Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 10.01.2008, Az.: 3 A 1609/06
Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu Rundfunkgebühren durch Gleichbehandlung des bloßen Lagerns von Rundfunkgeräten mit dem Bereithalten zum Empfang; Differenzierte Auslegung des Merkmals des Bereithaltens von Rundfunkgeräten bei Gewerbebetrieben gegenüber Privathaushalten; Handel mit originalverpackten Geräten ohne Bereitschaft zur Vorführung als übliche Geschäftspraxis
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 10.01.2008
- Aktenzeichen
- 3 A 1609/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 14187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2008:0110.3A1609.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 RGebStV
- § 1 Abs. 2 RGebStV
- § 2 Abs. 2 RGebStV
Verfahrensgegenstand
Rundfunkgebühren
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2008
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Schulz,
den Richter am Verwaltungsgericht Fahs,
den Richter Tepperwien sowie
die ehrenamtlichen Richter E. und F.
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 3.2.2006 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen seine Heranziehung zu Rundfunkgebühren.
Der Kläger betrieb von 1977 bis zur Geschäftsaufgabe im November 2007 einen Einzelhandel mit Elektroartikeln, Radio- und Fernsehgeräten in . Nachdem die Samtgemeinde H. dies mit Schreiben vom 12.8.2005 dem Beklagten mitgeteilt hatte, meldete dieser den Kläger am 24.8.2005 unter der Teilnehmernummer I. rückwirkend zum Januar 2002 als Rundfunkteilnehmer mit einem Radio- und einem Fernsehgerät an und forderte ihn zur Entrichtung von Rundfunkgebühren auf.
Da der Kläger dem nicht nachkam, setzte der Beklagte mit Gebührenbescheid vom 3.2.2006 die Rundfunkgebühren für den Zeitraum 01/2002 bis 12/2005 auf 783,12 EUR fest.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 15.2.2006 Klage erhoben. Er führt aus, er verkaufe in seinem Geschäft überwiegend Elektronik-Zubehör, Kabel, Schalter usw. Wenn er tatsächlich einmal einen Fernseher oder ein Rundfunkgerät verkaufe, so würden diese von ihm originalverpackt geliefert. Der hessische Verwaltungsgerichtshof habe entschieden, dass in derartigen Fällen eine Rundfunkgebührenpflicht nicht bestehe.
Der Kläger beantragt,
den Gebührenbescheid des Beklagten vom 3.2.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus, der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum Rundfunkgeräte gemäß §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 4 RGebStV zu Prüf- und Vorführzwecken bereitgehalten. Dies sei auch dann der Fall, wenn die Geräte ohne Absicht der Inbetriebnahme in der Originalverpackung verblieben, da sie objektiv ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand betriebsbereit hätten gemacht werden können; dies sehe auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg so.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Gebührenbescheid vom 3.2.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten i.S.d. § 113 Abs. 1 VwGO. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum für seinen Gewerbebetrieb nicht nach § 2 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 2 Rundfunkgebührenstaatsvertrag v. 31.8.1991 i.d.F. des 5. bzw. (insoweit unverändert) 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (RGebStV) rundfunkgebührenpflichtig, da er dort keine Rundfunkgeräte bereithielt.
Ist eine Inbetriebnahme von Rundfunkgeräten im Geschäftskonzept eines Unternehmers nicht vorgesehen und findet sie auch tatsächlich nicht statt, so erfüllt deren bloßes Lagern den Tatbestand des Bereithaltens zum Empfang im Sinne des § 1 Abs. 2 RGebStV nicht (ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.11.2004 - 12 A 11402/04 -, [...]; HessVGH, Urt. v. 27.6.2006 - 10 UE 43/06 -, [...]; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 2.3.2007 - 19 A 377/06 -, [...]; Fiebig, Anm. zu VGH Baden-Württemberg v. 12.5.2003, TMR 2003, 268 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 8.5.2003 - 2 S 699/02 -, [...]; Naujock, in: Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 1 RGebStV Rn. 39). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV - ein Rundfunkgerät werde bereitgehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangenen Programme... empfangen werden könnten - nahe legt, dass es hier allein auf die objektive Möglichkeit der Inbetriebnahme ankommt. Denn dieser Wortlaut ist hier teleologisch zu reduzieren.
