Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.06.1993, Az.: 9 K 2005/92

Frischwasser; Entwässerungsanlage; Abwassergebühren; Frischwassermaßstab; Sonderzähler; Gebührenfestsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.06.1993
Aktenzeichen
9 K 2005/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 13616
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0608.9K2005.92.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 28.03.1995 - AZ: BVerwG 8 N 3.93

Tenor:

Die Sache wird dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, ob es bei der Bemessung der Entwässerungsgebühren nach dem Frischwassermaßstab mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Äquivalenzprinzip vereinbar ist, daß Wassermengen, die nachweislich nicht in die Kanalisation gelangen, nur insoweit abgesetzt werden, als sie 60 m³ jährlich übersteigen.

Gründe

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I.

Die Antragstellerin wendet sich dagegen, daß bezogenes Frischwasser, das nachweislich nicht in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt, nach der Abgabensatzung der Antragsgegnerin für die Stadtentwässerung vom 20. Januar 1977 in der Fassung vom 29. November 1990 (ABl f. d. Reg.Bez. Hannover v. 26. 1. 1977, S. 26) bei der Festsetzung der jährlichen Abwassergebühren, die unter Zugrundelegung des sog. Frischwassermaßstabs erfolgt, nur insoweit abgesetzt werden kann, als die Wassermenge über 60 m³ im Kalenderjahr liegt. Sie ist Eigentümerin eines im Stadtgebiet der Antragsgegnerin gelegenen und von ihr bewohnten Grundstücks, das über einen Garten verfügt. Im Garten ist ein Sonderzähler vorhanden, über den sich die dort zur Gartenbewässerung entnommene Wassermenge feststellen läßt. Diese belief sich 1990 auf 11,84 m³, 1991 auf 9 m³ und 1992 auf 15 m³.

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Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 der Abwasserabgabensatzung der Antragsgegnerin (im folgenden: AAS) wird die Entwässerungsgebühr nach der Abwassermenge bemessen, die in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt. Gemäß § 10 Abs. 2 Ziff. a AAS gilt die Wassermenge, die von der Stadtwerke Hannover AG nach den "Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Wasser" ermittelt wird, als in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt. Die Entwässerungsgebühr wird nach § 13 Abs. 2 AAS von der Stadtwerke ... AG berechnet und eingezogen. Zu diesem Zweck wird die Menge des bezogenen Frischwassers mittel turnusmäßiger Ablesungen festgestellt, die von Mitarbeitern der Entwässerungsaufsicht der Antragsgegnerin vorgenommen werden und bei denen zugleich die Menge des bezogenen Gases und Stroms festgestellt wird.

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Bezogene Wassermengen, die nachweislich nicht in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt sind, werden gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AAS auf Antrag abgesetzt, soweit sie im Kalenderjahr 60 m³ übersteigen. Der Antrag ist nach Ablauf des Kalenderjahres innerhalb der folgenden zwei Monate bei der Antragsgegnerin einzureichen (Abs. 3 Satz 2). Sind aufgrund der Absetzungsregelung zuviel Gebühren erhoben worden, so sind sie zu verrechnen oder zu erstatten (Abs. 3 Satz 3).

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Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 AAS hat der Gebührenpflichtige die Wassermengen, die im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 AAS nicht in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt sind, der Antragsgegnerin für den abgelaufenen Bemessungszeitraum von einem Kalenderjahr innerhalb der folgenden zwei Monate anzugeben. Die Wassermengen sind grundsätzlich durch Wassermesser nachzuweisen (§ 10 Abs. 4 Satz 3 AAS). Der Gebührenpflichtige hat die Wassermesser mindestens in Abständen von zwei Monaten, zum Ende eines Kalenderjahres, sowie bei Auswechslungen abzulesen und die Zählerstände für Kontrollen der Stadt schriftlich festzuhalten.

