgelegten Einzelmerkmale war denn auch 3, 7, jener der gewichteten Merkmale sogar 3,8. Die von der Bezirksregierung Lüneburg unter diesen Umständen mit Verfügung vom 31. März 1999 beim Erstbeurteiler hoheitlich angeforderte Rechtfertigung dafür, warum „von der in den Beurteilungskonferenzen bei der Polizeiinspektion Lüneburg vereinbarten Maßstabsbildung unter Berücksichtigung des in den Beurteilungskonferenzen bei der Bezirksregierung Lüneburg bezirkseinheitlich erarbeiteten Beurteilungsmaßstabes abgewichen“ wurde (s.o. Pkt. 1), die bis zum 16.4.1999 beim Dez. 304 vorzulegen war, ist offenbar seitens des Erstbeurteilers nicht erfolgt. Der Erstbeurteiler hat seinen „Akt wertender Erkenntnis“ nicht gerechtfertigt. Daraus ist abzuleiten, dass es nach der Einschätzung des Erstbeurteilers bei der insgesamt positiven Beurteilung mit den dargestellten Leistungsmerkmalen von 1998 sein Bewenden haben sollte. Das ist gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO zu berücksichtigen und zu würdigen.

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Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, in welcher Weise die von der Beklagten für notwendig gehaltene „innere Differenzierung“ bezüglich der Kriminalhauptmeister und der Polizeihauptmeister (Schrifts. v. 31.3.2000, S. 3) durchgeführt worden sein soll. Anhaltspunkte für eine solche, von der Beklagten selbst für nötig befundene Differenzierung finden sich in der angegriffenen Beurteilung nicht.

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Zudem ist nicht erkennbar, dass eine - angesichts der vorliegenden gesundheitlichen Einschränkung des Klägers - abwägende Einbeziehung und Beurteilung der tatsächlich vorhandenen Behinderung des Klägers stattgefunden hätte, mag sie auch für sich genommen nicht den Grad erreicht haben, der zwingend zu einer formalrechtlichen Berücksichtigung hätte führen müssen. Im Beurteilungsformular ist lediglich die Rubrik „Schwerbehinderung“ bzw. eine ihr gleichgestellte Behinderung (S. 1 des Formulars) mit „nein“ angekreuzt worden. Die fraglos vorhandenen Wirbelsäulen- und Bandscheibenveränderungen des Klägers, die von der Bezirksregierung Lüneburg unter Verwertung eines polizeiärztlichen Gutachtens vom 11.2.1998 als eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % angesehen worden sind, hätten jedoch in der Beurteilung Erwähnung und abwägende Einbeziehung verdient gehabt. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das unterblieben ist.

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Zudem belegt der - allerdings später gestrichene - Vermerk zu Nr. 5 / Zweitbeurteiler, dass der Vortrag des Klägers zutreffen dürfte, dass der Zweitbeurteiler den Kläger nicht gekannt hat. Wenn dort - angesichts einer langjährigen Tätigkeit des Klägers in der Laufbahn des mittleren Dienstes - von einer „geringeren Erfahrung in der Laufbahn“ die Rede ist, die hier zu berücksichtigen sei, so zeigt das, wie wenig Kenntnisse der Zweitbeurteiler über den Kläger und seinen Werdegang bei der Polizei beim Abfassen seines Vermerks hatte. Denn der Kläger ist erst seit dem Jahre 2001 Beamter des gehobenen Dienstes (Polizeikommissar). Es ist nicht ersichtlich, dass die damit offen zutage getretene Unkenntnis des Zweitbeurteilers durch Berichte Dritter in irgendeiner Form ausgeglichen worden wäre. Das jedoch wäre angesichts des unverständlichen Vermerks erforderlich gewesen. Insoweit reicht der pauschale Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung der 80er Jahre, derzufolge es genüge, dass sich der Zweitbeurteiler die „die notwendigen Kenntnisse dadurch verschaffe, dass er auf Berichte von dritter Seite zurückgreift“, hier nicht mehr aus. Es hätte einsichtig gemacht werden müssen, auf welche Weise der Zweitbeurteiler seine Unkenntnis ausgeglichen hat und zu einer sachgerechteren Einschätzung als jener des Erstbeurteilers gelangen konnte.

