Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 21.05.2004, Az.: 3 B 769/04
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Übertragung eines Dienstpostens; Verletzung eines Beamten in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch; Vergleichbarkeit von dienstlichen Beurteilungen von Beamten
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 21.05.2004
- Aktenzeichen
- 3 B 769/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 13402
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0521.3B769.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO
- Art. 33 Abs. 2 GG
- § 8 NBG
Verfahrensgegenstand
Beförderung Justizamtsrat (Konkurrentenstreitverfahren)
Redaktioneller Leitsatz
Erheblich voneinander abweichenden Zeiträume schließen eine Vergleichbarkeit von dienstlichen Beurteilungen aus, denn je kürzer ein Beurteilungszeitraum ist, desto eher besteht die Gefahr, dass der bewertete Leistungsstand lediglich eine "Momentaufnahme" darstellt.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer -
am 21. Mai 2004 beschlossen:
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Beigeladene zu 1.) vor Bestandskraft der Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 11.05.2004 zur Justizamtsrätin zu befördern.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden geteilt; die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird auf 11.221,76 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich gegen die Auswahl der Beigeladenen für die Beförderung und Besetzung einer mit A 12 bewerteten Stelle als Justizamtsrat ( Rechtspfleger oder Rechtspflegerin mit Funktionen gemäß § 2 Nr. 2 der VO zu § 26 Abs. 4 Nr. 2 BBesG ) im Landgerichtsbezirk I. und begehrt - bei sachgerechter Auslegung seines Antrages - die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Übertragung dieses Dienstpostens an die Beigeladenen als Teilzeitkräfte. Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass sein allein in Betracht kommender Anspruch auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung teilweise verletzt ist und der Sicherung bedarf ( § 123 Abs. 1 S.1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ).
Der erforderliche Anordnungsgrund liegt mit der Eilbedürftigkeit vor, denn im Falle der Beförderung eines ausgewählten Beamten erledigt sich das Begehren eines Antragstellers, den ausgeschriebenen Dienstposten und die damit verbundene Planstelle zu erhalten ( vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 02.06.1995, AZ 5 M 262/95 sowie BVerwG in DVBl.1989, 1150 ). Die durch den Antragsgegner beabsichtigten Ernennungen sollten hier am 18.05.2004 vollzogen werden.
Der Antragsteller konnte auch glaubhaft machen, dass die getroffene Entscheidung zu Gunsten der Beigeladenen ihn zum Teil in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt.
Die vom Antragsteller angegriffene Entscheidung unterliegt als Akt wertender Erkenntnis einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die gerichtliche Nachprüfung beschränkt sich dabei auf die Frage, ob die Verwaltung den anzuwendenden Rechtsbegriff oder den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat ( BVerwGE 80, 224, 226[BVerwG 22.09.1988 - 2 C 35/86] ).
Dabei hat sich die Auswahlentscheidung insbesondere innerhalb des vorgeschriebenen gesetzlichen Rahmens zu halten, der sich aus Art.33 Abs.2 GG i.V.m. § 8 NBG ergibt. Danach ist eine Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Eine dem Leistungsgrundsatz gerecht werdende Auswahl hat dabei in erster Linie grundsätzlich auf die letzte dienstliche Beurteilung und deren Gesamturteil abzustellen. Voraussetzung für die Verwertung einer dienstlichen Beurteilung ist dabei, dass sie eine hinreichende Aussagekraft für die Beantwortung der Frage besitzt, in welchem Maße der Beurteilte den Anforderungen des ausgeschriebenen Dienstpostens gerecht werden kann ( OVG Lüneburg in Nds. Rechtspflege 1995, 168 f.).
Gemessen hieran ist der Anspruch des Antragstellers teilweise verletzt. Dies ist zwar nicht auf Grund der von ihm vorgetragenen Erwägungen der Fall. So greift sein Hinweis auf die Unzulässigkeit der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle mit Teilzeitkräften nicht durch, denn in der Stellenausschreibung ( Nds. Rpfl. 2003, 375 ) wird ausdrücklich - im Sinne der Darstellung des Anforderungsprofils - auf die Möglichkeit einer Bewerbung "auch von Teilzeitkräften" hingewiesen.
