Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 29.08.2002, Az.: 1 U 59/02
„TÜV-Zertifikat“

Irreführung durch Werkansage: 'TÜV-Zertifikat und GS-Zeichen nach DIN EN" ; Irreführung durch objektiv richtige Angabe ; Erteilung von TÜV-Zertifikat und -Zeichen für den Pfosten eines Fußballtors; Nicht erfüllte Sicherheitsanforderungen bei einem Fußballtor

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
29.08.2002
Aktenzeichen
1 U 59/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 21280
Entscheidungsname
TÜV-Zertifikat
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2002:0829.1U59.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück 16 O 54/02 vom 20.03.2002

Fundstellen

  • GRUR-RR 2003, 159-160 "Torpfosten"
  • Mitt. 2004, 43 "TÜV-Zertifikat"
  • OLGReport Gerichtsort 2003, 91-93
  • SpuRt 2005, 112-113 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die Werkansage: 'TÜV-Zertifikat und GS-Zeichen nach DIN EN. . . ' ist auch dann irreführend im Sinne von § 3 Satz 1 UWG, wenn Zertifikat und Zeichen ausnahmsweise erteilt worden sind, obwohl das Gerät - hier Pfosten für ein Fußballtor - den Sicherheitsanforderungen nicht entspricht.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 16. Zivilkammer - 4. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Osnabrück vom 20. März 2002 geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken zu unterlassen, in Mitteilungen, die für einen großen Personenkreis bestimmt sind, zu behaupten, die von ihr vertriebenen Fußballtore (Torsystem 2001 InterNet?) entsprächen der DIN EN 748.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Beklagten ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, angedroht.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert der Beschwer beträgt 30.000,00 EUR.

Gründe

1

I.

Die Parteien sind Wettbewerber. Sie stellen Sportgeräte für den Wettkampfbedarf her und vertreiben sie. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung der im Urteilseingang genannten Werbeaussage. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstoffs in erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

2

Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen die Klageabweisung. Sie wiederholt und vertieft dazu ihren Vortrag im ersten Rechtszug. Zur Stützung ihrer Rechtsauffassung, der von der Beklagten vertriebene Torpfosten entspreche nicht der DIN EN 748 legt sie ergänzend eine gutachterliche Stellungnahme der T. . . Anlagentechnik GmbH Unternehmensgruppe T. . . R. . . /B. . . -B. . . vom 13. Mai 2002 vor, auf deren Inhalt (Bl. 93 bis 97 der Gerichtsakten) Bezug genommen wird.

3

Die Klägerin beantragt,

4

das angefochtene Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 20. März 2002 zu ändern und die Beklagte nach dem erstinstanzlichen Antrag der Klägerin zu verurteilen.

5

Die Beklagte beantragt,

6

die Berufung zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ebenfalls ihren Vortrag aus der ersten Instanz.

8

Der Senat hat im Termin zum Zweck der Beweiserhebung von der Klägerin und der Beklagten mitgebrachte Torpfosten in Augenschein genommen.

9

II.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Beklagte verpflichtet, die beanstandete Werbeaussage zu unterlassen. Sie hat dadurch gegen § 3 Satz 1 UWG verstoßen, dass sie durch den Hinweis in ihrer Werbung auf die DIN EN 748 irreführende Angaben über die Beschaffenheit des von ihr hergestellten und vertriebenen Torsystems gemacht hat.

10

1.

Die Berechtigung, den Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte geltend zu machen, ergibt sich nicht nur aus § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, sondern schon direkt aus § 3 UWG, da die Klägerin unmittelbar Verletzte ist. Das dafür erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis ist zwischen den Parteien zweifellos vorhanden.

11

2.

Die Werbeaussage der Beklagten: "TÜV-Zertifikat und GS-Zeichen nach DIN EN 748" ist auch irreführend im Sinn der genannten Vorschrift. Es ist, um einen Anspruch nach § 3 UWG auszulösen, nicht erforderlich, dass die Werbeaussage schlechthin irreführt; es kommt nur auf die bloße "Eignung" zur Irreführung an (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, § 3 UWG RdNr. 87). Dabei genügt es, wenn nur für einen nicht ganz unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Irreführung zu besorgen ist. Maßgebend ist dabei nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung der durchschnittlich informierte und in vernünftigem Maße aufmerksame und verständige Verbraucher (vgl. Baumbach/Hefermehl, a. a. O. , RdNrn. 33, 88b, 113).

