Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.06.2006, Az.: 2 A 15/05
Abwägungsfehler; Abwägungsgebot; Bauleitplan; Erforderlichkeit; Flächennutzungsplan; Gemeinde; Genehmigung; Nachhaltigkeit; Nachhaltigkeitsgebot; Planrechtfertigung; privates Interesse; Splittersiedlung; städtebauliche Entwicklung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 15.06.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 15/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53190
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 BauGB
- § 1 Abs 6 BauGB
- § 1 Abs 7 BauGB
- § 6 Abs 1 BauGB
- § 6 Abs 2 BauGB
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die Festsetzungen der 27. Änderung ihres Flächennutzungsplans für eine Teilfläche im Ortsteil Neu Oerzen der Gemeinde Embsen zu genehmigen.
Der Ortsteil Neu Oerzen liegt an der B 209 zwischen Lüneburg und Drögennindorf. Der Ortsteil ist an die zentrale Schmutzwasserkanalisation angeschlossen und hat eine Bushaltestelle für den öffentlichen Personennahverkehr. Er besteht aus einer an der B 209 gelegenen Gaststätte sowie bisher 13 Wohnhäusern. Die Bebauung mit den Wohnhäusern erstreckt sich entlang der Straße „Am Timeloh“ auf deren Westseite; ferner befinden sich zwei Wohnhäuser westlich der B 209 und zwei Wohnhäuser östlich der Straße “Am Timeloh“. Die hier streitige Planung der Klägerin (Blatt 3.3., Teilfläche 2) sieht nunmehr östlich der Straße „Am Timeloh“ ein Mischgebiet vor, das eine einzeilige Bebauung mit bis zu 9 Wohnhäusern ermöglichen soll.
In seiner Sitzung am 21. März 2002 beschloss der Rat der Samtgemeinde Ilmenau die Durchführung des Verfahrens zur 27. Änderung des Flächennutzungsplans.
Der Beklagte erklärte im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 15. September 2004, die erhebliche Erweiterung des vorhandenen Siedlungssplitters im Ortsteil Neu Oerzen widerspreche dem nach § 1 Abs. 3 BauGB einzuhaltenden städtebaulichen Ordnungsgebot. Auch widerspreche diese Planung dem Nachhaltigkeitsgebot, nach dem die sozialen und ökonomischen Belange mit den ökologischen Funktionen des Raumes in Einklang zu bringen seien. Ansätze für eine Nachhaltigkeit seien nicht zu erkennen. Darüber hinaus sei noch zu bedenken, dass auf den bebauten Grundstücken durchaus Bebauungsmöglichkeiten für Familienangehörige geschaffen werden könnten. Die Fläche sei im Regionalen Raumordnungsprogramm zum Teil als Vorsorgegebiet für Landwirtschaft, zum Teil für Wald und überlagernd als Vorsorgegebiet für Erholung dargestellt. Zwar handle es sich bei den Vorsorgegebieten um solche, die im Wege der Abwägung überwunden werden könnten, dies sei hier jedoch nicht schlüssig, weil der Beeinträchtigung dieser Ziele keine gewichtige Notwendigkeit der Baulandausweisung gerade an dieser Stelle gegenüberstehe. Insgesamt stelle die Darstellung der Fläche 2 in Neu Oerzen einen Verstoß gegen die Ziele der Raumordnung und Landesplanung dar. Er bitte deshalb, auf die Darstellung dieser Flächen zu verzichten.
Mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 befasste sich der Samtgemeinderat mit den Einwendungen des Beklagten. In der Abwägung heißt es, die Einwendungen würden zur Kenntnis genommen. Die Samtgemeinde halte aus den bereits im Erläuterungsbericht genannten Gründen an der Planung fest. Dies seien im Wesentlichen die Lage an der Siedlungsentwicklungsachse an der Bundesstraße 209, ÖPNV-Anschluss, Gewährleistung der Eigenentwicklung, ausreichende Kompensation beabsichtigt und möglich, z.B. Neuaufforstung auf östlich benachbarten Ackerflächen, bessere Auslastung der vorhandenen Erschließungsanlagen.
