Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 24.03.2003, Az.: 1 B 149/03

Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ohne Nachweis über Ort und Tag der Geburt; Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 17. Dezember 2001 ; Überprüfung der Identität des Fahrerlaubnisbewerbers ; Erteilung einer Fahrerlaubnis an einen anerkannten Flüchtling

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
24.03.2003
Aktenzeichen
1 B 149/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 26782
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:0324.1B149.03.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2003, 243-244 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Erteilung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 123 VwGO

Prozessführer

Frau N. C., B. 22, 27404 Z.

K. u.a., B. S. 19, 30449 H.

Prozessgegner

Landkreis Rotenburg (Wümme),
vertreten durch den Landrat, Kreishaus, 27356 Rotenburg

Redaktioneller Leitsatz

Die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die in der Folge erteilten Ausweise ersetzen den amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt im Sinne des § 21 Abs. 3 Ziffer 1 FeV mit der Folge, dass die Antragstellerin so zu behandeln ist, als hätte sie die für den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis erforderlichen Unterlagen beigebracht.

In der Verwaltungsrechtssache hat
das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
am 24. März 2003
beschlossen:

Tenor:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, die zuständige technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung der Antragstellerin nach § 15 FeV zu beauftragen und ihr den vorbereiteten Führerschein (§ 25 FeV) ohne Angabe des Datums der Erteilung zu übersenden.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin ist im August 1995 als Minderjährige zusammen mit drei ebenfalls minderjährigen 1980, 1986 und 1991 geborenen Geschwistern aus der Türkei eingereist. Sie wohnten bei ihrem 1975 geborenen Bruder in Halvesbostel, der als Asylberechtigter anerkannt war. Alle Beteiligten sind Kurden jezidischer Religionszugehörigkeit. Die Antragstellerin ist nach den Angaben bei der Anmeldung am 18. Juni 1983 in Sanli Urfa geboren. Der Bruder wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Tostedt für das Asylverfahren als Pfleger der Antragstellerin eingesetzt.

2

Durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19. Februar 1996 wurde die Antragstellerin als Asylberechtigte anerkannt. Am 07. November 1996 wurde ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Ein Reiseausweis wurde ausgestellt. Im Rahmen einer Verlängerung dieses Reiseausweises wurde am 07. November 2002 erstmals der handschriftliche Zusatz: "Identität nicht nachgewiesen." durch den Antragsgegner eingetragen.

3

Anfang November 2002 hatte sich die Antragstellerin bei einer Fahrschule angemeldet, um eine Fahrerlaubnis zu erlangen. Der Antragsgegner hat die eingereichten Unterlagen formlos an die Fahrschule zurückgegeben mit dem Bemerken, dass die Identität der Antragstellerin nicht nachgewiesen sei. Die Antragstellerin habe keinen Nachweis über Ort und Tag ihrer Geburt vorlegen können. Ihr Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis sei daher nach Anweisung des Ministeriums zurückzuweisen. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auf eine Entscheidung gedrängt hatte, wobei er darauf hingewiesen hatte, dass die Antragstellerin als Asylberechtigte anerkannt sei und Kontakte zu den Behörden des Herkunftslandes ausgeschlossen seien, teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 23. Januar 2003 mit, dass die im Rahmen des Asylverfahrens bzw. des Ausländerrechts ausgestellten Papiere "Aufenthaltsgestattung, Duldung" oder wie im vorliegenden Fall "Reiseausweis" mit dem Vermerk - Identität wurde nicht nachgewiesen - nicht ausreichend seien, um einen amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt gemäß Fahrerlaubnisverordnung zu erbringen. Anträge auf Erteilung einer Fahrerlaubnis von Personen, die keinen Nachweis über Ort und Tag der Geburt erbringen können, seien nach Anweisung des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr zurückzuweisen.

4

Am 04. Februar 2003 hat die Antragstellerin durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Der Antragsgegner beziehe sich zu Unrecht auf eine Anweisung des Niedersächsischen Wirtschaftsministeriums, weil der Zweck der Identifizierungsvorschriften der Fahrerlaubnisverordnung sich darin erschöpfe sicherzustellen, dass die Voraussetzungen des Mindestalters und der Identität nachgewiesen werden. Im Falle anerkannter politisch Verfolgter, denen nach dem Gesetz die Inanspruchnahme der Heimatbehörden nicht zuzumuten ist, sei gegebenenfalls Hilfe durch den Antragsgegner zu gewähren. Es sei in diesem Fall kein Grund dafür ersichtlich, den Reiseausweis nach der Genfer Konvention als nicht ausreichend anzusehen. Die darin enthaltenen persönlichen Daten würden auch in allen anderen Verwaltungsverfahren als zutreffend zugrunde gelegt. Die Ansicht des Antragsgegners führe dazu, dass die Antragstellerin nach Erfüllung des 6jährigen Mindestaufenthalts die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben könne, ohne weitere Personaldokumente vorlegen zu müssen, dass sie aber nie Auto fahren dürfe.

5

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die zuständige technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung nach § 15 FeV zu beauftragen und ihr den vorbereiteten Führerschein für die Antragstellerin zu übersenden.

6

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

7

Aufgrund eines Erlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 17. Dezember 2001 seien Anträge auf Erteilung einer Fahrerlaubnis von Personen, die keinen Nachweis über Ort und Tag der Geburt erbringen können, zurückzuweisen. Demnach sei die Aushändigung eines Führerscheins auch nach bestandener Prüfung nicht zulässig.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und auf die Ausländerakte des Antragsgegners Bezug genommen.

9

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Zwar sollen einstweilige Anordnungen nach § 123 VwGO nur ergehen, wenn dies der Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig ist. Nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen darf in diesen Fällen die irreversible Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung durch die einstweilige Anordnung herbeigeführt werden, nämlich nur dann, wenn das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes dies gebietet und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht. Im vorliegenden Fall ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Obsiegens der Antragstellerin im Hauptverfahren derartig wahrscheinlich, dass an die für die Antragstellerin zu erwartenden Nachteile nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen. Dass ihr wesentliche Nachteile entstehen, ist angesichts des Verhaltens des Antragsgegners und seiner unzweideutig geäußerten Auffassung, dass er wegen seiner Bindung an den Erlass des Ministers für Wirtschaft, Technologie und Verkehr auf seiner Auffassung beharren müsse, nicht zu bezweifeln. Die Durchführung des Hauptverfahrens wird danach mindestens einen Zeitraum von einem Jahr in Anspruch nehmen.

10

Die Antragstellerin wird im Hauptverfahren jedoch nach Auffassung der Kammer Erfolg haben. Nach § 16 Abs. 3 Satz 3 und § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV hat sich der Sachverständige oder Prüfer vor der Prüfung durch Einsicht in den Personalausweis oder Reisepass von der Identität des Bewerbers zu überzeugen. Hierbei stellt sich die Frage, ob der von der Antragstellerin vorgelegte, von dem Antragsgegner ausgestellte Reiseausweis diesen Anforderungen genügen kann. Dies ist bezüglich der Identitätsprüfung im Sinne des § 16 Abs. 3 Satz 3 und § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV der Fall. Zutreffend weist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2002 darauf hin, dass der Gesetzgeber die Überprüfung der Identität des Fahrerlaubnisbewerbers im Verfahrensstadium der Prüfungsabnahme und vor Aushändigung des Führerscheins den jeweiligen Prüfern der technischen Prüfstelleüberantwortet hat, woraus zu folgen sei, dass er die Identitätskontrolle am objektiven Kriterium des gesetzlichen Ausweispapiers (Personalausweis und Pass) festmacht, um einer Überforderung der an sich allein für andere Aufgaben, nämlich für die Prüfung fachtechnischer Fragen geschulten Personen vorzubeugen. Daher soll möglichst auf die jedermann bekannten Ausweispapiere abgestellt werden, die von deutschen Behörden ausgestellt werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sodann im Gegensatz zu dem von der Antragstellerin zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 03. Januar 2002 entschieden, dass für einen Identitätsnachweis im Sinne des § 17 Abs. 5 Satz 2 FeV eine schlichte, wenngleich mit einem Foto versehene Duldungsbescheinigung nicht genüge, weil diese ersichtlich keinen Ausweis oder Pass darstelle und nicht einmal die Qualität eines Ausweisersatzes im Sinne des § 39 AuslG besitze. Auf die Gründe der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die der Antragstellerin bekannt gegeben wurden, wird insoweit Bezug genommen. Diese treffen jedoch auf den hier vorliegenden Fall nicht zu, weil die Antragstellerin als Asylberechtigte