12

a)

Die in diesem Maße angesprochenen Interessenten des von der Beklagten beworbenen Produkts verstehen nach Überzeugung des Senats ganz überwiegend die beanstandete Werbeaussage in der Weise, dass das Torsystem den Anforderungen der DIN EN 748 auch tatsächlich entspricht. Der durchschnittliche Adressat dieser Werbung (z. B. Mitarbeiter einer Gemeinde oder Vorstandsmitglied eines Sportvereins) wird sich, jedenfalls in der Regel, nicht Gedanken darüber machen, ob eventuell das TÜV-Zertifikat und das GS-Zeichen ausnahmsweise erteilt worden sind, obwohl die Anforderungen der in der Werbung ausdrücklich genannten DIN nicht erfüllt sind. Die Formulierung: ". . . nach DIN EN 748" legt ein solches Verständnis keineswegs nahe. Für den nicht besonders kundigen Interessenten dürfte es nahezu selbstverständlich sein, dass eine Bescheinigung über die Sicherheit des Sportgerätes nur dann ausgestellt wird, wenn die in der einschlägigen Norm genannten Voraussetzungen auch tatsächlich erreicht sind. Für die angesprochenen Verkehrskreise ist es weniger wichtig, ob ein Zertifikat erteilt worden ist, vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob das Gerät den Sicherheitsanforderungen entspricht.

13

Die Beklagte kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, die Verbraucher würden deshalb nicht in die Irre geführt, weil der R. . . -W. . . (RW) TÜV - unstreitig - am 07. März 2001 für das hier in Rede stehende Fußballtor einen Zeichengenehmigungs-Ausweis mit der Bemerkung ausgestellt hat: "Geprüft nach: DIN EN 748: 1996-02". Dieser Ausweis konnte die Beklagte nicht von der gesetzlichen Pflicht aus § 3 UWG entbinden, irreführende Werbeaussagen über die Beschaffenheit ihrer Waren zu unterlassen. Der Umstand, dass die TÜV-Bescheinigung tatsächlich ausgestellt worden und der Hinweis darauf in der Werbung deshalb richtig war, schließt die Annahme einer irreführenden Werbung ebenfalls nicht aus (BGH WRP 1998, 294, 295). Auch eine objektiv richtige Angabe kann irreführend sein, wenn der Verkehr, für den sie bestimmt ist, ihr etwas Unrichtiges entnimmt und die dadurch geweckte Fehlvorstellung geeignet ist, das Kaufverhalten eines nicht unbeachtlichen Teils des Verkehrs zu beeinflussen (BGH WRP 1996, 1102, 1104 [BGH 25.04.1996 - I ZR 82/94]; WRP 1991, 163 [BGH 11.10.1990 - I ZR 10/89]). Es steht nach der Lebenserfahrung fest, dass eine Werbung mit einem "TÜV-Zertifikat" und einem "GS-Zeichen" zumindest dann geeignet ist, die angesprochenen Verkehrskreise irre zu führen, wenn die der Erteilung des Zeichens und des Zertifikats zu Grunde liegende Prüfung in entscheidenden Punkten unrichtig war und der geprüfte Gerätetyp wesentliche Mängel aufweist, die die Erteilung der Bescheinigung hätten ausschließen müssen. Wenn mit derartigen offiziellen Bezeichnungen geworben wird, gehen die Verbraucher, auch wenn sie keine Detailkenntnisse besitzen, jedenfalls davon aus, dass das Gerät keine Mängel aufweist, und der ausdrücklich erwähnten Norm entspricht (vgl. BGH WRP 1998, 294, 295 [BGH 23.10.1997 - I ZR 98/95]). So liegt es hier.

14

b)

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die von beiden Parteien vorgelegten Torpfostenabschnitte in Augenschein genommen und festgestellt, dass die Anforderungen der DIN EN 748 nicht erfüllt sind.

