Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.06.2006, Az.: 2 A 140/05
Bauherr; Bauvoranfrage; Bauvorbescheid; Einfügen; Einvernehmen; Ermessen; Gemeinde; Mischgebiet; Nachtragsgenehmigung; Planreife; Rechtsänderung; Verbrauchermarkt; Zeitpunkt
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 15.06.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 140/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53191
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 1 S 1 BauGB
- § 36 Abs 2 S 3 BauGB
- § 74 Abs 1 BauO ND
- § 34 Abs 2 BauGB
- § 34 Abs 3 BauGB
- § 6 BauNVO
- § 11 Abs 3 Nr 2 BauNVO
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass der Beklagte ihr Einvernehmen ersetzt und der Beigeladenen zu 1. einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Verbrauchermarktes erteilt hat.
Am 21. Februar 2001 stellte die J. -K. Gesellschaft für Projektierung und Objektbetreuung mbH aus L. beim Beklagten eine Bauvoranfrage zur Errichtung eines Verbrauchermarktes mit 65 Pkw-Stellplätzen als Nahversorger der Handelskette P.. Bauort sollte das Grundstück M. Straße 62, eine 3675 m² große Teilfläche aus dem Flurstück 21/16, in Soltau sein. Der Verbrauchermarkt sollte eine Gebäudegesamtgrundfläche von 1.020 m² haben.
Das Flurstück 21/16 grenzt nördlich an die M. Straße (B 71) und östlich an die N. -O. -Straße. Es ist im östlichen Teil bereits mit einem Betriebsgebäude der früheren Post (N. -O. -Str. 2) bebaut. Westlich des Baugrundstücks befinden sich entlang der M. Straße verschiedene Gewerbebetriebe und Wohnbebauung, sodann die Firma „A. und B. GmbH Haus- und Versorgungstechnik“ (Heizung, Klima, Sanitär u. Elektro) (Nr. 48) und schließlich ein N. -Verbrauchermarkt (Nr. 42 bis 46) mit ca. 650 qm Verkaufsfläche.
Mit Bescheid vom 26. März 2001 stellte der Beklagte auf Antrag der Klägerin im Hinblick auf die von deren Rat am 1. Juli 1999 beschlossene Aufstellung eines Bebauungsplanes den Antrag der P. GmbH für einen Zeitraum von 12 Monaten zurück.
Auf eine erneute Anfrage der J. -K. GmbH vom 25. August 2003 erklärte die Klägerin unter dem 23. Oktober 2003,sie habe zum Schutz der Planung eine Veränderungssperre erlassen, die am 20. Juli 2002 rechtsverbindlich geworden sei. Die 2jährige Laufzeit der Veränderungssperre ende am 19. Juli 2004. Wegen der schwierigen Planungsvoraussetzungen komme keine individuelle grundstücksbezogene Verkürzung der Frist gemäß § 17 Abs. 1 BauGB infrage. Es sei geplant, den in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan Nr. 107 bis zum Ablauf der 2-Jahresfrist der Veränderungssperre, also bis zum 19. Juli 2004, zur Rechtskraft zu führen.
Mit Bescheid vom 27. November 2003 lehnte der Beklagte die Bauvoranfrage vom 20. Februar 2001 ab unter Hinweis auf das Fortbestehen der 2jährigen Veränderungssperre für das Baugrundstück.
Mit Zwischenbescheid vom 23. März 2004 teilte der Beklagte der J. -K. GmbH mit, dass die Veränderungssperre am 29. März 2004 außer Kraft trete. Das Vorhaben entspreche den Darstellungen des zur Zeit rechtskräftigen Flächennutzungsplans, der ein Mischgebiet ausweise. Das geplante Gebäude füge sich damit nach der Art der beabsichtigten Nutzung in die für dieses Grundstück prägende Umgebungsbebauung ein. Allerdings würde durch die beabsichtigte Bautiefe und damit der Lage des Gebäudes auf dem Grundstück dem Einfügungsgebot nicht entsprochen. Hier sei die benachbarte Bebauung entlang der Lüneburger Straße als unmittelbarer Straßenrandbebauung mit den Gebäuden im hinteren Bereich heranzuziehen. Die maximale Bautiefe betrage hier 35 m. Das Gebäude der Telekom sei entlang einer Tiefe von 20 m an der N. -P. -Straße gelegen. Im hinteren Grundstücksbereich zwischen B. und N. -P. -Straße schließe sich eine überwiegende Einfamilienhausbebauung an. Die geplante Baumaßnahme sei mit einer hinteren Bautiefe von etwa 77 m, gemessen von der M. Straße und ca. 73 m von der N. -P. -Straße vorgesehen. Die beabsichtigte Lage füge sich nicht ein. Hinzu komme die vorgesehene Anlieferung über die N. -P. -Straße, die in relativ geringer Entfernung an der Einfamilienhausbebauung vorbei führen würde und damit unvertretbare Störungen vermuten lasse. Auch das absolute Maß von über 1000 m² Grundfläche füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Lediglich das Gebäude der Telekom habe eine überbaute Fläche von etwa 550 m². Die Erschließung des Grundstücks von der M. Straße aus wäre hingegen als gesichert anzusehen. Es sei daher entweder eine Umplanung erforderlich oder der Antrag müsste abgelehnt werden.
Die ebenfalls angehörte Stadt Soltau erklärte unter dem 18. März 2004, die Planreife ihres Bebauungsplans 107 sei noch nicht erreicht. Sie versage ihr Einvernehmen. Der geplante Baukörper überschreite der Maß der Umgebung (Grundfläche) erheblich. Durch die Platzierung des Verbrauchermarktes im rückwärtigen Bereich entstehe Hinterbebauung, die für die nähere Umgebung untypisch sei. Darüber hinaus sei zu befürchten, dass es durch die Stellplätze 8 - 30 und die Ladezone im südwestlichen Bereich des Grundstückes zu Beeinträchtigungen für die angrenzende Wohnbebauung komme, die über das zulässige Maß hinaus gingen. Nach der Bauvoranfrage sei die Anlieferung über die N. -P. -Straße vorgesehen.