Der geänderte Entwurf der 27. Änderung des Flächennutzungsplans wurde in der Zeit vom 30. August bis zum 13. September 2004 erneut öffentlich ausgelegt.
In der Sitzung am 14. Oktober 2004 beschloss der Rat der Samtgemeinde Ilmenau die 27. Änderung des Flächennutzungsplans nebst Erläuterungsbericht. Im Erläuterungsbericht heißt es dazu unter 3.3.3.2, Änderungsfläche 2:
„Gemischte Baufläche/Grünfläche: „In der Änderungsfläche 2 werden eine Mischbaufläche und eine Grünfläche neu dargestellt. Die Samtgemeinde möchte damit der Gemeinde Embsen auch im Ortsteil Neu Oerzen die Möglichkeit geben, einige neue Bauplätze zu schaffen. Die Schaffung von einigen neuen Bauplätzen in Neu Oerzen ist seit langer Zeit in der kommunalen Diskussion. Die nun beabsichtigte Planung soll die Abgrenzung von bebaubarer Ortslage und freier Landschaft definitiv klarstellen und endgültig festlegen.
3.3.3.2.1, Lage/Vorhandene Situation:
Die Änderungsfläche 2 liegt östlich an der Straße Am Timeloh, die Neu Oerzen von der B 209 her nach Süden hin intern erschließt. Sie besitzt eine Gesamtfläche von ca. 1,53 ha. Im wirksamen F-Plan ist die Änderungsfläche wie folgt dargestellt: Der Bereich der beiden bebauten Grundstücke im nördlichen Planungsbereich ist als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen, die übrigen Flächen als Waldfläche.
Im Norden des Plangebiets befinden sich zwei bebaute Grundstücke, wobei insbesondere das nördliche stark eingegrünt ist. Im südlichen Anschluss an die Bebauung befindet sich ein dichter, nahezu durchgehender ca. 30 m tiefer Waldstreifen (Eichen-, Birken- Kiefernwald), welcher lediglich durch einen unbefestigten Wirtschaftsweg/Wanderweg unterbrochen wird, der in ca. 40 m Entfernung südlich der vorhandenen Baugrundstücke nach Osten hin nach Embsen führt. Östlich an diesen Waldstreifen schließen sich überwiegend Ackerflächen an, nach Südosten hin dann Pferdeweiden. Im Südosten grenzt ein heute isoliert in der Feldmark gelegenes Feldgehölz unmittelbar ans Plangebiet an, in dem sich auch ein kleiner Teich befindet. Weiter nach Osten und Süden hin erstrecken sich dann Waldgebiete.
Die Straße Am Timeloh ist auf der westlichen Seite auf Höhe des Plangebiets in einer Bautiefe mit freistehenden eingeschossigen Gebäuden bebaut.“
Im Übrigen wird auf die Seiten 58 bis 62 des Erläuterungsberichts der 27. Änderung des Flächennutzungsplans Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 genehmigte die Bezirksregierung Lüneburg nach § 6 Abs. 1 BauGB die am 14. Oktober 2004 vom Rat der Samtgemeinde Ilmenau beschlossene 27. Änderung des Flächennutzungsplans bis auf die im Plan Blatt 3.3 gekennzeichnete Teilfläche 2. Zur Begründung führte sie aus, die Planung verletze das städtebauliche Ordnungsgebot. Das erforderliche Planungsziel einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung könne nicht erreicht werden. Eine Bauleitplanung, die nicht dem Nachhaltigkeitsgebot entspreche, widerspreche dem städtebaulichen Ordnungsgebot. Das Plangebiet liege weit ab von allen öffentlichen (Kindergarten, Schulen, Sportanlagen etc.) und privaten (Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsvorsorge etc.) Infrastruktureinrichtungen. Ein Angebot des ÖPNV stehe nur in eingeschränktem Maße zur Verfügung. Es könne die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung nur begrenzt erfüllen. Außerdem solle eine Waldfläche für die Bebauung in Anspruch genommen werden. Nach dem städtebaulichen Nachhaltigkeitsgebot sollten die sozialen und ökonomischen Belange mit den ökologischen Funktionen des Raumes in Einklang gebracht werden. Für die Planung spreche aus sozialen Gründen, dass die junge Generation auch im Bereich Neu Oerzen die Möglichkeit haben solle, in annehmbarer Nähe zu ihren Eltern zu wohnen. Die Größe der bebauen Grundstücke biete jedoch ausreichend Möglichkeiten im Sinne von § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB, eine weitere Wohneinheit einzurichten. Diese wichtigen sozialen Belange könnten bereits jetzt Berücksichtigung finden. Gegen die Planung sprächen wirtschaftliche Gründe. Im Erläuterungsbericht werde zwar zu Recht darauf verwiesen, dass die vorhandenen Erschließungsanlagen, insbesondere die Anlage der zentralen Abwasserbeseitigung, bei weiterer Bebauung besser ausgelastet werden können. Außer Acht gelassen würden jedoch die gesamten Folgekosten der öffentlichen und privaten Daseinsvorsorge. Mit keinem Wort erwähnt werden die erforderlichen öffentlichen Ausgaben, die sich z.B. aus der Kindergartenplatzgarantie oder dem Schülertransport ergeben. So dürfte auch das Argument „der Schülerbus fährt ohnehin“ wohl letztlich nicht ganz ernst gemeint sein, da Schülertransportkosten personenbezogen und nicht busbezogen abgerechnet würden. Mit der Planung im Siedlungsteil Neu Oerzen habe die Samtgemeinde Ilmenau eindeutig einen Grenzbereich betreten, bei dem sie sich aufgrund der Lage des Plangebiets der Kostenrelevanz des neuen Wohngebiets stellen müsse. Die Planung werde auch den ökologischen Anforderungen entsprechend dem Nachhaltigkeitsprinzip nicht gerecht. Auch wenn die Waldfläche, die in Anspruch genommen werden soll, insgesamt eher als kleinteilig anzusprechen sei, so habe sie doch einen ökologischen Wert. Insofern sei zunächst das Walderhaltungsgebot nach dem Landeswaldgesetz zu beachten. Wald solle auch nach § 1 a Abs. 2 Satz 2 nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Da die bauliche Entwicklung in Neu Oerzen nicht notwendig sei, gebe es auch keinen Grund für die Waldinanspruchnahme. Allein der Hinweis auf Ersatzmaßnahmen reiche nicht aus. Weiterhin sei hinzuweisen auf die Umweltbelastungen, die unnötigerweise durch den privaten Pkw-Verkehr dadurch entstünden, dass alle öffentlichen und privaten Infrastruktureinrichtungen in dem entfernt liegenden zentralen Ort Embsen aufgesucht werden müssten. Damit leide die Planung unter einem Abwägungsfehler, da nicht alles in die Abwägung eingestellt worden sei, was nach Lage der Dinge in die Abwägung hätte einbezogen werden müssen. Die Genehmigung habe daher nach § 6 Abs. 2 BauGB nicht erteilt werden dürfen, da die Planung nach den Vorschriften des BauGB und sonstigen Rechtsvorschriften (LWaldG) nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sei.
