Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.05.2021, Az.: 1 U 256/20

Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein vermeintlich vom Dieselskandal betroffenes Fahrzeug; Fahrzeugerwerb im April 2018; Zulässigkeit eines Thermofensters; Begriff der Sittenwidrigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.05.2021
Aktenzeichen
1 U 256/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 48937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 24.09.2020 - AZ: 2 O 1146/19

In dem Rechtsstreit
AA, Ort1,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
gegen
BB AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden CC, Ort2,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
(...),
Geschäftszeichen: (...)
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (...), den Richter am Oberlandesgericht (...) und die Richterin am Oberlandesgericht (...) auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2021 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 24.9.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

[Entscheidungsgründe]

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal.

Der Kläger erwarb am 19.4.2018 bei der DD GmbH ein von der Beklagten hergestelltes Gebrauchtfahrzeug Pkw1 Euro 6, Erstzulassung 02/2015, mit einer Kilometerleistung von 44.300 km zu einem Kaufpreis von 35.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor V6-Turbodiesel (160 kW) des Motortyps Typ1 mit dem Motorkennbuchstaben (...) ausgestattet. Der aktuelle Kilometerstand des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren 93.914 km.

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Thermofenster verbaut, das die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur steuert. Das Fahrzeug verfügt darüber hinaus über einen SCR-Katalysator, der bei einer Restreichweite von 2.400 km unter bestimmten Bedingungen den Wirkungsgrad der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator herabsetzt. Für das Erlangen der Emissionsklasse EU6 bzw. die Einhaltung von Grenzwerten ist diese Wirkungsgradkorrektur nicht relevant.

Das Kraftfahrtbundesamt ordnete für den streitgegenständlichen Motortyp gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV nachträgliche Nebenbestimmungen an und gab der Beklagten auf, alle unzulässige Abschalteinrichtungen aus dem Emissionskontrollsystem zu entfernen und die Motorsteuerungssoftware bereits zugelassener Fahrzeuge umzurüsten. Konkret beanstandet wurde die Rücknahme der Reagenseindüsung in den SCR-Katalysator ab einer Restreichweite von 2.400 km. Hierbei handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO (EG) Nr. 715/2007. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid des KBA betreffend (...) Euro 6 (Motorkennbuchstabe (...)) (Anlage K 3a, Anlagenband) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich folgende unzulässige Abschalteinrichtungen behauptet, die in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut seien:

1. Schnelle Motoraufwärmfunktion

Das Fahrzeug verfüge über eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion, die nahezu nur im Prüfzyklus anspringe. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. Es werde die Umgebungstemperatur ausgewertet und dementsprechend das Emissionskontrollsystem betrieben oder abgeschaltet. So erkenne die Software, wenn sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand befinde und aktiviere infolgedessen die Aufheizstrategie, die den Ausstoß von Schadstoffen reduziere. Die Software bezwecke damit in erster Linie, die Abgaswerte auf dem Prüfstand im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben der Abgasnorm möglichst niedrig zu halten. Im normalen Fahrbetrieb schalte sie diesen Modus ab, wodurch es zu einem höheren Stickoxidausstoß komme.

2. SCR-Katalysator

Der verbaute SCR-Katalysator schränke die Nutzung von AdBlue unzulässig ein. Der Regenerationsprozess finde im Fahrbetrieb nur teilweise oder gar nicht statt. Die Folge sei, dass Stickoxide wegen des belegten Katalysators nicht mehr gebunden werden könnten und als Teil der Abgase nach außen gelangen.

3. Thermofenster

Das verbaute Thermofenster führe zu einer Reduktion der Abgasrückführung bei Außentemperaturen von unter 17 Grad und über 30 Grad.

4. Weitere Abschalteinrichtungen

Das Kraftfahrtbundesamt habe darüber hinaus weitere fragwürdige Abschalteinrichtungen festgestellt, zu deren Entfernung sich die Beklagte freiwillig bereiterklärt habe.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 35.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 19. April 2018 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke BB vom Typ Pkw1 mit der FIN (...) nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, KFZ-Schein, KFZ-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes von 2.951,93 €.

Hilfsweise:

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in das Fahrzeug der Marke BB vom Typ Pkw1 mit der FIN (...) und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren.

