Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 11.01.2012, Az.: 11 A 90/11

Anhörung; Ausweisung; Erledigung; Fortsetzungsfeststellungsklage; unbegleitete Minderjährige

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
11.01.2012
Aktenzeichen
11 A 90/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44502
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Nach Erledigung der Ausweisung besteht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, wenn dem Ausländer in der Ausweisungsverfügung vorgeworfen wurde, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darzustellen, bzw. wenn die Gefahr besteht, dass die Ausweisung bei späteren Behördenentscheidungen zu seinen Lasten berücksichtigt werden könnte.

2. Zur Rechtswidrigkeit einer Ermessensausweisung mangels Anhörung.

3. Bei der Ausweisung von unbegleiteten Minderjährigen wegen der illegalen Einreise müssen die Minderjährigkeit, die Gründe und Umstände der Einreise sowie die Erforderlichkeit der Ausweisung in den Ermessenserwägungen konkret und einzelfallbezogenen berücksichtigt werden.

Tatbestand:

Der am 26. September 1993 in Borken geborene Kläger zu 1. und der am 14. Januar 1996 in Borken geborene Kläger zu 2. sind Brüder. Beide besitzen die kosovarische Staatsangehörigkeit; ihre Eltern hielten sich als Asylbewerber in Deutschland auf. Sowohl die Asylanträge der Eltern als auch diejenigen der Kläger wurden abgelehnt. Die Kläger und ihre Eltern wurden dann zunächst geduldet; Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wurden durch den Kreis Borken abgelehnt. Der Vater der Kläger verstarb im Jahr 2007. Die Kläger und ihre Mutter wurden am 14. Dezember 2009 in den Kosovo abgeschoben.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 teilte der Nds. Flüchtlingsrat e.V. dem Beklagten mit, dass die Kläger kürzlich als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland eingereist seien. Der Vater sei verstorben; auch der Aufenthaltsort der Mutter sei unbekannt. Ein in Nordenham wohnender Cousin - Herr ……………… - sei bereit, die beiden aufzunehmen und die Vormundschaft zu übernehmen.

Bereits einen Tag darauf, am 16. Dezember 2010, übergab der Beklagte den Klägern bei ihrer persönlichen Vorsprache einen Ausweisungsbescheid. Zur Begründung der Ausweisung führte der Beklagte aus, dass die Kläger die Ausweisungsgründe des § 55 Abs. 1, 2 Nrn. 2 und 6 AufenthG erfüllt hätten. Die Einreise ohne Pass und Visum sowie unter Missachtung der Sperrwirkung der vorangegangenen Abschiebung sei ein nicht geringfügiger Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften. Die Ausweisung sei aus generalpräventiven Gründen erforderlich, um andere Ausländer von der illegalen Einreise abzuhalten. Sie sei ferner aus spezialpräventiven Gründen erforderlich, um zu verhindern, dass die Kläger weitere Rechtsverstöße im Bundesgebiet begehen. Und schließlich sei die Ausweisung auch ermessensgerecht, da Gründe nach §§ 55 Abs. 3, 56 AufenthG, die einer Ausweisung entgegen stehen, nicht erkennbar seien. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.

Am 21. Dezember 2010 bestellte das Amtsgericht Brake zunächst Herrn ………… vom Jugendamt des Beklagten zum Vormund. Am 28. Januar 2011 änderte es diesen Beschluss ab und bestellte Herrn ……….. als Vormund. Eine für den 19. Januar 2011 geplante unangekündige Abschiebung scheiterte daran, dass der Kläger zu 1. nicht angetroffen wurde.

Die Kläger haben am 13. Januar 2011 Klage erhoben. Gleichzeitig beantragten sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (11 B 91/11). Der Beklagte hob auf einen Hinweis des Gerichts die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, ordnete aber am 7. Februar 2011 die sofortige Vollziehung mit anderer Begründung erneut an. Auf einen zweiten Antrag der Kläger nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 2. März 2011 - 11 B 397/11 - die aufschiebende Wirkung wieder her.

