Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.01.2012, Az.: 13 A 2790/11
Angehörigenbehaltensbetrag; Behaltensbetrag; Einkommensanrechnung; Grundrente; Kriegsopferfürsorge
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 18.01.2012
- Aktenzeichen
- 13 A 2790/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44286
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 26c BVG
- § 35 Abs 6 BVG
- § 30 KFürsV
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von Einkommen für Leistungen der Kriegsopferfürsorge.
Der am 2. Juni 1922 geborene Kläger ist der Ehemann von Frau …, Klägerin in dem Verfahren 13 A 540/11. Er gehört zum Personenkreis der Fürsorgeberechtigten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und bezieht eine Grundrente aufgrund eines Grades der Schädigung (GdS) von 80 in Höhe von 510,00 Euro. Der Kläger und seine Ehefrau sind pflegebedürftig und befinden sich in stationärer Unterbringung in dem Alten- und Pflegeheim A.-Haus in … im Landkreis ….
Mit Bescheid vom 22. November 2010 bzw. endgültigem Bescheid vom 29. April 2011 stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Gießen (im Folgenden: Hessisches Versorgungsamt) fest, dass der Pflegebedarf des Klägers nicht ausschließlich durch die anerkannten Schädigungsfolgen, sondern insgesamt überwiegend von schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen verursacht werde. Aus diesem Grund übernahm es die Kosten seiner nicht nur vorübergehenden Heimpflege gem. § 35 Abs. 6 BVG Anrechnung auf die Versorgungsbezüge nur teilweise, nämlich nach der Pflegestufe I Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) in Höhe von 2.500,00 Euro und bewilligte darüber hinaus einen Betrag in Höhe der Grundrente eines Beschädigten nach einem GdS von 100 in Höhe von 646,00 Euro.
Das Alten- und Pflegeheim A.-Haus rechnet demgegenüber die Heimkosten nach der Pflegestufe II SGB XI ab und verlangt darüber hinaus auch nach § 87b SGB XI Vergütungszuschläge für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf. Die Kosten für seinen eigenen stationären Aufenthalt, die vom Hessischen Versorgungsamt nicht gedeckt werden, deckt Herr … aus seiner Altersrente vollständig ab (vgl. Schriftsatz des Landkreises Cloppenburg vom 07.12.2011 mit entsprechender Übersicht, Bl. 32 der Gerichtsakte im Verfahren 13 A 609/11).
Die Heimunterbringungskosten der Ehefrau des Klägers werden durch den Beklagten als überörtlicher Träger der Kriegsopferfürsorge getragen.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2011 teilte der Landkreis Cloppenburg als örtlicher Träger der Kriegsopferfürsorge dem Kläger im Namen des Beklagten mit, dass der vom Hessischen Versorgungsamt mit Bescheid vom 22. November 2010 zur Bestreitung seiner sonstigen Bedürfnisse aus den Versorgungsbezügen bewilligte Betrag in Höhe der Grundrente eines Beschädigten nach einem GdS von 100 als Einkommen anzurechnen und für die Kosten der Heimunterbringung seiner Ehefrau einzusetzen sei, soweit er die ihm aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen gezahlten Grundrente aufgrund eines GdS von 80 überschreite, und forderte ihn auf, diesen monatlichen Zusatzbetrag in Höhe von 136,00 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis 28. Februar 2011, insgesamt 272,00 Euro, zu erstatten. Der Zusatzbetrag sei vom privilegierten Ausschluss des Einkommens gem. § 25d Abs. 1 S. 2 BVG nicht erfasst.
Auf eine am 17. März 2011 erhobene Klage des Klägers (Az. 13 A 609/11) hob der Beklagte den Bescheid auf und erließ am 8. Dezember 2011 einen im Wesentlichen inhaltsgleichen, jedoch um gem. § 25e Abs. 4 S. 2 BVG erforderliche Ermessenserwägungen ergänzten Bescheid.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 9. Dezember 2011 Klage erhoben. Bei dem streitigen Betrag handele es sich um eine Erhöhung der Grundrente für sein Leiden, die im Hinblick darauf, dass die letzte Untersuchung beim Versorgungsamt ca. 20 Jahre zurückliege, auch angemessen sei. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Kriegsopferfürsorge bleibe die Grundrente anrechnungsfrei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 8. Dezember 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 13 A 600/11, 13 A 609/11, 13 B 669/1113 A 2662/11 und 13 A 2663/11 und 13 A 540/11.
Entscheidungsgründe
I.
Der Rechtsstreit kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu im Erörterungstermin am 16. Januar 2010 ihr Einverständnis erteilt haben (§ 87a Abs. 2, 3, § 101 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 8. Dezember 2011 ist rechtmäßig.
Gem. § 25 Abs. 4, § 25a Abs. 1 BVG erhalten Beschädigte Leistungen der Kriegsopferfürsorge auch für Familienmitglieder, soweit der Bedarf nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen gedeckt werden kann. Zum Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge zählen gem. § 25d Abs. 1 BVG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen der Kriegsopferfürsorge. Nicht zum Einkommen gehört u.a. die Grundrente.