Am 24. Januar 2005 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, in der streitigen Änderungsfläche 2 würden eine Mischbaufläche und eine Grünfläche dargestellt. Mit der Mischbaufläche solle für den Ortsteil eine gewisse Entwicklungs- und Nutzungsperspektive in enger Anlehnung an die vorhandenen Strukturen und in Ergänzung zum Baubestand auf der gegenüberliegenden Straßenseite ermöglicht werden. Die Mischbaufläche betrage etwa 0,729 ha. Es seien neun Bauplätze möglich, von denen etwa fünf der Wohnnutzung dienen sollten. Das bedeute einen Bevölkerungszuwachs von etwa dreizehn Einwohnern. Der Ortsteil Neu Oerzen liege an einer Siedlungsentwicklungsachse. Es bestehe eine ÖPNV-Verbindung. Die B 209, an die die Siedlung angrenze, sei als Hauptverkehrsachse von überregionaler Bedeutung ausgewiesen. Die Erschließung der Bauflächen sei bereits gesichert. Durch die vorgesehene Bebauung könnten die Erschließungsanlagen besser ausgelastet werden, was sich kostenmäßig günstig auswirke. Der in der Verfügung vom 6. Dezember 2004 behauptete Abwägungsfehler liege nicht vor. Vielmehr habe sie - die Klägerin - entgegen der Auffassung der Bezirksregierung Lüneburg alles in die Abwägung eingestellt, was nach Lage der Dinge in die Abwägung hätte eingestellt werden müssen. Sie habe auch die Bedeutung der betroffenen Belange nicht verkannt und den Ausgleich zwischen den durch die Planung berührten Belangen nicht in einer Weise vorgenommen, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis stehe. Der im Bescheid der Bezirksregierung Lüneburg wiedergegebene Gedankengang mache deutlich, dass die Bezirksregierung Lüneburg ihre - der Klägerin - Planung für einen Grenzfall halte, so dass die Bezirksregierung Lüneburg selbst eine Abwägung vorgenommen habe und ihr - der Klägerin - ein Abwägungsergebnis vorschreiben wolle, obwohl dieses rechtlich nicht zwingend sei. Sie habe sich sehr wohl der Kostenrelevanz des neuen Wohngebiets gestellt. Sie habe sowohl den Gesichtspunkt der vorhandenen Erschließung der Siedlung als auch die Versorgung der Bevölkerung mit Kindergärten, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten etc. in ihre planerische Entscheidung eingestellt. In Bezug auf die Folgekosten der öffentlichen und privaten Daseinsvorsorge sei sie davon ausgegangen, dass angesichts der geringen Entfernung zu den entsprechenden Einrichtungen in Embsen keine zusätzlichen öffentlichen Einrichtungen erforderlich seien und sich diese auch nicht etwa aus der Kindergartenplatzgarantie herleiten ließen. Diese Erwägungen seien zutreffend. Es seien alle öffentlichen Infrastruktureinrichtungen gefahrlos über einen Wirtschaftsweg zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Pkw zu erreichen, wobei die Schulkinder die B 209 nicht überqueren müssten. Außerdem sei die Siedlung an den ÖPNV angeschlossen. Die Versorgungseinrichtungen seien je nach ihrer Lage ca. 1 bis allenfalls 2,5 km entfernt. Derartige Entfernungen müssten zum Teil auch die Anwohner von den Ortsrändern des Ortsteils Embsen zurücklegen, um zu bestimmten Versorgungseinrichtungen zu gelangen. Die Schülertransportkosten fielen bei nur fünf neuen Wohneinheiten im Verhältnis zur Verbesserung der Rentabilität der Erschließungsanlage nicht entscheidungserheblich ins Gewicht. Ihre Planungsziele könnten auch nicht im Rahmen des § 35 Abs. 4 BauGB realisiert werden. Auf den von der B 209 aus gesehenen vorderen sechs Grundstücken der Straße „Am Timeloh“ sei eine weitere Bebauung unzumutbar, da die Häuser dann zu dicht an der verkehrsreichen B 209 liegen würden. Außerdem seien mehrere Grundstücke im hinteren Bereich bereits bebaut, so dass eine weitere Bebauung ausgeschlossen sei. Ferner könnten bei einer weiteren Bebauung im hinteren Bereich der bereits bebauten Grundstücke nicht die geplante organische Struktur der Siedlung entwickelt und die vorgesehenen Nutzungsmöglichkeiten realisiert werden. Die forstwirtschaftliche Bedeutung der von der Planung betroffenen Waldfläche sei vergleichsweise gering. Das Niedersächsische Forstamt Carrenzien habe in seiner Stellungnahme vom 7. September 2001 deshalb auch keine Einwendungen erhoben. Im Übrigen sei eine Ersatzaufforstung im doppelten Umfang vorgesehen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 6. Dezember 2004 zu verpflichten, die 