Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 21.06.2006, Az.: L 2 B 2/06 KN
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.06.2006
- Aktenzeichen
- L 2 B 2/06 KN
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 43861
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0621.L2B2.06KN.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - AZ: S 22 KN 32/05 ER
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Stade 03. April 2006 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners im erstinstanzlichen Eilverfahren und im Beschwerdeverfahren.
GRÜNDE
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Kostengrundentscheidung.
Der Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Mit - bestandskräftigem - Bescheid vom 24. Mai 2002 forderte die Antragsgegnerin von dem Antragsteller einen Teilbetrag der diesem im Zeitraum vom 01 Juli 2001 bis 31. Mai 2002 gewährten Rente in Höhe von insgesamt 1.898,55 € zurück, weil eine Überzahlung aufgrund eines zeitgleichen Arbeitslosengeldbezuges eingetreten sei.
Mit Schreiben vom 08. Februar 2005 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu einer beabsichtigten Aufrechnung dieses Rückforderungsbetrages von 1.898,55 € zuzüglich Kosten an. Dabei wies sie darauf hin, dass eine Aufrechnung bis zur Hälfte der monatlichen Nettorente in Betracht komme, es sei denn, der Antragsteller weise durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung des Sozialhilfeträgers nach, dass er durch die Verrechnung sozialhilfebedürftig würde.
Mit Bescheid vom 09. Mai 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2005 reduzierte die Antragsgegnerin ab 01. Juni 2005 die monatliche Nettorentenzahlung von 649,21 € auf 324,61 €, da der Antragsteller mit dem zurückforderten Betrag von 1.898,55 € in Rückstand sei und nicht nachgewiesen habe, dass er durch die Aufrechnung sozialhilfebedürftig geworden sei.
Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Oktober 2005 Klage erhoben. Mit dem vorliegenden am 14. Oktober 2005 gestellten Antrag hat er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt.
Diesen Antrag hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 03. Januar 2006 in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Antragsgegnerin zwischenzeitlich von den laufenden Rentenzahlungen in Ausführung des angefochtenen Bescheides höhere Teilbeträge einbehalten hatte, als sie nach eigener Auffassung gegenüber dem Antragsteller geltend machen konnte. Mit weiterem Bescheid vom 09. Februar 2006 sprach die Antragsgegnerin dem Antragsteller aufgrund der Vornahme überhöhter Einbehalte eine Rentennachzahlung in Höhe von 849,44 € zu.
Auf den Kostenantrag des Antragstellers hat das Sozialgericht Stade mit Beschluss vom 03. April 2006, dem Antragsteller zugestellt am 12. April 2006, entschieden, dass im Eilverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten seien, da der Antragsteller den erforderlichen Nachweis der drohenden Hilfebedürftigkeit nicht erbracht habe.
Dagegen richtet sich die am 12. Mai 2006 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Ihrer Auffassung nach ist die Würdigung eines sozialhilferechtlich relevanten Hilfebedarfs "von den mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Stellen" vorzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Gründe
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Nach § 193 Abs. 1 S. 1 und 3 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Es entscheidet auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wird. Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen im Sinne der erläuterten Vorschrift, der Antragsgegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus dem Eilverfahren aufzuerlegen.
Im Rahmen der bei der vorliegenden Kostenentscheidung allein in Betracht kommenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen durchgreifende Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 09. Mai 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2005.
a) Der angefochtene Bescheid dürfte schon die erforderliche Bestimmtheit und damit zugleich die nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotene Limitierung der Aufrechnung im Hinblick darauf vermissen lassen, dass in ihm nicht mit der erforderliche Eindeutigkeit klargestellt worden ist, für welche zeitliche Dauer bzw. bis zur Erreichung welchen Aufrechnungsbetrages der Einbehalt wirksam werden sollte. Damit korrespondiert eine augenscheinlich rechtswidrige Umsetzung dieses Bescheides, soweit die Antragsgegnerin mit ihm bereits ab Dezember 2005 höhere Beträge einbehalten hat, als sie nach eigener Auffassung vom Antragsteller zurückfordern durfte. Bezeichnenderweise musste die Antragsgegnerin die Durchsetzung des angefochtenen Bescheides durch die spätere Zuerkennung einer Rentennachzahlung in Höhe von 849,44 € in erheblichem Umfang korrigieren.
b) Des weiteren ist die Antragsgegnerin verfahrensfehlerhaft zu der Beurteilung gelangt, dass der Antragsteller eine durch die Aufrechnung herbeigeführte Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I (in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I 2014) nicht nachgewiesen habe.
