Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.01.2012, Az.: 13 A 540/11

Angehörigenbehaltensbetrag; Behaltensbetrag; Einkommensanrechnung; fiktive Hinterbliebenenbezüge; Grundrente; Kriegsopferfürsorge

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.01.2012
Aktenzeichen
13 A 540/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44284
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von Einkommen für Leistungen der Kriegsopferfürsorge.

Die am 3. Mai …geborene Klägerin ist die Ehefrau des Herrn …, Kläger in dem Verfahren 13 A 2790/11. Herr ... gehört zum Personenkreis der Fürsorgeberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und bezieht eine Grundrente aufgrund eines Grades der Schädigung (GdS) von 80 in Höhe von 510,00 Euro. Die Klägerin und ihr Ehemann sind pflegebedürftig und befinden sich in stationärer Unterbringung in dem Alten- und Pflegeheim A.--Haus in … im Landkreis ….

Mit Bescheid vom 22. November 2010 bzw. endgültigem Bescheid vom 29. April 2011 stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Gießen (im Folgenden: Hessisches Versorgungsamt) fest, dass der Pflegebedarf des Herrn ... nicht ausschließlich durch die anerkannten Schädigungsfolgen, sondern insgesamt überwiegend von schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen verursacht werde. Aus diesem Grund übernahm es die Kosten seiner nicht nur vorübergehenden Heimpflege gem. § 35 Abs. 6 BVG unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge nur teilweise, nämlich nach der Pflegestufe I Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und bewilligte darüber hinaus einen Betrag in Höhe der Grundrente eines Beschädigten nach einem GdS von 100.

Mit einem an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 15. Dezember 2010 stellte das Hessische Versorgungsamt weiter fest, dass für sie ab dem 7. Januar 2010 ein Anspruch auf Versorgungsbezüge nach § 35 Abs. 6 i.V.m. § 38 BVG bestehe und ihr im Hinblick auf den an ihren Ehemann gerichteten Bescheid vom 22. November 2010 ein monatlicher Betrag in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu zahlen sei, die ihr zustehen würden, wenn ihr Ehemann an den Folgen einer Schädigung gestorben wäre. Dieser Betrag belief sich zum damaligen Zeitpunkt auf 387,00 Euro.

Die Kosten für seinen eigenen stationären Aufenthalt, die vom Hessischen Versorgungsamt nicht gedeckt werden, deckt Herr ... aus seiner Altersrente vollständig ab (vgl. Schriftsatz des Landkreises Cloppenburg vom 07.12.2011 mit entsprechender Übersicht, Bl. 32 der Gerichtsakte im Verfahren 13 A 609/11). Die Heimunterbringungskosten der Klägerin werden dagegen durch den Beklagten als überörtlicher Träger der Kriegsopferfürsorge getragen.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2011 teilte der Landkreis Cloppenburg als örtlicher Träger der Kriegsopferfürsorge der Klägerin im Namen des Beklagten mit, dass die vom Hessischen Versorgungsamt mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 bewilligten Hinterbliebenenbezüge in vollem Umfang als Einkommen anzurechnen und gem. § 50 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz der Verordnung zur Kriegsopferfürsorge (KFürsV) für die Kosten ihrer Heimunterbringung einzusetzen seien und forderte sie auf, die ausgezahlten Bezüge für die Zeit vom 7. Januar 2010 bis 28. Februar 2011 in Höhe von insgesamt 5.344,00 Euro zu erstatten.

Die Klägerin hat am 7. März 2011 Klage erhoben. Bei dem ausgezahlten Betrag handele es sich um eine Grundrente, die nach den allgemeinen Grundsätzen der Kriegsopferfürsorge anrechnungsfrei bleibe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 23. Februar 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides sowie auf die entsprechenden Ausführungen in den Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge unter Nr. 26c.3.4.4.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 13 A 600/11, 13 A 609/11, 13 B 669/1113 A 2662/11 und 13 A 2663/11 und 13 A 2790/11.

Entscheidungsgründe

I.

Der Rechtsstreit kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu im Erörterungstermin am 16. Januar 2010 ihr Einverständnis erteilt haben (§ 87a Abs. 2, 3, § 101 Abs. 2 VwGO).

II.

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 23. Februar 2011 ist rechtmäßig.

Gem. § 25 Abs. 4, § 25a Abs. 1 BVG erhalten Beschädigte Leistungen der Kriegsopferfürsorge auch für Familienmitglieder, soweit der Bedarf nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen gedeckt werden kann. Zum Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge zählen gem. § 25d Abs. 1 BVG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen der Kriegsopferfürsorge. Nicht zum Einkommen gehört u.a. die Grundrente. Gemäß Absatz 2 der Vorschrift zählt zum Einkommen der Leistungsberechtigten auch das Einkommen der nicht getrennt lebenden Ehegatten.

