Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 26.03.2003, Az.: 1 B 285/03
Betäubungsmittel; Drogen; Fahrerlaubnis; Haarprobe
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 26.03.2003
- Aktenzeichen
- 1 B 285/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 47968
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs 1 S 1 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Besitz harter Drogen rechtfertigt die Einholung eines Gutachtens. Verwechslung der Haarprobe. Einfluss eines drogenabhängigen Partners auf die Haarprobe.
Gründe
I. Der 1949 geborene Antragsteller wurde am 14. August 2002 um 22.25 Uhr in Hamburg in seinem PKW sitzend angetroffen. Er führte diverse Crack-Steinchen und ein Briefchen Heroin bei sich. Mit Schreiben vom 23. August 2002 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, binnen drei Monaten ein Gutachten beizubringen, in dem zu der Frage Stellung genommen werden soll, ob der Antragsteller Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiert hat. Nachdem der Antragsteller sich zunächst geweigert hat, ein derartiges Gutachten beizubringen, wurde ihm nach Anhörung durch Schreiben vom 06. September 2002 mit Verfügung vom 24. September 2002 die Fahrerlaubnis mit sofortiger Vollzugsanordnung entzogen. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein und erklärte, nunmehr das Gutachten unverzüglich beizubringen. Dem Antragsteller wurde der Führerschein daraufhin wieder ausgehändigt, weil der Entziehungsgrund entfallen sei. Zugleich wurde der TÜV Nord in Hamburg beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Nach Akteneinsicht übersandte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 30. Januar 2003 das Gutachten des TÜV Nord, aus dem sich ergab, dass die chemisch-toxikologische Analyse einer Haarprobe den Hinweis auf folgende Substanzen ergab: Kokain und sein Abbauprodukt Benzoylecgonin. Die Untersuchungsbefunde würden die missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen bestätigen. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers machte mit seinem Übersendungsschreiben zugleich geltend, das Gutachten sei fehlerhaft. Der Antragsteller sei seit vielen Jahren trockener Alkoholiker, der keinerlei Drogen nehme. Es dränge sich daher der Verdacht der Verwechselung der untersuchten Haarprobe auf. Der Antragsteller habe keinerlei Drogen genommen, habe jedoch bis August 2002 für die Dauer eines Jahres mit einer drogenabhängigen Partnerin zusammengelebt. Dadurch könnten möglicherweise Spuren in der Haarprobe verursacht sein. Mit Schreiben vom 04. Februar 2003 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der Frage der erneuten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Nachdem der TÜV Nord mit Schreiben vom 14. Februar 2003 erklärt hatte, dass eine Verwechselung der Haarprobe durch die qualitätsgesicherte Kennzeichnung und Verpackung ausgeschlossen sei und dass man sich an den Antragsteller sehr gut erinnern könne, weil es in seiner Anwesenheit zu einer längeren Diskussion zu der Frage gekommen sei, ob dessen Haare nun dunkelblond oder hellbraun seien, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis durch Verfügung vom 19. Februar 2003. Die Verfügung wurde für sofort vollziehbar erklärt. Mit Schreiben vom 24. Februar 2003 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Verfügung ein. Er könne ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr führen. Die Stellungnahme des TÜV Nord sei nicht geeignet, den Verwechselungseinwand zu entkräften. Zu der Frage des Zusammenlebens mit einer Drogenabhängigen hätten sich der TÜV und der Antragsgegner gar nicht geäußert. Der Antragsteller könne an Eides statt versichern, zu keinem Zeitpunkt Kokain oder andere Rauschmittel konsumiert zu haben.
Am 24. Februar 2003 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Der Entzug der Fahrerlaubnis und die Anordnung der sofortigen Vollziehung seien offensichtlich rechtswidrig. Es gehe von dem Antragsteller keine Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr aus. Die seinerzeit bei ihm vorhandenen Cracksteine und das Heroinbriefchen hätten seiner damaligen Lebensgefährtin gehört. Nur diese habe Rauschgifte genommen. Die Haarprobe sei daher vom TÜV Nord entweder vertauscht oder aber durch das Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin seien die Abbaustoffe in seine Haare gelangt.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landkreises Rotenburg vom 19. Februar 2003 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verteidigt den ergangenen Bescheid.