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Die Antragstellerin hält die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 1 AAS für unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichheitssatz sowie mit § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 NKAG, insbesondere dem Äquivalenzprinzip. Ihrer Ansicht nach ist es unzulässig, nur aus Gründen der Einnahmeerzielung eine Gebühr zu erheben, obwohl durch ihren Nebenzähler nachgewiesen sei, daß sie die Entwässerungsanlage nicht in Anspruch genommen habe. Die Antragsgegnerin könne im Zeitalter der EDV nicht geltend machen, daß eine Aufhebung der 60 m³-Regelung zusätzlichen Verwaltungsaufwand verursache. Das Umweltziel, den Frischwasserverbrauch zu verringern, dürfe nicht durch eine 60 m³-Regelung verfolgt werden. Selbst bei unter 40 m³ könne angesichts der Knappheit der Ressource Wasser nicht mehr von kleineren Mengen gesprochen werden. Die Gartenbesitzer würden sogar in einem sehr trockenen Sommer selbst einen Grenzwert von 20 m³ meistens nicht erreichen. Zwar entspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, daß in jedem Haushalt ein Teil des bezogenen Frischwassers verbraucht werde und daher nicht in die Entwässerungsanlage gelange. Dies habe aber nichts mit ihrer Gartenzapfstelle nebst Nebenzähler zu tun, weil das Kochwasser regelmäßig nicht aus dem Garten geholt werde.

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Die Antragstellerin beantragt,

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§ 10 Abs. 3 Satz 1 der Abgabensatzung für die Stadtentwässerung der Antragsgegnerin vom 20. Januar 1977 insofern für nichtig zu erklären, als danach Wassermengen, die nachweislich nicht in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt sind, nur abgesetzt werden können, soweit sie im Kalenderjahr 60 m³ übersteigen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie meint, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei geklärt, daß der 60 m³-Grenzwert für die Absetzung rechtmäßig sei. Auch zum heutigen Zeitpunkt lägen die ihn rechtfertigenden Gründe (Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung bei der Gebührenfestsetzung und -erhebung) vor. Seine Abschaffung hätte eine beträchtliche Steigerung des Verwaltungsaufwands und eine Gebührenerhöhung zur Folge. Sie brächte Mehrkosten zum einen deshalb mit sich, weil die Sonderzähler abgelesen und deshalb zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden müßten. Die Höhe der weiteren Mehrkosten hänge davon ab, ob die Veranlagung und Einziehung durch das Stadtentwässerungsamt und die Stadtkasse erfolge, oder ob sich die Tätigkeit der Antragsgegnerin auf ein reines Erstattungsverfahren beschränke, bei dem die Stadtwerke Hannover AG weiterhin die Veranlagung vornähmen und das Stadtentwässerungsamt für die abgesetzte Wassermenge eine Gutschrift erteile. Führe die Stadtverwaltung das Veranlagungs- und Kassenverfahren durch, so fielen zahlreiche zusätzliche Arbeiten an, wie z.B. die Aktenführung, der allgemeine Schriftverkehr, die Erfassung fester und variabler Daten, das Drucken und Versenden der Bescheide, die Buchhaltung, der Zahlungsverkehr, die Einziehung und Vollstreckung von Rückständen, die Erteilung von Auskünften und die Aufklärung unklarer Sachverhalte, etwa durch Ortsbesichtigungen. Hierdurch entstünden voraussichtlich Kosten von rd. 24,-- DM pro Fall. Bei Durchführung eines Erstattungsverfahrens, das erst noch in der Satzung vorgesehen werden müßte, trete - vor allem auch bei der Stadtkasse - eine Arbeitserleichterung dadurch ein, daß nur noch eine einzige Sollstellung anfalle und Buchungen von Zahlungen sowie Vollstreckungsmaßnahmen wegfielen. Die Mehrkosten pro Fall beliefen sich dann auf rd. 11,-- DM.

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Bei Wegfall des 60 m³-Grenzwertes müsse allein in bezug auf Frischwasser, das im Garten verwendet werde, mit 23.000 Absetzungsanträgen gerechnet werden, was im Jahr zu Personalkosten von 168.000,-- DM für das Ablesen der Zähler und einem Verwaltungsmehraufwand von 552.000,-- DM (beim Veranlagungsverfahren) bzw. 253.000,-- DM (beim Erstattungsverfahren) führe. Es sei zu erwarten, daß nicht nur die Gartenbesitzer, sondern auch zahlreiche andere Personengruppen (wie z.B. kleinere Lebensmittelproduzenten, Bäcker, Fleischer, Inhaber von Reinigungs- und Gastronomiebetrieben und von größeren Küchen sowie Betreiber von Kühlanlagen) sich bei Wegfall des 60 m³-Grenzwertes darauf berufen würden, geringfügige Wassermengen nicht in die Kanalisation einzuleiten, was ebenfalls zu einem erheblichen Verwaltungsmehraufwand und einer deutlichen Gebührenerhöhung führen würde.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

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II.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Da der erkennende Senat von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichen will, legt er die Sache dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 47 Abs. 5 Satz. 1 VwGO zur Entscheidung über die Frage vor, ob es bei der Bemessung der Entwässerungsgebühren nach dem Frischwassermaßstab auch zum heutigen Zeitpunkt noch mit dem Äquivalenzprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist, daß Wassermengen, die nachweislich nicht in die Kanalisation gelangen, nur insoweit abgesetzt werden, als sie 60 m³ jährlich übersteigen.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinem Beschluß vom 12. Februar 1974 (KStZ 1974, 171; ebenso Beschl. v. 1. 10. 1987, 8 B 103.87 u. ferner OVG Lüneburg, Urt. v. 25. 6. 1987, 3 OVG A 110/87 unter Bezugnahme auf OVG Lüneburg, KStZ 1971, 13) bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Grenzbereich bis zu 60 m³ Wasser jährlich seien die Abweichungen zwischen der tatsächlichen Inanspruchnahme der Kanalisation und dem der Gebührenberechnung zugrundeliegenden Frischwasserbezug noch als unerheblich anzusehen. Die geringfügigen Abweichungen, die sich im Einzelfall ergäben, seien von den Betroffen in Kauf zu nehmen. Eine niedrigere Grenzziehung würde zu einem - durch die Bearbeitung der Absetzungsanträge verursachten - beträchtlich größeren Verwaltungs- und Kostenaufwand, der mit der Grenzziehung gerade eingespart werden solle, führen und letzten Endes eine allgemeine Erhöhung der Entwässerungsgebühren erforderlich machen, was nicht im Interesse der Benutzer liege. Auch aus diesen die Praktikabilität des Gebührenmaßstabes berührenden Gesichtspunkten sei der 60 m³-Grenzwert nicht zu beanstanden.

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Der Senat folgt dem Bundesverwaltungsgericht darin, daß die Einführung eines Grenzwertes für die Absetzbarkeit von bezogenem Frischwasser, das nicht in die Kanalisation gelangt, sachgerecht ist und weder den allgemeinen Gleichheitssatz noch das Äquivalenzprinzip verletzt. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß in jedem Haushalt ein Teil des bezogenen Frischwassers verbraucht und nicht in den Abwasserkanal geleitet wird (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Urt. v. 9. 10. 1990, NSt-N 1991, 18). Dies gilt nicht nur für Tätigkeiten im Haus (wie z.B. das Kochen), sondern gleichermaßen für Arbeiten im Garten, wie z.B. das Waschen von Gegenständen oder die Bewässerung von Pflanzen und Rasen (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Urt. v. 25. 6. 1987, 3 OVG A 110/87). Die Nicht-Berücksichtigung des Umstandes, daß das bezogene Frischwasser nicht vollständig dem Abwasserkanal wieder zugeführt wird, beinhaltet insofern eine Gleichbehandlung aller Gebührenschuldner, als jedem die Möglichkeit der Absetzung gleichermaßen genommen wird.