Ebenso wenig kann sich der Antragsteller im Grundsatz darauf berufen, dass die vergebenen Noten der berücksichtigten, hinreichend aktuellen Beurteilungen nicht vergleichbar wären, weil durch die Notenabstufungen eine unzulässige Binnendifferenzierung vorgenommen worden sei. Zutreffend weist der Antragsteller insoweit zwar auf die Entscheidung des BVerwG vom 27.02.2003 ( 2 C 16/02; in NVwZ 2003, 1397 ) hin. Diese Entscheidung stützt seine Rechtsauffassung allerdings gerade nicht, denn zum einen wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass innerhalb einer Notenstufe der Zusatz "oberer Bereich" - mit jeweils diesem Zusatz waren die Beurteilungen der Beigeladenen innerhalb der Notenstufe "sehr gut" versehen worden - nach dem Sprachgebrauch eindeutig und damit zulässig ist. Zum anderen heißt es in der Entscheidung, dass der Zusatz "uneingeschränkt" - mit diesem Zusatz war die Beurteilung des Antragstellers versehen - nach dem üblichen Sprachgebrauch keine Hervorhebung bedeutet und den Beurteilten dem Mittelfeld eines nach oben und unten abgegrenzten dreigeteilten Bewertungsfeldes zuordnet. Auf die Tatsache, dass dieses dreigeteilte Bewertungsfeld für den gehobenen Dienst in der niedersächsischen Justiz gängige Praxis ist, hat der Antragsgegner unter Hinweis auf das sog. Braunschweiger Modell zu Recht hingewiesen; dieses Modell geht auf den ( dem Gericht bekannten ) Bericht des Präsidenten des OLG Braunschweig vom 19.05.1993 an das Justizministerium zurück. Dabei ist eine Umsetzung dieses Berichts etwa in Beurteilungsrichtlinien nicht erforderlich, denn bei derartigen Richtlinien handelt es sich um Willenserklärungen der Verwaltung, von denen eine ständig geübte Praxis abweichen kann.
Schließlich kann sich der Antragsteller nicht in dem von ihm geltend gemachten Zusammenhang darauf berufen, dass der Antragsgegner auf frühere Beurteilungen und auf Hilfskriterien zurückgreifen musste, denn wenn die Vergabe der erteilten Notenstufen, wie ausgeführt, zulässig ist, wären die Beigeladenen, wenn auch um weniger als eine Notenstufe, besser beurteilt worden, sodass es folgerichtig für die Auswahlentscheidung auf weitere Gesichtspunkte nicht mehr ankäme.
Allerdings setzen die im Grundsatz zutreffenden Erwägungen des Antragsgegners voraus, dass die als Grundlage der Entscheidung herangezogenen Beurteilungen miteinander vergleichbar sind. Das ist hier nicht der Fall, sodass der Antrag teilweise Erfolg hat.
