Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.01.2019, Az.: 1 B 346/18
Abschiebungsanordnung; Ausweisung; Bedingung; Befristung; Drogentherapie; Einreise- und Aufenthaltsverbot; faktischer Inländer; Jugendstrafe
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.01.2019
- Aktenzeichen
- 1 B 346/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70049
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 2 S 5 AufenthG
- § 53 AufenthG
- § 58 Abs 3 Nr 1 AufenthG
- § 59 Abs 2 AufenthG
- § 59 Abs 5 S 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Anordnung der Abschiebung aus der Haft nach § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Zielstaat der Abschiebung bei Erlass der Anordnung und noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts feststeht (hier: nachträgliche Aufhebung der Zielstaatsbestimmung Kosovo). § 59 Abs. 2 AufenthG ist bei der Abschiebungsanordnung als Muss-Vorschrift zu lesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtschutz gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung und weitere Entscheidungen.
Der im September 2018 volljährig gewordene Antragsteller ist Roma mit serbischer oder kosovarischer Staatsangehörigkeit. Er wurde am XX.XX.XX in G. geboren. Seine Mutter und sein mutmaßlicher Vater, der kosovarische Staatsangehörige L. M., waren im Jahr zuvor mit einer Schwester über Italien in das Bundesgebiet eingereist und gaben an, Roma aus dem Kosovo zu sein. In den Jahren 2004 und 2007 wurden weitere zwei Schwestern des Antragstellers in Deutschland geboren. Der Antragsteller und seine Familienangehörigen sowie Geschwister betrieben erfolglos Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und wurden in der Bundesrepublik Deutschland geduldet. Im Jahr 2007 trennte sich die Mutter des Antragstellers von seinem mutmaßlichen Vater; er und seine jüngste Schwester blieben bei der Mutter, die beiden anderen Schwestern zunächst beim Vater. Im Februar 2009 reisten der Antragsteller, seine Mutter und seine Schwester nach Belgien aus, um dort ein Asylverfahren zu betreiben. Nach der Rückübernahme der Familie stellte der Antragsteller im November 2009 in Deutschland einen Asylantrag. Aufgrund des Urteils des erkennenden Gerichts – Einzelrichter der 4. Kammer – vom 12.04.2011 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 24.05.2011 fest, dass für den Antragsteller, seine Mutter und seine Schwester ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich des Kosovo und Serbiens vorliegt. Am 24.05.2011 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die zuletzt bis Dezember 2015 verlängert wurde. Seitdem erhielt der Antragsteller Fiktionsbescheinigungen.
Der Antragsteller besuchte nach der Grundschule zwei unterschiedliche Förderschulen für emotionale und soziale Entwicklung, ohne einen Schulabschluss zu erlangen. Er fehlte häufig und fiel durch Schlägereien und auch im Übrigen problematisches Sozialverhalten auf. Seit 2013 bis zu seiner Inhaftierung im März 2016 konsumierte er regelmäßig Alkohol und Cannabis.
Er ist Vater eines im Januar 2016 geborenen deutschen Kindes, dessen Vaterschaft er anerkannt hat. Zu der Kindsmutter besteht seit Herbst 2017 keine Liebesbeziehung mehr.
Der Antragsteller, der derzeit eine Haftstrafe in der Jugendanstalt C. verbüßt, ist strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Er wurde mit Urteil des Amtsgerichts G. vom 18.02.2016 (BA 001, Bl. 198 ff.) wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Drei Wochen nach der Verurteilung vergewaltigte der Antragsteller einen gleichaltrigen Jungen. Wegen dieser Tat wurde er am 18.03.2016 in Untersuchungshaft genommen; er befindet sich seitdem ununterbrochen in Haft.
Mit Urteil des Amtsgerichts G. vom 27.10.2016 (BA 001, Bl. 261 ff.) wurde er wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts G. vom 18.02.2016 zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. In der Urteilsbegründung stellte das Amtsgericht zur Schuldfähigkeit fest, dass psychologische Tests ergeben hätten, der Antragsteller verfüge über einen Intelligenzquotienten von 64 und leide an einer Intelligenzminderung mit Verhaltensauffälligkeiten, könne aber zwischen richtig und falsch unterscheiden. Die Berufung gegen das Urteil blieb ohne Erfolg (BA 001, Bl. 378 ff.).
Mit Urteil des Amtsgerichts C. vom 18.10.2017 wurde der Antragsteller wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Raub unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts G. vom 27.10.2017 (BA 001, Bl. 427 ff.) zu einer Einheitsjugendstrafe von 4 Jahren verurteilt.
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft; das Haftende ist auf den 17.03.2020 notiert (BA 001, Bl. 445). In der Haft erreichte der Antragsteller einen Förderschulabschluss.
