Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.04.2017, Az.: L 3 KA 136/16 B ER

Berechtigung zum Regress wegen der Verordnungen eines Vertragsarztes aufgrund einer Überschreitung von Richtgrößen für Arzneimittel

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.04.2017
Aktenzeichen
L 3 KA 136/16 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 16425
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 01.11.2016 - AZ: S 20 KA 128/16 ER

Fundstelle

  • GesR 2017, 775-776

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 1. November 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 16.790 Euro festgesetzt.

Gründe

I

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage.

Der Antragsteller (Ast) war als Facharzt für Orthopädie in C. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 teilte die Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtung für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung dem Ast mit, dass er 2005 die Richtgröße für Arzneimittel mit 306 vH um mehr 25 vH überschritten habe und daher gemäß § 12 Abs 1 der Richtgrößenvereinbarung (RGV) von Amts wegen eine Richtgrößenprüfung einzuleiten sei. Der vorläufig errechnete Netto-Regress betrage 96.744,84 Euro.

Im Anschluss setzte der Prüfungsausschuss Niedersachsen gegenüber dem Ast einen Regress iHv 67.161,08 Euro fest und berücksichtigte dabei Praxisbesonderheiten über insgesamt 58.690,85 Euro sowie weitere Abzüge über 19,23 Euro (Bescheid vom 13. November 2007).

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, dass in dem Prüfverfahren die von ihm geltend gemachten Praxisbesonderheiten (Durchführung von Schmerztherapien, Behandlung von Osteoporose und rheumatischen Erkrankungen, Übernahme anderer fachärztlicher Verordnungen (KHK-, Asthma- und COPD-Präparate)) nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Nachdem der Ast ein Vergleichsangebot des Antragsgegners (Ag) nicht angenommen hatte, wies der Beschwerdeausschuss den Widerspruch zurück. Dabei erkannte der Ag als Praxisbesonderheiten nur die vom Kläger im Jahr 2005 ausgestellten Verordnungen von Betäubungsmitteln iHv 30.982,61 Euro sowie die Versorgung von Osteoporose-Patienten iHv 16.444,44 Euro an. Im Rahmen des Verböserungsverbots habe daher der vom Prüfungsausschuss festgesetzte Regress Bestand (Bescheid vom 23. Februar 2016).

Der Ast hat am 10. März 2016 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben (Az: S 20 KA 59/16) und am 18. Mai 2016 unter Hinweis auf seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Der festgesetzte Richtgrößenregress sei gleich in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig. Zum einen sei dabei gegen den im Gesetz festgelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" verstoßen worden. Zum anderen habe der Ag unter Verstoß gegen das Verböserungsverbot mitten im Regressverfahren die Prüfmethode gewechselt und zudem die geltend gemachten Praxisbesonderheiten nur unzureichend berücksichtigt.

Mit Beschluss vom 1. November 2016 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Die Kammer habe ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des festgesetzten Richtgrößenregresses. Im Rahmen einer summarischen Prüfung sei die vom Ag als Praxisbesonderheit anerkannte Versorgung von Osteoporose-Patienten nicht nachvollziehbar quantifiziert worden, weil die für besonders teure Osteoporose-Präparate angefallenen Verordnungskosten nicht bei der Berechnung des durch die Praxisbesonderheit entstandenen Mehrbedarfs berücksichtigt worden seien.

Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 7. November 2016) wendet sich der Ag mit seiner Beschwerde vom 2. Dezember 2016 und macht geltend, dass nach der bisherigen Rspr des SG die Art und Weise der Mehrbedarfsberechnung von Praxisbesonderheiten durch den Ausschuss anerkannt sei.

Der Ag beantragt,

den Beschluss des SG Hannover vom 1. November 2016 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 10. März 2016 erhobenen Klage (Az: S 20 KA 59/16) abzulehnen.

Der Ast beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Ag verwiesen.

II

Die Beschwerde des Ag ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG hat zutreffend die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. März 2016 angeordnet.

1. Nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Über das "Ob" einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts abzuwägen ist (vgl hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 86b Rn 12 ff mwN). Die Privatinteressen überwiegen regelmäßig, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu einer unbilligen Härte für den Ast führen würde. Damit lehnt sich der Senat in den Fällen der Festsetzung von Honorarrück- oder Regressforderungen bei der hier zu treffenden Abwägung wegen der insoweit grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage an die Kriterien des § 86a Abs 3 S 2 SGG an.