Mit Schreiben vom 27. April 2004 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie teile die vom Beklagten dargestellten Immissionsprobleme durch die Anlieferung. Die Einstufung des Gebietes als Mischgebiet würde sie nicht teilen. In der unmittelbaren Umgebung sei kein Gewerbebetrieb vorhanden, der das Wohnen mehr als zumutbar störe, so dass bereits heute von einem Wohngebiet ausgegangen werden könne. Diese Auffassung hätten die Vertreter der Bezirksregierung, des Gewerbeaufsichtsamtes und des Landkreises in einem gemeinsamen Gespräch am 17. Februar 2004 im Zusammenhang mit der Änderung des Flächennutzungsplanes bestätigt. An den Lärmschutz wären dann dementsprechende Anforderungen zu stellen.
Am 2. August 2004 legten die Architekten der J. -K. GmbH überarbeitete Planungsunterlagen vor. Danach sollte eine Anlieferung über die Parkplatzzufahrt von der M. Straße aus erfolgen. Zum Schutz der südlich und westlich angrenzenden Wohnbebauung sollte eine „Einhausung“ des Anlieferbereiches erfolgen, eine Lärmschutzwand im Rangierbereich auf dem Parkplatz errichtet werden und ein Sichtschutzzaun entlang der südlichen Grenze gezogen werden. Das Objekt sollte nunmehr eine Grundfläche von ca. 1090 m² und eine Verkaufsfläche von etwa 770 m²erhalten .Die Bautiefe des Gebäudes sollte danach 82,50 m von der Fahrbahnmitte der M. Straße betragen, entsprechend dem vorhandenen N. -Markt.
Auch zu dieser Umplanung versagte die Stadt Soltau mit Schreiben vom 22. September 2004 ihr Einvernehmen, da die maximale Bautiefe entlang der M. Straße 35 m betrage. Auch das absolute Maß von über 1.000 m² Grundfläche füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Ferner sei eine erhebliche Zusatzbelastung durch den Lärm zu erwarten. Schließlich seien in allgemeinen Wohngebieten nach der BaunutzungsVO nur solche Läden zulässig, die der Versorgung des Gebietes dienten. Das sei angesichts der Größe des Marktes nicht mehr der Fall.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2004 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Ersetzung ihres Einvernehmens an, die daraufhin an ihrer Entscheidung festhielt.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 teilte die J. -K. GmbH mit, sie habe alle Rechte und Pflichten aus der Bauvoranfrage an das Architekten-Contor-Q. R. aus Soltau abgetreten.
Unter dem 18. Oktober 2004 erteilte der Beklagte nunmehr dem Architekten-Contor R. einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Verbrauchermarktes mit 65 Pkw-Stellplätzen entsprechend der Umplanung vom 2. August 2004 u.a. mit folgender Nebenbestimmung:
“1. In der Nähe Ihres Vorhabens besteht an der M. Straße ein Verbrauchermarkt, der sowohl nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung sowie nach der zu überbauenden Fläche Vorbildwirkung entfaltet. Aus planungsrechtlicher Sicht bestehen gegen Ihr Vorhaben dann keine Bedenken, wenn diese Vorgaben eingehalten werden.“
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2004 ersetzte der Beklagte das Einvernehmen der Klägerin und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Verfügung an. Zur Begründung führte er aus, bei der Beurteilung des Vorhabens nach § 34 BauGB komme es nur auf die tatsächliche Nutzung der vorhandenen Umgebungsbebauung an. Bereits in der Nähe der beabsichtigten Baumaßnahme befinde sich ein N. -Verbrauchermarkt, der sowohl nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung sowie nach der Fläche, die überbaut werden solle, Vorbildwirkung entfalte. Es seien keine planungsrechtlichen Gründe erkennbar, die eine andere Beurteilung als die des schon vorhandenen Marktes zuließen. Das Vorhaben erfülle die Voraussetzungen des Einfügungsgebotes, da der maßgebliche Rahmen des vorhandenen Marktes (Bautiefe, absolute Größe, Versiegelungsgrad) nach der vorhandenen Umplanung vom 2. August 2004 eingehalten sei. Auch bestünden aus immissionsschutzrechtlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen die geplante Baumaßnahme. Im späteren Baugenehmigungsverfahren sei dann anhand einer Lärmprognose gemäß TA-Lärm der ausreichende Immissionsschutz nachzuweisen. Ebenfalls sei im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen, ob nach § 34 Abs. 3 BauGB schädliche Auswirkungen des Vorhabens auf zentrale Versorgungsbereiche zu erwarten seien.
Am 4. November 2004 legte die Klägerin gegen beide Bescheide Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen auf den bisherigen Vortrag verwies.
Mit Schreiben vom 30. November 2004 gab die IHK Lüneburg-Wolfsburg eine raumordnerische Beurteilung des Vorhabens ab. Darin kam sie zu dem Ergebnis, das Vorhaben sei raumordnerisch vertretbar. Da die Verkaufsfläche von 770 m² die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 NVO überschreite, sei das Vorhaben nur in einem Kerngebiet oder Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel zulässig. Aus städtebaulicher Sicht bestünden insoweit keine Bedenken gegen diese Ansiedlung, als dadurch in der M. Straße an einer verkehrsgünstig gelegenen Stelle eine Einzelhandelsagglomeration entstehe, die einen Konkurrenzstandort für die Innenstadt bilde. Um dieses zu vermeiden, wäre eine Ausweisung als Sondergebiet, in dem innenstadtrelevante Sortimente wie Bekleidung, Textilien, Schuhe und Lederwaren sowie Uhren, Schmuck, Optik- und Fotoartikel grundsätzlich ausgeschlossen würden, sinnvoll.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 reichte das Architekten-Contor einen 1. Nachtrag beim Beklagten ein und führte dazu aus, die veränderte Planung, welche nach Prüfung durch den Investor als Bauantragsplanung eingereicht werden solle, ergebe sich durch den Zukauf von 2 Grundstücken im Nordwesten des Telekom-Grundstückes. Durch die Planung im Bezug auf die hintere Bautiefe und den Anlieferverkehr sowie den Abstand des Gebäudes zur Straße habe die Lärmbelästigung der Nachbarn erheblich verringert werden können. Der Eingang rücke näher zur Straße und die Zufahrt zur Anlieferung erfolge nicht mehr um das Gebäude herum, sondern erfolge direkt von vorn. Nach diesem Nachtrag sollte die reine Verkaufsfläche 699 m ² betragen. Die Fläche „Gang und Packtisch“ sei eine reine Freifläche außerhalb bzw. nach dem Durchgang durch die Kassen. Das Warensortiment solle die Güter des täglichen Bedarfes umfassen. Nur auf begrenzter Fläche sollten sporadisch einzelne Artikel aus den von der IHK aufgeführten Bahngruppen in begrenzter Menge angeboten werden, sogenannte „Aktionsware“ aus dem genannten Non-Food-Bereich. Die für diese Aktion vorgehaltene Verkaufsfläche liege zwischen 40 und 60 m² und sei somit deutlich unter 10 % der Gesamtverkaufsfläche. Der Baukörper werde in Richtung Nordwesten verschoben und überschreite nicht mehr die Bautiefe von 82,50 m von der Fahrbahnmitte M. Straße, sondern ende etwa 5 m davor
Am 18. Dezember 2004 wurde der Bebauungsplan Nr. 107 der Klägerin in der Böhme-Zeitung bekannt gemacht, der für das Gebiet zwischen M. Straße, N. -P. -Straße, S. straße und N. -T. -Straße die allgemeinen Wohngebiete WA 1 bis 4 sowie für die Fläche der Firma „A. und B.“ ein Gewerbegebiet festsetzt.
Dem Bebauungsplan liegt ein schalltechnisches Gutachten von Dipl.-Ing. U. V. vom 3. März 2004 zugrunde, das eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte von 55 dB(A) insbesondere für das Grundstück südlich des N. marktes errechnet und für den N. -Markt sowie den Gewerbebetrieb Lärmschutzmaßnahmen für erforderlich erachtet hat. In Anknüpfung daran schloss die Klägerin mit Frau W. X., der Eigentümerin der bislang unbebauten Flurstücke 16/4, 268/18 und 16/7 der Flur 7 (südlich N. markt) einen städtebaulichen Vertrag, nach dem eine Bebauung erst nach Sanierung der Lüftungsanlage des N. -Marktes erfolgen kann und auf dem Baugrundstück entlang dem Gewerbebetrieb tagsüber mischgebietstypische Lärmwerte hinzunehmen sind. In einem weiteren Vertrag verpflichtet sich die Grundstücksgesellschaft Y. Z. gegenüber Frau X., die lärmtechnische Sanierung der Lüftungsanlage des N. -Marktes durchzuführen.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2005 erteilte der Beklagte dem Architekten-Contor R. eine 1. Nachtragsgenehmigung entsprechend den Nachtragsunterlagen vom 20. Dezember 2004 zum Bauvorbescheid vom 18. Oktober 2004. Dazu führte er aus, die geänderte Fassung beinhalte die Standortverschiebung des Gebäudes auf dem Grundstück inklusive geänderter Anordnung der Anlieferungs- und Ladezone. Als Nebenbestimmung sah er vor, dass die Verkaufsfläche des geplanten Verbrauchermarktes unter 700 m² liegen müsse und die Fläche für „Aktionsware“ maximal 10 % der Verkaufsfläche betragen dürfe.
Am 28. Februar 2005 legte die Klägerin auch gegen diesen 1. Nachtrag Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dem Nachtrag habe eine geänderte Antragstellung zugrunde gelegen. Das Vorhaben sei in substantieller Weise geändert worden. Dem geänderten Vorhaben stehe der nunmehr rechtskräftige Bebauungsplan Nr. 107 entgegen. Dieser sei durch Bekanntmachung in der Böhme-Zeitung am 18. Dezember 2004 rechtswirksam geworden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2005 wies der Beklagte die drei Widersprüche der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung von Anfechtungssituationen sei der Erlass des Verwaltungsakts. Dieses sei hier der ursprüngliche Bauvorbescheid vom 18. Oktober 2004, der die wesentlichen planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Bebauung des Grundstücks M. Straße 62 mit einem Verbrauchermarkt regele. Bereits der Bauvorbescheid vom 18. Oktober 2004 habe das Maß und die Art der baulichen Nutzung durch den Verbrauchermarkt N. als Beispiel in die Bebauungsgenehmigung einbezogen. Durch diese Auflage Nr. 1 sei klargestellt worden, dass insbesondere die Bautiefe dieses Verbrauchermarktes durch das neue Vorhaben nicht überschritten werden dürfe. Dieser Auflage sei der Antragsteller durch die Umplanung vom 17. Dezember 2004 nachgekommen. Zudem sei der Antragsteller im Bezug auf die Zufahrtswege und Stellplätze mit der Umplanung insbesondere den Wünschen der Klägerin entgegen gekommen, nicht aber habe diese Umplanung erst die Zulassung des Gesamtvorhabens begründet.
Am 29. Juli 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, das Vorhaben sei durch den Nachtrag vom 17. Dezember 2004 so grundlegend verändert worden, dass es ein anderes und eigenständig genehmigungspflichtiges Vorhaben geworden sei. Wegen der Änderung des Vorhabens werde die Einvernehmensersetzung vom 21. Oktober 2004 der Beigeladenen zu 1. nicht helfen. Die Einvernehmensersetzung sei vielmehr für ein anderes Vorhaben erfolgt, als es nunmehr durch die Nachtragsgenehmigung Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Gemessen an den Festsetzungen des Bebauungsplan 107 sei das Vorhaben unstreitig nicht genehmigungsfähig. Auch wenn man das Vorhaben nach § 34 BauGB beurteile, so sei dieses planungsrechtlich nicht zulässig. Ein großflächiger Einzelhandel sei in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig. Außerdem führe die Gestaltung des Vorhabens zu erheblichen Spannungen und Störungen innerhalb des Baugebietes. Bei der Einvernehmensersetzung habe der Beklagte eine Ermessensentscheidung fällen müssen; diese sei unterblieben.
Für den Fall der Beurteilung nach § 34 BauGB sei davon auszugehen, dass die Grenzen der näheren Umgebung durch die M. Straße im Norden, die N. -P. -Straße im Osten, die S. straße im Süden und den S. hof im Westen einschließlich seiner gedachten Verlängerung nach Norden gebildet würden. Sei dem zu folgen, so sei die bauliche Nutzung an der Südhälfte der näheren Umgebung recht einheitlich im Sinne von § 4 BauNVO geprägt. Der nördlich daran anschließende Teil der näheren Umgebung bis zur Lüneburger Straße sei zur Zeit weitgehend ungenutzt und werde daher nach dem Eindruck vor Ort im Wesentlichen durch WA-Nutzung im Süden mit geprägt. Damit erlaube § 34 BauGB nicht die Ziehung einer Nutzungsgrenze zwischen einem nördlichen und einem südlichen Teil. Ein großflächiger Einzelhandel würde sich von der Art der Nutzung nicht einfügen. Außerdem würden sich das Vorhaben und seine Nebenanlagen von der überbauten Fläche her nicht einfügen. Es würde in unbebauten ungenutzte Flächen hineindrängen und mit dem verursachten Kraftfahrzeugverkehr das Rücksichtnahmegebot verletzen. Das Vorhaben der Beigeladenen sei ein großflächiger Einzelhandelsvertrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz Nr. 2 BauNVO. Sowohl die Größe des Vorhabens als auch das größtenteils innenstadtrelevante Sortiment und die Größe der Nebenanlagen widerlegten die Auffassung der Beigeladenen zu 2., es handele sich um einen Nachbarschaftsladen, der im Rahmen von § 4 oder 6 BauNVO zulässig wäre.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bauvorbescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2004 und Ziffer 1 des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 15. Juni 2005 aufzuheben,
2. den Einvernehmensersetzungsbescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2004 und Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2005 aufzuheben,
3. den ersten Nachtrag zum Bauvorbescheid vom 5. Januar 2005 und Ziffer 3. des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, seit der Antragstellung am 21. Februar 2001 hätten sich die Sachverhalte nur unwesentlich verändert. Die Änderung der Verkaufsfläche, der Grundfläche und der Bautiefe seien unwesentliche Umplanungen, die sich auf den Beurteilungsrahmen nur in einzelnen Punkten im Rahmen des Gesamtantrages auswirkten. Der Nachtrag zum Bauantrag habe eine Änderung der Punkte 1. und 7. des Bauvorbescheides vom 18. Oktober 2004 ausgelöst. Der daraus resultierende Änderungsbescheid habe ohne den Ursprungsbescheid keinen Bestand. Auch hier handele es sich wiederum nur um geringfügige Änderungen in Form der Reduzierung der Verkaufsfläche auf 700 m² und der Reduzierung der Bautiefe. Hinzu komme eine Verschiebung des Gebäudekomplexes auf dem Grundstück durch den Zukauf 2 benachbarter Flurstücke. Dieses führe zu keiner Veränderung des Standortes für die gesamte Maßnahme.
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend vor, wegen der Prüfung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung sei allein auf § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 6 BauNVO abzustellen. Bei dem Vorhaben handele es sich um einen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Auch hinsichtlich der Größe und Struktur der Verteilung des Warensortiments und Lebensmittel- und Non-Food-Bereichs entspreche das geplante Vorhaben einem typischen Lebensmittelnahversorger. Das Maß der baulichen Nutzung bestimme sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. In der näheren Umgebung gebe es zunächst einmal des weiterhin gewerblich genutzte Grundstück der Deutschen Telekom AG. Weiterhin befänden sich in der näheren Umgebung größere gewerblich genutzte Hallen und ein N. -Lebensmittelmarkt, dessen Maße der Planung des jetzigen Vorhabens zugrunde lägen. Schädliche Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB gebe es nach Stellungnahme der IHK, der der erste Nachtrag angepasst sei, nicht. Darüber hinaus sei auch der Bebauungsplan rechtswidrig. Dieser stelle zu allererst eine Verhinderungsplanung dar bezüglich des hier streitigen Vorhabens. Das städtebaulich verfolgte Ziel sei allein darin zu erblicken, dass die Klägerin über das übliche Maß hinaus eine Nahversorgungsansiedlung steuern wolle. Hier sei zu dem Mittel gegriffen worden, bei den Festsetzungen einen Nahversorger wie sie -die Beigeladene zu 1. - von der Ansiedlung auszuschließen. Damit verstoße die Klägerin gegen das Abwägungsgebot. Obwohl der Bebauungsplan Ausweisungen für allgemeine Wohngebiete und Gewerbegebiete enthalte, sei die letztlich durch den Plan zu realisierende Nutzung eine Nutzung, die in einem Mischgebiet typisch sei. Bei optimaler Umsetzung der Planung werde es so sein, dass entlang der M. Straße im Wesentlichen Gewerbeansiedlungen vorhanden seien. In diesem Bereich sei eine rückwärtige Bebauung im Grunde ausgeschlossen. Zugunsten der Grundstückseigentümerin südlich des bereits vorhandenen Verbrauchermarktes werde eine Wohnbebauung ermöglicht, die nach Art und Umfang insoweit über die Prägung der näheren Umgebung hinaus gehe, als das noch eine Hinterbebauung möglich sein solle. Diese Bebauung führe unmittelbar zu Konflikten mit der angrenzenden Gewerbebebauung in Form des ausgewiesenen Gewerbegebiets sowie auch mit dem bereits vorhandenen Verbrauchermarkt.
Die Beigeladene zu 2. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend vor, durch die gewerblichen Betriebe an der M. Straße und an der N. -P. -Straße werde das Gebiet zu einem Mischgebiet. Ferner ist sie der Auffassung, dass die Nachtragsgenehmigung ein aliud betreffe, das aber gleichwohl genehmigungsfähig sei, da der Bebauungsplan nichtig sei.
Mit Bescheiden vom 9. März 2006 hat der Beklagte „auf der Grundlage des Bauvorbescheides vom 18. Oktober 2004“ die Baugenehmigung erteilt und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Einvernehmen der Klägerin ersetzt, ohne zu dem Bebauungsplan der Klägerin Stellung zu nehmen. Die Klägerin hat gegen beide Bescheide Widerspruch eingelegt und erfolglos die Aussetzung der Vollziehung beim Beklagten beantragt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Die Klage ist zulässigerweise gegen den Bauvorbescheid vom 18. Oktober 2004 in der Fassung des 1. Nachtrages vom 5. Januar 2005 zu richten, denn der ursprüngliche Bauvorbescheid ist vom Beklagten weder aufgehoben worden, noch ist er gegenstandslos.
Das wäre nur dann anzunehmen, wenn der ursprüngliche Bauvorbescheid ein anderes Bauvorhaben beträfe, das inzwischen von der Beigeladenen zu 1. nicht mehr verfolgt wird.
Die Bindungswirkung des Bauvorbescheides erstreckt sich nicht auf Vorhaben, die mit dem Vorbescheidsvorhaben nicht übereinstimmen. Allerdings führt nicht jede Änderung im Vergleich zum Vorbescheidsvorhaben zum Wegfall der Bindungswirkung, entscheidend ist vielmehr, dass wegen der Änderung die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird (Schmaltz in Grosse-Suchsdorf u.a., Komm. zur NBauO, 7. Aufl. 2002, § 74 Rn. 14).
Nach der Rechtsprechung des OVG Münster (Urt. v. 20.2.2004 - 10 A 558/02 - BauR 2004, 1045) wird der Inhalt einer Bauvoranfrage auch durch Art, Umfang und Inhalt der mit der Bauvoranfrage eingereichten Bauvorlagen bestimmt; ist Gegenstand die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Verbrauchermarktes, so muss Gegenstand der Bauvoranfrage auch ein Lageplan mit konkreten Angaben über die Lage der Stellplätze und Zufahrten sein, ohne den eine Prüfung der schädlichen Immissionen durch Zu- und Abgangsverkehr nicht erfolgen kann. Hier ist durch den 1. Nachtrag eine teilweise Verschiebung der Stellplätze sowie eine Verlegung des Anlieferverkehrs erfolgt, was zu einer veränderten Beurteilung des Verkehrslärms führen kann.
Demgegenüber ist nach der Rechtsprechung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. vom. 6.11.1996 - 1 M 5703/96 -, NVwZ-RR 1997, 574 = BRS 58 Nr. 188; Beschl. v. 8.12.1999 - 1 M 4111/99 - ; Schmaltz in Grosse-Suchsdorf u.a., Komm. zur NBauO, 7. Aufl. 2002, § 72 Rn. 135) maßgeblich für die selbständige Anfechtbarkeit, ob die angegriffene Nachtragsgenehmigung die Fragen erneut aufwirft, die den klagenden Nachbarn bzw. hier die Gemeinde in ihren Rechten verletzten könnten. Danach ist abzugrenzen, ob es sich um eine bloße Nachtragsbaugenehmigung mit dementsprechend eingeschränktem Regelungsgehalt oder um eine neue (Voll-)Genehmigung des angegriffenen Vorhabens in veränderter Gestalt handelt, die dementsprechend vollen Umfangs vom Nachbarn (wieder) angegriffen werden kann. Bei der Abgrenzung beider möglichen Rechtswirkungen hat dabei maßgeblich zu sein, ob der als Nachtragsgenehmigung deklarierte Bauschein isoliert (dann neue Vollgenehmigung) oder nur in Verbindung mit der vorangegangenen Genehmigung ausgenutzt werden kann, d.h. die zweite Genehmigung die erste lediglich ergänzt und beide damit voneinander abhängig sind (vgl. OVG Schleswig, Beschl. vom 16.3.1993 - 1 M 8/93 -, sowie Urt. vom 30.11.1994 - 1 L 150/93 -, V.n.b.). Zu fragen ist mit anderen Worten, ob das angegriffene Vorhaben allein aufgrund der Nachtragsbaugenehmigung ausgeführt werden kann und ob dem Vorhaben in der Gestalt seines „neuen Bauscheins“ eine Konzeption zugrunde liegt, welche die Zulässigkeit, namentlich seine Vereinbarkeit mit den konkurrierenden Belangen von Nachbarn erneut aufwirft (vgl. OVG Saarland, B.v. 23.8.1995 - 2 W 33/95 -; Beschl .vom 28.5.1996 - 2 W 12/96 -, V.n.b.).
Dieser Rechtsprechung folgt die Kammer in Hinblick darauf, dass sie der Praxis der Bauaufsichtsbehörden bei der Erteilung von „Nachtragsgenehmigungen“ besser gerecht wird. Anderenfalls bestände für die Beigeladene zu 1. auch noch die Möglichkeit, wieder auf das ursprüngliche, positiv beschiedene Vorhaben zurückzugehen, da der erste Bauvorbescheid nicht aufgehoben wurde. Eine derartige Trennung in zwei selbständige Bescheide entspricht erkennbar nicht dem Willen der am Bauvorbescheidsverfahren Beteiligten.