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Angesichts dessen, dass der Kläger nach dem Kenntnis- bzw. Unkenntnisstand des Zweitbeurteilers (vgl. den gestrichenen Vermerk zu Pkt. 5 / Zweitbeurteiler) während des Beurteilungszeitraums jedenfalls keinerlei Leistungsabfall gezeigt hat, ist eine Herabstufung des Gesamturteils von der Wertungsstufe 4 auf die Stufe 3 nicht mehr nachvollziehbar, zumal - bei Aufrechterhaltung der übrigen (positiven) Merkmale - die nachträgliche Abänderung von lediglich zwei Leistungsmerkmalen (Arbeitssorgfalt, Verwertbarkeit der Arbeitsergebnisse) in ihrer Begründung kaum tragfähig und mit Blick auf ihre (gravierende) Bedeutung für das Gesamtergebnis nicht plausibel ist. Wenn die Arbeitsergebnisse des Klägers auch nach Einschätzung des Zweitbeurteilers „in der Regel umsichtig und nach sorgfältiger Abwägung erzielt“ werden (vgl. die Begründung zur Herabstufung der „Arbeitssorgfalt“, 1.7), so wird nicht deutlich, aus welchen Sachgründen denn nun die Herabstufung von der Wertungsstufe 4 auf die Stufe 3 erfolgen mußte und vom Leistungsbild des Klägers her erforderlich war. Es ist durchaus möglich, den Pkt. „Arbeitssorgfalt“ bei solcher Beschreibung weiterhin den Anforderungen zuzuordnen, die mit der Notenstufe 4 umschrieben werden, nämlich dass die Sorgfalt den Anforderungen „in vollem Umfang gerecht wird und somit insgesamt über dem Durchschnitt liegt“ (Definition Notenstufe 4). Auch die Begründung zur Herabstufung der „Verwertbarkeit Arbeitsergebnisse“ (2.5) überzeugt nicht, wenn dort ausgeführt wird, jene Ergebnisse entsprächen „im wesentlichen den Anforderungen“ und seien „verwertbar“. Die dann aufgestellte Forderung nach mehr „Details“ und „Erkennbarkeit des Ermittlungsverlaufs“ mag für die Vergabe höherer Wertungsstufen zutreffen, ist jedoch - bei anforderungsgerechten Ergebnissen - nicht zwingender Anlass für eine Abstufung auf die Notenstufe 3. Dabei ist gem. § 108 VwGO dann einzubeziehen, dass diese Änderungen ersichtlich erst nach Aufhebung der Beurteilung und hoheitlicher Anmahnung der für geboten gehaltenen Veränderung einzelner Leistungsmerkmale durch die Bezirksregierung Lüneburg erfolgte (vgl. dazu die Weisung v. 5.1.1999).

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Bei dieser Lage der Dinge ist die angegriffene Beurteilung insgesamt nicht plausibel. Aus einer Summe von Einzel- und Teilleistungen ist nämlich für den Beurteilungszeitraum grundsätzlich ein adäquates, rational nachvollziehbares Gesamturteil zu bilden, das mit der Darstellung der Gesamtpersönlichkeit in Einklang zu bringen ist. Dabei steht es dem Beurteiler nicht zu, nach seinem Ermessen wichtige Teilbereiche oder Leistungsaspekte auszublenden und bei der Gesamtbewertung außer Betracht zu lassen. Vielmehr hat er in Wahrnehmung der gerade ihm zugewiesenen Beurteilungsermächtigung rechtlich zwingend eine wertende Gesamtwürdigung vorzunehmen (BVerwG, NVwZ-RR 1999, 455). Die Beurteilung ist als Werturteil keine Ermessensentscheidung in dem Sinne, dass es dem Beurteiler freistünde, wahlweise die einen oder anderen Leistungsaspekte wertend zu berücksichtigen oder aber davon abzusehen: „ Dem Beurteilenden ist auch nicht eine untechnisch mit "Ermessen" zu benennende Entscheidungsfreiheit darüber eingeräumt, ob und in welcher Weise er einen Beurteilungsbeitrag in seine Beurteilung einbezieht“ (so BVerwG, aaO.).

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4. Bei einer all das einbeziehenden Gesamtwürdigung und Erstellung der dienstlichen Beurteilung des Klägers mit dem erforderlichen (hohen) Maß an „Sensibilität, Gewissenhaftigkeit, Objektivität sowie Verantwortungsbewußtsein“ (vgl. Richtlinien I 1. Abs. 3) könnte mit Blick auf die Einschätzungen des Erstbeurteilers hier durchaus eine Vergabe der Notenstufe 4 in Betracht kommen, so dass die ablehnenden Bescheide der Beklagten aufzuheben waren und die Verpflichtung zur Neubescheidung auszusprechen war.