Landgericht Verden
Beschl. v. 08.08.2003, Az.: 1 T 161/03

Gewährung einer Kapitalentschädigung für eine zu Unrecht verhängte Freiheitsentziehung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz; Berücksichtigung einer Kapitalentschädigung beim Einkommen hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
08.08.2003
Aktenzeichen
1 T 161/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 35646
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2003:0808.1T161.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Walsrode - 26.06.2003 - AZ: 6 XVII 2148

Fundstelle

  • FamRZ 2004, 221 (red. Leitsatz)

In der Betreuungssache
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden
auf die sofortige Beschwerde des Betreuers
für den Betroffenen vom 4./7. Juli 2003
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Walsrode
vom 26. Juni 2003
durch
den Vizepräsidenten des Landgerichts Marsch,
den Richter am Landgericht Goldbach und
die Richterin am Landgericht Hastmann-Nott
am 8. August 2003
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts Walsrode - Vormundschaftsgericht - vom 26. Juni 2003 wird aufgehoben. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

Mit Beschluss des Amtsgerichts Walsrode vom 3. Januar 2002 ist für den Betroffenen als Betreuer ... als Berufsbetreuer zum Betreuer bestellt worden. Als Aufgabenkreis ist die Vermögenssorge einschließlich Behördenkontakten bestimmt worden.

2

Bis zum 19. Mai 2003 ist aus der Staatskasse für die Vergütung des Betreuers ein Betrag in Höhe von 2.159,99 EUR verauslagt worden.

3

Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Soziales Magdeburg vom 6. Mai 2003 ist dem Betroffenen eine Kapitalentschädigung nach§ 17 Abs. 1 StrRehaG in Höhe von insgesamt 13.498,11 EUR für eine zu Unrecht verhängte Freiheitsentziehung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gewährt worden. Dabei ist die Dauer der rechtsstaatwidrigen Freiheitsentziehung vom 28. Januar 1971 - 27. April 1972, vom 28. August 1987 bis 2. Dezember 1987 und vom 2. Dezember 1987 bis 3. November 1989 zugrunde gelegt worden.

4

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Walsrode dem Betroffenen aufgegeben, einen einmaligen Betrag von 2.159,09 EUR an die Staatskasse zu leisten (§§ 1836 c, 1836 e BGB).

5

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

6

Mit dem Amtsgericht ist davon auszugehen, dass ein Fall des gesetzlichen Forderungsüberganges gegeben ist. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes ist der daraus resultierende Rückgriff jedoch als unbillige Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG anzusehen.

7

Auszugehen ist davon, dass § 16 Abs. 4 StrRehaG bestimmt, das Leistungen nach § 17 des StrRehaG - Kapitalentschädigung - als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt bleiben. Da das Recht der sozialen Leistungen für den Einsatz des Einkommens und des Vermögens je getrennte und unterschiedliche Regelungen enthält, können sozialrechtliche Leistungsnormen, die ausdrücklich nur die Einsatzfreiheit einer Sozialleistung als Einkommen anordnen (wie § 16 Abs. 4 StrRehaG) grundsätzlich nicht dahin ausgelegt werden, dass mit ihnen gleichzeitig auch die Einsatzfreiheit der Sozialleistung als Vermögen angeordnet werden soll. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber, wenn er eine umfassende Einsatzfreiheit will, die betreffende Sozialleistung ausdrücklich bei der "Ermittlung von Einkommen und Vermögen" ausnimmt (BVerwG NJW 1998, 397 f. [BVerwG 04.09.1997 - BVerwG 5 C 8/97][BVerwG 04.09.1997 - 5 C 8/97]; BVerwG NJW 1995, 3001 [BVerwG 18.05.1995 - 5 C 22/93] f). Kann demnach § 16 Abs. 4 StrRehaG nicht dahin ausgelegt werden, dass er auch den Einsatz der Kapitalentschädigung als Vermögen regelt, so schließt dies jedoch nicht aus, den gesetzgeberischen Grund für die Nichtberücksichtigung der Kapitalentschädigung als Einkommen auch im Rahmen des Vermögenseinsatzes zum Tragen zu bringen und einsatzfrei zu stellen, indem es den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie die Kapitalentschädigung. Die rechtliche Grundlage bietet hierfür § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG (BVerwG E a.a.O.).

8

Nach § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz und von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde.

9

Für den Betroffenen würde es aber eine unbillige Härte bedeuten, wenn er die Kapitalentschädigung für die Vergütung des Betreuers einsetzen müsste. Denn dann stünde sie ihm nicht mehr zu den Zwecken zur Verfügung, für die sie bestimmt ist, nämlich einerseits als Genugtuung für erlittenes Unrecht. Denn der Betroffene hat Freiheitsentzug von mehreren Monaten deshalb erleiden müssen, weil er aufgrund rechtsstaatswidriger Urteile zu Haftstrafen in der früheren DDR verurteilt worden war, wobei diese Urteile gem.§ 1 Abs. 1 Nr. 1 e) StrRehaGohne Weiteres aufgehoben werden mussten, da sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtstaatlichen Ordnung unvereinbar waren (versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt). Andererseits ist die Kapitalentschädigung auch als soziale Ausgleichsleistung für Nachteile gewährt worden, die dem Betroffenen durch die Freiheitsentziehung entstanden sind (§ 16 Abs. 1 StrRehaG) u.a. auch, dass er während der Haftzeit kein Arbeitseinkommen erzielen konnte und ihm deshalb ein materieller Schaden entstanden ist.

10

Aus den dargetanen Gründen geht die Kammer in diesem konkreten Falle von einer unbilligen Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG für den Betroffenen aus.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a FGG, § 130 KostO.

Marsch
Goldbach
Hastmann-Nott