Weiter:

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klaganträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

4. festzustellen, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrührt.

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge lediglich über zwei Einrichtungen zur Reduktion von Stickoxiden, nämlich die Abgasrückführung und den SCR-Katalysator, nicht aber über einen Warmlaufmodus.

1. SCR-Katalysator

Der SCR-Katalysator verfüge über keinen Warmlaufmodus, der zwischen Rollenprüfstand und Straßenbetrieb unterscheide.

Die Beklagte hat erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen, dass es nur in seltenen Fällen und auch dann nur zu einer geringfügigen Herabsetzung des Wirkungsgrads der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator kommen könne, wenn die Restmenge AdBlue im Tank nur noch für eine verbleibende Fahrstrecke von 2.400 km ausreiche und der Fahrer das Fahrzeug über eine längere Zeit hochlastig und dynamisch bewegt. Dieser Ausnahmefall komme im normalen Fahrbetrieb praktisch kaum vor und betrage dann lediglich 2 %. Das Verhalten des Abgasnachbehandlungssystems des Fahrzeugs auf der Straße und auf dem Rollenprüfstand sei identisch. Durch das Software-Update werde die beschriebene Funktion deaktiviert, anderweitige Eingriffe in die Motorsteuerungssoftware erfolgten nicht. Auf dem Prüfstand komme es nicht zu einer Erhöhung der AdBlue Einspritzung gegenüber den Fahrsituationen im Realbetrieb.

2. Thermofenster

Das verbaute Thermofenster sorge für eine signifikante Reduktion der Abgasrückführung erst bei einer Temperatur von 5 Grad Celsius und weniger. Dies sei zum Schutz der Bauteile des Abgasrückführungssystems notwendig.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltreinrichtung sowie eines diesbezüglichen sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Mit der Berufungsbegründung rügt der Kläger die sog. verwendete "Strategie E" und bezieht sich insoweit auf den in dem Fahrzeug verbauten SCR-Katalysator, bei dem - unstreitig - ab einer Restreichweite von 2.400 km die einzudüsende Reagensmenge in den SCR-Katalysator begrenzt wird. Er behauptet hierzu, dass neben einer verbrauchsabhängigen Reagensumschaltung ab einer Restreichweite von 2.400 km gleichzeitig eine Wirkungsgradkorrektur des SCR-Systems auf 50 bis hin zu 20 Prozent vorgenommen werde. Diese Korrektur entspreche einer gezielten Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems.

Der Kläger hat im Termin klargestellt, dass er drei unzulässige Abschalteinrichtungen rüge, nämlich die schnelle Motoraufwärmfunktion, die unzulässige AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator sowie das Thermofenster.

Der Kläger hat zunächst schriftsätzlich angekündigt zu beantragen, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.741,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke BB vom Typ Pkw1 mit der FIN (...) nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, KFZ-Schein, KFZ-Brief und Serviceheft.

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in das Fahrzeug der Marke BB vom Typ Pkw1 mit der FIN (...) und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren.

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klaganträgen genannten Zug um Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

4. festzustellen, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

Der Kläger hat im Termin die angekündigten Anträge mit der Maßgabe gestellt, dass unter Ziff. 1. statt 30.741,55 € nunmehr 30.118,11 € begehrt werden. Hinsichtlich der Differenz hat der Kläger den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt.

Die Beklagte hat der teilweisen Erledigungserklärung widersprochen und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie rügt die Zulässigkeit der Berufung und tritt dem geltend gemachten Anspruch auch in der Sache weiterhin entgegen. Der hier streitgegenständliche Motortyp mit dem Kennbuchstaben (...) sei - anders als andere Motortypen der Typbezeichnung Typ1 - nicht von der sog. schnellen Motoraufwärmfunktion betroffen. Die Restreichweitenfunktion des SCR-Katalysators sei nicht prüfstandsbezogen und führe nur bei hochlastiger und dynamischer Bewegung des Fahrzeugs über eine längere Zeit zu einer geringfügigen Wirkungsgradkorrektur der AdBlue-Einspritzung.

II.

1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und genügt - noch - den an eine Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen.