Mit Urteil vom 19. April 2011 - 6 K 2004/09.A -, verpflichtete das VG Münster die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass in der Person der Kläger Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Zur Begründung führte das VG Münster aus, die Kläger hätten keinen Kontakt mehr zur Mutter und könnten auch sonst im Kosovo nicht auf verwandtschaftliche Hilfe zurückgreifen. Auf sich allein gestellt könnten sie als Jugendliche im Kosovo nicht ihr Existenzminimum sichern. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils befristete der Beklagte mit Bescheid vom 1. Dezember 2011 die Sperrwirkungen der Abschiebung und der Ausweisung auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheides und erteilte den Klägern Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 3 AufenthG.

Die Kläger halten ihre Klage aufrecht und sind der Auffassung, die Ausweisung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Ausgang des Asylfolgeverfahrens zeige, dass sie von vornherein einen legitimen Grund hatten, nach Deutschland einzureisen. Die Klageerhebung sei inzwischen von ihrem neuen Vormund genehmigt worden.

Die Kläger haben ursprünglich beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2010 aufzuheben.

Sie beantragen nunmehr,

festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2010 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Klage für den Kläger zu 2. schon nicht wirksam erhoben wurde. Dieser sei ausländerrechtlich noch nicht handlungsfähig; Herr ……….. habe der Klagerhebung als Vormund damals nicht zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig. Sie wurde namentlich wirksam erhoben. Der Kläger zu 1. war im Zeitpunkt der Klageerhebung als Siebzehnjähriger gem. § 80 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in der Lage, einen Rechtsanwalt wirksam mit der Erhebung einer ausländerrechtlichen Klage zu beauftragen (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 62 Rn. 5, 7). Dagegen war der Kläger zu 2. im Zeitpunkt der Klageerhebung als Vierzehnjähriger nach den vorgenannten Vorschriften nicht prozessfähig. Dieser Mangel wurde aber durch die Genehmigung der Klage Seitens des neuen Vormunds - Herrn ……………… - geheilt (vgl. Kopp/ Schenke, aaO., § 62 Rn. 17).

Es handelt sich bei der ursprünglich als Anfechtungsklage erhobenen Klage inzwischen um eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Denn die angefochtene Ausweisungsverfügung hat sich nach Klageerhebung erledigt, als der Beklagte am 1. Dezember 2011 die Sperrwirkung mit sofortiger Wirkung befristete. Eine Ausweisung belastet ihren Adressaten grundsätzlich in zweierlei Hinsicht: Zum einen führt sie zum Erlöschen seines Aufenthaltstitels (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), zum anderen löst sie eine Sperre für die Einreise und die Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels aus (vgl. § 11 Abs. 1 AufenthG). Die erstgenannte Wirkung entfaltete die Ausweisung im vorliegenden Fall aber nicht, weil die Kläger im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe gar keinen Aufenthaltstitel besaßen. Die Sperrwirkung ist mit Bekanntgabe der Befristungsentscheidung vom 1. Dezember 2011 entfallen. Somit stellt die Ausweisung für die Kläger aktuell keine unmittelbare rechtliche Belastung mehr dar. Die Kläger haben auch das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, dass die Ausweisung rechtswidrig war. Ein solches Feststellungsinteresse ist unter anderem zu bejahen, wenn die begehrte Feststellung als Genugtuung und/ oder zur Rehabilitierung erforderlich ist, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter hatte. Dies kann sich auch aus der Begründung des Verwaltungsaktes ergeben (Kopp/ Schenke, aaO., § 113 Rn. 142 f. m.w.N.). Mit der Ausweisung ist das ausländerbehördliche Werturteil verbunden, dass der ausgewiesene Ausländer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland darstellt. In der Begründung des hier konkret angefochtenen Bescheides wirft der Beklagte den Klägern vor, sie hätten einen nicht nur geringfügigen Rechtsverstoß begangen und ihre Ausweisung sei unter anderem erforderlich, um zu verhindern, dass sie weitere Rechtsverstöße in Deutschland begehen. Um sich von diesen Vorwürfen zu rehabilitieren haben die Kläger ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung darüber, ob die Ausweisung an rechtswidrig war. Im Übrigen kann nur eine solche Feststellung der Gefahr vorbeugen, dass Ausländerbehörden bei zukünftigen (Ermessens-)Entscheidungen (z.B. über eine zweite Ausweisung, wenn die Kläger in Zukunft Straftaten begehen sollten) die erledigte Ausweisung zu Lasten der Kläger berücksichtigen.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2010 ist rechtswidrig gewesen.