Nach erfolgter Anhörung sowie Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 72 Abs. 2 AufenthG (BA 002, Bl. 559 ff.) wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17.04.2018 den Antragsgegner aus der Bundesrepublik Deutschland aus (1.), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (2.), ordnete die Abschiebung in den Kosovo oder in einen anderen Staat, der zu seiner Aufnahme verpflichtet sei, aus der Haft heraus an, wobei die Abschiebung frühestens mit dem Erreichen der Volljährigkeit des Antragstellers erfolgen werde, und forderte ihn für den Fall, in dem eine Abschiebung aus der Haft nicht möglich sei, auf, binnen eines Monats nach Haftentlassung freiwillig auszureisen (3.). Die Antragsgegnerin ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an und befristete dieses auf 8 Jahren, beginnend mit der Ausreise, unter der Bedingung, dass der Antragsteller den erfolgreichen Abschluss einer Sozial- und Drogentherapie nachweisen könne. Sie ordnete die sofortige Vollziehung der Entscheidungen an (4.) und legte dem Antragsteller die Kostentragungspflicht für eine mögliche Abschiebung auf (5.). Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf die vom Antragsteller begangenen Straftaten. Eine Ausweisung des Antragstellers ergehe, weil sein schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner Ausreise zurücktreten müsse. Er sei Vater eines minderjährigen Kindes, dessen Nationalität aber unbekannt sei und für das er keine wirkliche Fürsorge ausübe, so dass ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht angenommen werden könne. Soweit er sich auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 AufenthG berufen könne, sei seine Aufenthaltsbeendigung ohnehin erst nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit geplant. Um sein minderjähriges Kind habe er sich bislang nicht nachhaltig gekümmert. Das Interesse an seiner Ausweisung wiege im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a AufenthG besonders schwer. Von der Begehung von Straftaten sei trotz einiger positiver Entwicklungen in der Haft weiter auszugehen, weil in seinem Verhalten keine nachhaltige Veränderung eingetreten sei. Sein Interesse an Verbleib im Bundesgebiet müsse zurücktreten; ihm werde die Reintegration in die Lebensverhältnisse im Kosovo schwerfallen, es würden aber vor Ort Hilfen organisiert werden. Aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse sei auch davon auszugehen, dass er im Haushalt seiner Mutter mit seiner Heimatsprache aufgewachsen sei. Für die Ausweisung sprächen im Übrigen auch generalpräventive Gründe. Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis werde abgelehnt, nachdem das zuständige Bundesamt mit Stellungnahme vom 12.04.2018 mitgeteilt habe, dass der Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 4, 1. Alt. AufenthG erfüllt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird entsprechend § 122 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die streitgegenständliche Verfügung Bezug genommen.
Der Antragsteller hat am 18.05.2018 Klage erhoben (1 A 345/18), über die noch nicht entschieden worden ist, und zugleich um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, bei ihm sei ein Abschiebungsverbot auch hinsichtlich des Kosovo festgestellt worden, die Abschiebungsanordnung sei deshalb rechtswidrig. Die Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK, weil die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt habe, dass er faktischer Inländer sei. Er könne sich nicht als Volljähriger in einem ihm völlig unbekannten Land integrieren, zumal er leicht intelligenzgemindert sei. Die Möglichkeit einer präventiven Ausweisung bestehe nicht mehr, die hierzu gemachten Ausführungen im Bescheid seien deshalb ermessensfehlerhaft. Die Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis leide ebenfalls an einem Ermessensausfall.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 17.04.2018 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Bescheid.
Mit Schriftsatz vom 06.11.2018 erklärte die Antragsgegnerin, die Zielstaatsbestimmung Kosovo ersatzlos zu streichen, nachdem das kosovarische Innenministerium der Deutschen Botschaft in N. mitgeteilt habe, der Rücknahme des Antragstellers nicht zuzustimmen, weil dessen Abstammung vom kosovarischen Staatsangehörigen L. M. nur unzureichend belegt sei. Auf telefonische Nachfrage erklärte der Vertreter der Antragsgegnerin ergänzend, die Erfahrung zeige, dass eine derartige Einschätzung vom konkreten Sachbearbeiter abhänge und dies bei einem Sachbearbeiterwechsel ändern könne.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der zulässige Eilantrag, mit dem der Antragsteller sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung (1.), der Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (2.), der Abschiebungsanordnung aus der Haft (3.) sowie die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie dessen Befristung auf acht Jahre (4.) wendet, hat in der Sache nur hinsichtlich der Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids Erfolg.
1.
a.
Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet. Sie legt jedenfalls durch die Verweisung auf das öffentliche Interesse daran, ausgewiesenen ausländischen Straftätern keinen weiteren Aufenthalt in Deutschland zu gewähren, sowie auf das fiskalische Interesse an der Vermeidung einer weiteren Strafvollstreckung (noch) einzelfallbezogen dar, warum es zur Vermeidung von weiterem Fehlverhalten des Antragstellers im öffentlichen Interesse erforderlich ist, nach Abwägung mit den Interessen des Antragstellers – der sich nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen könne – die sofortige Vollziehung anzuordnen.
b.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alternative i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) gegen die Ausweisung setzt voraus, dass das Interesse des Betroffenen, von der Vollziehung einer Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig darstellt, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist der Verwaltungsakt hingegen rechtmäßig, so überwiegt im Ausweisungsrecht regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, sofern diesem ein besonderes Gewicht zukommt.
Die von der Kammer nach den vorstehenden Maßgaben vorzunehmende Interessenabwägung geht zum Nachteil des Antragstellers aus. Die Ausweisung ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
Die Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach den §§ 53 bis 55 AufenthG. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidungsfindung des Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, juris Rn. 12).
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Diese Grundnorm des Ausweisungsrechts benennt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG durch vertypte Ausweisungsinteressen konkretisiert und gewichtet werden. Daneben bedarf es der Feststellung einer ebenfalls im konkreten Einzelfall vorliegenden Wiederholungsgefahr. Dem gegenüber zu stellen sind die in § 55 AufenthG normierten und ebenfalls typisierten und gewichteten Bleibeinteressen. § 53 Absatz 1 AufenthG verlangt anschließend eine Abwägung sämtlicher den konkreten Fall prägenden Umstände jeweils entsprechend ihrem Gewicht im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände, mit der Folge, dass eine Ausweisung nur in Betracht kommt, wenn das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
aa. Der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Es liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da der Antragsteller wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten – insbesondere wegen zwei Vergewaltigungen – zu einer Jugendstrafe von 4 Jahren verurteilt worden ist. Es liegt außerdem ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vor, da die Verurteilung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (Vergewaltigung) erfolgte und die Jugendstrafe ein Jahr überschreitet.
Seine Vorgeschichte, die Einzelheiten der Tatbegehung und sein Verhalten während der noch andauernden Strafhaft sprechen dafür, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller erneut schwerwiegende Straftaten begehen wird:
Der Antragsteller erlebte eine schwierige Kindheit, die einer stabilen Persönlichkeitsentwicklung entgegenstand. Er wuchs überwiegend ohne Vater auf; seine Mutter steht unter Betreuung. Zwei seiner Schwestern lebten jedenfalls zeitweise in Pflegefamilien (Amtsgericht G., Urteil vom 18.02.2016, Urteilsumdruck S. 2, BA 001, Bl. 247). Zur Schule ging er nur unregelmäßig und fiel dort frühzeitig wegen seines unangepassten, gewaltgeneigten Sozialverhaltens auf.
Bereits als strafunmündiges Kind war der Antragsteller seit 2013 wegen Diebstahls und anderer Eigentumsdelikte strafrechtlich in erheblichem Maße in Erscheinung getreten (BA 001, Bl. 192 ff.). Er wurde erstmals durch das Amtsgericht G. am 18.02.2016 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Alter von 14 Jahren hatte er im Mai 2015 eine 14-jährige in einem Park vergewaltigt und nach den Feststellungen des Amtsgerichts (BA 001, Bl. 248) trotz der Hilferufe und Schmerzensäußerungen seines Opfers nicht von seinem Tun abgelassen. Das Gericht stellte schädliche Neigungen fest und führte weiter aus, dass weder der Antragsteller noch seine Mutter die Verwerflichkeit seines Tuns und die Folgen bei der Geschädigten realisiert hätten. Die Vollstreckung der Jugendstrafe setzte das Gericht nur deshalb zur Bewährung aus, weil der Antragsteller sich in der Hauptverhandlung bereit erklärt hatte, von zu Hause auszuziehen und in eine betreute Wohneinrichtung zu ziehen. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die Mutter des Antragstellers auf diesen nicht erzieherisch einwirken könne. Der Antragsteller hat nur drei Wochen nach seiner Verurteilung wegen Vergewaltigung einer Jugendlichen einen gleichaltrigen Jungen vergewaltigt. Die Hauptverhandlung am 18.02.2016 hat ersichtlich keinerlei Eindruck bei ihm hinterlassen. Im Rahmen des Strafverfahrens wurde der Antragsteller begutachtet. Ausweislich des unter dem 03.11.2016 erstellten jugendpsychiatrischen Gutachtens (BA 001, Bl. 353 ff.) hat der Antragsteller stark unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten im Bereich der leichten Intelligenzminderung (IQ von 64) mit Verhaltensauffälligkeiten (F70.1 nach ICD-10) mit Hinweisen auf eine hirnorganische Beeinträchtigung (BA 001, Bl. 368). Im Selbstbericht gegenüber dem Gutachter beschrieb sich der Antragsteller als leicht erregbar, er neige zu spontanen und unbeherrschten, aggressiven Verhaltensweisen. Während der Testung sei eine Verhaltenstendenz zu verbalen Anschuldigungen und Beleidigungen sowie der Verwendung von körperlicher Gewalt als „übliche“ Problemlösungsstrategie deutlich geworden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen weist in seiner Stellungnahme nach § 72 Abs. 2 AufenthG vom 12.04.2018 (BA 002, Bl. 559 ff.) zutreffend darauf hin, dass gerade bei Sexualstraftätern wie dem Antragsteller eine hohe Rückfallgefahr besteht; dies gilt – auch hierauf weist das Bundesamt hin – auch für Suchtgefährdete. Der Antragsteller ist suchtgefährdet: er nahm nach den Feststellungen des Amtsgerichts C. im Urteil vom 18.10.2017 bereits als Jugendlicher regelmäßig Alkohol und Cannabis zu sich und begann auch, Kokain zu konsumieren (BA 001, Bl. 428). Er konnte bislang in der Strafhaft diese Drogensucht nicht aufarbeiten. Der Umstand, dass der Antragsteller wegen seiner Intelligenzminderung nach dem Fortschreibungsplan der Jugendanstalt C. vom 02.03.2018 die von der Anstalt angebotenen sozialtherapeutischen Angebote in Gruppen (auch) für drogengebrauchende Insassen nicht wahrnehmen konnte (BA 002, Bl. 520), beseitigt nicht die sich aus der nicht aufgearbeiteten Drogengeschichte ergebende Wiederholungsgefahr.