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Auszugehen ist ferner davon, daß die Festlegung der genauen Höhe des Grenzwertes im Ermessen des Ortgesetzgebers liegt (vgl. z.B. OVG Münster, Urteil vom 6. 2. 1986, DÖV 1986, 888 f.). Bei seiner Ermessensbetätigung muß er sich an höherrangiges Recht, insbesondere das Äquivalenzprinzip und den allgemeinen Gleichheitssatz, halten. Diese Grundsätze machen es allerdings nach Ansicht des Senats bei Zugrundelegung der heutigen Verhältnisse erforderlich, die Grenze für die Absetzbarkeit deutlich niedriger zu ziehen als bei 60 m³, wie es noch die Antragsgegnerin in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung getan hat. Heute kann - anders als noch zur Zeit der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in den 70er Jahren - nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Benachteiligungen, die ein Grenzwert von 60 m³ mit sich bringt, nur geringfügig sind. In der Zwischenzeit sind die pro Kubikmeter zu zahlenden Abwassergebühren deutlich gestiegen, nicht nur aufgrund der allgemeinen Preissteigerung, sondern auch deshalb, weil den Gemeinden aufgrund der gesetzlichen Vorschriften fortlaufend höhere Kosten für die ordnungsgemäße Beseitigung und Reinigung der Abwässer entstanden sind (vgl. Schremmer, KStZ 1987, 123, 124). Die Grenzwerte wirken sich daher unter finanziellen Gesichtspunkten - und zwar in Abhängigkeit von ihrer Höhe und den Abwassergebührensätzen - für den Gebührenschuldner wesentlich erheblicher und in der Regel auch nachteiliger aus als noch in den 70er Jahren. So sind z.B. bei der Antragsgegnerin heute für 60 m³ Abwasser bei einem Kubikmeterpreis von 2,89 DM 173,50 DM zu zahlen. Im Jahre 1974 waren hierfür bei einem Kubikmeterpreis von 0,85 DM nur 51,-- DM aufzuwenden. Diese Kostendifferenz beruht auch bei der Antragsgegnerin überwiegend auf den erheblichen Aufwendungen und beträchtlichen Investitionen, die für die schadlose Abwasserbeseitigung getätigt werden müssen. Sie ist nur teilweise auf die allgemeine Steigerung der Lebenshaltungskosten zurückzuführen. Nimmt man eine insgesamt 80%ige Preissteigerung in den letzten 20 Jahren an, so hätte dies bei der Antragsgegnerin eine Erhöhung des Kubikmeterpreises auf (nur) 1,53 DM zur Folge. Tatsächlich ist der Kubikmeterpreis aber um fast 250 % gestiegen.

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Die erheblichen kostenmäßigen Auswirkungen der streitigen Grenzwertregelung lassen sich durch eine Senkung des Grenzwertes deutlich verringern. Sie muß nach Ansicht des Senats aus Rechtsgründen so weit gehen, daß die Abwassergebühren bei durchschnittlichem Wasserverbrauch auch bei Benutzern, die den Grenzwert nur knapp unterschreiten, noch als Äquivalent, für die Leistung der Abwasserbeseitigung angesehen werden können. Dies vermag der Grenzwert von 60 m³ nicht mehr zu bewirken. So würde jemand, der in bezug auf abzusetzendes Frischwasser den 60 m³-Grenzwert erreicht und im übrigen einen durchschnittlichen Wasserverbrauch (pro Person und Jahr 45 m³, vgl. Schremmer, KSt 21987, 123, 125) aufweist, für mehr als das Doppelte dessen in Anspruch genommen, was er dem Abwasserkanal tatsächlich zuführt. Er müßte bei einem Kubikmeterpreis von 2,89 DM für die in den Abwasserkanal gelangten 45 m³ nicht nur die dafür geschuldeten (45 m³ × 2,89 DM =) 130,05 DM, sondern (2,89 DM × 105 m³ =) 303,45 DM zahlen. Damit liegt kein Äquivalent für die in Anspruch genommene Leistung mehr vor, da für die eingeleiteten 45 m³ Wasser letztlich ein Kubikmeterpreis von rd. (303,45 DM: 45 =) 6,74 DM gezahlt wird. Außerdem läge eine sachlich kaum zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber demjenigen vor, der fast das gesamte bezogene Frischwasser wieder in den Kanal einleitet und damit letztlich einen Kubikmeterpreis von knapp unter 3,-- DM zahlt.