11

mit den sich aus § 2 AsylVfG ergebenden Folgen anerkannt wurde und nicht eine schlichte Duldung vorgelegt hat. Ihr ist es als anerkannter Asylbewerberin nicht zuzumuten und nach den aus anderen Verfahren hier vorliegenden Erkenntnissen auch kaum möglich, durch selbstständige Kontaktaufnahme mit ihrem Herkunftsland amtliche Geburtspapiere zu beschaffen. Insoweit ersetzten im vorliegenden Fall die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die in der Folge erteilten Ausweise auch den amtlichen Nachweis über Ort und Tag der Geburt im Sinne des § 21 Abs. 3 Ziffer 1 FeV. Dem steht auch der von dem Antragsgegner zitierte Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 17. Dezember 2001 nicht entgegen. Zum einen befasst sich dieser Erlass ebenso wie die Stellungnahme des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 20. März 2003 mit dem Nachweis der Identität von Asylbewerbern. Die Antragstellerin ist jedoch keine Asylbewerberin, sondern genießt den Status eines anerkannten Flüchtlings. Der zitierte Erlass vom 17. Dezember 2001 äußert sich, nachdem er sich zunächst ausschließlich mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis an Asylbewerber befasst, zu den anerkannten Asylbewerbern lediglich mit zwei Sätzen. Dort heißt es: "Anerkannte Asylbewerber erhalten ein Reisedokument. Dies kann für den Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis sowie zum Nachweis der Identität bei der theoretischen und praktischen Prüfung anerkannt werden." Zwar räumt der Erlass den Verkehrsordnungsbehörden noch einen Spielraum ein, indem dort lediglich zum Ausdruck gebracht wird, dass dies Ausweispapier anerkannt werden kann. Dieser Spielraum ist für den vorliegenden Fall jedoch eingeschränkt, so dass das erteilte Papier anzuerkennen ist. Zum einen hat die Ausländerbehörde des Antragsgegners in den Jahren von 1996 bis 2002 den Papieren der Antragstellerin keinerlei Zusatz beigefügt, aber auch keinerlei Maßnahmen ergriffen, um zu versuchen, die fehlenden Angaben zu erlangen. Ohne jede Erklärung wurde vielmehr im November 2002 dem Reisedokument der Antragstellerin der Zusatz beigefügt, dass die Identität nicht nachgewiesen sei. Damit würden der Antragstellerin, die von der zuständigen Behörde als asylberechtigt anerkannt wurde, die sich aus diesem Status ergebenden Rechte faktisch zeitlich unbegrenzt wieder genommen, ohne dass die Ausländerbehörde auch nur den Versuch unternommen hätte, die in der Anerkennung als Asylberechtigte enthaltenen Angaben in Zweifel zu ziehen. Dies ist offenkundig fehlerhaft, so dass der Antragsgegner zu verpflichten ist, die Antragstellerin so zu behandeln, als hätte sie die nach § 21 Abs. 3 Ziffer 1 FeV erforderlichen Unterlagen beigebracht.

12

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 GKG, wobei für dieses vorläufige Rechtsschutzverfahren auf den halben Wert festzusetzen war.

Schmidt
Lassalle
Reccius