Rundfunkgebühren sind Gebühren, d.h. anders als Beiträge knüpfen sie zumindest ihrem Grundgedanken nach nicht an die abstrakte Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Leistung, sondern an die tatsächliche Inanspruchnahme an. Dem hat der Gesetzgeber noch in der Formulierung des Tatbestandsmerkmals des Bereithaltens "zum Empfang" in § 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV, dem ein finales Element innewohnt (OVG Rheinland-Pfalz a.a.O.), Rechnung getragen. § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV stellt insofern zwar eine faktische Erweiterung des Gebührencharakters dar, indem er das Bereithalten objektiv, ohne Erfordernis einer Inbetriebnahme oder Inbetriebnahmeabsicht, definiert. Dies ist jedoch nicht als Aufgabe des Grundcharakters der Rundfunkgebühr, sondern als Pauschalierung aus Praktikabilitätsgründen zu werten. Im "Regelfall", nämlich dem Bereithalten eines Rundfunkgerätes in einem Privathaushalt, ist kaum ein anderer Zweck der Aufbewahrung eines praktisch betriebsbereiten Rundfunkgerätes als eben die Inbetriebnahme denkbar (ebenso HessVGH a.a.O.). Darüber hinaus stellen sich bei Rundfunkgeräten in Privathaushalten besondere Schwierigkeiten, eine tatsächliche Inbetriebnahme nachzuweisen, da Gebührenbeauftragte der Rundfunkanstalten Privatwohnungen nicht beliebig und unerkannt betreten und so die tatsächliche Nutzung überprüfen können. Die vom Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV vorgesehene Anknüpfung an den bloßen Besitz eines intakten (oder reparablen) Rundfunkgerätes stellt also in der übergroßen Anzahl der Fälle eine sowohl notwendige, als auch relativ unschädliche Beweiserleichterung für die Rundfunkanstalt in Gestalt einer - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung unwiderlegbaren - Vermutung dar (ähnlich OVG Nordrhein-Westfalen a.a.O.).
In den - selteneren - Fällen des Handels mit Rundfunkgeräten ist eine solche Beweiserleichterung jedoch weder erforderlich, noch sachlich angemessen. Das Lagern von Rundfunkgeräten in einem Ladengeschäft indiziert weit weniger deutlich als die Aufbewahrung in einem Privathaushalt, dass der Inhaber das Gerät tatsächlich in Betrieb zu nehmen pflegt. Der Handel mit originalverpackten Geräten ohne Bereitschaft zur Vorführung ist eine nicht unübliche Geschäftspraxis. Umgekehrt ist eine Beweiserleichterung für die Rundfunkanstalten in diesen Fällen nicht erforderlich. Deren Beauftragte können sich durch bloßen Besuch des jeweiligen Ladengeschäfts, ggf. durch Äußerung von Kaufinteresse ohne Offenlegung ihres eigentlichen Besuchszwecks, leicht davon überzeugen, ob der Verkäufer die Geräte in Betrieb nimmt bzw. auf Kundenwunsch zur Inbetriebnahme bereit ist oder nicht.
Bestätigt wird diese teleologische Tatbestandseinschränkung durch die Gesetzessystematik. Das OVG Koblenz (a.a.O.) hat hierzu unter Bezugnahme auf den damaligen § 5 Abs. 3 (jetzt Abs. 4) RGebStV ausgeführt:
"Die einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 2 RGebStV bestätigt auch das Händlerprivileg nach § 5 Abs. 3 RGebStV. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Unternehmen, die sich gewerbsmäßig mit der Herstellung, dem Verkauf, dem Einbau oder der Reparatur von Rundfunkempfangsgeräten befassen, berechtigt, bei Zahlung der Rundfunkgebühren für ein Rundfunkempfangsgerät weitere entsprechende Geräte für Prüf- und Vorführzwecke auf ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken gebührenfrei zum Empfang bereitzuhalten. Aus der Beschränkung auf Prüf- und Vorführgeräte ergibt sich, dass die betroffenen Unternehmen auch nur insoweit der Rundfunkgebührenpflicht unterliegen können. Die Vorschrift bezweckt, Händler, die eine Vielzahl von Geräten mit dieser Zweckbestimmung in Betrieb nehmen, nicht mit mehreren, sondern nur mit einer Gebühr zu belasten. Die Formulierung soll dabei lediglich hervorheben, dass im Übrigen - für sonst bereitgehaltene Geräte (beispielsweise zur Unterhaltung im Büro) - pro Gerät eine Gebühr abzuführen ist. Dies kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Geräte, die unter keine der genannten Kategorien fallen, von vornherein nicht gebührenpflichtig sind (Fiebig, TKMR 2003, 266, 272). Damit unterfallen Geräte, die lediglich gelagert oder verkauft werden, nicht der Rundfunkgebührenpflicht. Es ist davon auszugehen, dass diese Auslegung den vertragsschließenden Ländern bei der Formulierung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages bewusst war, da bereits gegenüber der Rundfunkgebühr für die Prüf- und Vorführgeräte von den Rundfunkhändlern erhebliche, teilweise verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht wurden (vgl. Grupp, a.a.O. ,[i.e. Grundfragen des Rundfunkgebührenrechts, 1983, Anm. d. Kammer], S. 108 ff.). Auch die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 RGebStV bestätigt das Ergebnis. Nach dieser Vorschrift können Rundfunkempfangsgeräte außerhalb der Geschäftsräume von den Unternehmen i.S.d. Satzes 1 gebührenfrei nur bis zur Dauer einer Woche zu Vorführzwecken bei Dritten zum Empfang bereitgehalten werden. Eine Lagerung von zum Verkauf bestimmter Geräte wurde erkennbar nicht für regelungsbedürftig gehalten. Diese Geräte sollten der Rundfunkgebührenpflicht nicht unterworfen werden."
Dem schließt sich die Kammer an. Da Geräte, die allein zum Verkauf gelagert werden, jedenfalls nicht zu Prüf- und Vorführzwecken bereitgehalten werden und somit nicht dem Wortlaut § 5 Abs. 4 RGebStV unterfielen, wäre von Unternehmern, die Geräte lediglich lagern, im Übrigen auch nicht nur je eine Grund- und Fernsehgebühr zu entrichten, sondern jedes Gerät wäre gebührenpflichtig. Diese Folge würde nicht nur eine bedenkliche Ungleichbehandlung vorführender und nicht vorführender Händler darstellen, sondern auch zu beträchtlichen Handhabungsschwierigkeiten führen, wie sie § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV eigentlich gerade vermeiden soll. Da der Lagerbestand typischerweise ständigen Schwankungen unterlegen ist, müssten hier vom Unternehmer im Grunde täglich Neuan- oder -abmeldungen vorgenommen werden. Diese Folgen könnte ließen sich nur vermeiden, wenn § 5 Abs. 4 RGebStV erweiternd dahingehend ausgelegt würde, dass auch Geräte, die zu (bloßen) Verkaufszwecken bereitgehalten werden, dem Händlerprivileg unterfielen. Ist aber ohnehin eine korrigierende Auslegung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages erforderlich, so ist nicht ersichtlich, wieso diese nicht an der sachgerechtesten Stelle, nämlich im Rahmen des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV vorgenommen werden sollte.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass bei einer wortlautgetreuen Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV nicht nur Einzelhändler wie der Kläger, sondern auch etwa Spediteure und Lageristen gebührenpflichtig wären. Soweit diese nicht ständig mit dem Transport bzw. der Aufbewahrung von Rundfunkgeräten befasst wären, würden sich hier die Praktikabilitätsprobleme sogar noch verschärfen, und zwar selbst dann, wenn man ihnen das Händlerprivileg des § 5 Abs. 4 RGebStV zugute kommen ließe. Diese müssten dann jedes Mal, wenn sie Rundfunkgeräte lagerten bzw. transportierten, diese an- und nach Abschluss des Auftrags wieder abmelden. Diese zweifellos nicht gewollte Rechtsfolge zieht indes auch der Beklagte nicht in Betracht, wie er im Verfahren vor dem Hessischen VGH und auch in der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Verfahrens eingeräumt hat. Zwischen diesen Spediteuren und Lageristen und den Verkäufern (nur) originalverpackter Ware ohne Öffnungsabsicht vermag die Kammer indes keinen grundlegenden, sondern allenfalls einen graduellen Unterschied zu erkennen, der eine Grenzziehung gerade zwischen diesen Gruppen nicht rechtfertigt; in beiden Fällen ist eine tatsächliche Inbetriebnahme durch das Bereithalten der Geräte nicht indiziert.
Die Kammer geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch davon aus, dass nach dem Geschäftskonzept des Klägers eine Inbetriebnahme der Geräte zu Prüf- und Vorführzwecken nicht stattfand und nicht vorgesehen war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 10.1.2008 überzeugend dargelegt, dass seine Kunden die bei ihm verkauften Fernsehgeräte über auf dem Ladentisch ausliegende Prospekte ausgewählt hätten, er hätte diese erst anschließend bestellt und originalverpackt weitergeliefert. Radiogeräte, Radiowecker u.Ä. - im unteren Preissegment - hätte er zwar in seinem Ladengeschäft zeitweise vorrätig gehabt, diese seien jedoch ebenfalls nur originalverpackt verkauft worden. Auch dies erscheint plausibel; es entspricht den Erfahrungen auch der Kammer, dass der Verkauf von Radiogeräten heute eher ein Massengeschäft des täglichen Lebens ist und regelmäßig ohne vorangehende Prüfung und Vorführung der Betriebsfähigkeit erfolgt.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung beruht auf § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Az: 3 A 1609/06
BESCHLUSS
Der Streitwert wird auf
783,12 Euro
festgesetzt.
Fahs
Tepperwien