Bei der maßgeblichen Beurteilung des Antragstellers handelt es sich offensichtlich um die letzte Regelbeurteilung vom 26.08.2003, die den Beurteilungszeitraum vom 01.09.2001 - 22.08.2003 erfasst und durch einen Beurteilungsvermerk bis zum 12.01.2004 fortgeschrieben wurde. Demgegenüber umfasst die berücksichtigte Anlassbeurteilung der Beigeladenen zu 1.) den Zeitraum vom 09.09.2003 - 05.02.2004. Damit steht dem mit "sehr gut" beurteilten Leistungsstand des Antragstellers über einen Zeitraum von ca. 28,5 Monaten ein mit "sehr gut; oberer Bereich" beurteilter Leistungsstand der Beigeladenen zu 1.), die seit Dezember 2001 als Teilzeitkraft mit 3/4 der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt ist, von ca. 5 Monaten gegenüber. Diese erheblich voneinander abweichenden Zeiträume schließen eine Vergleichbarkeit der Beurteilungen aus, denn je kürzer ein Beurteilungszeitraum ist, desto eher besteht die Gefahr, dass der bewertete Leistungsstand lediglich eine "Momentaufnahme" ( vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 05.08.1999, 2 M 2045/99, in Nds. Rpfl. 2000, 183 ) darstellt. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass bereits ein Beurteilungszeitraum von 6 Monaten als sehr kurz anzusehen ist ( vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22.02.2000, 2 M 3526/99 ). Zum Zweiten ist der Leistungsstand der Beigeladenen zu 1.) mit der denkbaren Bestnote so hoch beurteilt worden, dass ein nie auszuschließender Fehler in einem längeren Beurteilungszeitraum erneut - wie in den Vorbeurteilungen auch - die Vergabe der Note "sehr gut" lediglich im mittleren Bereich rechtfertigen kann. Schließlich ist im Blick zu behalten, dass der Leistungsunterschied, von dem der Antragsgegner auf der Grundlage der erteilten Beurteilungen ausgegangen ist, nicht etwa eine Notenstufe, sondern lediglich eine Stufe bei der zulässigen Binnendifferenzierung innerhalb eines einheitlichen Gesamtsurteils beträgt.
Die Richtigkeit der vorstehenden Erwägungen wird durch folgende Überlegung bestätigt:
Die Vorbeurteilung der Beigeladenen zu 1.) umfasste den Beurteilungszeitraum vom 31.07.2001 - 08.09.2003 und endet mit der Gesamtnote "sehr gut; mittlerer Bereich". Eine ( gedankliche ) Zusammenfassung dieser Beurteilung mit der herangezogenen Anlassbeurteilung führte zu einem Beurteilungszeitraum von ca. 30 Monaten und damit zu einem Zeitraum, der dem für den Antragsteller berücksichtigten ohne weiteres vergleichbar ist. Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Beigeladenen zu 1.) für diesen Zeitraum die ( theoretische ) Gesamtnote "sehr gut; mittlerer Bereich" zu erteilen wäre, weil sie, zeitlich gesehen, in dem genannten Gesamtzeitraum vorwiegend mit dieser Notenstufe beurteilt worden ist. Auch daran zeigt sich die fehlende Vergleichbarkeit der vom Antragsgegner berücksichtigten Beurteilungen.
Im Hinblick auf die Beigeladene zu 2.) gelten diese Ausführungen nicht, denn ihre Beurteilung umfasst den Zeitraum vom 08.01.2002 - 08.10.2003 und wurde fortgeschrieben bis zum 07.01.2004. Bei dieser Länge des Beurteilungszeitraumes für die Beigeladene zu 2.), der seit dem 01.08.2003 Teilzeitbeschäftigung mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit gewährt worden ist, stellt sich die Frage der Vergleichbarkeit der Beurteilungen nicht.
Aus den vorstehenden Erwägungen zur Vergleichbarkeit der Beurteilungen für den Antragsteller und die Beigeladene zu 1.) folgt zugleich, dass es für die Auswahlentscheidung auf weitere ( Hilfs- ) Kriterien ankommen wird, wobei anzumerken ist, dass die Vorbeurteilungen, soweit erteilt, auch hinsichtlich der Binnendifferenzierungen mit derselben Notenstufe abgeschlossen haben. Unter diesen Umständen besteht die realistische Möglichkeit, dass auch der Antragsteller ernannt werden kann.
Hiernach war dem Antrag teilweise zu entsprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 13 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 a, 20 Abs. 3 GKG. Danach ist bei statusrechtlichen Streitigkeiten um ein besoldetes öffentlich-rechtliches Amt oder Dienstverhältnis auf Lebenszeit oder wegen Verleihung eines anderen Amtes der Streitwert auf die Hälfte des 13fachen Betrages des Endgrundgehaltes (hier: A 12 und mithin nach aktueller Besoldungstabelle 3.452,85 Euro ) festzusetzen; der sich ergebende Betrag ist wegen der Vorläufigkeit der in diesem Verfahren erstrebten Regelung um die Hälfte zu reduzieren.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 11.221,76 Euro festgesetzt.