Bezüglich des Klägers zu 2. ist schon fraglich, ob ihm die Ausweisung überhaupt wirksam bekannt gegeben wurde. Als ihm am 16. Dezember 2010 die Ausweisungsverfügung persönlich übergeben wurde, war der Kläger zu 2. als Vierzehnjähriger nach § 80 Abs. 1 AufenthG noch ausländerrechtlich handlungsunfähig, Damit konnte ihm auch kein ausländerrechtlicher Verwaltungsakt wirksam persönlich bekannt gegeben werden (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., § 41 Rn. 29). Die einzige - hier nicht einschlägige - Ausnahme wäre eine Abschiebungsandrohung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 AufenthG; dazu Dienelt, in: Renner, AuslR, 9. Aufl., § 80 AufenthG Rn. 7). Der Bescheid dürfte allerdings zu dem Zeitpunkt wirksam geworden sein, in dem ihn der Kläger zu 2. quasi als Bote des Beklagten seinem Vormund zur Kenntnis gegeben hat. Da der Vormund die Klage gegen die Ausweisung genehmigt hat, muss eine solche Kenntnisnahme irgendwann stattgefunden haben.

Letztendlich kann dies aber dahinstehen, denn angefochtene Bescheid ist jedenfalls rechtswidrig.

Er ist schon in formeller Hinsicht rechtswidrig, weil die Kläger bzw. der Vormund des Klägers zu 2. vor seinem Erlass entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG nicht angehört wurden. Zwar ergibt sich aus Bl. 62 des Verwaltungsvorgangs, dass der Beklagte die Kläger am Tag der Ausweisung persönlich zu den Hintergründen ihrer illegalen Wiedereinreise befragt hat. Es ist aber nicht ersichtlich, dass dabei auch über die beabsichtigte Ausweisung gesprochen wurde und die Kläger Gelegenheit erhielten, hiergegen Einwände vorzutragen. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass der Vormund des ausländerrechtlich handlungsunfähigen Klägers zu 2. Gelegenheit gehabt hat, sich für ihn zu der beabsichtigen Ausweisung zu äußern. Für einen Ausnahmefall, in dem nach § 28 Abs. 2 VwVfG von einer Anhörung abgesehen werden kann, gibt es keine Anhaltspunkte. Aber selbst wenn ein solcher Ausnahmefall vorgelegen haben sollte, würde es jedenfalls an einer Ermessensentscheidung des Beklagten darüber, ob im konkreten Fall von der Anhörung abgesehen werden soll, fehlen (vgl. zur Erforderlichkeit einer solchen Ermessensentscheidung Kopp/ Ramsauer, aaO., § 28 Rn. 44 f.). Auch eine Nachholung der Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG ist nicht erfolgt. Allein der Umstand, dass die Kläger Klage erhoben haben und ihre Schriftsätze, in denen sie sich mit der Ausweisung auseinandersetzen, vom Gericht an den Beklagten weitergeleitet wurden, stellt noch keine Nachholung der Anhörung dar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - nicht erkennbar ist, dass der Beklagte die Schriftsätze der Kläger zum Anlass genommen, seine Entscheidung noch einmal unter Berücksichtigung der vorgebrachten Argumente zu überdenken. Bei einer anderen Ansicht liefen die Vorschriften des VwVfG über die Anhörung praktisch leer, denn nahezu jedes Klageverfahren führt dazu, dass die Behörde auf dem "Umweg" über das Gericht Kenntnis von den Argumenten des Klägers gegen den angefochtenen Verwaltungsakt erhält (vgl. Kopp/ Ramsauer, aaO., § 45 Rn. 26 f.). Die unterbliebene Anhörung ist hier auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Da es vorliegend um eine Ermessensausweisung geht ist nicht offensichtlich, dass das mögliche Vorbringen der Kläger in einer Anhörung die Entscheidung des Beklagten nicht beeinflusst hätte. So hätte ein umfangreicher und substantiierter Vortrag zu den Gründen für die Wiedereinreise und zur besonderen Schutzbedürftigkeit der Kläger als unbegleitete Minderjährige möglicherweise zu einer anderen Ermessensausübung führen können oder sogar müssen.

Die angefochtene Ausweisung ist auch materiell rechtswidrig.

Bezüglich des Ausweisungsgrundes nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, auf den der Beklagte die Ausweisung auch gestützt hat, gibt es schon keine Anhaltspunkte, dass er objektiv vorliegt. Der Beklagte hat dies im angefochtenen Bescheid nicht näher ausgeführt. Nichts im beigezogenen Verwaltungsvorgang deutet darauf hin, dass die Kläger Leistungen nach dem SGB XII bezogen haben. Vielmehr scheinen sie Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen (vgl. den Bescheid der Stadt Nordenham vom 18. August 2011 im nicht paginierten Teil des Verwaltungsvorgangs - Beiakte C). Den Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erfüllen aber nur Leistungen nach dem SGB XII, nicht jedoch solche nach dem SGB II oder AsylbLG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 - 1 C 20/09 -, BVerwGE 138, 135 ff. Rn. 18).

Ob die Kläger mit der illegalen Wiedereinreise unter den besonderen Umständen ihres Einzelfalls einen nicht nur geringfügigen und vereinzelten Rechtsverstoß begangen haben, der den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls wurde die Ausweisung vom Beklagten ermessensfehlerhaft verfügt. Der Beklagte hat in der Begründung des Bescheides vom 16. Dezember 2010 nicht alle relevanten Umstände berücksichtigt und miteinander abgewogen. Seine Ermessenserwägungen beschränken sich auf folgendes:

1.) Einen pauschalen Verweis auf das generelle öffentliche Interesse an Einhaltung der Einreisevorschriften sowie das generalpräventive Bedürfnis, anderen Ausländern zu verdeutlichen, dass die illegale Einreise nicht folgenlos bleibt.

2.) Einen pauschalen Verweis darauf, dass weitere Rechtsverstöße durch die Kläger im Bundesgebiet verhindert werden sollen.

3.) Die pauschale Feststellung, dass Gründe, die einer Ausweisung entgegen stehen, nicht erkennbar bzw. nicht nachgewiesen seien.

Diese unsubstantiierten, textbausteinartigen Ausführungen werden den Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls nicht gerecht.

So wird die Minderjährigkeit der Kläger im angefochtenen Bescheid an keiner Stelle auch nur erwähnt, geschweige denn berücksichtigt. Dabei wäre dieser Umstand durchaus relevant gewesen, denn tendenziell wiegt ein Rechtsverstoß durch einen Minderjährigen weniger schwer als ein vergleichbarer Verstoß durch einen Erwachsenen wiegen würde. So kann z.B. der besonders schwerwiegende Vorwurf, durch die illegale Wiedereinreise zugleich eine Straftat begangen zu haben (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), einem minderjährigen Jugendlichen nur dann gemacht werden, wenn nach eingehender individueller Prüfung zweifelsfrei feststeht, dass er die nach § 3 Satz 1 JGG für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit erforderliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besaß (vgl. Eisenberg, JGG, 13. Aufl., § 3 Rn. 4; BGH, Urteil vom 3. Februar 2004 – 4 StR 492/04 -, juris OLG Hamm, Beschluss vom 28. Juni 2005 – 3 Ss 194/05 -, juris). Fehlt es hieran, liegt keine Straftat vor, sondern "nur" ein ausweisungsrechtlich weniger gewichtiger, nicht strafbewehrter Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften (vgl. zum besonderen ausweisungsrechtlichen Gewicht von vorsätzlichen Straftaten BVerwG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 C 9.94 -, BVerwGE 102, 63, 66 f.; BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97 -, BVerwGE 106, 351, 357). Der angefochtene Bescheid berücksichtigt diese Zusammenhänge nicht. Er enthält keinerlei Ausführungen zur Minderjährigkeit der Kläger, ihrer strafrechtlichen Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit und den Folgen, die daraus für das Gewicht des Ausweisungsgrundes zu ziehen sind.

