Sozialgericht Stade
Urt. v. 28.03.2019, Az.: S 39 AS 67/18
Gewährung von Grundsicherungsleistungen eines Leistungsberechtigten nach Ablehnung seines BAföG-Antrages während des diesbezüglich noch laufenden Widerspruchverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 28.03.2019
- Aktenzeichen
- S 39 AS 67/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 16242
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 1 S. 1 SGB
Tenor:
Unter Aufhebung des Bescheides vom 15.11.2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.01.2018 wird der Beklagte dem Grunde nach dazu verurteilt, dem Kläger ab dem 01.10.2017 bis zum 30.04.2018 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der am 16.11.1988 geborene Kläger begehrt Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch nach Ablehnung seines BAföG-Antrages während des diesbezüglich noch laufenden Widerspruchverfahrens. Die Beteiligten streiten sich um die Auslegung von § 7 Abs. 6 Nr. 2 b SGB II. Der Kläger befand sich zusammen mit seinem minderjährigen Kind im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Das Kind lebte bei ihm. Die Betreuung wurde zur Hälfte von der getrenntlebenden Mutter übernommen. Am 17. Juli 2017 teilte er mit, dass er am 04. August 2017 eine Ausbildung zum Erzieher beginnen werde. Ein Antrag auf BAföG-Leistung sei gestellt worden. Mit Bescheid vom 23. August 2017 lehnte die zuständige Stelle die Gewährung von BAföG ab. Dies wurde damit begründet, dass der Kläger die Fachrichtung ohne wichtigen Grund gewechselt habe. Der Beklagte hob daraufhin mit Änderungsbescheid vom 15. November 2017 die Grundsicherungsleistung des Klägers für Oktober 2017 auf und lehnte mit Bescheid vom gleichen Tag SGB II - Leistungen für ihn ab. Für den Zeitraum von Oktober 2017 bis April 2018 wurden nur noch Leistungen für sein Kind bewilligt. Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch erhob, bewilligte der Beklagte ihm einen halben Mehrbedarf für Alleinerziehende. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen hat der Kläger am 17. Februar 2018 Klage vor dem Sozialgericht Stade erhoben. Der Kläger ist der Auffassung, dass er nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 b SGB II bis zur Bestandskraft des BAföG-Ablehnungsbescheides einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II habe.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 15. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2018 den Beklagten dem Grunde nach zu verurteilen ihm für den Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis 30. April 2018 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nur bis zur erstmaligen Ablehnung der zuständigen Stelle gegeben sei. Mit der Regelung des § 7 Abs 6 Nr 2 b SGB II verlange der Gesetzgeber gerade keine rechtskräftige Ablehnung. Der Widerspruch gegen den BAföG-Bescheid ist im Juli 2018 zurückgewiesen worden. Hiergegen hat der Kläger im August 2018 Klage vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht erhoben. Das Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II Leistungsberechtigter, da er das 15te Lebensjahr vollendet hat, er die Altersgrenze noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig ist, hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Zwar ist er gemäß § 7 Abs 5 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, da er einer Ausbildung nachgeht, die im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist. Dieser Leistungsanschluss ist gemäß § 7 Abs 6 Nr 2 b SGB II jedoch im streitigen Zeitraum nicht anzuwenden. Danach betrifft der Leistungsausschluss nicht die Auszubildenden, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt noch nicht entschieden hat. Das Gesetz beantwortet indes nicht die Frage, ob es sich bei der in § 7 Abs 6 Nr 2 b SGB II bezeichneten Ablehnung um die - u.U. nach Widerspruch und ggf. sogar Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht - endgültige oder verwaltungsseitig erstmalig ausgesprochene handeln soll (zitiert nach Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 308 1). Nach Überzeugung der Kammer hat das zuständige Amt in dem hier streitigen Zeitraum Oktober 2017 bis April 2018 noch nicht abschließend über den Antrag entschieden, da das Widerspruchsverfahren erst im Juli 2018 beendet worden ist. Mit der in § 7 Abs 6 Nr 2 b SGB II bezeichneten Ablehnung kann nur die Abschließende gemeint sein. Dies ist bei einem durchgeführten Widerspruchsverfahren der Erlass des Widerspruchsbescheides, weil erst zu diesem Zeitpunkt das Verfahren vollständig abgeschlossen ist. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (Bundestag Drucksache 18/8041 Seite 29), sollen durch diese Regelung mögliche Zahlungslücken aufgrund der Bearbeitungsdauer im Bereich der Berufsausbildungsbeihilfe vermieden werden, damit der Beginn der Berufsausbildung nicht erschwert oder gefährdet wird. Da bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens beim zuständigen BAföG-Amt noch nicht sicher ist, ob BAföG-Leistungen von der zuständigen Stelle gewährt werden, würde bei einer Nichtberücksichtigung des Widerspruchsverfahrens erneut eine Zahlungslücke auftreten, die die Berufsausbildung erschweren oder gefährden kann. Eine wirksame Verhinderung von Zahlungslücken bei einer möglicherweise noch erfolgenden Bewilligung von BAföG, kann nur dadurch verhindert werden, dass auch während des laufenden Widerspruchsverfahrens weiterhin ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II besteht. Vorliegend muss die Kammer dagegen nicht klären, ob auch während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht noch ein Leistungsanspruch besteht. Im hier streitigen Zeitraum ist das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.