Gem. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. zum EE-Abgasskandal BGH, Beschluss vom 27.10.2020 - VI ZB 6/20 -, juris, vorangehend OLG Oldenburg, Urteil vom 16.12.2019 - 5 U 194/19 - beck-online). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19 aaO Rn. 6 mwN).

Die Berufungsbegründung der Klägervertreter vom 26.1.2021 (Bl. 100 ff. Bd. II) wird diesen Anforderungen gerade noch gerecht. Aus ihr geht hervor, dass es sich um einen V6- Motor handelt und sich der Kläger gegen die Abweisung der Klage wegen fehlender Substantiierung der gerügten Abschalteinrichtungen bzw. wegen eines fehlenden sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten wendet. Zwar besteht die Berufungsbegründung ganz überwiegend aus Textbausteinen, die sich aus abstrakten Rechtsausführungen und Urteilszitaten zusammensetzen. Auch setzt sich diese mit den gerügten Abschalteinrichtungen nicht im Einzelnen auseinander, sondern bringt hierzu neuen Sachvortrag (S. 23 der Berufungsbegründung, Bl. 122 Bd. III), ohne diesen in hinreichenden Bezug zum bisherigen Vorbringen des Klägers zu setzen. Der Senat sieht diese Ausführungen nur vor dem Hintergrund, dass sich auch das erstinstanzliche Urteil zur mangelnden Substantiierung nur recht pauschal äußert und auf die klägerseits vorgetragenen Abschalteinrichtungen nicht im Einzelnen eingeht, noch als ausreichend an.

2. Die Berufung ist nicht begründet.

a. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 826, 31 BGB zu.

aa. Thermofenster

Der Kläger hat ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten hinsichtlich des in dem Fahrzeug unstreitig verbauten Thermofensters nicht dargelegt.

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 9.3.2021 - VI ZR 889/20 - ZVertriebsR 2021, 184 Rn. 12; Beschluss vom 19.1.2021 - VI ZR 433/19 - SVR 2021, 100; Urteil vom 30.7.2020 - VI ZR 5/20, BeckRS 2020, 19146 Rn. 29; vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555 Rn. 15; vom 7.5.2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN). Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung nach dem Vortrag des Klägers durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems über 30 und unter 17 Grad Celsius sukzessive reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren wäre (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Denn ein darin liegender Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen.

Die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc. vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG iVm Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18.7.2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28.7.2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27.12.2006, S. 246 ff.)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.

Bei dieser Sachlage wäre ein verwerfliches Verhalten der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann gegeben, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.

Es bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte, dass der Einsatz des Thermofensters von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und sie diesen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hat. Im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs kann von einer klaren und eindeutigen Rechtslage nicht ausgegangen werden (vgl. etwa OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, 12 U 471/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19; OLG Köln, Beschluss vom 4.07.2019, 3 U 148/18). Vielmehr kommt hier eine zwar möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten ernsthaft in Betracht. Die europarechtliche Gesetzeslage war an dieser Stelle - zumindest bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 - nicht unzweifelhaft und nicht eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) 715/2007. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission "EE" liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) Nr. 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission EE, Stand April 2016, S. 123): "Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmungen, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der Europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein". Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das "Thermofenster" als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass in der Vergangenheit keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben war, gegen die die Beklagte bewusst verstoßen hätte. Die Regelung in Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 i.V.m. der "Durchführungsverordnung" VO (EG) Nr. 692/2008, dort insbesondere Art. 3 Nr. 1, 5, 6 und 9, kann auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Fahrzeug nach Art. 5 Abs. 1 VO(EG) Nr. 715/2007 "unter normalen Betriebsbedingungen" den Vorgaben der VO und ihrer Durchführungsmaßnahmen entsprechen muss (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 08. Januar 2019, VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 10), nicht als derart eindeutig angesehen werden, dass die Verwendung eines Abgasrückführungssystems unter Einsatz eines sog. Thermofensters bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs offensichtlich den europarechtlichen Vorgaben widersprach.

Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, war daher zum maßgeblichen Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens für das hier in Rede stehende Fahrzeug, aber auch noch zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden.

