Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.03.2007, Az.: 1 A 473/06
Rechtmäßigkeit einer Verringerung der Mitgliederzahl eines Gemeinderates durch einfachen Mehrheitsbeschluss; Erfordernis eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses durch einen Gemeinderat als Verfahrensvorschrift; Erfordernis der fristgerechten Rüge eines Verfahrensfehlers bei dem Erlass einer gemeindlichen Satzung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 21.03.2007
- Aktenzeichen
- 1 A 473/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 15963
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2007:0321.1A473.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 4 S. 1 GO,NI
- § 32 Abs. 2 GO,NI
Verfahrensgegenstand
Wahlanfechtung
In der Verwaltungsrechtssache ...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen -1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2007
durch
die Präsidentin des Verwaltungsgerichts H., den Richter am Verwaltungsgericht I.,
die Richterin am Verwaltungsgericht J. sowie
die ehrenamtliche Richterin K. und
den ehrenamtlichen Richter L.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 1. und 3. jeweils zu 1/5 und der Kläger zu 2. zu 3/5; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Gültigkeit der Gemeinderatswahl in M. am 10. September 2006.
Mit Schreiben vom 21. Januar 2005 reichte die SPD-Fraktion im Gemeinderat bei dem Bürgermeister der Gemeinde M. einen Antrag auf Verkleinerung des Gemeinderates um 6 Ratsmitglieder (von 28 auf 26 Sitze) ein. Daraufhin brachte der Bürgermeister diesen Antrag in den Verwaltungsausschuss ein, der sich unter dem 24. Januar, 14. Februar und 28. Februar 2005 damit beschäftigte. In der Sitzung am 28. Februar 2005 beschloss der Verwaltungsausschuss dem Gemeinderat zu empfehlen, dem Antrag der SPD-Fraktion zu folgen. Der Gemeinderat befasste sich in seiner Sitzung vom 14. März 2005 unter dem Tagesordnungspunkt 9 mit dem betreffenden Antrag. Nach einer ausführlichen Aussprache fasste der Gemeinderat mit 14 Ja-Stimmen bei 11 Nein-Stimmen und einer Stimmenthaltung die als Anlage Nr. 3 beigefügte Satzung der Gemeinde M. über die Verringerung der Zahl der Ratsfrauen und Ratsherren für die Ratsperiode 2006 bis 2011. Der Bürgermeister fertigte daraufhin unter dem 14. März 2005 die betreffende Satzung aus und übersandte sie dem Landkreis Göttingen zwecks Veröffentlichung im Amtsblatt. Die Satzung wurde im Amtsblatt für den Landkreis Göttingen vom 7. April 2005 (Nr. 13 Seite 193) veröffentlicht. Nach § 2 der Satzung trat sie 14 Tage nach ihrer Bekanntmachung im Amtsblatt für den Landkreis Göttingen in Kraft. Mit der am 31. Oktober 2011 endenden Wahlperiode des Rates der Gemeinde M. tritt die Satzung außer Kraft.
Für die Gemeinderatswahl am 10. September 2006 reichten der Kläger zu 2. und der Gemeindeverband der SPD jeweils Wahlvorschläge mit 22 Bewerbern, der Gemeindeverband Bündnis 90/Die Grünen einen Wahlvorschlag mit 10 Bewerbern und die Linkspartei einen Wahlvorschlag mit 6 Bewerbern beim Gemeindewahlleiter ein. Das vom Gemeindewahlausschuss in seiner Sitzung am 11. September 2006 festgestellte Wahlergebnis für die Gemeinderatswahl M. am 10. September 2006 wurde im Amtlichen Mitteilungsblatt der Gemeinde M. " M. aktuell" vom 21. September 2006 (Nr. 38/2006 Seite 10) öffentlich bekannt gemacht. Von den 22 Sitzen entfielen auf die CDU 7 (5 Sitze bei der Personenwahl und 2 Sitze bei der Listenwahl; 5/2), die SPD 12 (9/3), das Bündnis 90/Die Grünen 2 (1/1) und die Linkspartei 1 (Listenwahl).
Nachdem der Kommunalaufsicht des Landkreises Göttingen wohl am 19. September 2006 erstmals aufgefallen war, dass die Satzung über die Verringerung der Ratsmandate nicht mit der erforderlichen absoluten Mehrheit von 15 Stimmen beschlossen worden war, informierte der Bürgermeister der Gemeinde M. die Mitglieder des Rates mit Schreiben vom 22. September 2006 über den Stand der Überprüfung.