Der Antragsteller hat die ihm und seiner Ehefrau zur Verfügung stehenden Einkünfte und die Höhe der Mietzahlungen belegt. Soweit die Antragsgegnerin zur Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 SGB I weitere Angaben und/oder Unterlagen (etwa: Steuerbescheide, Versicherungspolicen, Kontoauszüge) bedurfte, hätte sie den Antragsteller konkret zu weiteren Angaben bzw. zur Vorlage solcher Unterlagen auffordern müssen. Die dem Leistungsbezieher in § 51 Abs. 2 SGB I auferlegte Nachweispflicht beinhaltet allerdings, dass dieser zur Aufklärung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht beizutragen und erforderlichenfalls die materielle Beweislast zu tragen hat. Die Nachweispflicht des Leistungsbeziehers enthebt den Sozialleistungsträger aber nicht von seiner Verpflichtung, insbesondere auch durch eine faire und sachgerechte Verfahrensgestaltung dazu beizutragen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht (§ 2 Abs. 2 SGB I) und unzulässige Einbehalte möglichst vermieden werden.
Von konkreten Aufforderungen im vorstehend erläuterten Sinne hat die Antragsgegnerin ungeachtet des mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers geführten Schrift- und Telefonverkehrs nach Aktenlage abgesehen. Statt dessen hat die Antragsgegnerin offenbar die Auffassung vertreten, dass der Antragsteller an das Sozialamt herantreten müsse, damit dieses fiktiv prüfe, ob bei dem vorgesehenen Einbehalt ein Bedürftigkeit des Antragstellers und seiner Familie im Sinne des SGB XII eintrete.
Unabhängig davon, ob das örtlich zuständige Sozialamt zu einer solchen fiktiven Prüfung bereit gewesen wäre, durfte die Antragsgegnerin ohne gesetzliche Grundlage ihre Entscheidung jedenfalls nicht von der Einleitung eines solchen Prüfungsverfahrens beim Sozialamt und der Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung abhängig machen. Gesetzlich zuständige Behörde für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 SGB I bei einer Aufrechnung mit dem Rentenanspruch des Antragstellers war die Antragsgegnerin. Diese durfte ohne gesetzliche Grundlage die Prüfzuständigkeit nicht auf eine dritte Behörde verlagern. Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzes der Sozialdaten (vgl. §§ 67 ff. SGB X) durfte die Antragsgegnerin insbesondere nicht von dem Antragsteller verlangen, dass dieser seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse einer am Verfahren gar nicht beteiligten sachlich unzuständigen Behörde offenbarte.
Soweit die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid dahingehend zu interpretieren sein mögen, dass die Nichtbeantragung von Sozialhilfe bei bestehendem Leistungsanspruch die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Antragstellers belege, dürfte der Auffassung der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zu folgen sein. Diese dürfte bereits rechtsirrtümlich zu der Einschätzung gelangt sein, dass der Antragsteller und seine Ehefrau bei monatlichen Einkünfte von ca. 1. 220 € ergänzende Leistungen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen könnten. Abgesehen davon, dass einem Anspruch des Antragstellers auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII bereits die Regelung des § 21 SGB XII entgegenstehen dürfte, da der Antragsteller bislang lediglich Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht und damit als erwerbsfähig im Sinne des SGB II anzusehen sein dürfte, wären auch nach Maßgabe des § 29 SGB XII Aufwendungen für die Unterkunft nur in angemessenem Umfang berücksichtigungsfähig. Nach Aktenlage ist nichts dafür ersichtlich, dass monatliche Mietaufwendungen für zwei Personen in Höhe von 710 € nach den Verhältnissen am Wohnort des Antragstellers noch als angemessen im sozialhilferechtlichen Sinne zu bewerten sind.
c) Bei dieser Sachlage ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht in der nach § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X gebotenen Weise die (sachgerechte) Ausübung des der Antragsgegnerin durch § 51 Abs. 2 SGB I eingeräumten Ermessens zu erkennen geben dürfte (vgl. dazu Verbandskommentar, § 51 SGB I, Anm. 2.3).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).