27. Änderung des Flächennutzungsplans auch für die auf Blatt 3.3 gekennzeichnete Teilfläche 2 im Ortsteil Neu Oerzen zu genehmigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt ergänzend vor, die streitige Änderung des Flächennutzungsplans der Klägerin widerspreche auch den Zielen der Raumordnung und Landesplanung und dürfe deshalb nicht genehmigt werden. Die Planung stehe nicht im Einklang mit dem Ziel des RROP D 1.503, wonach die erforderlichen Bauflächen unter dem Gesichtspunkt einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und eines schonenden Umgangs mit Natur und Landschaft innerhalb der Gemeinden räumlich zusammengefasst werden sollten. Auch das Ziel, wonach nicht zentrale Orte und solche ohne ergänzende Funktion in ihrer Entwicklung auf den Eigenbedarf beschränkt werden sollten, stünde im Widerspruch zu der im Streit stehenden Bauleitplanung der Klägerin. Ferner sehe das Regionale Raumordnungsprogramm vor, dass Wald sowie sämtliche Waldränder einschließlich einer Übergangszone grundsätzlich von Bebauung freizuhalten seien. Bei der Siedlung Neu Oerzen handele es sich um eine sog. Splittersiedlung. Bei dem Wirtschaftsweg nach Embsen handele es sich in großen Teilen um einen völlig unbefestigten, mit zahlreichen Schlaglöchern und Unebenheiten versehenen Weg, der lediglich zu Fuß nutzbar sei. Die Ausschilderung dieses Weges als Radwanderweg der Klägerin sei in diesem Zusammenhang ohne Relevanz. Die Infrastruktureinrichtungen könnten nur über die B 209/K 10 erreicht werden. Die Entfernung betrage dann aber etwa 3 km. Schulkinder müssten die B 209 überqueren, um auf den straßenbegleitenden Radweg auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Eine solche Versorgung könne damit nicht mehr als wohnortnah bezeichnet werden. Auch sei die Siedlung lediglich durch einen befestigten Wirtschaftsweg ohne Wendemöglichkeit erschlossen. Im Übrigen werde auf die Erwägungen der Bezirksregierung Lüneburg Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten sowie auf den von der Klägerin vorgelegten Erläuterungsbericht zur Änderung des Flächennutzungsplans Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Genehmigung der 27. Änderung des Flächennutzungsplanes betreffend die Teilfläche 2 in Neu Oerzen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 6 Abs. 1 iVm Abs. 2 BauGB bedarf der Flächennutzungsplan der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde, die nur versagt werden darf, wenn der Flächennutzungsplan nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist oder er dem Baugesetzbuch, den aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen oder sonstigen Rechtsvorschriften widerspricht. Zu den damit zu beachtenden Rechtsgrundsätzen gehören namentlich das Gebot der Planrechtfertigung (§ 1 Abs. 3 BauGB) sowie das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 6 iVm Abs. 5 BauGB).
1. Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
Was im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der jeweiligen planerischen Konzeption der Gemeinde (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.05.1971 - BVerwG 4 C 76.68 -, Buchholz 406.11 [BBauG] § 2 Nr. 7). Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen; der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (BVerwG, Beschl. v. 14.08.1995 - BVerwG 4 NB 21.95 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 1 Nr. 86). Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sind nur solche Bauleitpläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des BauGB nicht bestimmt sind; davon ist auszugehen, wenn eine planerische Festsetzung lediglich dazu dient, private Interessen zu befriedigen, oder eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken (BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999 - BVerwG 4 BN 15.99 -, NVwZ 1999, 1338 , m. w. Nachw.). Ob eine Planung erforderlich ist, hängt nicht von dem Gewicht der für oder gegen sie sprechenden privaten Interessen ab; als zur Rechtfertigung geeignete städtebauliche Gründe kommen allein öffentliche Belange in Betracht; ist die Planung nicht an bodenrechtlich relevanten Ordnungskriterien ausgerichtet, so scheitert sie bereits auf dieser Stufe (BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999, a. a. O.). Andererseits darf die Gemeinde hinreichend gewichtige