Mit Schreiben vom 3. Oktober 2006 legte der Kläger zu 1. Einspruch gegen die Gültigkeit der Gemeinderatswahl ein. Der Kläger zu 1. ist als Wahlbewerber für die Wahlperiode 2006 bis 2011 in den Rat gewählt worden. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Beschluss vom 14. März 2005 sei nicht nur sachlich falsch, sondern rechtswidrig.
Die erforderliche qualifizierte Mehrheit von 15 Ja-Stimmen sei nicht erreicht worden.
Durch diese rechtswidrige und nichtige Satzung sei die Gemeinderatswahl in unzulässiger Weise beeinflusst worden. Die Reduzierung der Gemeinderatssitze und damit die erhebliche Einschränkung der Beteiligungsrechte der Bürger widersprächen dem ständigen öffentlich geäußerten Bemühen um ehrenamtliches Engagement. Zusätzlich seien dadurch die Chancen kleinerer Wählergruppen benachteiligt worden, sich zu einer Kandidatur zu entschließen. Darüber hinaus werde auch die Repräsentanz der 11 Ortschaften der Gemeinde M. in den Ratsgremien deutlich eingeschränkt, was im Widerspruch zur politisch geforderten bürgerschaftlichen Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten stehe. Insoweit sei auch der Schutz der Minderheit durch die Vorgehensweise der Mehrheitsfraktion zu hinterfragen. Vor der Unterzeichnung und Bekanntmachung der Satzung habe der Bürgermeister die Rechtmäßigkeit der Satzung überprüfen und bei Feststellung der fehlenden Mehrheit von seiner Berichtspflicht oder seinem Ermessen zur Einspruchseinlegung Gebrauch machen müssen. Dies sei offensichtlich nicht geschehen. Bei dem Nichterreichen der vorgeschriebenen Mehrheit handele es sich nicht um einen Verfahrens- oder Formfehler nach § 6 Abs. 4 NGO, sondern um einen materiellen Rechtsverstoß, der nicht heilbar sei.
Mit Schreiben vom 29. und 30. September 2006 legten auch die Kläger zu 2. und 3. mit jeweils gleichlautender Begründung Wahleinsprüche ein. Der Kläger zu 3. war in der Wahlperiode 2001 bis 2006 bereits Ratsherr und wurde als Wahlbewerber für die Wahlperiode 2006 bis 2011 erneut in den Rat gewählt.
Die Wahleinsprüche der Kläger legte der Gemeindewahlleiter mit einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2006 dem beklagten neuen Gemeinderat zur Entscheidung vor. Nach Anhörung der Beteiligten in der Gemeinderatssitzung am 13. November 2006 beschloss der Beklagte, die Wahleinsprüche der Kläger als zulässig, aber unbegründet zurückzuweisen.
Die betreffenden Beschlüsse wurden mit 14 Ja-Stimmen bei 8 Nein-Stimmen gefasst.
Mit Bescheiden vom 24. November 2006 teilte der Vorsitzende des Beklagten den Klägern diese Beschlüsse mit und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Satzung über die Reduzierung der Ratssitze sei nicht nichtig, sondern rechtswirksam. Zwar sei die nach § 32 Abs. 2 NGO vorgeschriebene Mehrheit der Ratsmitglieder bei der Abstimmung am 14. März 2005 nicht zustande gekommen und lediglich die sogenannte einfache Mehrheit erreicht worden. Hierbei handele es sich jedoch um eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift, die nach § 6 Abs. 4 NGO unbeachtlich sei, wenn die Verletzung nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sei. Dies sei hier nicht geschehen. Die Rechtswirksamkeit der Satzung über die Verringerung der Ratssitze habe zur Folge, dass die Wahl von 22 statt von 28 Ratsfrauen und Ratsherren für die Wahlperiode 2006 bis 2011 rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Bescheide vom 24. November 2006 wurden den Klägern jeweils am 25. November 2006 zugestellt.
Am 22. Dezember 2006 haben die Kläger Klage erhoben und darauf hingewiesen, das angerufene Gericht sei zu einer Inzidentprüfung bezüglich des Zustandekommens einer Verkleinerung des Rates als Vorfrage der Wahlanfechtung berechtigt und verpflichtet. Im Übrigen vertiefen die Kläger ihre Ausführungen in den Wahleinsprüchen. Die am 14. März 2005 nicht erreichte qualifizierte Mehrheit stelle einen materiellen Fehler dar, der nicht geheilt werden könne. Die Verringerung der Ratssitze beruhe auf einem Missbrauch des § 32 Abs. 2 NGO durch die damalige Mehrheitsfraktion. Hier habe ein parteipolitischer Hintergrund bestanden, weil unter anderem drei Mitglieder der SPD für die Kommunalwahl nicht wieder zur Verfügung gestanden hätten und so ein Verlust der SPD-Sitze gedroht habe. Hierbei habe es sich um die Ortsbürgermeisterin von N. und die Ortsbürgermeister von O. und P. gehandelt. Dies seien auch genau die Ortschaften, die nunmehr keine Ratsherren/-frauen mehr stellen würden. Hier liege auch ein bösartiges Wahlmanöver vor, welches nur dazu gedient habe, die frei werdenden Sitze nicht durch Oppositionsparteien besetzen zu lassen, sondern statt dessen zu streichen.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide des Beklagten vom 24. November 2006 aufzuheben und festzustellen, dass das im Mitteilungsblatt der Gemeinde M. " M. aktuell" am 21. September 2006 veröffentlichte Wahlergebnis zum Gemeinderat der Gemeinde M. rechtswidrig ist und die Gemeinderatswahl am 10. September 2006 zum Gemeinderat der Gemeinde M. ungültig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, die Kläger hielten sich mit ihrem Vorbringen nicht in dem durch § 46 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes -NKWG -vorgegebenen Rahmen. Die Zahl der zu wählenden Ratsfrauen und Ratsherren werde nicht durch das NKWG oder die Verordnung nach § 53 Abs. 1 NKWG festgelegt. Die beiden ersten Alternativen des § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG schieden danach aus. Es sei auch nichts dafür vorgetragen und ersichtlich, dass die dritte Alternative, eine unzulässige Wahlbeeinflussung, erfüllt sein könnte. Lediglich im Wahleinspruch des Klägers zu 1. sei ganz allgemein die Rede davon, es benachteilige die Chancen kleiner Wählergruppen, sich zu einer Kandidatur zu entschließen. Dies sei aber nichts weiter als eine Vermutung.
Im Übrigen sei der Fehler, der beim Erlass der Satzung unterlaufen sei, unbeachtlich geworden.
Zu den Verfahrensvorschriften des § 6 Abs. 4 Satz 1 NGO gehöre neben der Beschlussfähigkeit des Rates auch die Beschlussfassung mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen. Der am 14. März 2005 begangene Verfahrensfehler sei nicht innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der betreffenden Satzung gerügt worden. Die Ratsmehrheit habe sich bei der Beschlussfassung an den Zielen des Gesetzes orientiert und eine danach zulässige Entscheidung getroffen. Der Vorwurf, es handele sich um ein bösartiges Wahlmanöver, sei nicht begründet.
Der Kläger zu 2. hat nach der hiesigen Klageerhebung auch einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO zur Überprüfung der Satzung über die Verringerung der Mitgliederzahl des Rates vom 14. März 2005 beim Nds. OVG Lüneburg eingereicht (-10 KN 61/07 -), über den noch nicht entschieden worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Wahlunterlagen zur Gemeinderatswahl am 10. September 2006 verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Wahlprüfungsklage nach § 49 Abs. 2 NKWG mit dem Begehren auf Aufhebung der Bescheide des Beklagten vom 24. November 2006 und auf Feststellung der Ungültigkeit der Gemeinderatswahl in M. am 10. September 2006 zulässig (vgl. Nds. OVG Lüneburg, Urteil vom 16. Februar 1999 -10 L 4498/97 -). Die Kläger haben rechtzeitig gegen die Bescheide des Beklagten Klage erhoben, mit denen ihre Wahleinsprüche als zulässig, aber unbegründet zurückgewiesen worden sind.
Die Klage ist unbegründet, da die Bescheide vom 24. November 2006 rechtmäßig sind und die Kläger die Feststellung der Ungültigkeit der Gemeinderatswahl am 10. September 2006 nicht beanspruchen können.
