Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.08.2002, Az.: 2 U 103/02
Kein Unfallversicherungsschutz für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen; Unfallversicherungsschutz für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen; Fristgerechte ärztliche Feststellung einer Invalidität; Berufung auf das Fristversäumnis als Verstoß gegen Treu und Glauben
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 21.08.2002
- Aktenzeichen
- 2 U 103/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 33696
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2002:0821.2U103.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 15.03.2002 - AZ: 13 O 2158/01
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 3 AUB 88
- § 2 Abs. 4 AUB 88
- § 7 Abs. 1 (1) AUB 88
Fundstelle
- zfs 2003, 559-561 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 14. August 2002
durch
die Richter xxx und xxx
Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 15.03.2002 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für den zweiten Rechtszug und der Wert der Beschwer betragen 160.545,65 EUR.
Gründe
I.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme in Höhe von DM 314.000 auf der Grundlage der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) und besonderer Bedingungen für Mehrleistungen bei einem Invaliditätsgrad von 90% (doppelte Invaliditätsleistung). Nach einem Unfall vom 18.04.1997, bei dem der Kläger unter anderem eine traumatische Aoertendissektion erlitt, zahlte die Beklagte 80% der Versicherungssumme (DM 251.200,00).
Der Kläger macht eine dauernde Beeinträchtigung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit von mindestens 90% geltend und beansprucht die doppelte Invaliditätsleistung, also Zahlung weiterer DM 314.000. Es seien auch bei ihm aufgetretene psychische Folgen und dauernde Sehstörungen zu berücksichtigen. Das Landgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, abgewiesen, da eine krankhafte Störung infolge psychischer Reaktionen nach § 2 Abs. 4 AUB 88 nicht unter den Versicherungsschutz falle und eine Invalidität wegen der Sehstörungen nicht fristgerecht ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden sei (§ 7 Abs. 1 (1) AUB 88).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlich geltend gemachten Zahlungsanspruch weiter und rügt, das Landgericht habe die AUB 88 unzutreffend ausgelegt und angewendet sowie außerdem ein treuwidriges Verhalten der Beklagten nicht berücksichtigt.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Der Kläger kann über den von der Beklagten bereits gezahlten Betrag hinaus keine höhere Invaliditätsleistung aufgrund des Unfalles vom 18.04.1997 beanspruchen. Ein Invaliditätsgrad von mindestens 90% ist nicht gegeben.
Zutreffend hat die Beklagte auf der Grundlage des von Prof. Dr. xxx erstellten Sachverständigengutachtens vom 23.02.2000 und der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 21.09.2000 eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers mit einem Invaliditätsgrad von 80% angenommen.
Zwar ist in dem Gutachten vom 23.02.2000 der Gesamtgrad der Invalidität zunächst auf 90% festgesetzt worden. Dabei ist jedoch neben den festgestellten körperlichen Schäden auch eine "erhebliche psychische Beeinträchtigung" des Klägers mit in die Bewertung eingeflossen. Der Sachverständige führt zur Begründung aus, der Kläger mache sich erhebliche Sorgen um seine berufliche und persönliche Zukunft und habe außerdem als Träger eines mechanischen Klappenersatzes große Angst vor Infektionen sowie vor möglichen Komplikationen bei weiteren ärztlichen Eingriffen.
Diese Aspekte müssen jedoch unberücksichtigt bleiben, da krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind, nicht unter den Versicherungsschutz fallen (§ 2 Abs. 4 AUB 88).
Soweit der Kläger geltend macht, der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 88 sei vorliegend nicht anzuwenden, da es bei ihm erst durch die erlittenen gesundheitlichen Schäden zu einer psychischen Beeinträchtigung und einer dadurch hervorgerufenen zusätzlichen Minderung der Leistungsfähigkeit gekommen sei, die psychische Beeinträchtigung habe jedoch nicht zu einer krankhaften Störung geführt, greift dieser Einwand nicht.
Da nach § 1 Abs. 3 AUB 88 nur Gesundheitsschäden versichert sind, fallen unter den Versicherungsschurz von vornherein nicht psychisch bedingte Einschränkungen, die keinen Krankheitswert haben. Zudem erfasst der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 88 auch psychische Fehlverarbeitungen eines Geschehens nach einer unfallbedingten Gesundheitsschädigung (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 3. Auflage, § 2 Rdn. 108), wie sie sich hier bei dem Kläger durch die vom Sachverständigen Prof. Dr. xxx festgestellte übergroße Ängstlichkeit und extremes Misstrauen zeigen.
Ausgeschlossen sind solche Beeinträchtigungen, die nach einer unfallbedingten Gesundheitsschädigung erst durch die psychische Verarbeitung entstehen oder verschlimmert werden (Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 26. Auflage, § 2 AUB 88 Rdn.40).
Die vom Kläger beschriebenen psychischen Befindlichkeiten erhöhen daher den Invaliditätsgrad nicht.
Die bei dem Kläger aufgetretenen Sehstörungen sind ebenfalls bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades nicht zu berücksichtigen.
Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, fehlt es insoweit an einer ärztlichen Feststellung und Geltendmachung der darauf gestützten Invalidität innerhalb der in § 7 Abs. 1 (1) AUB 88 genannten Frist. Der Kläger hat es versäumt, eine auf die Sehstörungen gestützte dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit als Folge des Unfalles vom 18.04.1997 innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Unfalljahres ärztlich schriftlich feststellen zu lassen.
Die Frist für den Eintritt der Invalidität und die Frist für die ärztliche Feststellung sind formelle Anspruchsvoraussetzungen, die die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzen, ohne dass es auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers ankommt (BGH, VersR 1978,1038; OLG Hamm, VersR 1990, 1344).
Eine fristgerecht ärztliche Feststellung der Invalidität wegen dauernder Sehstörungen war vorliegend nicht dadurch entbehrlich, dass bei dem Kläger schon aufgrund der Aoertendissektion eine dauernde Beeinträchtigung festgestellt worden war. Denn das Erfordernis ärztlicher Feststellung beschränkt sich nicht auf den Eintritt der Invalidität dem Grunde nach. Liegen mehrere, das Ausmaß der Invalidität beeinflussende körperliche Beeinträchtigungen vor, so sind für die Versicherungsleistung nur diejenigen zu berücksichtigen, die fristgerecht als invaliditätsbegründend ärztlich festgestellt worden sind (vgl. OLG Frankfurt, r+s 1993,117).
Soweit der Kläger sich zur Begründung eines erhöhten Invaliditätsgrades aufgrund der Sehstörungen auf den schriftlichen ärztlichen Bericht der Oberärztin Dr. xxx Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch, vom 20.10.1997 bezieht, verkennt er, dass es sich dabei gerade nicht um eine schriftlich niedergelegte ärztliche Feststellung über die behauptete Invalidität handelt. Es liegt vielmehr lediglich die Erhebung eines ärztlichen Befundes vor, was nicht ausreicht (vgl. z.B. OLG Koblenz, r+s 1993,118).
Im übrigen hat Frau Dr. xxx im Rahmen ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 01.11.2001 ausdrücklich ausgeführt, dass sie über die Prognose des bei dem Kläger festgestellten bestehenden Gesichtsfelddefektes nach rechts und der Amauroses fugax-Attacken keine Aussagen gemacht habe. Es fehlt somit sowohl hinsichtlich der Gesichtsfeldeinschränkungen als auch hinsichtlich der Blindheitsattacken an der konkreten ärztlichen Feststellung einer dauernden Beeinträchtigung. Es bedarf daher auch keiner erneuten Vernehmung der Frau Dr. xxx als Zeugin. Außerdem kann die ärztliche Stellungnahme ohnehin nicht nach Fristablauf in Form einer späteren Zeugenaussage nachgeholt werden, weil dadurch ärztliche Feststellungen über die Invalidität erst getroffen werden sollen, die bereits innerhalb der 15-Monatsfrist hätten getroffen werden müssen (vgl. OLG Köln, VersR 1989, 352; Grimm, a.a.O., § 7, Rdn. 9).