Auch seine positive Entwicklung, die unter dem Eindruck der Strafhaft und den dortigen engen Grenzen eingesetzt hat, führt zu keiner günstigeren Prognose. Während der Antragsteller im Führungsbericht der Jugendanstalt zur Hauptverhandlung am 23.06.2016 noch als vorlauter, häufig distanzloser und unruhiger Inhaftierter beschrieben wird, der nach Konflikten die Schuld auf andere schiebe (BA 001, Bl. 303), ergibt sich aus dem letzten vorliegenden Bericht ein positiveres Bild über sein Verhalten im Vollzug (BA 002, Bl. 518). Er wird dort als in die Wohngruppe gut integriert und gegenüber den Bediensteten als höflich und aufmerksam beschrieben. Es wird betont, dass es ihm wichtig ist zu gefallen. Allerdings geht die Jugendanstalt weiterhin von einer Missbrauchsgefahr von möglichen Vollzugslockerungen aus und führt zur Begründung u.a. aus, der Antragsteller grenze sich nicht konstant gegen subkulturelle Einflüsse ab und habe auch noch keine adäquaten Verhaltensalternativen zu Straftaten entwickelt. Aus einer Gesamtschau dieses Berichts mit dem Bericht der Jugendgerichtshilfe vom 20.06.2016 (BA 001, Bl. 372), dem Bericht der Jugendanstalt C. vom 21.09.2016 (BA 001, Bl. 332) und den Feststellungen des Amtsgerichts im Urteil vom 18.02.2016 (BA 001, Bl. 200) ergibt sich, dass der Antragsteller bereits als Kind und Jugendlicher keinen Halt gefunden hat und insbesondere seine Mutter nicht in der Lage war, erzieherisch auf ihn einzuwirken. Es ergibt sich das Bild eines halt- und ziellosen, von seinen unmittelbaren Bedürfnissen und Affekten gesteuerten jungen Menschen, der strenge Anleitung und Führung braucht. Die Kammer geht davon aus, dass die gutachterlich festgestellte Intelligenzminderung des Antragstellers einen Reifeprozess deutlich verzögert. Fällt der Halt weg, den die enge Führung einer Jugendanstalt gibt, spricht deshalb viel dafür, dass der Antragsteller wieder in alte Verhaltensmuster verfallen und Straftaten von erheblichem Gewicht begehen wird. Auch sein Bedürfnis nach Anerkennung der sozialen Gruppe und leichten Beeinflussbarkeit (Führungsbericht der Jugendanstalt vom 21.09.2016, BA 001, Bl. 332), gepaart mit seinen geringen kognitiven Möglichkeiten zur Selbstreflexion, sprechen für eine Wiederholungsgefahr unter den Bedingungen der Freiheit.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Antragstellers nicht nur mit spezialpräventiven, sondern auch mit generalpräventiven Erwägungen begründet hat. Eine Beschränkung auf rein spezialpräventive Erwägungen ist dem Ausweisungsrecht entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zu entnehmen. Der Wortlaut von § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt nicht, dass von dem Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss; vielmehr muss dessen weiterer Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bewirken. Das kann auch dann der Fall sein, wenn von ihm selbst keine Gefahr (etwa der Wiederholung von Straftaten) ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, Urt. v. 12.07.2018 - 1 C 16/17 -, juris Rn. 16). Das hier vorliegende generalpräventive Interesse an der Ausweisung des Antragstellers liegt auch noch vor. Der Zeitablauf seit den Taten des Antragstellers ist nicht so lang, dass eine Ausweisung des Antragstellers keinen Eindruck mehr bei potentiellen ausländischen Straftätern hinterlassen könnte. Das gilt insbesondere für jugendliche Straftäter einschließlich jugendlicher Intensivtäter.
(2) Der Antragsteller kann sich nicht auf ein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG berufen.
Der Antragsteller hat keine Aufenthaltserlaubnis, so dass weder die Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG noch des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG einschlägig ist. Die dem Antragsteller bis zur Ablehnung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im streitgegenständlichen Bescheid erteilte Fiktionsbescheinigung steht einem Aufenthaltstitel nicht gleich (Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 55 AufenthG Rn. 6 m.w.N.).
Der Antragsteller hat im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besteht. Danach wiegt das Bleibeinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt. Der Antragsteller hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei seinem Sohn O., dessen Vaterschaft er anerkannt hat (BA 002, Bl. 459), oder der Kindsmutter um deutsche Staatsangehörige handelt. Auch ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller die Beziehung zur Kindsmutter noch führt oder ihm für das Kind O. ein Personensorgerecht oder Umgangsrecht zusteht. Nach dem Bericht der Jugendanstalt C. vom 02.10.2017 (BA 001, Bl. 419 ff., 420) wurde die Beziehung zwischen dem Antragsteller und der Kindsmutter einige Wochen vor Erstellung des Berichts beendet. Im Fortschreibungsbericht des Erziehungs- und Förderplans der Jugendanstalt vom 02.03.2018 (BA 002, Bl. 517 ff.) heißt es, der Antragsteller habe regelmäßigen Kontakt über Briefe, Besuche und Telefonate mit der „Freundin/Kindsmutter“ sowie seinem Sohn O.. Ob die laut Bericht vom 02.10.2017 noch angestrebte Sorgerechtsregelung tatsächlich erreicht wurde, ergibt sich aus dem Bericht vom 02.03.2018 nicht und wurde auch im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen.
Ein Bleibeinteresse ergibt sich auch nicht mit Blick auf die Belange oder das Wohl des Kindes O. (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Der Antragsteller hat zwar, wie ausgeführt, die Vaterschaft hinsichtlich seines Sohnes anerkannt. Es ist aber nicht ersichtlich, dass seine Anwesenheit im Bundesgebiet zum Wohl seines Sohnes erforderlich ist. Die Beziehung beschränkt sich auf Besuchskontakte in der Jugendanstalt, zu deren Frequenz über den Inhalt des Berichts der Jugendanstalt vom 02.03.2018 hinausgehend vom Antragsteller nichts vorgetragen worden ist. Der Antragsteller ist in Haft, seitdem sein Sohn drei Monate alt ist. Es liegt nahe, dass er weder Erziehungsleistungen erbringen kann noch ein Näheverhältnis zu seinem Sohn aufbauen konnte, das für dessen weitere Entwicklung wichtig wäre. Den in der bisherigen Form gepflegten Kontakt zu seinem Sohn kann er auch aus dem Ausland über Telefonate oder Videounterhaltungen aufrechterhalten.
(3) Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Antragstellers überwiegt das Ausweisungsinteresse sein eigenes Interesse am Verbleib im Bundesgebiet.
Zwar berührt die Ausweisung des Antragstellers seine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten familiären Beziehungen zu seiner Mutter und seinen Schwestern. Mit ihnen lebte der damals noch minderjährige Antragsteller bis zu seiner Inhaftierung zusammen; sie leben nach wie vor in Deutschland. Zu der Mutter und der jüngsten, noch minderjährigen Schwester besteht nach dem Fortschreibungsbericht der Jugendanstalt vom 02.03.2018 (BA 002, Bl. 518) regelmäßiger Kontakt. Diese verwandtschaftliche Beziehung ist grundrechtlich geschützt. Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern bestehen können. Der Schutz knüpft aber nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft. In den so beschriebenen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallen auch die Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Allerdings ergibt sich hieraus noch kein Anspruch auf Aufenthalt; die Behörde ist nur verpflichtet, den Belangen entsprechend ihrem Gewicht Rechnung zu tragen. Nach dieser Maßgabe ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin das Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung der Beziehung zu seiner Mutter und seinen Schwestern im Bundesgebiet zurückgestellt hat. Der Antragsteller lebte zwar bis zu seiner Inhaftierung bei seiner Mutter. Er ist aber mittlerweile volljährig und nicht mehr auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds, insbesondere seiner Mutter, angewiesen. Es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass seine Mutter ihrerseits oder die minderjährigen jüngeren Schwestern auf den Beistand des Antragstellers angewiesen wären und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen ließe (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 05.03.2018 - 8 PA 5/18 -, juris Rn. 5; Beschl. v. 09.08.2017 - 13 ME 167/17 -, juris Rn. 18, jeweils m.w.N.). Der Kontakt zur Familie kann auch über Telefonate oder im Rahmen von Besuchen im Herkunftsland aufrechterhalten werden.
Mit seinem Kind und der Mutter seines Kindes unterhält der Antragsteller, wie oben ausgeführt, keine familiären Bindungen im Sinne einer tatsächlich bestehenden familiären Lebensgemeinschaft, die unter den Schutz des Art. 6 GG fallen könnten.
Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i.S.d Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Ausweisungsentscheidung nicht unverhältnismäßig.
Dies gilt zunächst im Hinblick auf den Schutz der Familie nach Art. 8 Abs. 1 EMRK. Dieser kann dort, wo sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 Abs. 1 GG deckt, keine weitergehenden als die durch Art. 6 Abs. 1 GG vermittelten Schutzwirkungen entfalten. Bindungen zwischen erwachsenen Personen genießen nicht den Schutz nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, es sei denn, es sind zusätzliche Elemente der Abhängigkeit dargelegt, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR, Urt. v. 17.04.2003 - 52853/99 Yilmaz/Deutschland -, juris Rn. 44; EGMR, Urt. v. 24.03.2015 – 37074/13 Kerkez/Deutschland -, juris Rn. 25). Solche sind hier, wie ausgeführt, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Antragsteller bis zu seiner Inhaftierung bei seiner Mutter lebte, weder vorgetragen noch ersichtlich.
Im Hinblick auf den über den Schutz der Familie hinausgehenden Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.07.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 19, m.w.N.). Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Aspekt der „Verwurzelung“) ab, zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland (Aspekt der „Entwurzelung“). Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichendem Krankenversicherungsschutz ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt (Nds. OVG, Beschl. v. 10.11.2017 - 13 ME 190/17 -, juris Rn. 27). Schutzwürdig können aber nur solche Bindungen sein, die während Zeiten einer den Aufenthalt des Ausländers im Aufenthaltsstaat gestattenden behördlichen Entscheidung entstanden sind, die zugleich ein berechtigtes Vertrauen des Ausländers in den Fortbestand seines Aufenthalts begründet hat (Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 52 f. mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Erst wenn die so begründete und deshalb berechtigte Erwartung in einen fortbestehenden rechtmäßigen Aufenthalt durch eine weitere staatliche Entscheidung enttäuscht wird, kann eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen.
Hiernach erweisen sich die von dem Antragsteller behaupteten tatsächlichen Bindungen an das Bundesgebiet von vorneherein als nicht schutzwürdig; es handelt sich bei dem Antragsteller nicht um einen sogenannten faktischen Inländer. Er wurde zwar in G. geboren und wuchs hier auch – abgesehen von einem einjährigen Aufenthalt in Belgien, währenddessen er dort die Grundschule besuchte – auf. Soweit dies ersichtlich ist, bestehen soziale Kontakte in Deutschland jedenfalls zu seiner hier lebenden Mutter und jüngeren Schwester sowie zur Mutter seines Kindes und zum Kind O.. Sein Aufenthalt war auch jedenfalls für viereinhalb Jahre rechtmäßig: Erstmals im Mai 2011 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt noch bis Dezember 2015 verlängert wurde. Der Antragsteller spricht die deutsche Sprache, wenn auch nicht fließend (Fortschreibungsbericht der Jugendanstalt C. vom 02.03.2018, BA 002, Bl. 521). Seine soziale und wirtschaftliche Integration ist bislang allerdings nicht gelungen. Der Antragsteller hat der gesetzlichen Schulpflicht folgend die Hauptschule und später die Sonderschule besucht. Er hat aber erst in der Haft einen Förderschulabschluss erlangt. Eine Berufsausbildung hat er bislang nicht absolviert. Eine Grundlage für ein Arbeitseinkommen nach der Haftentlassung hat sich der Antragsteller bislang auch in der Haft nicht geschaffen, wo er bislang Maler- und Holzarbeiten kennenlernte. Dass er sich selbst nicht als Inländer erlebt, zeigt eindrücklich sein Hinweis auf seinen „Migrationshintergrund“, mit dem er in der Haft seine schlechten Deutschkenntnisse erklärt (Fortschreibungsbericht vom 02.03.2018, BA 002, Bl. 521). Seine soziale Integration ist auch deshalb ersichtlich nicht gelungen, weil er sich bis zu seiner Inhaftierung wegen zum Teil ganz erheblicher Delikte strafbar gemacht hat und diese „Laufbahn“ bereits als Strafunmündiger eingeschlagen hatte. Er ist als Jugendlicher wegen schwerwiegender Straftaten zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden. Er wurde mit Urteil des Amtsgerichts G. vom 18.02.2016 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Unbeeindruckt von der für einen jugendlichen Ersttäter – frühere Straftaten konnte nicht geahndet werden, weil der Antragsteller noch strafunmündig war – hohen Jugendstrafe vergewaltigte er nur drei Wochen nach der Hauptverhandlung einen gleichaltrigen Jungen. Wegen dieser Tat wurde er am 18.03.2016 in Untersuchungshaft genommen; er befindet sich seitdem ununterbrochen in Haft. Mit Urteil des Amtsgerichts G. vom 27.10.2016 wurde er wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts G. vom 18.02.2016 zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Mit Urteil des Amtsgerichts C. vom 18.10.2017 wurde der Antragsteller wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Raub unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts G. vom 27.10.2017 zu einer Einheitsjugendstrafe von 4 Jahren verurteilt.