Eine Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Nachtrag vom 5. Januar 2005 keinen neuen vollständigen Bauvorbescheid, sondern nur eine Modifizierung des Vorbescheides vom 18. Oktober 2004 und für sich allein keine selbständige Regelung beinhaltet. So wird in Nebenbestimmung Nr. 4 des 1. Nachtrags ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Nebenbestimmungen Nr. 2 bis 6 des Bauvorbescheides vom 18. Oktober 2004 unberührt bleiben; Nebenbestimmung Nr. 1 sieht vor, dass die Geltungsdauer des Bauvorbescheides durch „diese Bauvorbescheidsänderung“ nicht berührt wird. Es handelt sich mithin um einen einheitlichen Bauvorbescheid.
II. Der Bauvorbescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2004 in der Fassung des 1. Nachtrags vom 5. Januar 2005 (1) und der Bescheid des Beklagten zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens vom 21. Oktober 2004 (2), beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 15. Juni 2005, sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Nach § 74 Abs. 1 NBauO ist auf Antrag (Bauvoranfrage) über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbstständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden. Dies gilt auch für die Frage, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig wäre.
Die Bauvoranfrage, die am 21. Februar 2001 von der J. K. GmbH gestellt wurde, ist auf eine Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens gerichtet. Gegenstand der Bauvoranfrage sind nach Blatt 4 der Bauakte die Fragen, ob die Errichtung eines Verbrauchermarktes als Nahversorger-Lebensmittelmarkt auf dem Grundstück Lüneburger Straße 62 ohne rechtsgültigen Bebauungsplan baurechtlich und planungsrechtlich durchführbar ist, ob die Erschließung für die geplante Nutzung ausreichend gesichert ist und ob die geplante Nutzung bei einer Verkaufsfläche von unter 700 qm genehmigungsfähig ist.
Die Rechtmäßigkeit eines Bauvorbescheides wie auch einer Baugenehmigung ist regelmäßig nach der zum Zeitpunkt ihrer Erteilung geltenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Allerdings geht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 23.4.1998 - 4 B 40.98 - , BauR 1998, 995) davon aus, dass Rechtsänderungen zu Lasten des Bauherrn in dem vom Nachbarn eingeleiteten Widerspruchsverfahren nicht zu berücksichtigen sind, wohl aber Rechtsänderungen zugunsten des Bauherrn. Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsänderungen in dem von der Gemeinde eingeleiteten Widerspruchsverfahren anders zu behandeln wären als Rechtsänderungen in dem vom Nachbarn eingeleiteten Widerspruchsverfahren, liegen nicht vor (vgl. BayVGH, Beschl. v. 13.3.1996 - 1 CS 96.638 - , BayVBl 1996, 471; OVG Lüneburg, Beschl. v. 9.3.1999 - 1 M 405/99 -, Rechtsprechungsdatenbank des OVG Lüneburg).
Mithin ist bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bauvorbescheides vom 18. Oktober 2004 nicht der erst im Dezember 2004 rechtsgültig gewordene Bebauungsplan Nr. 107 der Klägerin zu berücksichtigen, wohl aber die erst am 21. Oktober 2004 erfolgte Ersetzung des Einvernehmens.
Prüfungsmaßstab für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zum Zeitpunkt des Erlasses des Bauvorbescheides ist mithin § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht, die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem allgemeinen Baugebiet zulässig wäre.
A. Die „nähere Umgebung“ reicht so weit, wie sich zum einen die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und zum anderen wie die Umgebung ihrerseits die bodenrechtliche Situation des Baugrundstücks prägt. Dabei darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Baugrundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt. Wieweit die wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, wobei die Rechtsprechung zur Abgrenzung des Innen- vom Außenbereich auf die Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 BauGB sinngemäß übertragen werden kann. Maßstab für die Zulassung des Vorhabens ist dabei nicht die nähere Umgebung, sondern ihre Eigenart. Das macht es erforderlich, die Betrachtung auf das Wesentliche zurückzuführen (BVerwG: Urt. v. 26.5.78 - 4 C 9.77 -; BVerwGE 55, 369, 380; Beschl. v. 20.8.98 - 4 B 79/98 -, BRS 60 Nr. 176; Beschl. v. 28. 8. 2003 - 4 B 74/03 -, zitiert nach juris; vgl. zur Rspr insgesamt: Schmalz in Schrödter, BauGB, Komm. 6. Aufl. 1998, § 34 Rdn. 19 ff).
Die Kammer war hier - entgegen ihrer ursprünglichen Planung - nicht gehalten, sich von der näheren Umgebung des Baugrundstücks selbst vor Ort ein Bild zu machen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt auch hier der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht Umfang und Art der Tatsachenermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt (vgl. z.B. Beschluss vom 3. September 1980 - BVerwG 2 B 63.79 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 130). So hat das Bundesverwaltungsgericht die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung wegen unterlassener Ortsbesichtigung nicht für begründet erachtet in Fällen, in denen das Tatsachengericht seine Überzeugungsbildung auf Kartenmaterial, Fotos, Luftbilder, oder auch auf Schilderungen ortskundiger Verfahrensbeteiligter gestützt hat (so bereits Beschluss vom 8. Dezember 1966 - BVerwG 4 B 184.65 - n.v.; ferner Beschluss vom 20. November 1990 - BVerwG 4 B 171.90 - n.v.; Beschluss vom 11. Juli 1991 - BVerwG 4 B 93.91 - n.v.). Maßgeblich für die Beurteilung im Rahmen von § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist allein, ob die dem Gericht bereits vorliegenden Erkenntnisquellen für die bei der Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich vorzunehmende Wertung und Bewertung der örtlichen Gegebenheiten im Einzelfall ausreichen (so BVerwG, Urt. v. 14.11.1991 - 4 C 1/91 - NVwZ-RR 1992, 227).
Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen - das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten anhand eines Lageplans die vorhandenen Gewerbebetriebe in der Lüneburger Straße und in der Herzog-Bernd-Straße sowie dem Gebiet des Bebauungsplans Nr. 107 erörtert und zwischen den Beteiligten weitgehende Einigkeit erzielt - entspricht die nähere Umgebung des Baugrundstücks in jedem Falle einem Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO, und zwar unabhängig davon, ob man die Bebauung nördlich der Lüneburger Straße noch in die Betrachtung mit einbezieht oder - wie der Bevollmächtigte der Klägerin - als nähere Umgebung das von den Straßen M. Straße, N. -P. -Straße, S. straße und N. -T. -Straße gebildete Karree ansieht, das auch Gegenstand des Bebauungsplanes Nr. 107 der Klägerin ist.
Ob die Eigenart der näheren Umgebung einem bestimmten Baugebiet der BauNVO entspricht, hängt davon ab, ob sich in der näheren Umgebung die diesen Gebietstyp kennzeichnenden Nutzungsarten befinden. Die Annahme eines faktischen Mischgebiets hängt davon ab, dass die nähere Umgebung von Wohnnutzung und das Wohnen nicht störenden Gewerbebetrieben geprägt ist (Rieger a.a.O., § 34 Rn. 68), während ein allgemeines Wohngebiet vorwiegend dem Wohnen vorbehalten ist, der Wohncharakter also sofort ins Auge fallen und überwiegen muss (Fickert/Fieseler, Komm, zur BauNVO, 10. Aufl. 2002, § 4 Rn. 1). Hier lässt sich ein Überwiegen der Wohnnutzung nicht feststellen, und zwar unabhängig davon, wie weit man den Kreis der näheren Umgebung zieht. Noch auf dem Baugrundstück befindet sich das die Fläche mehrerer Einfamilienhäuser einnehmende Bürogebäude der Telekom (Herzog-Bernd-Straße 2), dass nach den Angaben der Beigeladenen zu 2. von T-Mobile genutzt wird; diese Nutzung nimmt auch einen Teil der Parkflächen für die Lagerung von Materialien in Anspruch. Maßgeblich sind nur die äußerlich wahrnehmbaren Verhältnisse, während es auf die Legalität dieser Nutzung nicht ankommt, da diese Nutzung jedenfalls seit mehreren Jahren vom Beklagten geduldet wird (vgl. dazu Rieger, a.a.O., § 34 Rn. 9). Auf der Westseite des Baugrundstücks befand sich im Oktober 2004 noch ein Dachdeckerbetrieb (M. Straße 58), dessen Grundstück nun Teil des Baugrundstücks werden soll. Westlich davon befinden sich an der M. Straße weitere kleinere Handwerksbetriebe, so dann der flächenmäßig sehr große Betrieb der Firma A. und B. und der in der Größe dem Bauvorhaben entsprechende N. -Markt. Eine überwiegende Wohnbebauung findet sich nur im Gebiet südlich des Grundstücks N. -P. -Straße 9, das im Bebauungsplan der Klägerin als „WA 3“ gekennzeichnet ist. Nimmt man zu diesem Gebiet allein die hier zu beurteilende Fläche des Baugrundstücks hinzu, so ist ein überwiegender Wohncharakter schon wegen des Telekom-Gebäudes und des Dachdeckerbetriebes nicht mehr gegeben.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1. entspricht in Art und Größe dem vorhandenen N. - Markt und fügt sich daher auch in die nähere Umgebung des Mischgebietes ein. Insoweit wird auf die zutreffende Darstellung im Widerspruchsbescheid des Beklagten verwiesen.
Insbesondere stellt das Vorhaben noch keinen großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO dar, der nur in einem Kern- oder Sondergebiet zulässig wäre. Zwar sind bei der Berechnung der Verkaufsfläche auch die Thekenbereiche, der Kassenvorraum sowie ein Windfang einzubeziehen, aber Einzelhandelsbetriebe sind erst dann großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 qm überschreiten (BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 - 4 C 10/04 - NVwZ 2006, 452). Das ist hier nicht der Fall.
B. Nach § 34 Abs. 3 BauGB dürfen von dem Vorhaben keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinde zu erwarten sein. Ob die zu erwartenden Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich als schädlich zu qualifizieren sind, hängt entscheidend davon ab, ob das Vorhaben einen relevanten Kaufkraftabfluss bewirkt und dadurch die Existenz der in diesem Bereich vorhandenen Einzelhandelsbetriebe gefährdet. Ein derartiger Kaufkraftabfluss ist durch die Nebenbestimmung Nr. 3 des Nachtragsbescheides vom 5. Januar 2005 ausgeschlossen, da damit die Verkaufsfläche für „Randsortimente“ auf maximal 69,9 qm festgelegt wird; im Übrigen ist die Beschreibung des Warensortiments - Güter des täglichen Bedarfs - im 1. Nachtrag festgelegt.
2. Der Bescheid zur Ersetzung des Einvernehmens vom 21. Oktober 2004 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann die nach Landesrecht zuständige Behörde ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.
Das Beteiligungsverfahren gemäß § 36 BauGB dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur versagen, wenn das Vorhaben gemessen an den maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften, hier also § 34 BauGB, unzulässig ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB liegen vor, denn die Klägerin hat ihr Einvernehmen - wie oben dargelegt - rechtswidrig verweigert.
§ 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung. Dazu hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 30.11.2004 (-1 ME 190/04 - BauR 2005, 679) ausgeführt :
„Ob der Behörde bei der Ersetzungsentscheidung ein Ermessen zusteht, wird in der Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Die Befürworter einer gebundenen Entscheidung verstehen § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB als Befugnisnorm, das heißt als Ermächtigung, dass die Behörde überhaupt tätig werden kann (OVG Koblenz, Beschl. v. 23.9.1998 - 1 B 11493/98 -, BRS 60 Nr. 91; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl., Loseblattsammlung Stand: August 2003, § 36 Rdn. 14; Dippel, NVwZ 1999, 921, 924; Groß, BauR 1999, 560, 570), während die gegenläufige These, es handele sich um eine Ermessensentscheidung, insbesondere unter Rückgriff auf die Gesetzesformulierung („kann“) begründet wird (VG Frankfurt a.M., Urt. v. 14.9.2000 - 3 E 1383/00(1) -, NVwZ-RR 2001, 371; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 36 Rdn. 20; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Loseblattsammlung Stand: März 2004, § 36 Rdn. 49; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Kommentar zum BauGB, Loseblattsammlung Stand: Juli 2004, § 36 Rdn. 41).
Der Senat hat diese Frage in seiner Rechtsprechung bisher offen gelassen. Er hat allerdings der Annahme zugeneigt, dass § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB der zuständigen Behörde ein Ermessen einräumt (Beschl. v. 15.10.1999 - 1 M 3614/99 -, BRS 62 Nr. 122; Beschl. v. 12.9.2003 - 1 ME 212/03 -, a.a.O.; Beschl. v. 7.10.2004 - 1 ME 169/04 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Senat schließt sich nunmehr ausdrücklich der Auffassung an, dass § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB eine Ermessensentscheidung eröffnet. Dafür spricht zunächst der Wortlaut der genannten Vorschrift, wonach die Behörde das Einvernehmen ersetzen kann. Der Begriff „kann“ steht in Rechtsvorschriften grundsätzlich für ein Ermessen der Behörde. Die Gesetzesmaterialien sprechen ebenfalls für diese Auslegung. Der zuständigen Behörde soll danach (vgl. BT-Drs. 13/6392, S. 60) die Möglichkeit eingeräumt werden, ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen zu ersetzen. Von einer Rechtspflicht ist dort nicht die Rede. Die Begründung des Gesetzentwurfes bezieht sich ferner auf vergleichbare Ersetzungsnormen in den Bauordnungen der Länder, wobei Art. 81 BayBO 1994 ausdrücklich erwähnt wird. Die genannte Vorschrift begründete allerdings (anders als Art. 74 BayBO 1998) eine Rechtspflicht zum Tätigwerden der Behörde („zu ... ersetzen ist“). Da der Bundesgesetzgeber trotz des Vorbildes in der BayBO die Vorschrift in § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB anders formuliert hat („kann“), deutet mehr darauf hin, dass der Behörde ein Ermessensspielraum zugebilligt werden sollte. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung bestätigen dieses Auslegungsergebnis. Die Ersetzungsentscheidung hat Ähnlichkeit mit den Maßnahmen des Kommunalaufsichtsrechts. Im Vergleich zu dem bisweilen schwerfälligen und zeitaufwändigen kommunalaufsichtlichen Instrumentarium der Beanstandung und Ersatzvornahme soll § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB „die Ersatzvornahme“ erleichtern, weil die Beanstandung als selbständig anfechtbarer Verfahrensschritt entfällt (Schmaltz, a.a.O., § 36 Rdn. 18). Da die kommunalaufsichtsrechtlichen Vorschriften der Kommunalaufsichtsbehörde ein Ermessen einräumen (vgl. z.B. §§ 130 und 131 NGO), kann für die Ersetzungsentscheidung nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB wegen deren sachlichen Nähe zu den genannten Vorschriften nichts anderes gelten.“
Dieser Rechtsprechung des 1. Senats, der sich mittlerweile auch der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 19. Januar 2005 (- 9 LA 274/04 -) angeschlossen hat, folgt die Kammer.
Der Beklagte hat mit der Formulierung auf Seite 5 des Widerspruchsbescheides „Im übrigen hätte ich - so denn § 36 BauGB Ermessen einräumt - von diesem auch in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht.“ deutlich gemacht, dass er nicht von einer Ermessensentscheidung ausgeht. Gleichwohl führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, denn nach Überzeugung der Kammer war hier das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert. Angesichts der rechtswidrigen Verweigerung des Einvernehmens und des Ablaufs des Verwaltungsverfahrens gab es keinerlei Gesichtspunkte mehr, die bei einer Ermessensentscheidung zugunsten der Klägerin hätten erwogen werden müssen (vgl. VG Frankfurt, Urt. v. 14.9.2000 - 3 E 1383/00 - NVwZ-RR 2001, 371 [VG Frankfurt am Main 14.09.2000 - 3 E 1383/00 (1)], das „intendiertes Ermessen“ annimmt).
Allerdings muss die Bauaufsichtsbehörde bei der Ermessensausübung eine weitgehend verfestigte Planung der Gemeinde mit einbeziehen. Wann eine solche Planung vorliegt, ist in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg noch nicht vollständig bestimmt. Dies ist mit Sicherheit anzunehmen, wenn nur noch die Bekanntmachung der Genehmigung (nach altem Recht) erforderlich ist, nicht dagegen schon dann, wenn das Beteiligungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 1.12.2004 - 1 ME 196/04 -).
Hier wurde der Bebauungsplan bis zum 27. Oktober 2004 ausgelegt, so dass er nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (vgl. Beschluss v. 7.10.2004 - 1 ME 169/04 -) zum Zeitpunkt der Einvernehmensersetzung noch nicht „planreif“ war und vom Beklagten nicht berücksichtigt werden musste.
Auch ein Planungserfordernis ist für das Bauvorhaben nicht gegeben. Ein solches Erfordernis wäre nur anzunehmen, wenn das Vorhaben öffentliche und private Belange in einer Weise berührte, die einen - über § 34 BauGB nicht möglichen - planerischen Ausgleich erforderten (vgl. Rieger a.a.O., § 35 Rn. 104 m.w.N.). Das wäre möglicherweise bei einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO anzunehmen, hier aber ersichtlich nicht, zumal das Vorhaben dem schon vorhandenen N. -Markt entspricht.
Weitere Erwägungen zugunsten der Klägerin, die in das Ermessen hätten eingestellt werden müssen, sind von ihr weder benannt noch sonst ersichtlich. Angesichts des Anspruchs der Klägerin aus Art. 14 GG auf Erteilung des Bauvorbescheides blieb dem Beklagten keine andere Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.