Der Versicherer kann sich grundsätzlich auf die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung berufen, ohne damit gegen Treu und Glauben zu verstoßen. Dies gilt auch dann, wenn er den Versicherten nicht über die Anspruchsvoraussetzungen oder die Einhaltung der Fristen belehrt hat, denn eine solche allgemeine Verpflichtung besteht weder nach den vertraglichen Vereinbarungen, noch nach versicherungs- oder allgemeinen rechtlichen Vorschriften.
Etwas anderes kann allerdings dann geltend, wenn äußere Umstände oder das Verhalten des Versicherers Vertrauenstatbestände schaffen, aufgrund derer der Versicherte den Eindruck gewinnen muss, der Versicherer werde den Fristablauf nicht geltend machen. An solchen Umständen fehlt es vorliegend jedoch.
So geht der Hinweis des Klägers darauf, eine dauernde Beeinträchtigung aufgrund der Sehstörungen habe schon innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eindeutig festgestanden, fehl. Zwar handelt der Versicherer bei Ausnutzung der anspruchsbegründenden Förmlichkeiten dann treuwidrig, wenn die erhobenen Befunde unzweifelhaft aus der Art der Verletzung (z.B. Gliederverlust) auf eine dauernde Invalidität hinweisen, ohne dass der Arzt dies ausdrücklich erwähnt. Dies war indessen hinsichtlich der Sehstörungen keineswegs der Fall. Allein aus der durch den Unfall erlittenen Aoertendissektion (Zerschneidung der Hauptschlagader) mit dem anschließenden Ersatz durch eine künstliche Aortenklappe ergeben sich noch nicht zwingend dauernde Sehstörungen. Jedenfalls musste die Beklagte dieses nicht als unzweifelhaft und selbstverständlich voraussetzen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. xxx vom 23.02.2000, der hinsichtlich der Sehstörungen auf die Beurteilung durch einen Arzt für Augenheilkunde verweist (Bl. 11 des Gutachtens).
Auch aus keiner der anderen zur Akte gereichten ärztlichen Stellungnahmen (Dr. med. xxx vom 15.01.2000, Dr. xxx vom 20.10.1997 und Dr. xxx ergeben sich konkrete ärztliche Feststellungen dazu, dass der Unfall innerhalb der Jahresfrist zu unveränderlichen Gesundheitsschäden auch aufgrund der Sehstörungen geführt hat. Die vom Kläger zitierte Entscheidung des BGH vom 19.11.1997 (VersR 1998, 175, 176[BGH 19.11.1997 - IV ZR 348/96]) greift daher nicht.
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass diese zunächst die Frage ihrer Eintrittspflicht aus der Unfallversicherung bis zur gerichtlichen Klärung des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Unfallereignis und der Aoertenruptur zurückgestellt hat. Denn die Beklagte hatte den Kläger hierdurch nicht davon abgehalten, die Invalidität hinsichtlich aller körperlich aufgetretenen Beeinträchtigungen fristgerecht ärztlich feststellen zu lassen. Der Beklagten ging es vielmehr ersichtlich lediglich darum, die Frage ihrer Einstandspflicht dem Grund nach vorab zu klären. Aus den erst im Anschluss an diese Klärung erfolgten weiteren Ermittlungen zum Invaliditätsgrad ergibt sich ebenfalls kein Verzicht auf die Folgen etwaiger Fristversäumung oder ein treuwidriges Verhalten der Beklagten insoweit.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 543 Abs. 2 ZPO.