Der Beklagte hat die Wahleinsprüche der Kläger zu Recht als zulässig nach § 46 Abs. 1 NKWG angesehen. Die von den Klägern gegebene Begründung unterfällt § 46 Abs. 1 NKWG. Sie haben vorgebracht, statt 28 seien am 10. September 2006 nur 22 Ratsfrauen/Ratsherren gewählt worden. Damit haben die Kläger in zulässiger Weise eine nicht ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl nach den Vorschriften des NKWG gerügt. Denn insoweit ist § 1 Abs. 2 NKWG berührt, wonach die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter der Einwohnervertretungen sich nach den Kommunalverfassungsgesetzen oder der Verordnung über die Verwaltung gemeindefreier Gebiete bestimmt. Hierzu zählt auch die Verringerung der Zahl der Ratsfrauen und Ratsherren in einer Gemeinde durch eine Satzung nach § 32 Abs. 2 NGO (vgl. Thiele/Schiefel, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 3. Auflage 2006, § 1 NKWG Anm. 2.4). Die Zahl der in ein Kommunalparlament zu wählenden Mitglieder ist eine wichtige Vorgabe für die Vorbereitung und Durchführung einer Kommunalwahl, da sich diese Zahl u.a. auf die Zulässigkeit von Wahlvorschlägen und vor allem auf das Wahlergebnis auswirkt, nämlich auf die Zahl der zu vergebenden Mandate bei der Personenwahl und der Listenwahl. Damit ist das Gericht im Rahmen der vorliegenden Wahlprüfungsklage auch zu einer Inzidentprüfung der Satzung vom 14. März 2005 berufen.
Die Wahleinsprüche der Kläger sind jedoch zu Recht als unbegründet zurückgewiesen worden.
Der bei der Abstimmung des Rates am 14. März 2005 begangene Fehler, dass der Beschluss nicht mit der absoluten Mehrheit von 15 Stimmen nach § 32 Abs. 2 Satz 2 NGO gefasst wurde (bei 28 Ratsfrauen/Ratsherren und dem Bürgermeister hatte der Rat damals 29 Mitglieder, so dass die Mehrheit der Mitglieder des Rates 15 Stimmen erforderte), stellt eine seit dem 8. April 2006 unbeachtliche Verletzung einer Verfahrensvorschrift nach § 6 Abs. 4 Satz 1 NGO dar.
Ist eine Satzung unter Verletzung von Verfahrens-oder Formvorschriften, die in diesem Gesetz enthalten oder aufgrund dieses Gesetzes erlassen worden sind, zustande gekommen, so ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 NGO diese Verletzung unbeachtlich, wenn sie nicht schriftlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung gegenüber der Gemeinde unter der Bezeichnung der verletzten Vorschrift und der Tatsache, die den Mangel ergibt, geltend gemacht worden ist. Diese zum 1. Juli 1982 in die NGO aufgenommene Vorschrift (ehemals § 6 Abs. 5 NGO, vgl. Nds.GVBl. 1982, 53; seit dem 1. April 1996 wurde Abs. 5 zum inhaltsgleichen Abs. 4, vgl. Nds. GVBl. 1996, 82) lehnte sich an den § 155 a BBauG an und sollte wie diese Bestimmung der Rechtssicherheit dienen, indem sie verhindert, dass noch lange Zeit nach dem Inkrafttreten des Ortsrechts seine Ungültigkeit wegen der Verletzung von Form-und Verfahrensvorschriften festgestellt wird (vgl. Begründung des Entwurfs des Achten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung, Landtagsdrucksache 9/1961, Seite 23). Mit § 155 a BBauG wollte der Bundesgesetzgeber erreichen, dass einzelne Verfahrens-oder Formfehler beim Zustandekommen der Satzung, die von niemanden gerügt, sondern allgemein hingenommen worden sind oder jedenfalls bei einjähriger Anwendung der Satzungsbestimmungen keine praktische Bedeutung erlangt haben, nach einer bestimmten Frist unschädlich für die Gültigkeit der Satzung werden. Jeder einzelne Verfahrens-oder Formfehler, der nicht konkret schriftlich innerhalb der Jahresfrist gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden ist, wird deshalb für die Gültigkeit der Satzung unschädlich, gleichviel, ob diese aus anderen Gründen in einem Normenkontrollverfahren oder inzidenter in einem anderen Rechtsstreit -hier einem Wahlprüfungsverfahren -angegriffen wird. Das hat zur Folge, dass ein innerhalb der Jahresfrist nicht ordnungsgemäß geltend gemachter Verfahrens-oder Formfehler auch in einem laufenden Rechtsstreit nicht beachtet wird, dass also aus ihm nicht die Ungültigkeit der Satzung hergeleitet werden darf (vgl. BVerwG, NVwZ 1983, 347). Dem Landesgesetzgeber ging es mit § 6 Abs. 4 NGO um die Rechtssicherheit sämtlichen Ortsrechts, das nach seinem Inkrafttreten nur zeitlich eingeschränkt für angreifbar erklärt worden ist. Es geht deshalb nicht darum, die verletzte Rechtsordnung wiederherzustellen, sondern Rechtssicherheit zu schaffen. Rechtssicherheit wird nach Ablauf der Rügefrist der Gesetzmäßigkeit vorangestellt.