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Entsprechendes gilt - wenn auch nicht in so krasser Form - bei einem Vierpersonenhaushalt. Neben den (180 m³ × 2,89 DM =) 520,20 DM, die für das in den Abwasserkanal gelangte Abwasser zu entrichten sind, müssen bei Erreichen des 60 m³ Grenzwertes weitere 173,40 DM, insgesamt also 693,60 DM gezahlt werden. Dies entspricht hinsichtlich des eingeleiteten Abwassers einem Kubikmeterpreis von (693,60 DM : 180 m³ =) 3,85 DM. Da der Vierpersonenhaushalt dem Abwasserkanal 180 m³ Abwasser zuführt, aber für 240 m³ zahlt, fehlt hinsichtlich eines Viertels der Gebührensumme die Gegenleistung.

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Die kostenmäßigen Auswirkungen einer 60 m³-Regelung sind noch wesentlich schwerwiegender als bei der Antragsgegnerin, wenn die Kubikmeterpreise - wie häufig - deutlich über 3,50 DM liegen und/oder in der Zukunft weiter steigen. Sie würden bei einem Grenzwert deutlich unter 60 m³, beispielsweise von 20 m³, erheblich abgeschwächt. So hätte der durchschnittliche Wasserverbraucher, der den 20 m³ Grenzwert erreicht, anstelle von 303,45 DM nur 187,85 DM (2,89 DM × 65 m³) zu zahlen, was hinsichtlich des in den Kanal eingeleiteten Abwassers einem effektiven Kubikmeterpreis von 4,17 DM (187,85 DM: 45 m³) entspricht. Der Vierpersonenhaushalt hätte bei Erreichung des 20 m³-Grenzwertes nicht 693,60 DM, sondern (nur) 578,-- DM zu zahlen, mithin für das in den Kanal eingeleitete Abwasser einen Kubikmeterpreis von 3,21 DM. Diese Ergebnisse sind vor allem im Blick darauf, daß typischerweise nicht das gesamte Frischwasser in den Kanal eingeleitet wird, mit dem Gleichheitssatz und dem Äquivalenzprinzip noch vereinbar.

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Bei Berücksichtigung der dargelegten kostenmäßigen Auswirkungen erscheint dem Senat ein 60 m³-Grenzwert allenfalls dann noch ermessensgerecht, wenn es im Abrechnungsgebiet üblich ist, daß ein hoher, sich an 60 m³ annähernder Teil des bezogenen Frischwassers nicht in die Kanalisation gelangt. So mag der Fall in Gegenden liegen, in denen zahlreiche gewerblich genutzte Grundstücke mit hohem Wasserverbrauch, viele Grundstücke mit großzügig bemessenen und regelmäßig bewässerten Nutz- oder Ziergärten und/oder zahlreiche Grundstücke mit landwirtschaftlicher Bodennutzung, die mit beträchtlichem Wasserverbrauch einhergeht, vorhanden sind (vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 6. 2. 1986, DÖV 1986, 888 zu einer 120 m³-Regelung). Zu diesen Fallgruppen zählt das Gebiet der Antragsgegnerin indessen nicht, da die Anzahl der großzügig bemessenen Zier- und Nutzgärten sowie der landwirtschaftlich genutzten Flächen eher begrenzt ist und auch die gewerblich genutzten Grundstücke das Gesamtbild nicht prägen.

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Der Erforderlichkeit einer deutlichen Herabsetzung des Grenzwertes von 60 m³ stehen Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsvereinfachung nicht entgegen. Zwar ist es auch nach Ansicht des Senats zulässig und geboten, den Grenzwert in Beziehung zum Verwaltungsaufwand, der für die Bearbeitung von Absetzungsanträgen durchschnittlich erforderlich ist, zu bringen und nur solche Grenzwerte zuzulassen, bei denen sich der entstehende Verwaltungsaufwand noch im Rahmen des Vertretbaren hält. Der Senat geht ferner auch davon aus, daß der Verwaltungs- und Kostenaufwand mit sinkender Grenzziehung steigt (vgl. dazu z.B. Schremmer, KStZ 1987, 123, 124) und daß bei einem gänzlichen Wegfall des Grenzwertes, auf den sich die Ausführungen der Antragsgegnerin beziehen, ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand entstünde, zumal dann Absetzungsanträge selbst für Kleinstmengen gestellt werden könnten. Hier geht es indessen nicht um die Aufhebung des Grenzwertes, sondern um eine erforderliche Senkung beispielsweise auf 20 m³. In diesem Falle dürfte der im Vergleich zu einer 60 m³-Regelung zusätzlich entstehende Verwaltungsaufwand nicht übermäßig groß sein. Denn einen Mehraufwand könnten nur diejenigen Personen verursachen, bei denen die Frischwassermengen, die nicht in die Kanalisation gelangen, zwischen 20 und 60 m³ liegen. Dieser Personenkreis ist - soweit ersichtlich - relativ klein. Zu ihm zählen die (von der Antragsgegnerin mit 46.000 bezifferten) Besitzer von Hausgrundstücken mit zu bewässernden Flächen nur teilweise, da bei der Gartenbewässerung häufig weniger als 20 m³ verbraucht wird und viele Gartenbesitzer, z.B. aus Kostengründen, nicht zur Installation von Wasserzählern bereit sein werden.