Bei dem Angehörigenbehaltensbetrag, der der Klägerin vom Hessischen Versorgungsamt gem. § 35 Abs. 6 S. 2, 2. Halbsatz BVG gewährt wird, handelt es sich um anrechenbares Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge. Nach dieser Vorschrift ist den Angehörigen eines Beschädigten, für den die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen werden, ein Betrag mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu belassen, die ihnen zustehen würden, wenn der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wäre.

Es handelt sich dabei lediglich um fiktive Hinterbliebenenbezüge und nicht, wie das Hessische Versorgungsamt in der Anlage zum Bescheid vom 15. Dezember 2010 sowie in einem Bestätigungsschreiben vom 14. November 2011 (Bl. 2 der Gerichtsakte im Verfahren 13 A 2663/11) angenommen hat, um eine Grundrente der Klägerin (im Sinne des § 25d Abs. 1 S. 2 BVG). Ein Anspruch auf Grundrente steht der Klägerin nicht zu. Sie ist weder Leistungsberechtigte nach § 31 BVG, da nicht bei ihr, sondern nur bei ihrem Ehemann ein GdS vorliegt, noch bezieht sie eine Witwengrundrente nach §§ 38, 40 BVG, weil ihr Ehemann nicht verstorben ist, wodurch sie einen originären Anspruch auf Leistungen nach dem BVG erhalten würde.

Die Vorschrift des § 35 Abs. 6 S. 2, 2. Halbsatz BVG soll verhindern, dass Familienangehörige mittellos werden, weil der Beschädigte zum Pflegefall wird und dessen Versorgungsbezüge auf die Pflegeleistung angerechnet werden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/6541, S. 46). Ihnen steht ein eigener Schonbetrag zu, der sicherstellt, dass sie ihren Lebensunterhalt und die anteiligen Kosten der Unterkunft aus ihrem Einkommen bestreiten können. Erhält der Beschädigte aber für Familienmitglieder Leistungen der Pflege, greift der Regelungszweck des § 35 Abs. 6 S. 2 SGB BVG nicht mehr oder nur noch in begrenztem Umfang ein, da Unterkunft und Versorgung des Familienangehörigen - je nach Leistungsart - ganz oder teilweise durch die Pflegeleistung gesichert sind.

Daher ist gem. § 50 Abs. 1 S. 1 KFürsV das Einkommen des Familienmitglieds - hier der Angehörigenbehaltensbetrag der Klägerin nach § 35 Abs. 6 S. 2, 2. Halbsatz BVG - zur Deckung seines anzuerkennenden Bedarfs vorrangig einzusetzen. Die in § 50 Abs. 1 S. 2, 1. Halbsatz KFürsV getroffene Einschränkung der Höhe des einzusetzenden Betrages gilt gemäß des zweiten Halbsatzes der Vorschrift bei Aufenthalt des Familienmitglieds in einer stationären Einrichtung nicht, da der gesamte Lebensunterhalt bereits in der Einrichtung sichergestellt ist. Das Einkommen des Familienmitglieds ist in diesem Fall voll einzusetzen (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/6541, S. 46 sowie die Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, Nr. 26c.3.4.4; der im Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 11.08.2008, Az, IVc 2 - 47646, geschilderte Fall liegt hier nicht vor, da die Klägerin selbst über ihren Ehemann Pflegeleistungen erhält und nicht lediglich zu ihrem ausschließlich zu pflegenden Ehemann gezogen ist, um mit ihm gemeinsam zu wohnen).

Da jedoch auch bei stationärer Unterbringung in geringem Umfang private Bedürfnisse bestehen, die von der Hilfemaßnahme nicht gedeckt sind (z.B. für Kleidung, Zeitschriften, sonstige kleinere Anschaffungen) sieht § 27b Abs. 2 SGB XII (bis zum 31.12.2010: § 35 Abs. 2 SGB XII) die Zahlung eines Barbetrags vor, der der Klägerin durch den Beklagten auch gewährt und nicht als einsetzbares Einkommen angerechnet wird (vgl. auch Nr. 26c.3.4.4 der Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge).

Die Berechnung des Erstattungsbetrags in dem angefochtenen Bescheid vom 23. Februar 2011, der sich aus der Summe der in dieser Zeit vom Hessischen Versorgungsamt ausgezahlten Beträge ergibt (vgl. Anlage 1 zum Bescheid vom 15.12.2010: für die Zeit vom 7. bis 31. Januar 2010 anteilig 313,00 Euro, ab Februar 2010 monatlich 387,00 Euro) ist ebenfalls nicht zu beanstanden (313,00 Euro [Januar 2010] + 13 x 387,00 Euro [Februar 2010 bis einschließlich Februar 2011] = 5.344,00 Euro).