Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 28.01.2013, Az.: 1 A 1845/12

Erfüllung der Anforderungen des § 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FeV durch Vorlegen einer sog. Duldungsbescheinigung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
28.01.2013
Aktenzeichen
1 A 1845/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 47688
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2013:0128.1A1845.12.0A

Amtlicher Leitsatz

Eine sog. Duldungsbescheinigung, die den Vermerk enthält, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Betroffenen beruhen, genügt nicht den Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.

Er ist nach seinen Angaben I. } Volkszugehöriger und am J. } in K. }/L. } geboren. Die Familie des Klägers hat ihren Angaben zufolge zuletzt in M. } gelebt. Zusammen mit seiner Familie beantragte der Kläger im Jahr 2002 erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigter. Der Kläger wird derzeit im Bundesgebiet geduldet und verfügt über eine durch die Ausländerbehörde des Beklagten ausgestellte Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung. Darin heißt es u.a.: "Der Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht" und "Die Personalangaben beruhen auf den eigenen Angaben des Inhabers".

Am 4. Juli 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Nachdem das Straßenverkehrsamt des Beklagten sein Ausländeramt um Stellungnahme ersucht hatte, teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er keine Fahrerlaubnis erhalten könne, weil er keinen Reisepass besitze und sich nicht ausweisen könne. In der Folgezeit kam es zu einem Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Die Entscheidung über den Antrag wurde zunächst zurückgestellt, um dem Kläger die Möglichkeit zu geben, einen Reisepass vorzulegen. Mit Bescheid vom 11. Mai 2012 lehnte der Beklagte schließlich den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis ab. Der Kläger habe die vorgeschriebenen Unterlagen nicht vollständig eingereicht. Es fehle ein Identitätsnachweis. Damit seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht gegeben.

Gegen die ihm am 15. Mai 2012 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 22. Mai 2012 Klage erhoben und trägt zur Begründung vor:

Er habe in der Vergangenheit zur Vorbereitung auf die Fahrerlaubnisprüfung erhebliche finanzielle Mittel investiert. Er habe auch die notwendigen Nachweise seiner Identität erbracht. Er sei im Besitz eines Ausweisersatzes, der von dem Beklagten ausgestellt worden sei. Das Ausweispapier, das er innehabe, sei geeignet, den Zielvorgaben des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zu genügen. Er habe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. In den Besitz anderer Identitätspapiere könne er nicht kommen. Seine Bemühungen u.a. bei der Botschaft der Republik N. } seien ohne Erfolg geblieben. Er, der Kläger, benötige die Fahrerlaubnis für seine Ausbildung.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn zur Prüfung zuzulassen und nach bestandener Prüfung eine Fahrerlaubnis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe keinen amtlichen Nachweis über Ort und Tag seiner Geburt im Sinne von § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV erbracht. Er verfüge über keinen der üblichen Nachweise wie eine Geburtsurkunde, einen Personalausweis oder einen Reisepass. Mit seiner Bescheinigung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung genüge er gerade der Pass- und Ausweispflicht nicht. Diese Bescheinigung erfülle nicht die Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Es hat auch die Ausländerakte des Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Beklagte ihn zur Fahrerlaubnisprüfung zulässt, d.h., dass er die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung beauftragt und ihr den vorbereiteten Führerschein übersendet (§ 22 Abs. 4 Fahrerlaubnisverordnung - FeV-). Er hat auch keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis im Falle der bestandenen Prüfung, weil der Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht erfüllt.

Nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz - StVG - i.V. mit § 21 FeV hat dieser die in § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG genannten personenbezogenen Daten mitzuteilen und auf Verlangen nachzuweisen. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV bestimmt dabei ausdrücklich, dass dem Antrag ein amtlicher Nachweis über Ort und Tag der Geburt beizufügen ist. Die genannten Vorschriften sollen zum einen die zuverlässige Feststellung gewährleisten, dass der Bewerber oder die Bewerberin das für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis erforderliche Mindestalter erreicht hat sowie die Feststellung, ob die Fahrerlaubnis ggf. aus Altersgründen befristet oder ihre Verlängerung von der Erfüllung besonderer Voraussetzungen abhängig gemacht werden muss. Zum anderen soll § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV die Behörde in die Lage versetzen, die für die Erteilung einer Fahrerlaubnis entscheidungserheblichen Informationen zutreffend und vollständig zu ermitteln. Verhindert werden soll, dass die Fahrerlaubnis einer Person erteilt wird, die bereits eine solche Berechtigung besitzt, sie besessen hat oder gegen deren Fahreignung Bedenken bestehen. Diese Ziele wären nicht zu erreichen, wenn das Verfahren zur Erteilung einer Fahrerlaubnis unter anderen Personalien als denjenigen betrieben werden könnte, unter denen der Bewerber sonst im Bundesgebiet lebt oder gelebt hat (zum Vorst.: BayVGH, Beschl. v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -, [...]).