15

Die maßgebliche zur Zeit gültige Ziff. 4. 5 "Netzbefestigung" der DIN EN 748 lautet auszugsweise:

16

". . . Netzbefestigungen müssen so konstruiert sein, dass der Spieler nicht verletzt werden kann. Diese Anforderung ist erfüllt, wenn z. B. Öffnungen nicht größer als 5 mm sind. . . "

17

Die Ausfräsung zur Befestigung des Tornetzes an dem von der Beklagten hergestellten und vertriebenen Torpfosten ist unstreitig unterschiedlich breit und weist an keiner Stelle ein Maß unterhalb von 6 mm auf. Die Begrenzung der Öffnung auf max. 5 mm soll erreichen, dass auch kleine Finger nicht in die Öffnung gesteckt werden können, und dadurch Verletzungen verhindern. Die Gefahr von z. B. Quetschungen wird jedoch nicht nur dann ausgeschlossen, wenn die Größe der Öffnungen 5 mm nicht überschreitet, sondern die erforderliche Sicherheit kann auch auf andere Weise erreicht werden. Es muss aber stets sichergestellt sein, dass keine gefährlichen Situationen dadurch entstehen, dass Finger in Vertiefungen hängen bleiben, während sich der Rest des Körpers bewegt oder unfreiwillig weiter in Bewegung bleibt. Dies ist ohne weiteres einleuchtend und nachvollziehbar und darüber hinaus in Ziffer 4. 2. 7. 6 "Fangstellen für Finger" der DIN EN 1176-1: 1998 auch ausdrücklich geregelt. Diese Norm gilt im Übrigen kraft Verweisung nach Ziff. 2 "Normative Verweisungen" auch im Rahmen der DIN EN 748.

18

Diese strengen Voraussetzungen erfüllt der Torpfosten der Beklagten nicht, wovon sich der Senat in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen konnte. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es zu dieser Frage nicht. Die durchgängig 11 mm tiefen Ausfräsungen (gemessen von der Materialoberkante) weisen einerseits, wie dargelegt, eine unterschiedliche Breite auf, die an keiner Stelle 5 mm oder weniger beträgt. Andererseits ist sie aber an keiner Stelle derart breit, dass sich ein Finger problemlos weiter bewegen ließe; das von der DIN EN 1176-1 alternativ verlangte Maß von 25 mm wird nirgends erreicht. Die Mitglieder des Senats haben der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass sich bei einer normalen Schrägstellung sowohl ein 8 mm Prüfstab als auch ein beliebiger Finger verklemmte und nur durch Lockerung oder Beendigung der Schrägstellung weiter bewegen ließ. Dickere Finger konnten sich sogar in senkrechter Stellung beim Verschieben festklemmen. Daraus folgt zwanglos, dass diese auf den ersten Blick überzeugend einfache und durchaus innovative Netzbefestigung eine nicht zu vernachlässigende Verletzungsgefahr für Sportler in sich birgt. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Ausfräsungen auf dem dem Spielfeld abgewandten Teil des Torpfostens angebracht sind. Sowohl während des Wettkampfbetriebs als auch während des Trainings ist es aber keineswegs nahezu ausgeschlossen, dass Fußballspieler, auch und insbesondere Kinder, z. B. während eines Eckstoßes der gegnerischen Mannschaft die Hand an den Pfosten legen und in die Vertiefungen greifen. Während des Aufstellens und des Transports des Tores sind ebenfalls Situationen nicht unwahrscheinlich, in denen sich ein Finger in der Öffnung verhakt und nicht schnell genug befreit werden kann.

19

c)

Aus diesen Gründen ist die Netzbefestigung am Torsystem 2001 InterNet? der Beklagten nicht so konstruiert, dass der Spieler nicht verletzt werden kann. Damit entspricht es nicht der DIN EN 748. Dies wiederum hat zur Folge, dass die auf diese Norm Bezug nehmende Werbung der Beklagten irreführend im Sinne von § 3 Satz 1 UWG ist. Der von der Beklagten begangene objektive Wettbewerbsverstoß begründet die nicht widerlegte Vermutung der für den Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr.

20

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO.