Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 05.07.2007, Az.: 3 B 21/07

Versammlungsverbot wegen öffentlicher Zurschaustellung von altnazistischem oder neonazistischem Gedankengut und Verhaltensweisen auf öffentlichen Straßen; Verbot einer Versammlung unter freiem Himmel als ultima ratio; Vorrang des Gemeingebrauchs und der bloßen "Leichtigkeit des Verkehrs" vor dem Versammlungsrecht; Anforderungen an die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
05.07.2007
Aktenzeichen
3 B 21/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 36649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2007:0705.3B21.07.0A

Verfahrensgegenstand

Versammlungsrecht

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine Versammlung unter freiem Himmel kann nur als ultima ratio verboten werden.

  2. 2.

    Die öffentliche Zurschaustellung von altnazistischem oder neonazistischem Gedankengut und Verhaltensweisen auf öffentlichen Straßen berechtigen für sich allein nicht zu einem Versammlungsverbot.

  3. 3.

    Störungen des Individualverkehrs und des Busverkehrs, die mit einer Demonstration unvermeidlich verbunden sind, sind grundsätzlich hinzunehmen.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg -3. Kammer-
am 5. Juli 2007
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.)

    Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot der Beklagten vom 3. Juli 2007 (3 A 111/07) wird wiederhergestellt, jedoch unter folgenden Auflagen:

    1. 1.

      Der Demonstrationszug hat folgende Route zu nehmen: Bahnhofsvorplatz, Bahnhofstraße, Dahlenburger Landstraße, Am Schwalbenberg, Blümchensaal, Deutsch-Evern-Weg, Konrad- Adenauer-Straße, Theodor-Heuss-Straße, Dahlenburger Landstraße, Bahnhofstraße bis zum Bahnhofsvorplatz.

      Auf dem Bahnhofsvorplatz können Auftakt- und Abschlusskundgebungen abgehalten werden.

    2. 2.

      Die Versammlungsteilnehmer dürfen weder Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke noch Springerstiefel als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung tragen.

    3. 3.

      Es dürfen keine Trommeln, Pauken oder vergleichbare Schlaginstrumente mitgeführt werden.

    4. 4.

      Wortkundgebungen, Sprechchöre, Transparente, Trageschilder, Spruchbänder, Fahnen und dergleichen dürfen keine irgendwie geartete Verbundenheit mit der NS-Vergangenheit Deutschlands einschließlich Personen aus jener Zeit oder antijüdischer oder ausländerfeindlicher Art, ferner keine Verherrlichung von Straftätern zum Inhalt haben.

    5. 5.

      Die Versammlungsteilnehmer dürfen sich nicht in marschartiger Formation und im Marschtakt fortbewegen, sondern müssen sich in individueller Schrittfrequenz und -länge bewegen Marschbefehle, akustische Signale oder Marschgesänge, die zu gleichförmiger marschartiger Fortbewegung animieren, dürfen nicht gegeben bzw. angestimmt werden.

    6. 6.

      Der Antragsgegnerin bleibt vorbehalten, weitere Auflagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bis zum Ablauf des 9. Juli 2007 zu erlassen, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von Ordnern, Fahrzeugen und Megaphonen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

  3. 3.)

    Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Untersagung einer von ihm angemeldeten Versammlung.

2

Der Antragsteller hat für den 14. Juli 2007 in Lüneburg eine Versammlung für die Zeit von 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr angemeldet, bei der mit 200 Teilnehmern gerechnet wird. In einer ursprünglichen Anmeldung vom 13. Juni 2007 begehrte der Antragsteller die Demonstration durch die Innenstadt Lüneburgs zu führen. Nach Hinweis durch die Antragsgegnerin, dass auf dem Platz Am Sande ein Kinderfest stattfinde, modifizierte der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Juni 2007 die Demonstrationsroute dahingehend, dass eine Route, wie sie im Beschlusstenor zu 1. festgelegt worden ist, gewählt wurde. Er meldete zugleich für den Fall, dass Bedenken dagegen bestünden, eine weitere alternative Route an.

3

Der zulässige Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

4

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen -wie hier -die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders angeordnet wird. Nach Abs. 5 Satz 1 und 2 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung jedoch wieder herstellen. Das Gericht ist im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht auf eine Überprüfung der Verwaltungsanordnung des Sofortvollzuges beschränkt, sondern es hat eine aufgrund eigener Abwägung beruhende Ermessensentscheidung zu treffen (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rdnr. 146 m.w.N.) und kann die Aussetzung der Vollziehung von Auflagen abhängig machen.

5

Bei der gebotenen Überprüfung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen die angefochtene Verfügung erweist sich diese voraussichtlich als rechtswidrig. Die Anordnung von Auflagen hätte genügt, die Ordnungsgemäßheit der angemeldeten Demonstration zu sichern. Zwar ist das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Versammlungsverbots in hinreichender Weise begründet worden. Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot liegen jedoch nicht vor.

6

Nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz -VersG -kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

7

Das Verbot einer Versammlung unter freiem Himmel kommt nur als ultima ratio in Betracht (BVerwG, Beschl. v. 14.05.1985 -1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 342 ff. = NJW 1985, 2395, 2398 ff. -Brockdorf -), denn das Versammlungs- und Demonstrationsrecht gehört zu den fundamentalen Grundrechten eines freiheitlichen Staatswesens, dem insbesondere in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentationssystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes zukommt und das damit insbesondere auch dem Minderheitenschutz dient (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 a.a.O.). Art. 8 GG gewährleistet Grundrechtsträgern demnach das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Die öffentliche Zurschaustellung von alt- oder neonazistischem Gedankengut und Verhaltensweisen auf öffentlichen Straßen, mögen sie noch so Empörung in der deutschen Öffentlichkeit auslösen, berechtigen für sich allein nicht zu einem Versammlungsverbot (OVG Berlin, Beschl. v. 11.03.2000 -OVG 1 SN 20.00/OVG 1 S 3.00 -Veröffentlichung nicht bekannt). Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung infrage zu stellen (BVerfG, Beschl..v. 26.01.2006 -1 BvQ 3/06 -) Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben darf ein Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG nur dann ergehen, wenn eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung, nicht nur anlässlich einer Versammlung, besteht, d.h. eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt, wobei erkennbare, d.h. nachweisbare Tatsachen dafür vorliegen müssen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, bloße Vermutungen genügen nicht (BVerfG, Beschl. v. 21.04.1998 -1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834).

8

Gemessen an diesen Kriterien reichen die vorliegenden Erkenntnisse nicht zur Annahme einer unmittelbaren, nur durch ein Versammlungsverbot zu begegnenden Gefahr aus, die Anordnung von Auflagen erscheint ausreichend zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung auf der unter Ziffer 1. des Beschlusstenors angeführten Route, die der Antragsteller seinem Schreiben vom 29. Juni 2007 an die Antragsgegnerin zufolge nunmehr auch vorrangig nur noch begehrt.

9

Soweit die Antragsgegnerin die Unzuverlässigkeit des Versammlungsleiters, des Antragstellers, angenommen hat, ist dem nicht zu folgen. Zur angenommenen Unzuverlässigkeit des Antragstellers hat die Antragsgegnerin ausgeführt, der Antragsteller habe gemeinsam mit weiteren Personen am 2. Juni 2007 eine nicht angemeldete Versammlung durchgeführt. Er sei nicht der polizeilichen Auflösung der Versammlung gefolgt, worin zugleich der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit liege. Er habe sich am 2. Juni 2007 weder vermittelnd noch kooperierend eingebracht, obwohl er ganz offenkundig in maßgeblicher versammlungsrechtlicher Funktion agiert habe. Die Unzuverlässigkeit kann nicht allein wegen der von der Antragsgegnerin angenommenen Ordnungswidrigkeit, deren Verfahren offensichtlich nicht abgeschlossen ist, angenommen werden. Im Hinblick auf die anderen Umstände ist schon nicht hinreichend sicher, dass der Antragsteller verantwortlicher Leiter dieser gerade nicht angemeldeten Versammlung war und entsprechende Versammlungsleiterpflichten z.B. zur Deeskalation und Kooperation besaß. Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller offizieller Leiter der Demonstration. Dadurch, dass ein Demonstrationszug auf einer feststehenden Route stattfinden soll, begleitet von Ordnern, ist auch von einer völlig anderen Struktur der Veranstaltung auszugehen als bei der Veranstaltung am 2. Juni 2007. Die angemeldete Versammlung ist daher nicht vergleichbar mit der Veranstaltung am 2. Juni 2007. Der Antragsteller hat auch seine Bereitschaft signalisiert, schriftlich mit der Antragsgegnerin zu kommunizieren, als diese sein Begehren, die Kooperationsgespräche auf Tonträger aufzunehmen, abgelehnt hat, von einer nicht vorliegenden Kooperationsbereitschaft kann demnach nicht ausgegangen werden.