Auf Anforderung durch das Gericht hat der Antragsteller eine ergänzende Erklärung des TÜV Nord zu der Frage vorgelegt, ob das Zusammenleben mit einer drogensüchtigen Person als Ursache für einen Drogenbefund auszuschließen sei. Mit Schreiben vom 14. März 2003 erklärt der TÜV Nord, dass das Zusammenleben mit einer drogensüchtigen Person als Ursache für einen Drogenbefund in den Haaren auszuschließen ist. Selbst wenn man die Haare des Antragstellers mit Drogen bestäubt hätte, ließen sich keine Stoffwechselprodukte finden, weil dies nur bei Eigenkonsum möglich ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Es besteht auch in der Sache keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.
Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel soweit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann. Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage und im gegenwärtigen Erkenntnisstand hat der Rechtsbehelf des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg. Es überwiegen außerdem die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV - ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist; dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere, wenn ein Mangel nach der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu § 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Selbst bei einer nur gelegentlichen Einnahme von Drogen als nicht verkehrsfähigen und nicht verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln kann die Fahreignung regelmäßig nicht mehr angenommen werden. Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller Kokain konsumiert hat. Dies ergibt sich zweifellos aus dem Gutachten des TÜV Nord vom 09. Januar 2003. Die gegen dieses Gutachten vorgebrachten Argumente des Antragstellers sind als Schutzbehauptungen zu werten. Eine Verwechselung der Haarprobe ist bei den von den Untersuchungsstellen eingehaltenen Standards so gut wie ausgeschlossen. Darüber hinaus muss bei der Bewertung dieser Frage auch berücksichtigt werden, welchen Anlass es zu der Untersuchung gegeben hat. Der Antragsteller war am 15. August 2002 in Hamburg auch nach seiner Einlassung im Besitz von Betäubungsmitteln. Der Besitz von Betäubungsmitteln ist regelmäßig ein Indiz dafür, dass diese auch konsumiert werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kleinere Mengen im Besitz entdeckt werden. Danach war die Befugnis für den Antragsgegner gegeben, eine fachärztliche Untersuchung anzuordnen. Die ergänzende Stellungnahme des TÜV Nord vom 14. Februar 2003, die detaillierte Hinweise auf den Antragsteller enthält, lassen darüber hinaus die von dem Antragsteller vorgebrachten pauschalen Verwechselungsvorwürfe noch unwahrscheinlicher erscheinen. Mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. März 2003 hat der TÜV Nord darüber hinaus auch die Frage geklärt, ob das Zusammenleben mit einer Drogenabhängigen als Ursache für eine positive Haarprobe in Betracht kommen kann. Dies erscheint derart unwahrscheinlich, dass dies außer acht gelassen werden kann. Danach geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller selbst Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiert hat. Damit weist er einen Eignungsmangel auf. In § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 FeV hat der Verordnungsgeber eine Bewertung der Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen und Erkrankungen auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorgenommen, indem er die auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen und bereits im Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr“ zusammengefassten Erkenntnisse in die FeV integriert und damit normativ als für den Regelfall zutreffend gekennzeichnet hat. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 Anlage 4 FeV beinhaltet daher den Erfahrungssatz, dass schon die Einnahme von Betäubungsmitteln regelmäßig die Fahreignung ausschließt. An diese normative Wertung ist auch das Gericht gebunden, solange keine Umstände im Einzelfall vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Derartige Umstände, die die Regelannahme der Anlage 4 FeV entkräften, sind nicht vorgetragen und lassen sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Vielmehr ist von einem Regelfall der Anlage 4 FeV auszugehen. An eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln oder an ihre missbräuchliche, regelmäßige Einnahme wird dabei nicht angeknüpft. Die darin zum Ausdruck kommende Strenge des Gesetzgebers ist in der Aufnahme des jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die wegen der besonderen Gefährlichkeit im Falle des Konsums erfolgte.
Die dem angegriffenen Bescheid beigegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt im Übrigen auch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Das Begründungserfordernis dieser Vorschrift ist erfüllt, wenn die Behörde die Erwägungen offen legt, die im konkreten Fall sie veranlasst haben, von der Möglichkeit des § 80 Abs. 1 Satz 4 VwGO Gebrauch zu machen. Das ist hier geschehen. Die Ungeeignetheit eines Verkehrsteilnehmers rechtfertigt regelmäßig die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung im Interesse der Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer.