Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 17.01.2012, Az.: 5 B 2806/11

Antragsbefugnis; Schülerbeförderung; Umgangsrecht; maßgeblicher Wohnsitz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
17.01.2012
Aktenzeichen
5 B 2806/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 44503
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der bloß umgangsberechtigte Vater kann für seine nichteheliche, nur einige Tage im Monat bei ihm lebende Tochter allein - d.h. ohne Einverständnis mit der sorgeberechtigten Mutter - keine Ansprüche auf Schülerbeförderung geltend machen; ihm stehen auch in der Sache keine Ansprüche zu.

2. Hält sich ein Kind getrenntlebender Eltern abwechselnd bei der sorgeberechtigten Mutter oder dem umgangsberechtigten Vater auf, so findet eine Beförderung nur von und zu derjenigen Wohnung statt, nach der auch die zuständige Schule i.S.d. § 63 NSchG bestimmt worden ist, nicht aber auch zusätzlich von und zu der Wohnung des anderen Elternteils.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 184,20 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, ihm für seine nichteheliche Tochter S. (geb. am 19. März 1998) eine Schülersammelzeitkarte (Monatskarte) für zunächst drei Monate zum Zweck der Schülerbeförderung von seiner Wohnung in I. zum Schulunterricht der 8. Klasse des U. in A. (v.-Straße …) zu bewilligen. Auch ohne Prozessvollmacht der allein erziehungsberechtigten Mutter, die ihm aus Prinzip jegliche Unterstützung verweigere, könne er vorläufig diese Schülerbeförderung aus eigenem Recht bzw. als Prozessstandschafter seiner anspruchberechtigten Tochter verlangen. Ein entsprechender Beförderungsanspruch stehe ihm trotz der Versagung durch Bescheid des Antragsgegners vom 10. November 2011, die er im Hauptsacheverfahren 5 A 2805/11 anfechte, mit einer die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit zu. Er pflege das bestehende Umgangsrecht mit seiner Tochter in der Weise, dass sich diese mindestens alle 14 Tage von Freitags bis Sonntags bei ihm in I./L. aufhalte und an diesen Montagen, Dienstagen und Freitagen ein Schulbesuch von hier aus erfolge. Das einzige Kfz seiner jetzigen Familie werde beruflich von seiner Ehefrau benötigt, so dass er J. hiermit nicht zur Schule fahren könne. Die Entfernung zwischen seiner Wohnung und der Schule betrage etwa 12 km, so dass die Mindestentfernung für einen Beförderungsanspruch nach der Schülerbeförderungssatzung des Antragsgegners überschritten sei. Sowohl § 114 NSchG als auch die Bestimmungen in der Schülerbeförderungssatzung des Antragsgegners seien unter Berücksichtigung seiner Grundrechte auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG), elterliche Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und Grundrecht auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 GG) dahingehend auszulegen, dass es auf das Sorgerecht der Mutter und den bei ihr in A. bestehenden ersten Wohnsitz der Tochter nicht ankomme, sondern nur darauf, dass J. in Wahrnehmung des Umgangsrechts tatsächlich regelmäßig zu den angegebenen Zeiten in Wahrnehmung ihrer Schulpflicht diesen Schulweg zu bewältigen habe. Der Wortlaut der Vorschriften stehe dem nicht entgegen. Die Anerkennung seines Anspruchs führe auch nicht zur Verdoppelung der Beförderungskosten und zu einer unzumutbaren finanziellen Mehrbelastung des Antragsgegners, weil J. wegen der geringen Entfernung des Wohnsitzes der Mutter zur Schule insoweit keinen (weiteren) Beförderungsanspruch habe. Anders als etwa bei Fragen der nach § 63 NSchG zu bestimmenden zuständigen Schule könne und müsse hier unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten auf mehrere Wohnsitze bei getrennt lebenden Eltern abgestellt werden. Wegen anders gelagerter landesgesetzlicher Beförderungsbestimmungen könne auch nicht auf die Rechtsprechung der Gerichte anderer Bundesländer abgestellt werden. Die Sache sei dringlich, weil das Gericht voraussichtlich im Hauptsacheverfahren nicht zeitnah entscheiden werde und er den Bedarf wegen seiner eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse auch nicht im Wege der Vorleistung decken könne. Der im Wesentlichen so begründete Antrag hat keinen Erfolg.

Die nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mögliche Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis kann nur ergehen, wenn sowohl ein Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung) als auch ein Anordnungsanspruch (der materiell-rechtliche Anspruch auf die erstrebte Rechtsfolge) glaubhaft gemacht worden sind (§§ 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Eine derartige einstweilige Anordnung hat sich nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf die Regelung eines vorläufigen Zustandes zu beschränken. Das Begehren des Antragstellers, für zunächst drei Monate Schülersammelzeitkarten für seine Tochter bewilligt zu bekommen, nimmt jedoch faktisch das Ergebnis in der Hauptsache vorweg. Der Antrag auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung kann daher nur Erfolg haben, wenn neben der besonderen Dringlichkeit überwiegende Erfolgsaussichten in der Sache bestehen. Nur dann ist wegen des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise eine Vorwegnahme in der Hauptsache durch die einstweilige Anordnung zulässig und geboten. Hiervon ausgehend bleibt dem Antrag der Erfolg versagt, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass ein derartiger Beförderungsanspruch besteht und von ihm allein geltend gemacht werden dürfte.

Der Antragsteller ist schon nicht entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Mangels Vorlage einer Prozessvollmacht der allein erziehungsberechtigten Mutter seiner Tochter J. ist der Antragsteller schon verfahrensrechtlich nicht in der Lage, den Beförderungsanspruch geltend zu machen. Der Anspruch, dass ihr in erster Linie nach § 114 Abs. 1 anspruchsberechtigtes Kind unter sicheren und zumutbaren Bedingungen zur Schule befördert wird, ist zwar zugleich ein eigener Anspruch der sorgeberechtigten Eltern, der aus ihrer eigenen Erziehungspflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und der Verantwortung zur elterlichen Sorge (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) für ihr Kind folgt (vgl. Littmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, Nds. Schulgesetz, § 114 Anm. 6). Da die Frage der Sicherheit und Zumutbarkeit des Schulweges von wesentlicher Bedeutung für das Kind ist, kann dieser Anspruch von gemeinsam sorgeberechtigten Eltern im Regelfall auch nur gemeinschaftlich, d.h. im gegenseitigen Einvernehmen (§ 1627, 1687 Abs. 1 BGB) verfolgt werden (Littmann a.a.O.; vgl. auch OVG BB, Beschluss vom 30. August 2011 - OVG 3 S 93.11 - juris m.w.N. zur grundsätzlich einvernehmlichen Ausübung von elterlicher Befugnisse). Hier fehlt es indessen an einem zugleich eigenen Anspruch des Antragstellers, weil er nicht sorgeberechtigt, sondern nur umgangsberechtigt ist. Den Anspruch der Tochter J. könnte er als Prozessstandschafter nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er eine Vollmacht der sorgeberechtigten Mutter vorlegen würde. Die Gründe für die Schwierigkeiten beim Nachweis einer solchen Bevollmächtigung hat das Verwaltungsgericht nicht zu prüfen und zu bewerten. Gegebenenfalls muss sich der getrennt lebende Elternteil sein Vertretungsrecht in einem zivilrechtlichen Sorgerechtsstreit vor dem Familiengericht erkämpfen. Da zudem wegen rechtlicher Gesamtgläubigerstellung von Schüler und seinen Eltern der Anspruch nur einheitlich verfolgt werden kann, würde es dem Antragsteller auch nicht zum Vorteil gereichen, wenn - abweichend zum Vorstehenden - in Erweiterung der bisherigen Rechtspositionen zugleich ein eigener Anspruch des bloß umgangsberechtigten Elternteils anerkannt würde.

Dem Antragsteller steht unabhängig davon auch in der Sache der geltend gemachte Schülerbeförderungsanspruch weder für das maßgebliche Schuljahr 2011/2012 noch für Teile davon zu. Dementsprechend hat der Antragsgegner den Antrag vom 29. August 2011 mit Bescheid vom 10. November 2011 zwar kurz, in der Sache aber zutreffend unter Hinweis auf den maßgeblichen ersten Wohnsitz der Tochter J. bei ihrer Mutter in der F….-Straße …. in A. und dessen Lage innerhalb der anspruchsbegründenden Mindestentfernung abgelehnt. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - OVG - (Beschluss vom 20. Juni 2006 - 13 ME 108/06 - juris) hat in einem vergleichbaren Fall den Beförderungsanspruch vom zweiten oder weiteren Wohnsitz aus bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern - hier sogar bei gemeinsamer Personensorge - abgelehnt. Halten sich die Kinder getrennt lebender Eltern abwechselnd bei dem einen oder dem anderen Elternteil auf, so findet eine Beförderung nur von und zu derjenigen Wohnung statt, nach der auch die zuständige Schule im i.S.d. § 63 NSchG bestimmt worden ist, nicht aber auch zusätzlich von und zu der Wohnung des anderen Elternteils. Hierbei ist es ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sowohl bei der Bestimmung der zuständigen Schule als auch im "schülerbeförderungsrechtlichen" Sinne nach der Intension des Niedersächsischen Gesetzgebers nur eine einzige Wohnung, nämlich den Ort des überwiegenden gewöhnlichen Aufenthalts, der in der Regel dem ersten Wohnsitz im Sinne des Melderechts entspricht, geben kann. Diese Wertung, dass es auf die melderechtliche Hauptwohnung des Schülers ankommt, die die getrennt lebenden Eltern so bestimmt haben, hat weder das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die grundrechtliche Stellung des nichtehelichen, getrennt lebenden Elternteils aus Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 Satz 1 oder 2 Abs. 1 GG in Frage gestellt noch haben andere Oberverwaltungsgerichte zu vergleichbaren Rechtslagen in anderen Bundesländern solche Bedenken gehegt (vgl. OVG NW, Urteil vom 15. August 1994 - 16 A 4241/92 - OVGE 44, 155, 158 und Leitsatz in juris; OVGRh/Pf, Urteil vom 17. Juni 2011 - 2 A 10395/11 - juris). Dieser Einschätzung schließt sich auch das erkennende Gericht an. Dabei spielt es keine Rolle, dass bei dem hier bestehenden "Doppelresidenzmodell" keine Verdoppelung der Schülerbeförderungskosten drohen, weil der Erstwohnsitz (derzeit) unterhalb der anspruchsauslösenden Mindestentfernung liegt. Der Antragsgegner darf als Träger der Schülerbeförderung auch vor Belastungen geschützt werden, die im Falle einer Verpflichtung zu Gunsten des Antragstellers entstünden, die er aber beim alleinigen Abstellen auf den Hauptwohnsitz nicht schuldet bzw. denen er auch nicht durch Zuweisung zu einer wohnortnäher gelegenen Schule entgehen könnte. Insoweit ist bedeutsam, dass hier der Normgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen einen sehr weitreichenden Gestaltungspielraum bei der Reichweite seiner Förderung hat und standardisieren und pauschalisieren darf. Die nach Maßgabe des Landesrechts für die Schülerbeförderung gewährte Leistung ist nämlich - verfassungsrechtlich gesehen - eine freiwillige Leistung der öffentlichen Hand, ohne dass die staatliche Verpflichtung zum besonderen Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Elternrecht, das Grundrecht des Schülers auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip einen Anspruch darauf begründen, dass die öffentliche Hand die Kosten der Schülerbeförderung übernimmt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 2 ME 180/10 - juris Rn. 16). Insgesamt gilt daher, dass getrennt lebende Eltern ggf. bei der Bestimmung des maßgeblichen Hauptwohnsitzes ihres Kindes die rechtlichen Vorgaben des eingeschränkt bestehenden Schülerbeförderungsrechts zu beachten haben und nicht umgekehrt das Schülerbeförderungsrecht sich nach den Lebensumständen und Abreden getrennt lebender Eltern zu richten hat.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutz die vollen Kosten der für drei Monate begehrten Schülersammelzeitkarten (3 x 61,40 Euro = 184,20 Euro) anzusetzen war.