Bei dem Behaltensbetrag, der dem Kläger vom Hessischen Versorgungsamt gem. § 35 Abs. 6 S. 2, 1. Halbsatz BVG gewährt wird, handelt es sich um anrechenbares Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Kriegsopferfürsorge. Nach dieser Vorschrift ist dem Beschädigten, für den die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen werden, von seinen Versorgungsbezügen zur Bestreitung der „sonstigen Bedürfnisse“ ein Betrag in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 zu belassen (= 646,00 Euro gem. § 31 Abs. 1 S. 1 BVG in der Fassung vom 17.07.2009).
§ 35 Abs. 6 S. 1 BVG schließt damit, anders als dies in § 25d Abs. 1 S. 2 BVG für den in den §§ 25 bis 28 BVG geregelten Bereich der Kriegsopferfürsorge normiert ist, einen Einsatz der Versorgungsbezüge, zu denen die Grundrente gehört, nicht aus. Indem die Versorgungsbezüge des Klägers - und damit seine Grundrente - auf die Pflegekosten seiner Ehefrau angerechnet werden und ihm, in einem zweiten Schritt, ein Behaltensbetrag zur Verfügung gestellt wird, der unabhängig vom tatsächlichen GdS und der Höhe seiner Grundrente ist, geht der ursprüngliche Charakter einer Grundrente verloren und der in § 25d Abs. 1 S. 2 BVG privilegierte Ausschluss vom Einkommensbegriff entfällt. Bei dem Behaltensbetrag handelt es sich daher gerade nicht, wie das Hessische Versorgungsamt in dem Bescheid vom 22. November 2010, der Anlage zum Bescheid vom 23. November 2010 sowie in einem Bestätigungsschreiben vom 5. Mai 2011 (Bl. 62 der Gerichtsakte im Verfahren 13 A 600/11) angenommen hat, um eine Grundrente des Klägers (im Sinne des § 25d Abs. 1 S. 2 BVG).
Dementsprechend wäre - allein ausgehend vom Einkommensbegriff des § 25d BVG - der dem Kläger gem. § 35 Abs. 6 S. 2, 1. Halbsatz BVG bewilligte Behaltensbetrag in voller Höhe, d.h. in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem GdS von 100, zum damaligen Zeitpunkt monatlich 646,00 Euro, als Einkommen anrechenbar und für die Kosten der Heimunterbringung seiner Ehefrau einzusetzen (vgl. insoweit die Gesetzesbegründung für die Einfügung des § 30 Abs. 2 Nr. 1a KFürsV in BT-Drs. 16/6541 S. 44 f.; vgl. auch Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 19.01.2006, Az, IVc 1 - 47277/2).
Allerdings enthält § 30 Abs. 2 KFürsV, der die nähere Ausgestaltung des Einkommensbegriffs in der Kriegsopferfürsorge regelt, in seiner Nr. 1a eine Ausnahme, nach der ein der Grundrente entsprechender Betrag nicht als Einkommen gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Versorgungsbezüge nach § 35 Abs. 6 BVG auf die Kosten der stationären Pflege angerechnet werden. Die Vorschrift wurde erst mit Wirkung zum 21. Dezember 2007 eingefügt, um die dargestellte vollständige Anrechnung der Behaltensbetrags zu vermeiden und damit eine Gleichbehandlung der Fälle der stationären Hilfe zur Pflege nach den §§ 26c und 35 Abs. 6 BVG mit den Fällen der Berechtigten mit ausschließlich schädigungsunabhängigem Pflegebedarf im Hinblick auf den Einkommenseinsatz sicherzustellen. Deshalb wird in diesen Fällen ein Betrag in Höhe der tatsächlich zustehenden Grundrente nicht zum Einkommen der Beschädigten gezählt (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/6541 S. 45 sowie die Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, Nr. 26 c.3.1.2.1).
Da dem Kläger nur eine Grundrente aufgrund eines GdS von 80 zusteht, die zum damaligen Zeitpunkt 510,00 Euro betrug, ist auch nur ein Betrag in dieser Höhe von der Anrechnung als Einkommen ausgenommen, nicht dagegen der Betrag von 136,00 Euro, der die Differenz zwischen dem vom Hessischen Versorgungsamt gewährten Behaltensbetrag nach einem GdS von 100 (= 646,00 Euro) und seiner Grundrente aufgrund eines GdS von 80 ausmacht.
Ermessensfehler im Hinblick auf § 25e Abs. 4 S. 2 BVG sind nach Neuerlass des Bescheides nicht ersichtlich. Nach dieser Vorschrift kann von Leistungsberechtigten, die voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer stationären Einrichtung bedürfen, der Einsatz von Einkommen unter der Einkommensgrenze verlangt werden, solange sie keine andere Person überwiegend unterhalten. Der Beklagte hat die Vorschrift erkannt und im angefochtenen Bescheid ausdrücklich zitiert, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gewahrt und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden und nicht zu beanstandenen Weise Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die Berechnung des Erstattungsbetrags in dem angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2011 ist ebenfalls nicht zu beanstanden (136,00 Euro x 2 [Januar + Februar 2011] = 272,00 Euro).
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.