10

Soweit die Antragsgegnerin auf Störungen des Individualverkehrs und des Busverkehrs durch die vorgesehene Demonstration verweist, so ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich diejenigen Störungen, die mit einer Demonstration unvermeidlich verbunden sind, hinzunehmen sind. Der Gemeingebrauch und die bloße "Leichtigkeit des Verkehrs" hat keinen Vorrang vor dem Versammlungsrecht (BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 -1 BvR 713/83 u.a. -, BVerfGE 73, 206, 249 f). Auf der anderen Seite kann auch nicht gelten, dass im Zweifel die Versammlungsfreiheit Vorrang vor dem Straßenverkehr hat; dies gilt vor allem dann wenn es nicht um die bloße "Leichtigkeit" des Verkehrs, sondern um die "Sicherheit" des Verkehrs geht und über die verkehrsrechtlichen Belange eines reibungslosen Individualverkehrs hinaus weitere Aspekte der öffentlichen Sicherheit zu beachten sind, wie etwa die Gewährleistung von Notfallfahrten durch Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr.

11

Stets sind die Verhältnisse des Einzelfalles maßgeblich, wobei bei den verkehrsrechtlichen Belangen die Rangordnung der Straße zu berücksichtigen ist sowie die Dirigierbarkeit und Umleitbarkeit des Verkehrs (Beschl. der Kammer vom 08.11.2002 -3 B 75/02 -).

12

Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass es sich aufgrund der Brückenbauarbeiten an der Reichenbachbrücke und der damit verbundenen Änderung der Verkehrsführung in Lüneburg zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Individual- bzw. Busverkehrs durch die Veranstaltung oder zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen wird, auch nicht unter Berücksichtigung, dass das Stadtteilfest in Kaltenmoor und ein Kinderfest in der Innenstadt stattfinden sollen. Es führen -neben weiteren Straßen -drei Straßen, die Dahlenburger Landstraße, die Bleckeder Landstraße und die Konrad-Adenauer-Straße von der Ostumgehung in die Innenstadt. Diese Straßen sind nicht gleichzeitig von der Demonstration betroffen, es besteht die Möglichkeit, je nachdem wo sich der Demonstrationszug gerade befindet, den Verkehr auf die beiden anderen Straßen umzuleiten. Probleme für Rettungsfahrzeuge oder für die Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr, die im Alarmfall aus dem gesamten Stadtgebiet die Feuerwache erreichen wollen, sind ebenfalls nicht erkennbar. Die Feuerwehrfahrzeuge können ungehindert von der Straße Auf dem Kauf in die Schießgrabenstraße/Schifferwall gelangen. Abgesehen von Vorstehendem sind die Konrad-Adenauer-Straße und die Dahlenburger Landstraße nur in einem Teilbereichbereich von der Demonstrationsroute betroffen. Bei diesen Straßen handelt es sich im Übrigen um breite Straßen, die ggf. halbseitig für den Demonstrationszug gesperrt werden können, so dass die andere Fahrbahnseite von dem Fahrzeugverkehr weiter genutzt werden könnte. Soweit die Antragsgegnerin darauf abstellt, dass die Konrad- Adenauer-Straße Verkehr der Carl-Friedrich-Goerdeler-Straße aufnehmen muss, ist daraus ebenfalls nicht erkennbar, inwieweit dadurch die verkehrsrechtliche Situation unzumutbar beeinträchtigt wird, dies auch im Hinblick darauf, dass die Benutzer der CarlFriedrich- Goerdeler-Straße in einen Abschnitt der Konrad-Adenauer-Straße einbiegen, der nicht Teil der Demonstrationsroute ist. Insgesamt ist nicht mit einer dauerhaften Blockade des Verkehrsflusses des Individual- und Busverkehrs in der Innenstadt und in den östlichen Stadtteilen zu rechnen und auch nicht mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Behinderung von Rettungsdiensten und Einsatzfahrzeugen der Polizei.