Der Kläger hat hinsichtlich des verwendeten Thermofensters keine weiteren Umstände benannt, die indiziell für ein besonders verwerfliches und daher sittenwidriges Verhalten der Beklagten sprechen.

bb. SCR-Katalysator

Nach dem vorgenannten Maßstab vermag auch die im Grundsatz unstreitig gegebene Funktion des SCR-Katalysators, die den Wirkungsgrad der Ad-Blue-Einspritzung ab einer zu erwartenden Restreichweite von 2.400 km begrenzt, den Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht zu begründen.

Zwar ist wegen dieser Funktion unstreitig ein Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgt, doch reicht auch hier der - unterstellte - Gesetzesverstoß gegen Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 für sich genommen nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Ebenso wenig wie das Thermofenster führt die hier beanstandete Restreichweitenregulierung dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird. Vielmehr arbeitet der SCR-Katalysator in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Mangels Prüfstandsbezogenheit der Abschalteinrichtung bedürfte es demnach ebenfalls weiterer Umstände, um den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen.

Der Kläger hat solche Umstände nicht dargetan. Gegen ein diesbezügliches sittenwidriges Vorgehen der Beklagten spricht maßgeblich der Umstand, dass die von Seiten des KBA beanstandete Wirkungsgradkorrektur für das Erlangen der Emissionsklasse Eu6plus bzw. die Einhaltung von Grenzwerten nicht relevant ist. Ein planvolles, auf Täuschung der Zulassungsbehörden bzw. Verbraucher angelegtes Verhalten der Beklagten kann vor diesem Hintergrund nicht angenommen werden. Der Kläger ist dem entsprechenden Vortrag der Beklagten nicht hinreichend entgegengetreten. Soweit er erstmals mit Schriftsatz vom 6.4.2021 (Bl. 67 III) ausführt, eine Erteilung der Genehmigungen und damit letztlich eine Veräußerung der Fahrzeuge habe nur mithilfe der Manipulationen erzielt werden können, wird bereits nicht deutlich, ob damit die Relevanz der Wirkungsgradkorrektur für das Erlangen der Emissionsklasse Eu6plus bzw. die Einhaltung von Grenzwerten überhaupt in Frage gestellt werden soll. Es handelt sich daher bereits um kein wirksames Bestreiten. Im Übrigen wäre, selbst wenn man den Vortrag als erheblich ansehen wollte, dieser im Berufungsverfahren gem. § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Denn es handelt sich weder um einen vom Gericht des ersten Rechtszugs übersehenen oder für unbeachtlich gehaltenen Gesichtspunkt noch wurde der Kläger durch einen Verfahrensmangel im ersten Rechtszug von der Geltendmachung dieses Einwandes abgehalten. Dass der Kläger den Vortrag erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bringt, beruht erkennbar auf Nachlässigkeit des Klägers und ist von diesem nicht entschuldigt worden.

Soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren behauptet, dass neben einer verbrauchsabhängigen Reagensumschaltung ab einer Restreichweite von 2.400 km gleichzeitig eine Wirkungsgradkorrektur des SCR-Systems auf 50 bis hin zu 20 Prozent vorgenommen werde und diese Korrektur einer gezielten Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems gleichkomme, handelt es sich ebenfalls um neuen streitigen Vortrag, der gem. § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren nicht zuzulassen ist. Denn die Beklagte hatte im 1. Rechtszug unwidersprochen vorgetragen, dass lediglich in seltenen Fällen und auch dann nur eine geringe Wirkungsgradkorrektur von 2 % eintrete, und hat an diesem Vortrag auch im Berufungsverfahren festgehalten. Es handelt sich auch bei diesem neuen Tatsachenvortrag des Klägers im Berufungsverfahren nicht um einen Gesichtspunkt, der vom Landgericht übersehen oder für unerheblich gehalten worden wäre, oder infolge eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels dort nicht geltend gemacht wurde. Da eine Wirkungsgradkorrektur von nur 2 % in erster Instanz unstreitig war, war ein richterlicher Hinweis hierzu nicht veranlasst. Wenn der Kläger erst im Berufungsverfahren eine höhere Wirkungsgradkorrektur behauptet, so beruht dies offenkundig auf einer Nachlässigkeit des Klägers, der sein spätes Vorbringen in keiner Weise entschuldigt hat.