private Belange zum Anlass einer Bauleitplanung nehmen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie auch städtebauliche Belange und Zielsetzungen verfolgt, weil nur dadurch die Planung gestützt werden kann (vgl. VGH BW, Urt. v. 05.06.1996 - 8 S 487.96 -, ZfBR 1997, 54 ). Ein Zusammenwirken zwischen Gemeinde und privaten Interessen bei der Einleitung und Aufstellung von Bebauungsplänen widerspricht daher nicht von vorn herein § 1 Abs. 3 BauGB ; dies gilt insbesondere mit Blick auf die Vorschriften des § 12 BauGB über den Vorhaben- und Erschließungsplan, der gerade auf ein enges Zusammenwirken und eine Planvorlage des Investors gerichtet ist (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 RdNr. 34). Die Gemeinde darf daher hinreichend gewichtige private Belange zum Anlass für eine Bauleitplanung nehmen ( VGH BW, Beschl. v. 08.07.1993 - 8 S 773.93 -, ZfBR 1994, 252 ). Sie ist insbesondere befugt, einen Bebauungsplan um Festsetzungen zu ergänzen, wenn sie feststellt, dass die bisher getroffenen Festsetzungen nicht ausreichen, um die von ihr im Rahmen des § 1 Abs. 3 BauGB verfolgten Vorstellungen für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung durchzusetzen (BVerwG, Beschl. v. 28.12.2000 - BVerwG 4 BN 37.00 -, BauR 2001, 1060 ). Erforderlich ist eine bauleitplanerische Regelung nicht nur dann, wenn sie dazu dient, Entwicklungen, die bereits im Gange sind, in geordnete Bahnen zu lenken, sondern auch dann, wenn die Gemeinde die planerischen Voraussetzungen schafft, um einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich erst für die Zukunft abzeichnet (BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999, a. a. O.; NdsOVG Beschl. v. 18.07.2003 - 1 MN 120/03 -, BauR 2003, 1442 ; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17.3.2005 - 2 K 122/02 - in juris) .
Nach diesen Grundsätzen besteht für die Planung der Klägerin eine hinreichende Planrechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in Oerzen durch den Bebauungsplan Nr. 12 „Im Grasacker“ zusätzliche erhebliche Wohnbauflächen mit etwa 20 Bauplätzen ausgewiesen hat, die zum großen Teil noch ungenutzt sind. Daneben hat die Klägerin auch in Embsen mit den Änderungsflächen Nr. 2 O. (11,83 ha), Nr. 3 P. (2,188 ha) und Nr. 9 Pa. (5,936 ha) in großem Umfang neue Wohnbauflächen ausgewiesen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Neu Oerzen bisher nur einen Bestand von 13 Wohnhäusern hat, für deren Entwicklungsperspektive nun 9 weitere Bauplätze ausgewiesen werden sollen. Gleichwohl dient die Planung der Klägerin einer von ihr erwarteten künftigen gegenwärtigen Bedarfslage, da das Wohnen mehrerer Generationen in Neu Oerzen ermöglicht werden soll und damit verbundene gegenseitige Leistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege von den Ortschaften Oerzen oder Embsen aus nicht in gleicher Weise erbracht werden können. Die Deckung dieses Bedarfs dient sowohl privaten Belangen der örtlichen Grundeigentümer als auch öffentlichen Belangen im Hinblick auf die Erhaltung bestimmter familiärer Strukturen und sozialer Bindungen. Dass eine städtebauliche Zielsetzung nur vorgeschoben ist, vermag die Kammer nicht festzustellen.
2. Die Planung der Klägerin ist jedoch abwägungsfehlerhaft im Sinne von § 1 Abs. 6 iVm Abs. 7 BauGB.
Danach sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Abwägungsgebot verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach der Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den durch die Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969, - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301, 308; sowie W. Schrödter, in Schrödter, aaO, Rdnr. 187 ff).
Hier liegt ein Fehler im Abwägungsergebnis vor.
Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.
Eine Planung muss nicht deshalb unterbleiben, weil sie für einzelne öffentliche oder private Belange nachteilige Folgen mit sich bringt. Die rechtliche Verpflichtung, die § 1 Abs. 7 BauGB begründet, erschöpft sich darin, die Belange, die sich für und gegen das Planvorhaben ins Feld führen zu lassen, zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belangen muss jedoch in einer Weise vorgenommen werden, die zu ihrer objektiven Gewichtigkeit in einem angemessenen Verhältnis steht (vgl. Rieger in Schrödter, a.a.O., § 1 Rn. 203).
Diesen Grundsätzen genügt die Planung der Klägerin nicht.
Vielmehr stehen der hier streitigen Erweiterung der bebaubaren Flächen in Neu Oerzen ganz überwiegende öffentliche Belange entgegen, die durch die von der Klägerin erwogenen Gründe für ihre Planung nicht aufgewogen werden.
a) In ihrem Ablehnungsbescheid vom 6. Dezember 2004 hat die Bezirksregierung Lüneburg zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin das Gebot der Gewährleistung einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung (§ 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB) verletzt habe. Nachhaltige Stadtentwicklung in diesem Sinne bedeutet insbesondere, dass ein weiterer Verbrauch von Grund und Boden vermieden wird, die Bauleitplanung dem vorsorgenden Umweltschutz und einer sozialverträglichen Wohnungsversorgung dient und städtebauliche Instrumente zur Wirtschaftsförderung und Verkehrsvermeidung entwickelt werden (W. Schrödter, a.a.O., § 1 Rn. 91). Eine einseitige, widerstreitende Belange von vorneherein außer Betracht lassende Bauleitplanung entspräche dem Absatz 5 Satz 1 ebenso wenig wie eine Bauleitplanung, die ihre Bedeutung für die zukünftige Entwicklung verkennt (so Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Komm. zum BauGB, Stand Januar 2006, § 1 Rn. 103).
Durch die Ausweitung der Bebauung in Neu Oerzen werden erhebliche Folgekosten für die öffentliche Daseinsvorsorge verursacht und darüber hinaus durch den zusätzlichen privaten Verkehr, der bei einer derartigen Siedlung unausweichlich ist, weitere Umweltbelastungen entstehen, die von der Klägerin bei der Abwägung nicht ausreichend gewichtet worden sind.
Die Folgewirkungen der Erweiterung einer derartig abgeschiedenen Siedlung gehen über zusätzliche Kosten für den Schülertransport weit hinaus und können nicht durch eine bessere Auslastung der vorhandenen Erschließungsanlagen (Kanalisation) ausgeglichen werden. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass die Einwohner von Neu Oerzen für alle täglichen Anlässe wie Arzt- , Kindergarten- und Schulbesuche , Einkäufe etc. ständig auf eigene PKW’s zurückgreifen müssen, da die „Siedlung“ über keinerlei derartige Einrichtungen verfügt und die Einrichtungen der Gemeinde Embsen zu weit entfernt sind, um sie auf andere Weise zu erreichen. Der von der Klägerin beschriebene Feldweg nach Embsen mag als Schulweg für ältere Schüler in Frage kommen, auch wenn er unbeleuchtet und nicht asphaltiert ist. Er kann die Verbindung nach Embsen aber schon deshalb nicht dauerhaft sichern, weil er weder vollständig im Eigentum der Klägerin oder einer ihrer Gemeinden steht noch als öffentlicher Weg gewidmet ist. Die Planung der Klägerin sieht derartiges auch nicht vor. Im Übrigen mag es jüngeren Anwohner in Neu Oerzen durchaus problemlos möglich sein, per Fahrrad auf diesem Wege nach Embsen zu gelangen, das über Schulen und Einkaufsmöglichkeiten verfügt; nach dem die Planung rechtfertigenden Modell, dass mehrere Generationen zusammen in Neu Oerzen leben können, muss aber auch in besonderer Weise den Bedürfnissen der älteren Mitbürger Rechnung getragen werden, die nicht mehr in gleicher Weise mobil sind.
Die Ausweisung von Flächen für Wohnbebauung an derart abgeschiedener Stelle ist mit dem Nachhaltigkeitsgebot nicht in Einklang zu bringen.
b) Daneben stellt die „Siedlung“ Neu Oerzen auch eine städtebaulich unerwünschte Splittersiedlung dar, deren Bestand nicht noch durch weitere Bauplätze erweitert werden kann.
Die siedlungsstrukturellen Merkmale eines Bebauungskomplexes sind in erster Linie danach zu bewerten, ob sie eine angemessene Fortentwicklung der bereits vorhandenen Bebauung rechtfertigen. Das Wesen der Splittersiedlung ergibt sich aus der Entgegensetzung zum Ortsteil i.S. des § 34 BauGB. Unter einem Ortsteil ist ein Bebauungskomplex zu verstehen, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Auch Splittersiedlungen können einen Bebauungszusammenhang bilden; was ihnen aber fehlt, ist das für die Annahme eines Ortsteils erforderliche Gewicht oder die dafür ebenfalls erforderliche organische Siedlungsstruktur (vgl. Rieger, a.a.O., § 35 Rn. 98).
Die in Neu Oerzen vorhandene Bebauung ist in keiner Weise geordnet; sie befindet sich auf beiden Seite der die Siedlung mit starker Verkehrsbelastung zerschneidenden B 209 sowie beidseitig gestreut an der Straße „Am Timeloh“. Insoweit wird auf die Darstellung der vorhandenen Bebauung in der Planzeichnung der Klägerin Bezug genommen. Da sie zudem mehrere Kilometer von den anderen Siedlungsbereichen der Klägerin entfernt liegt und keinerlei Infrastruktur aufweist, ist eine organische Siedlungsstruktur nicht gegeben. Die Bebauung wirkt eher zufällig. Ob die Zahl der Bauten schon das für einen Ortsteil erforderliche Gewicht aufweist, mag hier dahingestellt bleiben.
c). Daneben werden - wie von der Bezirksregierung in ihrem angefochtenen Bescheid dargestellt - zahlreiche weitere öffentliche Belange beeinträchtigt, wie sie in den Vorgaben des Regionalen Raumordnungsprogrammes des Beklagten ihren Niederschlag gefunden haben. Dazu zählen das Gebot, vorhandenen Wald ebenso wie Natur und Landschaft zu schonen und die Ausweitung nicht zentraler Orte auf den Eigenbedarf zu beschränken. Zudem steht die Schaffung einer Wohnbaufläche in Neu Oerzen auch in Widerspruch zu dem sinnvollen Ziel des eigenen städtebaulichen Entwicklungskonzepts der Klägerin, wohnungsnahe Arbeitsplätze zu erhalten und auszubauen und die Siedlungsentwicklung in Bereichen vorzunehmen, in denen die Natur und das Orts- und Landschaftsbild möglichst wenig beeinträchtigt werden (vgl. S.6 des Erläuterungsberichts).
Demgegenüber kommt den von der Klägerin zur Begründung ihrer Planung herangezogenen Belangen bei objektiver Bewertung deutlich geringeres Gewicht zu.
Die Erweiterung der Siedlung Neu Oerzen führt zu keiner erkennbaren Verbesserung ihrer Infrastruktur; die Möglichkeit der Ansiedlung von Familienangehörigen in der selben Siedlung mag zwar grundsätzlich vorteilhaft sein, aber dieser Gesichtspunkt ist in dieser allgemeinen Form bei jeder Splittersiedlung anwendbar und hat daher keine überragende Bedeutung. Konkret vermochte die Klägerin nicht zu benennen, bei welchen Familien tatsächlich eine Notwendigkeit der Ansiedlung in Neu Oerzen besteht und nicht etwa auf die vorhandenen Bauplätze in Oerzen ausgewichen werden kann. Vielmehr hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst dargelegt, dass sie durchaus auch die Ansiedlung bisher Ortsfremder in Neu Oerzen wünscht und von einem allgemein wachsenden Bedarf an Bauplätzen ausgeht. Dieser Gesichtspunkt vermag aber die Ausdehnung gerade der Splittersiedlung Neu Oerzen nicht zu rechtfertigen. Auch die erwünschte bessere Ausnutzung der Abwasseranlage hat kein erhebliches Gewicht; Einzelheiten zu der Kalkulation der Abwassergebühren und den bisherigen Kosten hat die Beklagte im Übrigen auch nicht mitgeteilt.