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK (allein) auf Grund der langen Aufenthaltsdauer des Antragstellers in Deutschland eröffnet ist, ist der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff in das Recht des Antragstellers auf Schutz seines Privatlebens verhältnismäßig, Art. 8 Abs. 2 EMRK. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechts eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten notwendig ist. Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Kriterien (EGMR, Urt. v. 02.08.2001 - 54273/00 Boultif/Schweiz -, InfAuslR 2001, 476; Urt. v. 23.06.2008 - 1638/03 Maslov II - DÖV 2009, S. 37, Rn. 68 f. zu jungen Erwachsenen) erweist sich bei summarischer Prüfung die Ausweisung des Antragstellers als verhältnismäßig. Die Kriterien sind die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er auszuweisen ist, die zwischen der Tatbegehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser Zeit, sowie die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielstaat. Auch das Alter der betroffenen Person sowie das Alter, in dem die Straftaten begangen wurde, können bei der Anwendung dieser Kriterien eine Rolle spielen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller eine Eingewöhnung in die Verhältnisse im Herkunftsstaat unmöglich oder unzumutbar ist. Es liegen für das Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller über Sprachkenntnisse und kulturelle Kenntnisse verfügt, die er in einem Herkunftsland seiner Eltern wird verwenden können. Im Fortschreibungsbericht vom 02.03.2018 (BA 002, Bl. 521) verweist die Jugendanstalt C., wie bereits ausgeführt, auf sprachliche Defizite des Antragstellers. Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seiner Mutter und seinen Schwestern nicht deutsch spricht. Auch im Übrigen hatte der Antragsteller bis zu seiner Inhaftierung jedenfalls auch Umgang mit Kindern bzw. Jugendlichen, die wie er aus Roma-Familien stammen. Das ergibt sich aus den im Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin dokumentierten Ermittlungsverfahren, die als Mitbeschuldigte oder anderweitig Beteiligte jeweils Bekannte oder (ggf.: frühere) Freunde des Antragstellers ausweisen. Diese sind zum Teil der Kammer aus anderen ausländerrechtlichen Familien als Roma bekannt. Soweit der Antragsteller im Herkunftsstaat über keine familiären Bindungen verfügen sollte, wird das ebenso wie seine Intelligenzminderung seine Eingewöhnung in die dortigen Lebensverhältnisse erschweren. Allerdings erlernt er derzeit in der Haft Fertigkeiten wie die eines Malers oder in der Holzverarbeitung, die er wird einsetzen können, um sich eine einfache Lebensgrundlage als Hilfsarbeiter zu schaffen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes geht die Kammer bei einer Gesamtschau aller Umstände davon aus, dass es die Eingewöhnung in die dortigen Lebensverhältnisse für den Antragsteller voraussichtlich schwierig sein wird, nicht aber, dass diese unmöglich oder unzumutbar ist.
Das nach alledem allenfalls gering zu gewichtende private Interesse des Antragstellers an der Fortdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet wird aufgewogen durch das öffentliche Interesse an seiner Fernhaltung vom Bundesgebiet. Er ist wegen schwerwiegender Straftaten – Vergewaltigung und Raub – in Erscheinung getreten.
2.
Hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Da die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels kraft Gesetzes entfällt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), kann vorläufiger Rechtsschutz insoweit durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangt werden. Dies setzt voraus, dass durch die Antragstellung eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG vermittelt wurde. Danach gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. So liegt der Fall hier, da der Antragsteller am 12.11.2015 (BA 001, Bl. 137) die Verlängerung seiner bis zum 30.12.2015 gültigen Aufenthaltserlaubnis beantragt hat. Damit galt seine Aufenthaltserlaubnis bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde am 17.04.2018 als fortbestehend.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bleibt ohne Erfolg, weil die in Ziff. 2 des Bescheides erlassene Ablehnung des Aufenthaltstitels nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Einer Erteilung steht nach erfolgter Ausweisung die Regelung des § 11 Abs. 1 AufenthG entgegen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid zu den Ausschlussgründen nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4, 1. Alt. AufenthG (S. 15 ff.) verwiesen, die sich die Kammer nach § 122 i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO zu eigen macht.
3.
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alternative VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO und §§ 70 Abs. 1 NVwVG, 64 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG statthaft. Soweit die Antragsgegnerin auch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung die sofortige Vollziehung angeordnet hat, war dies nicht erforderlich, denn die Abschiebungsanordnung ist als Vollstreckungsmaßnahme kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
Die Anordnung der Abschiebung auf der Grundlage von § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG wird sich in der Hauptsache voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes hat insoweit in der Sache Erfolg.
Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Abschiebung liegen hier vor. Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, weil er nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels ist. Die Ausreisepflicht ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch vollziehbar, weil die Ausweisung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Eine Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Abschiebungsandrohung) bedurfte es nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht, weil der Antragsteller in Haft ist (§ 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).
Allerdings ist die Anordnung der Abschiebung rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin seit der Aufhebung der ursprünglichen Zielstaatsbestimmung (Kosovo) mit Schriftsatz vom 06.11.2018 keinen Zielstaat der Abschiebung mehr bestimmt.
§ 59 Abs. 2 AufenthG sieht die Zielstaatsbestimmung zwar nur als Soll-Regelung vor. Ein konkreter Zielstaat braucht jedenfalls bei der Abschiebungsandrohung bei fehlender Klärung der Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht benannt zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 25, m.w.N.). Einen solchen Fall hat die Antragsgegnerin hier vorgetragen. Danach habe die Rechts- und Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in N. mitgeteilt, dass das kosovarische Innenministerium der Rückübernahme des Antragstellers nicht zustimmen werde. Seine Abstammung vom kosovarischen Staatsangehörigen L. M. sei nicht hinreichend belegt. Aus der Ausländerakte des Antragstellers ergibt sich, dass der genannte L. M. die Aufenthaltsanzeige für den Antragsteller zwei Wochen nach dessen Geburt bei der Antragsgegnerin unterzeichnete und auch im Weiteren als dessen Vater geführt wurde, dass aber die Abstammungsurkunde (BA 001, Bl. 2) nur die Mutter des Antragstellers aufführt. Nach telefonischer Auskunft des zuständigen Bearbeiters in der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin leiten die kosovarischen Behörden die Staatsangehörigkeit der Kinder vom Vater ab, wobei die nunmehr geäußerte Einschätzung, die Abstammung des Antragstellers von P. M. sei nicht hinreichend belegt, vom konkreten Sachbearbeiter abhänge.
Die Regelung des § 59 Abs. 2 AufenthG ist im hier vorliegenden Fall der Anordnung einer Abschiebung indes als Muss-Vorschrift zu lesen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Die Abschiebungsanordnung ist gegenüber der Abschiebungsandrohung eine eigenständige Regelung, auch wenn § 59 Abs. 5 AufenthG auf eine bloße Modifikation der Abschiebungsandrohung durch Verzicht auf die auszusprechende Fristsetzung hinweist. Aus verwaltungsvollstreckungsrechtlicher Sicht erweist sich die Abschiebungsanordnung aber qualitativ als Vollstreckung im verkürzten Verfahren, in dem auf die vorhergehende Androhung der Vollstreckungsmaßnahme Abschiebung verzichtet wird (zur Offenheit des Aufenthaltsgesetzes für das allgemeine Vollstreckungsrecht: Funke-Kaiser, in: GK AufenthG, Bd. 3, Stand 107 EL Nov. 2018, AufenthG, § 58 Rn. 84). Eine – bei der Abschiebung aus der Haft aus tatsächlichen Gründen nicht gegebene – Abwendungsmöglichkeit für den Betroffenen entfällt. Das führt dazu, dass die Ausländerbehörde bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung zu prüfen hat, ob der beabsichtigten Abschiebung Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegenstehen. Die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur spezialgesetzlichen Regelung der Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.08.2017 – 1 VR 5.17 -, juris Rn. 52; Beschl. v. 19.07.2017 – 1 VR 7.17 -, juris Rn. 47) ist nach Auffassung der Kammer auf die hier vorliegende Abschiebungsanordnung „aus der Haft“ nach §§ 58 Abs. 3 Nr. 1, 59 Abs. 5 AufenthG übertragbar und entspricht im Übrigen auch den Anforderungen an den Prüfumfang des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in den Fällen des § 34a AsylG. Abschiebungsverbote können indes nur in Bezug auf einen konkreten Zielstaat erfolgen.
Nach dieser Maßgabe ist die Abschiebungsanordnung rechtswidrig, weil der Zielstaat der Abschiebung nicht feststeht und damit Abschiebungsverbote nicht geprüft werden können. Die entsprechende Prüfung hat die Antragsgegnerin mit der Beteiligung des Bundesamtes zu § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 und 4, 1. Alt. AufenthG vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids geleistet; mit der Aufhebung der Zielstaatsbestimmung in Ziffer 3 des Bescheids ist diese Prüfung aber hinfällig geworden.
4.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist entsprechend § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. Das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Antragsgegnerin hat ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ausdrücklich angeordnet und damit eine behördliche Entscheidung über ein Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6 Richtlinie 2008/115/EG getroffen; sie hat damit die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG berücksichtigt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.07.2017 - 1 VR 3.17 -, juris Rn. 72). Es spricht einiges dafür, dass § 11 Abs. 1, 2 AufenthG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Regelung eine Ermächtigungsgrundlage für die zuständigen Behörden darstellt, die dort beschriebene Wirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch die Anordnung eines Einreiseverbots herbeizuführen (so BVerwG, Urt. v. 21.08.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 26, a. A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.03.2018 - 11 S 2776/17 -, juris Rn. 15). Diese Frage kann hier aber offenbleiben, weil jedenfalls die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend zu treffen ist, ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist.
Bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 3 AufenthG, die im Ermessen der Antragstellerin steht, ist eine zweistufige Entscheidung zu treffen. In einem ersten Schritt sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, 298 Rn. 42; Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012, a.a.O., Rn. 42). Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von höchstens zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, so dass sie nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten soll. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012, a.a.O., Rn. 42; Urt. v. 22.02.2017, a.a.O., Rn. 66). Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
Diesen Maßstäben wird die zweistufige Befristungsentscheidung der Antragsgegnerin noch gerecht. Ausgehend von der bestehenden Gefahr der Wiederholung von Straftaten und unter Berücksichtigung der fehlenden sozialen und wirtschaftlichen Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse (siehe oben) erscheint die gewählte Frist von acht Jahren für sich genommen als angemessen. Seine sozialen Bindungen insbesondere zu seiner Familie hat die Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägung mit den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers berücksichtigt und ist deshalb von der Höchstfrist von 10 Jahren nach unten abgewichen.
Die Antragsgegnerin hat allerdings die Befristung auf acht Jahre von dem Nachweis des erfolgreichen Abschlusses einer Sozial- und Drogentherapie abhängig gemacht. Die Kammer hält es schon für zweifelhaft, ob die Befristung auf acht Jahre unter Berücksichtigung dieser auflösenden Bedingung nach Maßgabe der oben dargestellten Kriterien im Einzelfall des Klägers noch verhältnismäßig ist. Sie ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil die Bedingung selbst sich bei summarischer Prüfung als unverhältnismäßig erweist. Die Rechtswidrigkeit der Bedingung schlägt auf die Befristungsentscheidung durch, weil sie von der dort zu treffenden Ermessensentscheidung nicht getrennt werden kann, sondern mit dieser eine Einheit darstellt.
Ermächtigungsgrundlage für eine solche auflösende Bedingung ist § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG; danach kann die Befristung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Die Bedingung muss verhältnismäßig sein (Funke-Kaiser, in: GK AufenthG, Bd. I, Stand Sept. 2018, § 11 Rn. 123). Das bedeutet, sie muss insbesondere geeignet sein, der vom Betroffenen ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begegnen, und dem betroffenen Ausländer muss es möglich und zumutbar sein, den tatsächlichen Nachweis auch zu erbringen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 35.). Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung (§ 11 Abs. 2 Satz 6 AufenthG).
Diese längere Befristung hat die Antragsgegnerin nicht im Tenor des streitgegenständlichen Bescheids angeordnet; das ist hier aber unschädlich, weil sie dies in der Begründung nachgeholt hat (S. 23 des Bescheids vom 17. April 2018) und eine entsprechende Festsetzung der Sperrfrist auf 10 Jahre für den Fall der Nichterfüllung der Bedingung getroffen hat.
Die Bedingung ist allerdings offensichtlich unverhältnismäßig. Sie ist zwar geeignet, der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Begehung weiterer – auch schwerer – Straftaten zu begegnen, weil sie mit seiner Drogenabhängigkeit und seiner Gewaltneigung zwei wesentliche Faktoren für die negative Prognose betrifft. Es ist aber bereits zweifelhaft, ob der Antragsteller wegen seiner Intelligenzminderung in der Lage ist, an Gruppentherapiesitzungen teilzunehmen. Die Jugendanstalt C. hat im Fortschreibungsbericht vom 02.03.2018 (BA 002 Bl. 521) noch ausgeführt, der Antragsteller sei von Gruppensitzungen kognitiv überfordert. Vor diesem Hintergrund kommen derzeit wohl nur Einzeltherapien in Bezug auf die Drogenabhängigkeit und das Sozialverhalten des Antragstellers in Betracht. Ob diese für den Antragsteller im Bundesgebiet unter den Bedingungen der Haft erreichbar sind oder nach seiner Abschiebung in ein noch nicht feststehendes Zielland erreichbar sein werden, ist nicht dargetan. In der Begründung der auflösenden Bedingung geht die Antragsgegnerin überdies nur davon aus, dass „entsprechende Therapien im Kosovo angeboten werden“ (S. 23 des Bescheids vom 17.04.2018). Da das Zielland einer Abschiebung noch offen ist, kann bereits ein Therapieangebot nicht dargelegt werden. Ob ein solches für den Antragsteller, der wegen seiner Intelligenzminderung und seines geringen Bildungsstands in jedwedem Land auch nur eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten hat, auch unter den Bedingungen einer – wie im Kosovo – fehlenden Sozialversicherungspflicht und den daraus resultierenden hohen Eigenaufwendungen für Gesundheitsmaßnahmen auch tatsächlich zugänglich wäre, kann derzeit ebenfalls nicht nachvollzogen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Die Kammer geht dabei für die Frage der Kostenquote hinsichtlich der in Ziffer 3 des Bescheids vom 17.04.2018 verfügten Abschiebungsanordnung von einem Anteil von einem Viertel und hinsichtlich des in Ziffer 4 verfügten befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots von einem Anteil von einem Achtel des Streitwerts aus (vgl. zu Abschiebungsandrohung und Einreiseverbot VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.08.2018 - 11 S 1776/18 -, juris Rn. 20; anders zu Abschiebungsandrohung und Einreiseverbot Beschl. d. Kammer vom 13.07.2018 - 1 B 293/17 -, n.v., S. 7 des Beschlussumdrucks). Die Verfügungen wirken sich zwar nicht auf den Streitwert aus (dazu sogleich). Sie belasten den Betroffenen aber jeweils selbständig, so dass es die Kammer für gerechtfertigt hält, die Kostenquote hier an die Wertungen aus Ziffer 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57) anzulehnen, nach denen im selbstständigen Vollstreckungsverfahren der Streitwert bei Vollstreckungsmaßnahmen ein Viertel des Streitwerts in der Hauptsache beträgt, bei der Zwangsmittelandrohung ein Achtel. Es erscheint bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung des Interesses des Betroffenen am Verfahren angemessen, die Abschiebungsanordnung mit einem Viertel und ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot hypothetisch gleich mit einer Abschiebungsandrohung mit einem Achtel zu bewerten.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 und Nrn. 8.1, 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ - Beilage 2013, 57 ff.). Danach ist bei einem Streit um eine Aufenthaltserlaubnis sowie um eine Ausweisung jeweils der Auffangwert von 5.000 EUR zugrunde zu legen; die Werte werden auf 10.000 EUR addiert. Eine Erhöhung durch die Abschiebungsandrohung erfolgt nicht. Auch die Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot und dessen Befristung erhöht den Streitwert nicht. Der Betrag von 10.000 EUR wird im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Eilverfahrens halbiert (Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog, a.a.O.).
Die am 25. Oktober 2018 beantragte Prozesskostenhilfe kann nur im tenorierten Umfang bewilligt werden, wobei die Kammer im Hinblick auf die Bemessung der Prozesskostenhilfe, die sich hinsichtlich der Ziffern 3 und 4 des Bescheids vom 17.04.2018 nicht am Streitwert für die jeweiligen Anordnungen ausrichten kann, die Kostenquote im Eilverfahren für maßgeblich hält. Im Übrigen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung abzulehnen, weil der Antrag insoweit auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.02.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zukommt (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 08.07.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. mit weiteren Nachweisen). Insoweit ist die Entscheidung gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 1 Abs. 1 GKG und § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).