13

Die entstehenden kurzfristigen Behinderungen, die bei jeder Demonstration im städtischen Bereich entstehen, sind -wie oben bereits ausgeführt -hinzunehmen. Aus der Stellungnahme der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/Uelzen vom 4. Juli 2007 ergibt sich keine andere rechtliche Bewertung. Darin wird ausgeführt, dass die Konrad- Adenauer-Straße wie auch die Dahlenburger Landstraße eine besondere verkehrliche Bedeutung sowie besondere Wichtigkeit als Rettungswege für andere Behörden und Institutionen mit Sicherheitsaufgaben haben. Auch die Wahrnehmung der polizeilichen Alltagsaufgaben würde durch einen Demonstrationszug stark behindert werden. Sicherungsmaßnahmen eines bestätigten Aufzuges bedingten immer einen erhöhten Personal- und Materialaufwand auf Seiten der Polizei, der als solches ungeeignet sei, andere BOS zu behindern. Der gesamte, auch überörtliche Zielverkehr zum Bahnhof der Stadt Lüneburg werde per Beschilderung auf der Ostumgehung ausschließlich über die Dahlenburger Landstraße geführt. Aus diesen Ausführungen der Polizei ergibt sich nicht ansatzweise, dass es der Polizei durch verkehrslenkende und verkehrsregelnde Maßnahmen, je nachdem, wo sich der Demonstrationsaufzug befinden würde, eine unzumutbare verkehrliche Situation nicht vermeiden lassen würde. Das Fazit der Polizei, die Demonstrationsroute abzulehnen, weil sie mit nicht unerheblichen Gefahren durch die Einschränkung der polizeilichen Bewegungsfreiheit verbunden sei, ist in keiner Weise durch Tatsachen belegt worden.

14

Soweit der Demonstrationszug auf der Theodor-Heuss-Straße entlanggeführt wird, ist ebenfalls nicht erkennbar, dass dadurch Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen werden, insbesondere nicht im Hinblick auf das östlich der Straße in der Carl-Friedrich-Goerdeler-Straße und auf dem St.-Stephanus-Platz stattfindende Stadtteilfest in Kaltenmoor. In der Theodor-Heuss-Straße, auf dem der Demonstrationszug entlang führen soll, findet das Fest nicht statt. Diese Straße ist nicht gesperrt (anders die Carl-Friedrich-Goerdeler-Straße). Dass Gefahren von den Demonstranten auf das Stadtfest bzw. umgekehrt von den Stadtfestbesuchern auf die Demonstranten ausgehen werden, ist weder von der Antragsgegnerin noch von der Polizei ansatzweise dargelegt worden.

15

Auch die mögliche Gefahr, dass es zu Zusammenstößen zwischen Versammlungsteilnehmern und Gegendemonstranten kommt, rechtfertigt ein Versammlungsverbot nicht.

16

Grundsätzlich ist das Recht zur Versammlung auch dadurch zu schützen, dass derartige Gegendemonstrationen entweder untersagt oder jeweils das Stören der zulässigen Versammlung wirksam verhindert wird. Die Gefahr von Gegendemonstranten rechtfertigt es allenfalls unter dem Gesichtspunkt des polizeilichen Notstandes, die angemeldete Veranstaltung zu untersagen (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, a.a.O., Seite 2400), denn angesichts des überragenden Rechtsgutes der Versammlungsfreiheit im demokratischen Rechtsstaat darf diese nicht faktisch zur Disposition von Gegendemonstranten gestellt werden ( Thüringisches OVG, Beschl. v. 09.08.1996 -2 EO 669/96 -, DVBL 1996, 1446 f.).

17

Ein Notstand im vorgenannten Sinne liegt nur dann vor, wenn ausreichende Polizeikräfte nicht zur Verfügung stehen, d.h. auch die Heranziehung von Polizeikräften notfalls aus den Nachbarbundesländern nicht in hinreichendem Maße möglich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.03.2001 -1 BvR 15/01 -). Ein Notstand, der ein Totalverbot begründen würde, liegt hier ersichtlich nicht vor. Auf der angemeldeten Route sollen Demonstrationen des DGB am Bahnhofsvorplatz (dort nur ein Infostand) und am Gedenkstein Am Altenbrücker Ziegelhof stattfinden. Eine Teilnehmerprognose liegt vom Veranstalter bislang nicht vor. Dass von diesen Veranstaltungen konkrete Gefahren für den Demonstrationszug ausgehen, ist von der Antragsgegnerin selbst nicht vorgetragen worden. Insbesondere ist jedenfalls nicht erkennbar, dass die Polizei nicht in der Lage wäre, die Veranstaltung in dem Bereich zu schützen. Die Polizei hat in ihrer Stellungnahme hat keine Gefahrenprognosen für diese Route durch Gegendemonstranten abgegeben.