Einen amtlichen Nachweis im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV hat der Kläger im Rahmen seines Antrages auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht vorgelegt. Die Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 4 AufenthG, die dem Kläger durch die Ausländerbehörde des Beklagten ausgestellt wurde, stellt einen derartigen Nachweis nicht dar. Sie erfüllt zwar die formellen Kriterien eines amtlichen Nachweises, ihr kommt aber materiell nicht die notwendige Beweiskraft zu (zu dieser Unterscheidung vgl. BayVGH, Beschl. v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -, [...]). In der dem Kläger erteilten Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung heißt es ausdrücklich, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Inhabers beruhen. Damit sind die Angaben zur Identität, d.h. auch die zu Tag und Ort der Geburt des Klägers, von der amtlichen Nachweisfunktion des Dokuments durch die ausstellende Behörde ausdrücklich ausgenommen worden. Die sog. Duldungsbescheinigung des Klägers ist nicht - wie es § 48 Abs. 2 AufenthG ermöglicht - ausdrücklich als Ausweisersatz bezeichnet und hat deswegen auch nicht aufgrund rechtlicher Regelungen die Qualität eines Dokuments, das der Identitätsfeststellung dient. Seine Ausweispflicht nach § 48 AufenthG kann der Kläger damit nicht erfüllen. Die vorliegende Fallgestaltung ist deswegen nicht vergleichbar mit den Fällen, die den Entscheidungen der Kammer in den Beschlüssen vom 24. März 2003 (-1 B 149/03 -, [...]) und vom 29. Juli 2004 (- 1 B 1167/04 -, [...]) zu Grunde lagen und bei denen die Bewerber um eine Fahrerlaubnis Inhaber eines Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 - GFK - bzw. eines Ausweisersatzes nach § 39 Abs. 1 AuslG waren.

Eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG, die

den Vermerk enthält, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Betroffenen beruhen und die nicht ausdrücklich als Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG bezeichnet ist, genügt den Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV nach allem nicht (so auch BayVGH, Beschl, v. 26.2.2002 - 11 CE 02.225 - und v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -; VG Neustadt/Wstr., Beschl. v. 22.8.2011 - 3 K 613/11.NW - alle zit. nach [...]).

Legt der Bewerber oder die Bewerberin um eine Fahrerlaubnis lediglich eine derartige Bescheinigung vor, kommt es auch mit Rücksicht auf den Sinn und Zweck der §§ 2 Abs. 6 StVG, 21 FeV nicht darauf an, in welchem Alter er oder sie in das Bundesgebiet eingereist ist oder welche Feststellungen zur Identität der Betroffenen ansonsten in der Ausländerakte enthalten sind (a.A. VG Hannover, Urt. v. 14.9.2011 - 9 A 1640/11 -, [...]; VG Weimar, Beschl. v. 15.3.2007 - 2 E 267/07 -, [...]). § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV begründet nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Nachweispflicht des Bewerbers, wobei der Nachweis durch ein amtliches Dokument zu erbringen ist. Das Dokument muss deswegen geeignet sein, den notwendigen Nachweis formell und materiell aus sich heraus zu erbringen. Dies schließt eine ergänzende Würdigung des im Einzelfall vorliegenden ausländerrechtlichen Sachverhaltes im Rahmen der Prüfung der §§ 2 Abs. 6 StVG, 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV aus. In dem vorliegenden Fall kommt es insbesondere auch nicht darauf an, inwieweit es dem Kläger möglich oder zumutbar ist, einen Pass seines Herkunftslandes zu erlangen. Diese Prüfung bleibt dem ausländerrechtlichen Verfahren vorbehalten, in dem der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.

Der Kläger kann sich zuletzt nicht mit Erfolg darauf berufen, dass seinen Eltern in der Vergangenheit Fahrerlaubnisse erteilt wurden, obwohl sie ebenfalls lediglich im Besitz von Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung gewesen seien. Eine rechtliche Bindung folgt hieraus für den Beklagten nicht, denn im Hinblick auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV erfüllt sind, ist dem Beklagten kein Ermessensspielraum eröffnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier maßgeblichen Rechtsfragen zur Auslegung des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zugelassen (§§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 VwGO).