Ebenso ging der Beklagte im angefochtenen Bescheid mit keinem Wort auf die Behauptung der Kläger ein, sie seien von ihrer Mutter getrennt worden, hätten im Kosovo keine verwandtschaftliche Unterstützung und seien daher auf den Beistand ihres in Nordenham lebenden Cousins angewiesen. Dabei war dieses Vorbringen dem Beklagten durchaus bekannt, denn der Nds. Flüchtlingsrat hatte in seinem Schreiben vom 15. Dezember 2010, das sich im Verwaltungsvorgang vor der Ausweisungsverfügung befindet, darauf hingewiesen. Auch dieser Umstand war ausweisungsrechtlich relevant, denn wenn er zuträfe, ließe er den Einreiseverstoß in einem milderen Licht erscheinen und würde - wie der Fortgang des asylrechtlichen Verfahrens vor dem VG Münster gezeigt hat - sogar ein Aufenthaltsrecht vermitteln. Eine Beweiswürdigung, aus der sich ergibt, dass und wieso der Beklagte die diesbezüglichen Behauptungen der Kläger für unglaubhaft hielt, findet sich im angefochtenen Bescheid nicht. Es scheint vielmehr so, als wäre der Klägervortrag zu den Gründen und Umständen der illegalen Wiedereinreise vom Beklagten gar nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen worden.

Angesichts der vorgenannten besonderen Umstände des Falles hätte es nahe gelegen, von einer Ausweisung jedenfalls bis zum Abschluss des asylrechtlichen Verfahrens vorläufig abzusehen. Dies hätte keineswegs ein generelles Signal gesetzt, dass die unerlaubte Einreise von Ausländern folgenlos hingenommen wird. Die Signalwirkung wäre allenfalls gewesen, dass unbegleitete Minderjährige, die behaupten, sie seien zum Überleben auf die Hilfe eines in Deutschland wohnenden Verwandten angewiesen, nicht vor einer eingehenden Prüfung des Sachverhalts ausgewiesen werden. Dass ein solches Signal "falsch" gewesen wäre, vermag das Gericht nicht zu erkennen.

Inwieweit die Ausweisung zur Verhütung weiterer Rechtsverstöße durch die Kläger erforderlich war, wird im angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht nachvollziehbar begründet. Aus der Akte geht nicht hervor, dass die Kläger in Deutschland einen anderen Rechtsverstoß als die unerlaubte Einreise und den anschließenden illegalen Aufenthalt begangen haben. Um eine Fortsetzung bzw. Wiederholung dieses Rechtsverstoßes zu verhindern, war die Ausweisung unter den besonderen Umständen des konkreten Falls aber gar nicht erforderlich. Die Beendigung des illegalen Aufenthalts der Kläger war nicht von einer vorherigen Ausweisung abhängig, denn die Kläger besaßen ohnehin keinen Aufenthaltstitel und waren wegen der unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 AufenthG). Zur Herbeiführung einer Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre nach § 11 Abs. 1 AufenthG war im konkreten Fall ebenfalls keine Ausweisung erforderlich, denn eine solche Sperre bestand wegen der Abschiebung vom 14. Dezember 2009 ohnehin schon. Es war also auch ohne die Ausweisung schon rechtlich ohne weiteres möglich, die Kläger abzuschieben und sie an einer erneuten Einreise zu hindern. Dass selbst der Beklagte nicht ernsthaft befürchtet, die Kläger könnten in Deutschland andere Rechtsverstöße als den illegalen Aufenthalt begehen, zeigt sich daran, dass er im Anschluss an die Feststellung eines Abschiebehindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das VG Münster die Sperrwirkung der Ausweisung mit sofortiger Wirkung ohne vorherige Ausreise befristet und den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Dieses Verhalten wäre unverständlich, wenn der Beklagte der Auffassung wäre, dass von den Klägern auch nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis noch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.