18

Das Abhalten einer Auftakt- und einer Abschlusskundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz (nur dort, nicht im ZOB-Bereich) begegnet nach Ansicht der Kammer weder verkehrsrechtlichen Bedenken noch sind sonstige Gefahren zu erwarten. Vielmehr ergibt sich aus der Stellungnahme der Polizei, wonach, um Schaden von der Stadt und Bevölkerung Lüneburg abzuwenden, für die Polizei eine stationäre Kundgebung, etwa auf dem Bahnhofsvorplatz, denkbar ist, die einen Zeitrahmen von zwei Stunden nicht überschreiten sollte, dass eine Veranstaltung dort gerade stattfinden könnte. Wenn eine zweistündige Veranstaltung dort für die Polizei keine Gefahr bedeutet, so ist nicht zu erkennen, dass Abschluss- und Auftaktkundgebungen Bahnreisende gefährden werden.

19

Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, dass es zu Störungen der öffentlichen Sicherheit durch die Teilnehmer der Demonstration durch Begehung von Straftaten in Form von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Landfriedensbruch kommt, und vorträgt, insbesondere hätten die Ereignisse am 2. Juni 2007 wieder einmal gezeigt, dass im Zusammenhang mit derartigen Versammlungen stets die konkrete Gefahr bestehe, dass nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet werde und dabei Straftaten begangen würden, so seien im Rahmen des rechtswidrigen Aufzuges in Lüneburg Parolen wie "Sieg-Heil" polizeilich festgestellt worden, ist nicht erkennbar, dass konkrete polizeiliche Erkenntnisse über die zu erwartenden Versammlungsteilnehmer, Aufrufe zu Gewalttätigkeiten bei der in Rede stehenden Demonstration oder andere konkrete Indizien für die befürchteten Straftaten vorliegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.04.2000 -1 BvQ 10/00 -). Anhaltspunkte dafür, dass den befürchteten Gewalttaten nicht durch entsprechende Auflagen oder einen Einsatz von Ordnungskräften entgegen gewirkt werden könnte, sind nicht vorgetragen worden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich nach den Angaben des Antragstellers um eine vergleichsweise kleine Versammlung handeln soll.

20

Der Antragsteller kann auch nicht als sogenannter Zweckveranlasser angesehen werden.

21

Wie das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 01.09.2000 -1 BvQ 24/00 -, DVBL 2001, 62 f.) ausgeführt hat, sind ungeachtet grundsätzlicher Bedenken gegen die Rechtsfigur des Zweckveranlassers bei einer versammlungsrechtlichen Konfrontation von Versammlung und Gegendemonstration jedenfalls konkrete Anhaltspunkte dafür zu fordern, dass der vom Veranstalter angegebene Zweck nur Vorwand und die Provokation von Gegengewalt das eigentliche vom Veranstalter "objektiv" oder "subjektiv" bezweckte Vorhaben ist. Dabei darf nicht auf den verfassungsrechtlich noch zu tolerierenden Inhalt der Demonstration als solchen abgehoben werden, sondern lediglich auf über den Inhalt hinausgehende provokative Begleitumstände. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

22

Dass es der Antragsteller gerade in jüngster Zeit darauf anlegen würde, Gegengewalt von Demonstranten zu provozieren, derartige Erkenntnisse sind ebenfalls nicht erkennbar.

23

Das verbleibende "Restrisiko" einer Eskalation zu mindern oder sogar zu vermeiden, erscheinen die Auflagen, wie sie im Tenor verfügt sind, geeignet und ausreichend. Das gilt sowohl hinsichtlich der Befürchtung etwa des Gebrauches nationalsozialistischer oder antidemokratischer Symbole, Fahnen und dergleichen und des Abhaltens entsprechender Reden (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 13.04.1994 -1 BvR 23.94 -, NJW 1994, 1779 [BVerfG 13.04.1994 - 1 BvR 23/94]) als auch des martialischen Auftretens. Bei Verstößen gegen die Auflagen kann die Demonstration aufgelöst werden (§ 15 Abs. 2 VersG).

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

25

[s. Streitwertbeschluss]

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Siebert
Minnich
Sandgaard