Demnach stellt die Wirkungsgradkorrektur im Ergebnis eine nach den Feststellungen des KBA zwar unzulässige Funktion dar, doch vermag diese aufgrund ihres äußerst begrenzten Wirkungsgrades von maximal 2 % in besonderen Fahrsituationen und bei einer Restreichweite von 2.400 km einen Schädigungsvorsatz der Beklagten und ein darauf basierendes Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, nicht zu begründen.

cc. Motoraufwärmfunktion

Soweit der Kläger behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion, die "nahezu" nur im Prüfzyklus anspringe, ist der Vortrag nicht schlüssig.

Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH VersR 2019, 835, Rn. 11). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn 43.; VersR 2019, 835 Rn. 11 mwN). Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (vgl. BGH Beschl. v. 9.11.2010 - VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314 Rn. 15). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH VersR 2019, 835, Rn. 13). Eine Behauptung ist indes dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 337; WM 2016, 974 Rn. 20).

Gemessen an diesen Voraussetzungen hat es der für das Kaufrecht zuständige 8. Zivilsenat des BGH jüngst in einem Verfahren, das ebenfalls die sog. Diesel-Abgasproblematik betraf, zur Substantiierung eines Mangels für ausreichend, aber auch erforderlich erachtet, dass der Kläger ausreichend greifbare Anhaltspunkte vorbringt, auf die er letztlich seinen Vorwurf stützt, sein Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet (BGH, NJW 2020, 1740 [BGH 28.01.2020 - VIII ZR 57/19] Rn. 9). In jenem Verfahren hat es der BGH zur Substantiierung eines Sachmangels für ausreichend erachtet, dass im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Einbau einer unzulässigen Thermosoftware in Motoren, wie im Fahrzeug des dortigen Klägers verbaut, bekannt geworden war und andere Fahrzeugtypen, die mit diesem Motor ausgestattet sind, einem Rückruf des KBA unterlagen.

Vergleichbare tatsächliche Anhaltspunkte für den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sein Fahrzeug hat der Kläger vorliegend dagegen nicht vorgetragen. Zwar ist das streitgegenständliche Fahrzeug von einem amtlichen Rückruf des KBA umfasst. Allerdings ergibt sich aus dem diesbezüglichen Rückrufbescheid für die hier streitgegenständliche Motorreihe (...), dass lediglich die Rücknahme der Reagenseindüsung in den SCR-Katalysator ab einer Restreichweite von 2.400 km beanstandet wurde. Die klägerseits gerügte Motoraufwärmfunktion findet sich dagegen nicht in dem hier streitgegenständlichen Rückrufbescheid, sondern lediglich in anderen Rückrufbescheiden des KBA für andere Modellreihen bzw. Motortypen, wie z.B. den (...) und (...), Typ (...), (...) und (...), (...), (...) und (...), Typ (...), (...), (...), Typ (...), (...) und (...), Typ (...), sowie den (...), Typ (...). Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beklagten im Termin vor dem Senat ist das streitgegenständliche Fahrzeug nicht mit einem Bi-Turbo, sondern einem einfachen Turbo ausgestattet, so dass auch der den Bi-Turbo betreffende Rückrufbescheid für (...) Euro 6 nicht zugrunde gelegt werden kann.

Eine Betroffenheit der hier streitgegenständlichen Motorreihe ergibt sich ebenso wenig aus den als Anlage K2 vorgelegten Unterlagen des Bezirksgerichts von Michigan sowie der als Anlage K2a und b, K 3 f und i, K 4 a-j, K 5, K 6 vorgelegten öffentlichen Berichterstattung sowie den Untersuchungsberichten des Umweltbundesamtes (Anlage K 3j) sowie von FF (Anlage K 3e). Die Pressemitteilung des KBA (Anlage K3d) betrifft den Pkw2. Dem als Anlage K 3h vorgelegten Schreiben des KBA lässt sich nicht entnehmen, welche Fahrzeug- bzw. Motorreihe betroffen ist. Die Betroffenheit anderer Modellreihen bzw. Motortypen gibt keinen Anlass zu der Annahme, dass auch das Fahrzeug des Klägers betroffen sein könnte; eher lässt der Umstand, dass die Motoraufwärmfunktion in dem die streitgegenständliche Motorreihe betreffenden Rückrufbescheid nicht erwähnt ist, das Gegenteil vermuten. Jedenfalls aber müsste der Kläger, wenn er dennoch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs ausgeht, hierfür belastbare Anhaltspunkte vortragen. Dem ist der Kläger nicht nachgekommen. Seine pauschale Behauptung, der streitgegenständliche Motor sei mit dem im Jahr 2016 von dem "Untersuchungsausschuss EE" des BMVI getesteten (...) Euro 5 identisch, erfolgt offenkundig "in´s Blaue" hinein. Gleiches gilt für die unter Bezugnahme auf einen Screenshot einer internen Präsentation der EE AG (Bl. 61 III) aufgestellte Behauptung, sämtliche Fahrzeuge mit Automatikgetriebe (...) seien betroffen. Abgesehen davon, dass es sich hierbei nicht um interne Unterlagen der Beklagten handelt, geht aus dem Screenshot auch nicht hervor, dass sämtliche dieser Fahrzeuge mit einer Warmlauffunktion ausgestattet wären. Schließlich ergibt sich auch aus dem Rückrufschreiben an den Kläger (Bl. 92 Bd. III) die Verwendung der gerügten Motoraufwärmfunktion nicht. Im Ergebnis bestehen mithin keine zureichenden Anhaltspunkte, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion verfügt. Eine Beweiserhebung ist nicht veranlasst.

Eine Beweisaufnahme ist auch deshalb nicht veranlasst, weil das KBA das streitgegenständliche Fahrzeug nicht wegen der gerügten schnellen Motoraufwärmfunktion zurückgerufen hat. Erteilt die Zulassungsbehörde die Typenzulassung, ist, solange kein diesbezüglicher Rückruf angeordnet ist, insoweit von der Rechtmäßigkeit der Motorkonfiguration auszugehen und diese einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen. Gerichte haben selbst fehlerhafte Verwaltungsakte zu beachten, solange diese nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind, und die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zugrunde zu legen, sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes (BGH, NJW-RR 2007, 398 [BGH 21.09.2006 - IX ZR 89/05]; OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.02.2020 - 5 U 395/19 - BeckRS 2020, 8864, Rn 46, Urteil vom 16.10.2020 - 11 U 2/20 - BeckRS 2020, 26911, Rn. 42 m.w.N.).

b. Mangels eines auf Täuschung angelegten Verhaltens der Beklagten kommen auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB nicht in Betracht. Im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte. Auf das Urteil des BGH vom 30.7.2020 (Az. VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, Rn. 17 ff.) wird Bezug genommen. Ebenso wenig besteht ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 I, 27 I EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007, da die Vorschriften nicht individualschützend sind. Anlass zur Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV besteht nicht. Auch insoweit wird auf das genannte BGH-Urteil vom 30.7.2020 (Rn. 16 ff.) Bezug genommen. Hinsichtlich eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG fehlt es an hinreichendem Tatsachenvortrag. Es fehlt bereits an Anhaltspunkten, inwieweit die Beklagte in Kenntnis von der Unrichtigkeit Angaben vorsätzlich und in dem Bestreben getätigt haben soll, um auf ein besonders günstiges Angebot aufmerksam zu machen. Schließlich kommt mangels (vor-)vertraglicher Beziehung der Parteien sowie mangels Pflichtverletzung auch ein Anspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB nicht in Betracht.

3. Die Schriftsätze der Parteivertreter vom 12.5.2021 lagen bei Urteilsabfassung vor. Den Klägervertretern war Schriftsatzfrist zu den im Termin erteilten rechtlichen Hinweisen gewährt worden. Ihre diesbezüglichen Ausführungen im gennannten Schriftsatz gaben zur Wiedereröffnung keinen Anlass, § 156 ZPO. Neuer Tatsachenvortrag war nicht nachgelassen worden. Unbeschadet dessen gibt der genannte Schriftsatz auch im Fall der Berücksichtigung darin enthaltenen neuen Tatsachenvortrags keinen Anlass zu einer anderen Entscheidung. Gleiches gilt für den der Beklagten auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 14.4.2021 nachgelassenen Schriftsatz.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine höchstrichterliche Entscheidung, § 543 Abs. 2 ZPO.