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Der bei Einführung einer 20 m³-Regelung entstehende Verwaltungsmehraufwand dürfte ferner auch deshalb weit niedriger liegen als von der Antragsgegnerin befürchtet, weil die Antragsgegnerin gehalten ist, von den mehreren ihr möglichen Verwaltungsverfahren dasjenige auszuwählen, das die weitest mögliche Verwaltungsvereinfachung und Kostensenkung mit sich bringt. In Betracht kommt daher insbesondere ein Verfahren, bei dem der Absetzungsbetrag unmittelbar bei der Veranlagung berücksichtigt und dadurch gesonderte Kosten, die bei einem isolierten Erstattungsverfahren entstehen würden, vermieden werden. So könnte z.B. auf der Grundlage des § 10 Abs. 3 Satz 3 AAS vorgegangen werden, wonach zuviel erhobene Gebühren verrechnet werden können. Dies trägt auch dem Umstand Rechnung, daß Absetzungsanträge nicht als "Sonderwünsche" anzusehen sind, sondern einen Teil des normalen Verfahrens zur Berechnung der Abwassergebühr bilden sollten.

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Die Antragsgegnerin befürchtet darüber hinaus auch zu Unrecht, daß hohe Personalkosten deshalb entstehen könnten, weil die Sonderzähler abgelesen werden müßten. Sie läßt bei dieser Annahme § 10 Abs. 4 Satz 1 AAS unberücksichtigt. Danach hat der Gebührenpflichtige die Wassermengen, die ausweislich des Sonderzählers nicht in die öffentliche Entwässerungsanlage gelangt sind, anzugeben. Einem möglichen Mißbrauch dieser Regelung beugt § 10 Abs. 4 Ziff. a Satz 3 AAS vor, wonach die Wassermesser in Abständen von zwei Monaten abzulesen und die Zählerstände für Kontrollen der Antragsgegnerin schriftlich festzuhalten sind.

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Daß ein wesentlich unter 60 m³ liegender Grenzwert unpraktikabel und kostenmäßig nicht mehr hinnehmbar sein könnte, überzeugt schließlich auch deshalb nicht, weil 26 % der Gemeinden sogar bestimmt haben, daß nachweislich nicht in den Kanal eingeleitete Wassermengen in voller Höhe abgesetzt werden können (vgl. Schremmer, KStZ 1987, 123, 125). Außerdem liegt der Gebührenhaushalt für die Abwasserbeseitigung nach den Angaben der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung bei 100 Millionen DM, so daß die bei einer Senkung des Grenzwertes entstehenden Mehrkosten auch im Vergleich zu den Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung relativ gering sind.

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Für den Ausgang des vorliegenden Normenkontrollverfahrens kommt es auf die im Tenor genannte Rechtsfrage entscheidend an. Bejaht das Bundesverwaltungsgericht die Frage, so ist der Normenkontrollantrag der Antragstellerin als unbegründet abzulehnen. Anderenfalls erklärt der Senat § 10 Abs. 3 Satz 1 AAS für nichtig, soweit danach unter 60 m³ liegende Wassermengen teilweise nicht abgesetzt werden können.

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Nach alledem war die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die im Tenor genannte Rechtsfrage vorzulegen.

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Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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v. Alten

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Berthold

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Dr. Claaßen