Dies unterscheidet die Rügeklauseln auch von den Heilungsvorschriften etwa der §§ 45, 46 VwVfG (vgl. Ossenbühl, NJW 1986, 2805, 2810). Von § 6 Abs. 4 NGO werden alle gemeindlichen Satzungen erfasst; und zwar ohne Unterscheidung nach der Bedeutung und Reichweite ihrer Inhalte etwa für die Bürger oder die Mitglieder eines Rates oder nach der Schwere eines begangenen Verfahrens-oder Formfehlers. Verfassungsrechtlich ist die Ausschlussfrist von einem Jahr nicht zu beanstanden. Die Rechtsschutzgarantie, die Art. 19 Abs. 4 GG jedem gibt, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlt, bleibt erhalten. Der Rechtsschutz gegen gemeindliche Satzungen wird sachlich in vollem Umfang gewährleistet. § 6 Abs. 4 NGO schränkt die Angriffsmöglichkeit im Interesse der Rechtssicherheit nur in zeitlicher Hinsicht ein (vgl. BVerwG, NJW 1967, 591; Ossenbühl, NJW 1986, 2805, 2812).
Die Bestimmungen der NGO über eine notwendige einfache oder qualifizierte Mehrheit bei Abstimmungen stellen Verfahrensvorschriften nach § 6 Abs. 4 Satz 1 NGO dar (so auch Thiele, Niedersächsische Gemeindeordnung, 7. Auflage 2004, § 6 Erl. 6; vgl. auch Schliesky, in: KVR -SH, Stand: Juni 2006, § 4 GO Rn. 219; Wiegand/Grimberg, GO Sachsen-Anhalt, § 6 Rn. 14 i.V.m. Anhang 10 und 13 und Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 8. Aufl. 2006, Art. 121 Rn. 1 zur Mehrheit der Mitglieder des Bundestages und der Bundesversammlung).
Der vorliegend einschlägige § 32 Abs. 2 Satz 2 NGO legt fest, in welcher Art und Weise der parlamentarische Meinungs-und Willensbildungsprozess bezüglich einer gemeindlichen Satzung zur Verringerung der Ratsmitglieder zum Abschluss gebracht wird, nämlich mit welcher Mehrheit von Stimmen die Beschlussfassung zu erfolgen hat. Über den Inhalt des Entscheidungsgegenstandes sagt diese Regelung gerade nichts aus. Dabei handelt es sich allein um eine durch die/den Ratsvorsitzende/n zu beachtende Verfahrensvorschrift, und zwar ob mit der Zahl der abgegebenen Stimmen die erforderliche Mehrheit für eine Beschlussfassung erreicht worden ist. Von daher liegt es nicht anders als etwa bei den zu beachtenden Vorgaben des § 46 NGO an die Beschlussfähigkeit oder des § 26 NGO an ein Mitwirkungsverbot, die unstreitig ebenfalls Verfahrensvorschriften sind. Stellt die/der Ratsvorsitzende trotz fehlender Beschlussfähigkeit, wegen eines Zählfehlers, wegen der falschen Annahme, für die Beschlussfassung sei die einfache Mehrheit der Stimmen ausreichend, oder wegen eines nicht erkannten bzw. übersehenen Mitwirkungsverbotes fehlerhaft eine Beschlussfassung des Rates fest, so sind all diese Fehler nur beachtlich, wenn sie innerhalb der Jahresfrist des § 6 Abs. 4 S. 1 NGO geltend gemacht werden. Dies ist jedem unerkannt gebliebenen Verfahrensfehler immanent. Von daher ist es ohne Belang, dass der Fehler auch anderen Personen wie dem Bürgermeister oder der Kommunalaufsicht schon hätte auffallen und von diesen rechtzeitig hätte gerügt werden können. Davon ist zu trennen, dass jeder Verfahrensfehler, sei er nun als schwerwiegend anzusehen oder nicht, sich auch auf die Rechtmäßigkeit einer danach ordnungsgemäß ausgefertigten, bekannt gemachten und in Kraft getretenen Satzung materiell auswirkt und damit auf der Rechtsfolgenseite immer wesentlich und schwerwiegend ist. Beachtlich ist er jedoch nur, wenn er innerhalb der Jahresfrist des § 6 Abs. 4 Satz 1 NGO geltend gemacht worden ist. Wie bereits oben dargelegt, unterscheidet § 6 Abs. 4 NGO gerade nicht nach einfachen oder schweren Verfahrensfehlern. Insoweit kommt es für die Bewertung als Verfahrensvorschrift auch nicht darauf an, ob diese Regelung eine einfache oder qualifizierte Stimmenmehrheit für eine Beschlussfassung vorschreibt.
Der Auffassung der Kläger, der Fehler sei materieller Art, da er den Minderheitenschutz bei einer geforderten qualifizierten Mehrheit schwerwiegend verletze und dadurch auch die Repräsentanz der 11 Ortschaften der Gemeinde M. in den Ratsgremien deutlich einschränke, kann schon deshalb nicht gefolgt werden. Bei der Festlegung einer qualifizierten Mehrheit geht es zudem auch nicht um einen parlamentarischen Minderheitenschutz, sondern darum, dass Beschlüsse über wichtige gemeindliche Angelegenheiten von einer breiteren Mehrheit der Ratsmitglieder getragen werden sollen. Soweit die Kläger des Weiteren auf eine in der Literatur vertretene Meinung abstellen (vgl. Wefelmeier, in: KVR NGO, Stand: Februar 2007, § 6 Rn. 57), so überzeugt diese nicht. Der Kommentator teilt lediglich die Auffassung mit, bei der Frage, ob die Satzung mit der erforderlichen Mehrheit vom Rat beschlossen worden sei, handele es sich nicht um einen Verfahrens-, sondern um einen materiellen Fehler, für den Heilung nicht eintreten könne. Eine Begründung für diese Einschätzung gibt er nicht. Auch der Verweis auf eine Kommentarmeinung zur Gemeindeordnung in Nordrhein-Westfalen (vgl. Wanzleben, in: KVR -NW, Stand: Januar 2007, § 7 GO Anm. 6.4) vermag hier nicht weiter zu helfen, da auch dieser Kommentator keinerlei Begründung für seine gleichlautende Ansicht gibt. Bei materiellen Fehlern handelt es sich um solche, die den Inhalt einer beschlossenen Satzung betreffen. Vorliegend wäre dies etwa der Fall, wenn die Zahl der Ratsfrauen und Ratsherren entgegen § 32 Abs. 2 S. 1 NGO um 3, 5 oder 7 verringert oder die Zahl der Ratsmitglieder unter 20 gesunken wäre. Solche materiellen, inhaltlichen Fehler der Satzung vom 14. März 2005 liegen jedoch nicht vor.
Nach alledem ist der bei der Beschlussfassung am 14. März 2005 begangene Verfahrensfehler mit Ablauf des 7. April 2006 und damit seit dem 8. April 2006 unbeachtlich geworden.
Die Satzung vom 14. März 2005 ist nämlich im Amtsblatt des Landkreises Göttingen vom 7. April 2005 ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Mit ihren entsprechenden Einwendungen sind die Kläger ausgeschlossen, da ihre Wahleinsprüche vom 29. und 30. September sowie 3. Oktober 2006 erst am 29. September, 4. und 5. Oktober 2006 bei dem Gemeindewahlleiter eingegangen sind. Dies war mehrere Monate nach Ablauf der Jahresfrist des § 6 Abs. 4 NGO.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung nach den §§ 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.