Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 22.08.2007, Az.: 25 KLs 5413 Js 1803025/06 FE

Arrestanspruch; Arrestgrund; Drittbeteiligter; Gemeinschuldner; Geschäftsführer; Gesellschaft; GmbH; Insolvenzmasse; Insolvenzverwalter; Notgeschäftsführer; Opferschutz; Pfändung; Privilegierung; Rechtspersönlichkeit; Strafantrag; Täter; Untreue; Verfallsanspruch; Verletzter; Vermögensdelikt; Vermögensinteresse; Vermögenswert; Verwaltungsbefugnis; Zulassung; Zulassungsantrag; Zwangsvollstreckung

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
22.08.2007
Aktenzeichen
25 KLs 5413 Js 1803025/06 FE
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 72009
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - 08.10.2007 - AZ: 2 Ws 294/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer durch Vermögensdelikte geschädigten Gesellschaft kann zur Zwangsvollstreckung in strafprozessual gepfändete Vermögenswerte des (mutmaßlichen) Täters oder Drittbeteiligten zugelassen werden (entgegen OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 342 [OLG München 16.05.2006 - 5 StRR 169/05]).

Tenor:

I. Die Arrestvollziehung und die Zwangsvollstreckung in die in dem Vermögensermittlungsvorgang ..Js.. der Staatsanwaltschaft Hannover gepfändeten Vermögensgegenstände der Drittbeteiligten W. (Bundesanzeiger Nr. ..) wird zu Gunsten des weiteren Beteiligten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. GmbH zugelassen.

Zugleich wird der Rangrücktritt des zu Gunsten des Landes Niedersachsen an den Grundstücken der Drittbeteiligten bestehenden Sicherungshypotheken zu Gunsten der von dem weiteren Beteiligten an diesen Grundstücken erwirkten Sicherungen zugelassen.

II. Im Übrigen wird der Antrag des weiteren Beteiligten auf Zulassung der Arrestvollziehung und der Zwangsvollstreckung in die vorbezeichneten Vermögenswerte zurückgewiesen; ebenso wird insoweit der Antrag auf Zulassung des vorbezeichneten Rangrücktritts zu seinen Gunsten zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Gegen die Drittbeteiligte wurde im Ermittlungsverfahren dieses Strafverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 3. August 2006 (272 Gs 1913/06) der dingliche Arrest in ihr Vermögen in zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe für Verletzte angeordnet. In Vollziehung dieses Arrests sind in erheblichen Umfang Vermögenswerte der Drittbeteiligten beschlagnahmt beziehungsweise gepfändet worden. Die Einzelheiten ergeben sich aus der Veröffentlichung dieser Sicherungsmaßnahmen in den in der Beschlussformel genannten Ausgaben des Bundesanzeigers.

2

Mit Beschluss vom 10. Mai 2007, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat die Kammer die Anordnung des dinglichen Arrests in Höhe von 1.269.768,86 € aufrecht erhalten und mit Beschluss vom 23. Mai 2007 gemäß § 111i a. F. StPO für die Dauer von drei Monaten nach der Verkündung des Urteils gegen den Angeklagten und seine Mittäter verlängert.

3

Der weitere Beteiligte hat am 17. August 2007 beantragt, ihn zur Arrestvollziehung und die Zwangsvollstreckung in die in dem zu diesem Strafverfahren geführten Vermögensermittlungsvorgang in Vollziehung des oben genannten Arrests gepfändeten Vermögensgegenstände zuzulassen und den Rangrücktritt der zu Gunsten des Landes Niedersachsen bestehenden Sicherungshypotheken an den Grundstücken des Angeklagten zu Gunsten der von ihm an diesen Grundstücken erwirkten Sicherungen zuzulassen.

4

Zur Begründung hat er einen von ihm als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. GmbH, der N. GmbH und V. GmbH durch Beschluss des AG Hannover vom 16. August 2007 (438 C 11071/07) erwirkten dinglichen Arreste in das Vermögen der Drittbeteiligten in Höhe von 1.684.238,52 € (H. GmbH), 500.000 € (N. GmbH) und weiteren 617.091,72 € (V. GmbH) vorgelegt.

5

Die Drittbeteiligte hat gegen diesen Arrestbeschluss Widerspruch eingelegt.

6

Sie beantragt, den Zulassungsantrag des weiteren Beteiligten zurückzuweisen. Sie hält den Antrag für unzulässig; der Insolvenzverwalter sei nach gefestigter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nicht Verletzter im Sinne der §§ 111g, 111h StPO. Die Eigenschaft einer juristischen Person als Verletzter gehe bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder auf die Insolvenzmasse noch auf den Insolvenzverwalter über.

7

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat beantragt, dem Antrag des weiteren Beteiligten stattzugeben.

B.

8

I. Der Antrag des weiteren Beteiligten ist nach §§ 111g Abs. 2, 111h Abs. 2 StPO begründet, soweit er als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. GmbH handelt.

9

1. Durch die von dem Angeklagten W., Ehemann der Drittbeteiligten, zu ihren Gunsten zwischen dem 24. Januar 2001 und dem 30. Dezember 2005 vorgenommenen Vermögensverschiebungen in Höhe von mindestens 1.269.768,86 € ist - nur - die H. GmbH als eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. hierzu OLG Celle, NJW 2007, 1223 [OLG Celle 15.02.2007 - 1 Ws 33/07]) verletzt worden. Diese Vermögensverschiebungen sind auf von Herrn W. unter Verwirklichung des Tatbestands der Untreue vereinnahmte Zahlungen (Gehalt, Rückvergütungen von Lieferanten, Gewinnbeteiligungen einer Versicherung) zurückzuführen, die der H. GmbH zustanden beziehungsweise bei den Gehaltszahlungen von dieser Gesellschaft, deren Geschäftsführer er damals war, an ihn ausgekehrt worden.

10

Die Kammer hat entgegen dem vagen Vorbringen der Drittbeteiligten keinen Zweifel daran, dass dem Insolvenzverwalter wegen der vorgenannten deliktischen Vermögensverschiebungen ihres Ehemanns zivilrechtliche Ersatzansprüche gegen die Drittbeteiligte zustehen, so dass auch ein Arrestanspruch zu bejahen ist. Es ist - wie die Kammer in dem vorgenannten Beschluss vom 10. Mai 2007 selbst ausgeführt hat und das Amtsgericht Hannover in dem Beschluss vom 16. August 2007 ebenso betont hat - auch ein Arrestgrund nach § 917 Abs. 1 ZPO gegeben.

11

2. Der weitere Beteiligte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. GmbH und deswegen entgegen der Auffassung der Drittbeteiligten berechtigt, für diese Verletzte Zulassungsanträge nach §§ 111g, 111h StPO zu stellen.

12

Es gibt keine gefestigte Rechtsprechung oder Literaturauffassung, die dieser Auffassung der Kammer, die sie bereits in zwei rechtskräftigen Entscheidungen vom 27. November 2006 über Zulassungsanträge nach § 111g StPO angedeutet hat, die den Mitangeklagten K. betrafen, entgegen steht. Es hat bisher nur der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt die entsprechende Auffassung der Drittbeteiligten vertreten (vgl. NStZ-RR 2006, 342 [OLG München 16.05.2006 - 5 StRR 169/05]); in dem Kurzkommentar von Meyer-Goßner wird diese Entscheidungen schlicht zitiert, nicht argumentativ vertreten.

13

Die von der Drittbeteiligten rezitierten Ausführungen des Oberlandesgerichts Frankfurt überzeugen nicht:

14

Richtig ist zwar, dass § 111g StPO der prozessualen Umsetzung des in § 73 Abs. 1 S. 2 StGB postulierten Vorrangs der Ansprüche des Verletzten vor dem staatlichen Verfallsanspruch dient und - wie oben ausgeführt - durch die Straftaten des Ehemanns der Drittbeteiligten die H. GmbH vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschädigt worden ist. Dies schließt aber nicht aus, den Insolvenzverwalter nach zwischenzeitlicher Eröffnung des Insolvenzverfahrens als berechtigt anzusehen, für die - auch durch die Vermögensdelikte zu ihrem Nachteil - insolvent gewordene Gesellschaft Anträge nach §§ 111g, 111h stellen zu können.

15

Hierfür spricht entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts gerade die Regelung des § 77 StGB. Hier ist schon seit 1900 anerkannt, dass der Insolvenzverwalter berechtigt ist, für den verletzten Gemeinschuldner Strafantrag auch für diejenigen Delikte zu stellen, durch die vermögenswerten Rechtsgüter verletzt worden sind, auch wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen worden sind (vgl. RGSt 33, 433, 434; St35, 149f.; Rudolphi/Wolter, SK-StGB, Rn. 4 zu § 77 StGB; Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 77 StGB, Rn. 22; Stree/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, 27. Aufl., Rn. 18 zu § 77 StGB; Lackner/Kühl, 24. Aufl, Rn. 11 zu § 77 StGB).

16

Dass dennoch der Insolvenzverwalter nicht berechtigt sein soll, für den Verletzten Anträge nach §§ 111g, 111h StPO zu dessen vorrangiger Befriedigung zu stellen, erschließt sich der Kammer nicht. Wie schon aus der üblichen, hier auch von der Kammer verwendeten Titulierung des Insolvenzverwalters „über das Vermögen der ...Gesellschaft“ deutlich wird, verwaltet er anstelle des Schuldner beziehungsweise seiner gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertreter dessen Vermögen, soweit es zur Insolvenzmasse zählt (§ 80 Abs. 1 InsO). Daraus folgt nahezu zwingend, dass der Insolvenzverwalter bei der Verletzung vermögenswerter Rechte des Gemeinschuldners im Interesse der Mehrung beziehungsweise Wiederherstellung seines Vermögens die vorrangige Befriedigung vor staatlichen Verfallsinteressen verfolgen können muss. Jedenfalls bei einer insolventen juristischen Person, die - wie hier - durch ihren eigenen gesetzlichen Vertreter geschädigt worden ist - gibt es regelmäßig niemanden, der anstelle des Insolvenzverwalters ihre Vermögensinteressen verfolgen kann; insoweit wird der Insolvenzverwalter in der strafrechtlichen Literatur teilweise auch als gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners bezeichnet (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, a. a. O.).

17

§§ 111g, 111h treffen in der Tat keine Aussage darüber, wer das Antragsrecht für den Verletzten wahrnehmen kann, so dass gerade die in § 77 StGB bei der Verletzung vermögenswerter Rechte dem Insolvenzverwalter eröffnete Möglichkeit, Strafantrag für den verletzten Gemeinschuldner zu stellen, dafür und nicht dagegen spricht, dass er auch berechtigt sein muss, Zulassungsanträge zu stellen, die allein der vermögenswerten Befriedigung des Verletzten dienen. Der persönliche Opferschutz, dem die §§ 111g, 111h dienen, schließt es bei solchen Delikten nicht aus, den vermögensverwaltenden Insolvenzverwalter als antragsberechtigt anzusehen; eine juristische Person als Opfer einer vermögensschädigenden Straftat wird allein durch die möglichst einfache Möglichkeit der Befriedigung ihrer Ansprüche aus Vermögenswerten des Täters geschützt, dies folgt gerade aus der - auch von der Drittbeteiligten angeführten und jüngst durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung gestärkten (vgl. Greeve, NJW 2007, 14f.) - Privilegierung des Verletzten gegenüber sonstigen Gläubigern des Täters.

18

Soweit es um die Verletzung immaterieller Rechtsgüter geht, ist der Insolvenzverwalter schon nicht berechtigt, Strafantrag zu stellen (vgl. Tröndle/Fischer, a. a. O.), so dass fraglos auch dann keine Antragsberechtigung des Insolvenzverwalters nach §§ 111g, 111h StPO besteht. Könnte der Insolvenzverwalter Anträge nach §§ 111g, 111h aber auch bei Verletzung vermögenswerter Straftaten nicht stellen, wäre zu besorgen, dass dem Täter sichergestellte Vermögenswerte verbleiben. Wegen des Vorrangs der Befriedigung der Ansprüche des Verletzten - hier einzig der insolventen H. GmbH - darf auf Verfall zu Gunsten des Staates nicht erkannt werden (§ 73 Abs. 1 S. 2 StGB). Selbst das - in diesem Verfahren nach Auffassung der Kammer ohnehin nicht anwendbare - komplexe Verfahren nach § 111i Abs. 2ff. StPO schließt die vorgenannte Gefahr nicht aus. Dieses Verfahren steht im Ermessen des erkennenden Gerichts.

19

Es erscheint der Kammer auch absurd, dass nur zur Stellung von Zulassungsanträgen nach §§ 111g, 111h StPO in einem eher aufwändigen registergerichtlichen Verfahren analog § 29 BGB ein Notgeschäftsführer für eine insolvente GmbH bestellt werden müsste. Wie auch das Oberlandesgericht Frankfurt ausführt, ist der Insolvenzverwalter vor den Zivilgerichten voll handlungsfähig und berechtigt, auch aus Straftaten erwachsene zivilrechtliche Ansprüche des verletzten Gemeinschuldners (hier u. a. aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB; 826 BGB) geltend zu machen, was auch belegt, dass entsprechende vermögenswerte Ansprüche - anders als möglicherweise Schmerzensgeldansprüche wegen der Verletzung immaterieller Rechtsgüter - in die Insolvenzmasse und damit in die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters fallen (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO). Den für die Zulassung nach §§ 111g, 111h erforderlichen zivilrechtlichen Titel (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Rn. 2 zu § 111g StPO) kann wegen § 80 Abs. 1 InsO allein der Insolvenzverwalter erstreiten; den auf ihn lautenden Titel hätte dann der Notgeschäftsführer - obwohl der Titel nicht auf die insolvente Gesellschaft selbst lautet - dem Strafgericht zum Nachweis der Voraussetzungen des §§ 111g, 111h StPO vorzulegen, das dann durchaus der Auffassung sein könnte, eine hinreichende Legitimierung für eine Zulassung zur Zwangsvollstreckung beziehungsweise Arrestvollziehung liege nicht vor, weil nicht derjenige, der den zivilrechtlichen Titel erwirkt habe, nunmehr aus diesem Titel verfügen wolle.

20

Aus den vorherigen Erwägungen folgt auch, dass die Stellung des Insolvenzverwalters als Partei kraft Amtes und nicht als gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners es nicht ausschließt, ihn als berechtigt anzusehen, für den Gemeinschuldner Zulassungsanträge nach den vorgenannten strafprozessualen Normen zu stellen.

21

3. Dass die Drittbeteiligte gegen den vorgenannten Beschluss des AG Hannover Widerspruch eingelegt hat, schließt die Zulassung nach §§ 111g, 111h StPO nicht aus. Es reicht ein vorläufig vollstreckbarer zivilrechtlicher Titel wie ein dinglicher Arrest aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Rn. 2 zu § 111g StPO).

II.

22

Hingegen war die Anträge des weiteren Beteiligten zurückzuweisen, soweit er als Insolvenzverwalter über das Vermögen weiterer Gesellschaften handelt. Bei der Mehrzahl dieser Gesellschaften hat er schon keinen zivilrechtlichen Titel vorgelegt; die V. GmbH und die N. GmbH sind jedenfalls durch die Geschehnisse, die Gegenstand der von der Kammer aufrechterhaltenen strafprozessualen Arrestanordnung sind, nicht im Sinne der §§ 111g, 111h verletzt worden.