Vorliegend hat die vom Ast in der Hauptsache erhobene Klage zwar keine aufschiebende Wirkung (vgl hierzu die Regelung in § 86a Abs 2 Nr 4 SGG i.V.m. § 106 Abs 5a S 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26. März 2007, BGBl I S 378; vgl nunmehr die Regelung in § 106c Abs 3 S 5 SGB V idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015, BGBl I S 1211, in Kraft getreten am 1. Januar 2017). Allerdings geht der erkennende Senat mit dem SG davon aus, dass derzeit ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vom Ag festgesetzten Richtgrößenregresses bestehen.

2. Rechtsgrundlage für die Berechtigung des Ag, einen Vertragsarzt wegen seiner Verordnungen aufgrund einer Überschreitung von Richtgrößen in Regress zu nehmen, sind die §§ 84 Abs 6, 106 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 5a SGB V (hier jeweils anzuwenden idF des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003, BGBl I S 2190). Gemäß § 84 Abs 6 S 1 SGB V vereinbaren die Landesverbände der Krankenkassen, die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) "zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das auf das Kalenderjahr bezogene Volumen der je Arzt verordneten Arznei- und Verbandmittel (Richtgrößenvolumen) arztgruppenspezifische fallbezogene Richtgrößen als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der nach Absatz 1 getroffenen Arzneimittelvereinbarung, erstmals bis zum 31. März 2002." Dabei löst eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens durch einen Vertragsarzt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs 5a SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen aus. Beträgt die Überschreitung mehr als 25 vH, ist der dadurch entstandene Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist (§ 106 Abs 5a S 3 SGB V).

a) Nach diesen Maßgaben und unter Berücksichtigung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung greifen die vom Ast gegenüber dem festgesetzten Richtgrößenregress erhobenen Einwendungen im Wesentlichen aber nicht durch.

Dabei hat zunächst das SG mit einer überzeugenden Begründung darauf hingewiesen, dass der Ag hier nicht gegen den sich aus § 106 Abs 5e S 1 SGB V ergebenden Grundsatz "Beratung vor Regress" verstoßen hat. Da gegen den Ast bereits 2003 ein Richtgrößenregress festgesetzt worden ist, kann 2005 nicht von einer iS dieser Vorschrift "erstmaligen Überschreitung" (nur bei einer solchen wäre zunächst eine Beratung durchzuführen) ausgegangen werden.

Der Ag hat auch nicht - wie der Ast behauptet - mitten im Regressverfahren die Prüfmethode gewechselt. Nach den gesetzlichen Vorgaben in den §§ 84 Abs 6, 106 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 5a SGB V handelt es sich bei der Richtgrößenprüfung um eine auf den Bereich der Verordnung ärztlicher Leistungen bezogene Durchschnittsprüfung. Als Prüfmethode ist darauf abzustellen, ob und ggf in welchem Umfang das Verordnungsvolumens eines Vertragsarztes in einem Kalenderjahr die vorher arztgruppenspezifisch für denselben Zeitraum festgelegten Richtgrößen überschritten hat. Dem Grunde nach handelt es sich dabei um eine "verschärfte Durchschnittsprüfung", weil sich die Richtgrößen nicht an den durchschnittlichen Verordnungskosten der verschiedenen Arztgruppen orientieren, sondern regelmäßig darunter liegen (vgl zu alledem Clemens in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl, § 106 Rn 248 ff mwN). Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass der Ag anhand dieser Maßgaben die vom Ast in 2005 ausgestellten Arzneimittelverordnungen geprüft hat.

b) Dennoch bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des festgesetzten Richtgrößenregresses. So ist unter Berücksichtigung der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, dass der Ag zumindest eine der anerkannten Praxisbesonderheiten des Ast (Versorgung von Osteoporose-Patienten) nicht ausreichend quantifiziert hat.

aa) Bei einer Richtgrößenprüfung kommt nach § 106 Abs 5a SGB V die Erstattung eines Verordnungsmehraufwands nicht in Betracht, wenn der Mehraufwand durch Praxisbesonderheiten des Arztes begründet ist. Ebenso wie bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach (statistischen) Durchschnittswerten besteht auch bei der Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (vgl hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2500 § 106 Nr 11; SozR 4-2500 § 84 Nr 2). Dabei ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des BSG (vgl zum Folgenden SozR 4-2500 § 84 Nr 2) der Begriff der Praxisbesonderheit in beiden Prüfverfahren gleich zu verstehen. Für eine unterschiedliche Beurteilung finden sich weder Anhaltspunkte im Gesetz noch ergeben sich solche aus der Art der Prüfmethode. Zwar ist für die Richtgrößenprüfung nicht das statistische Verhalten der Vergleichsgruppe maßgeblich, das arztbezogen festgelegte Richtgrößenvolumen basiert jedoch ebenfalls auf einem Durchschnittswert.

Praxisbesonderheiten sind demnach auch bei einer Richtgrößenprüfung anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des jeweiligen Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10; SozR 4-2500 § 84 Nr 2; SozR 4-2500 § 106 Nr 41). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände der Praxisbesonderheiten und kompensierenden Einsparungen regelmäßig dem Arzt (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19 und Nr 41, mwN). Er ist grundsätzlich gehalten, im Prüfungsverfahren die Umstände geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres anhand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41). Der diesbezügliche Vortrag muss substantiiert sein, dh so genau wie möglich (vgl hierzu BSG aaO) und plausibel (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 19).

Soweit dabei der Ag einen Behandlungsschwerpunkt des zu prüfenden Arztes ohne Anfechtung durch die beigeladenen Krankenkassen(verbände) als Praxisbesonderheit anerkennt (hier: Versorgung von Osteoporose-Patienten), muss der Ausschuss in einem nächsten Prüfungsschritt den dadurch gerechtfertigten (Verordnungs-)Mehrbedarf quantifizieren, um zu klären, ob unter Berücksichtigung der Besonderheit überhaupt noch eine Überschreitung des jeweiligen Richtgrößenvolumens von 25 vH vorliegt (§ 106 Abs 5a SGB V) bzw wie hoch ggf der dann noch festzusetzende Regressbetrag ist. Wenn eine genaue Bestimmung des auf die anerkannte Praxisbesonderheit entfallenden Mehrbedarfs nicht möglich ist, haben ihn die Prüfgremien zu schätzen (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 6), wobei ihnen als fachkundig besetzte Gremien ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Dabei beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle von Beurteilungsspielräumen auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (stRspr; vgl hierzu ua BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 25 mwN).

bb) Vorliegend hat der Ag als Praxisbesonderheit des Ast ua die Versorgung von Osteoporose-Patienten anerkannt. Den sich daraus ergebenden (Verordnungs-)Mehrbedarf hat der Ausschuss quantifiziert, indem er zunächst die Anzahl der vom Ast versorgten Patienten in dem entsprechenden Indikationsgebiet mit der durchschnittlichen Anzahl der Patienten aus der Vergleichsgruppe der Orthopäden verglichen hat. Für die Anzahl der Patienten, mit der der Ast die durchschnittliche Patientenzahl der Vergleichsgruppe überschritten hat, hat der Ag anschließend - wiederum auf die Vergleichsgruppe bezogen - die durchschnittlichen Verordnungskosten pro Patient zuzüglich eines "Sicherheitsaufschlags" von 20 vH als Mehrbedarf anerkannt. Dadurch hat sich rechnerisch ein durch die Praxisbesonderheit bedingter Mehrbedarf des Ast iHv 16.444,44 Euro ergeben.

cc) Nach den Ausführungen der Beteiligten bestimmt der Ag den sich aus der Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Richtgrößenprüfung ergebenden (Verordnungs-)Mehrbedarf mittlerweile regelmäßig auf diese Weise. Das hat der erkennende Senat unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 Rn 37 ff) bislang nicht beanstandet (vgl hierzu den Senatsbeschluss vom 20. Februar 2017 - L 3 KA 129/16 B ER). Allerdings bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel, ob die vom Ag angewandte Berechnungsmethode auch geeignet ist, im Fall des Ast den sich aus der Versorgung von Osteoporose-Patienten ergebenden Mehrbedarf sachgerecht - dh im Rahmen des dem Ausschuss zustehenden Beurteilungsspielraums - festzulegen. So hat der Ast im Verwaltungsverfahren nicht nur geltend gemacht, dass seine Praxis einen besonderen Patientenzuschnitt (besonders hoher Anteil an Osteoporose-Patienten) aufweist. Vielmehr hat er dazu noch dargelegt, dass er aufgrund seiner fortlaufend erneuerten Kenntnisse über die Behandlung der Osteoporose als einziger Orthopäde im Bereich der Vergleichsgruppe für besonders schwer von der Erkrankung betroffene Patienten Parathormone verordnet hat, deren Verordnungskosten ein Vielfaches der üblicherweise verordneten Präparate betragen. Nach den Angaben des Ast hat er 2005 ca für 12 bis 15 Patienten entsprechende Medikamente verordnet; den sich daraus ergebenden Mehrbedarf hat er in seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage auf über 40.000 Euro beziffert.

Ergänzend dazu ergibt sich aus einem Ende 2006 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossenen Therapiehinweis, dass die Verordnung von Parathormonen zwar wegen der "bis zu 35-fachen höheren Tagestherapiekosten in der Regel unwirtschaftlich" sei. Allerdings sei unter bestimmten kumulativen Bedingungen dennoch eine Verordnung "möglich" (vgl zu den weiteren Einzelheiten der Verordnung von Parathormonen den Beschluss des G-BA vom 21. November 2006 über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie in Anl 4: Therapiehinweis zu Teriparatid, BAnz 2007 Nr 58 S 3121). Ob und ggf in welchem Umfang bei den vom Ast im Jahr 2005 entsprechend behandelten Osteoporose-Patienten diese Umstände bzw Bedingungen vorgelegen haben, hat der Ast nicht geprüft, obwohl die Richtgrößenprüfung in zeitlicher Hinsicht erst deutlich nach dem Erlass des angesprochenen Therapiehinweises durchgeführt worden ist und der insoweit erkennbar substantiierte Vortrag des Ast dazu Anlass gegeben hat.

dd) Dementsprechend kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass der Ag die als Praxisbesonderheit anerkannte Versorgung von Osteoporose-Patienten insgesamt ausreichend quantifiziert hat. Der Ausschuss hat es vielmehr versäumt, sich mit den substantiierten Darlegungen des Ast gerade zu dem Umfang seiner Praxisbesonderheit im Einzelnen auseinanderzusetzen. Schon aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Bescheid vom 23. Februar 2016 festgesetzten Regressforderung.

3. Der erkennende Senat weist abschließend noch darauf hin, dass eine detaillierte rechtliche Prüfung darüber, ob und ggf in welchem Umfang der Ag noch weitere der vom Ast geltend gemachten Praxisbesonderheiten (Behandlung von Schmerzen und rheumatischen Erkrankungen) im Rahmen der Richtgrößenprüfung hätte berücksichtigen müssen, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben soll. Insoweit wird ua zu klären sein, welche(n) Behandlungsschwerpunkt(e) des Ast der Ag in den zurückliegenden Jahren als Praxisbesonderheit(en) anerkannt hat und welche Auswirkungen das uU auf die Richtgrößenprüfung 2005 hat.

Außerdem stellt der erkennende Senat vorsorglich klar, dass er die vom Ag mittlerweile in einer Vielzahl von Richtgrößenprüfungen angewandte Berechnungsformel zur Bestimmung des durch eine Praxisbesonderheit bedingten (Verordnungs-)Mehrbedarfs im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung weiterhin dem Grunde nach als eine geeignete Methode zur Quantifizierung von Besonderheiten des geprüften Arztes ansieht. Allerdings - das zeigt das vorliegende Verfahren mit seiner Sonderkonstellation - wird der Ausschuss die Formel einzelfallbezogen abändern oder durch einen Fallkostenvergleich ergänzen müssen, wenn der Umfang des durch eine Praxisbesonderheit entstandenen Mehrbedarfs nur durch wenige, aber besonders kostenaufwendige Medikamentenverordnungen (mit-)bestimmt wird.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3 SGG i.V.m. den §§ 154 Abs 2 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG i.V.m. den §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei geht der erkennende Senat in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der vorliegenden Art in stRspr von einem Viertel der streitbefangenen Regressforderung aus.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).