Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.04.2014, Az.: 13 A 107/14

Eigenanteil; Medikament; Rezept

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.04.2014
Aktenzeichen
13 A 107/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42379
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung eines Eigenanteils für Medikamente durch die Beihilfestelle.

Sie ist Vorsitzende Richterin am Landgericht im Ruhestand und mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Ihr Arzt verschrieb ihr das Medikament Levemir Penfill. Dabei handelt es sich um Insulin-Ampullen. Die Apotheke gab das Medikament im verschriebenen Umfang in drei Verpackungen zu je 144,80 € ab. Die Klägerin beantragte hierfür eine Beihilfe.

Mit Beihilfebescheid vom 30.10.2013 bewilligte die Beklagte der Kläger für ihre Aufwendungen für das Medikament Levemir auch eine Beihilfe, zog aber für jede Packung jeweils einen Eigenanteil in Höhe von 10 € ab.

Wegen des Abzuges dieses Eigenanteils legte die Klägerin Widerspruch ein. Der Ansatz des Eigenanteils für jede Packung sei nicht gerechtfertigt, das Abstellen auf die Anzahl der Packungen sei nicht sachgerecht. Sie werde dadurch benachteiligt, weil es keine größeren Verpackungen mit mehr Ampullen gebe.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2013 zurück. Der Abgabepreis der jeweiligen Packung sei für den Eigenanteil maßgebend.

Die Klägerin hat am 09.02.30124 Klage erhoben.

Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihr Widerspruchsschreiben. Ergänzend trägt sie vor, § 45 Abs. 1 Nr. 1 NBhVO knüpfe an den Begriff der Arzneimitteln an, nicht auf den Abgabepreis der jeweilige Verpackung. Der Mehrabzug mache bei ihrem Bemessungssatz zwar nur einen geringen Eurobetrag aus, auf längere Sicht falle der Mehrabzug durchaus aber ins Gewicht.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2013 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.12.2013 abzuändern bzw. aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die pro Packung mehrfach einbehaltenen Eigenbehalte gem. § 45 Abs. 1 NBhVO ihr wieder auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt der Klage entgegen und nimmt Bezug auf die Gründe des Widerspruchsbescheides.

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.

Das Gericht versteht das Klagebegehren der Klägerin dahingehend, dass sie sich gegen den Beihilfebescheid wendet, soweit mehr als 10 € Eigenanteil für das Medikament Levimir Penfill vom Beihilfeanspruch abgesetzt wurden und sie die Rückzahlung der ihren Ansicht nach zu viel einbehaltenen Eigenanteile begehrt.

Die so verstandene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte trotz des Kaufes von drei Packungen des Medikaments nur einmal den Eigenanteil berücksichtigt.

Rechtsgrundlage für den Abzug des Eigenanteils ist § 45 Abs. 1 Nr. 1 NBhVO. Danach mindern sich die beihilfefähigen Aufwendungen um einen Eigenbehalt in Höhe von 10 Prozent, jedoch mindestens um fünf und höchstens um zehn Euro, jedoch jeweils nicht um mehr als die tatsächlichen beihilfefähigen Aufwendungen bei Arznei- und Verbandmitteln.

Es ist der Klägerin zwar einzuräumen, dass die genannte Vorschrift nicht ausdrücklich auf den Apothekenabgabepreis abstellt. Nach Sinn und Zweck der Regelung bezieht sich der Eigenanteil jedoch jeweils auf den Abgabepreis für die erstandene Packung. Eine andere Handhabung wäre im Übrigen auch nicht praktikabel.

§ 45 NBhVO ist § 61 SGB V nachgebildet und soll das System der Zuzahlung durch die Pflichtversicherten auf den Kreis der Beihilfeberechtigten übertragen.

Zu § 61 SGB V hat das Sozialgericht Aachen entschieden, dass bei Arzneimitteln, die in einer verordneten Großpackung weder vorrätig noch lieferbar sind, eine Apotheke berechtigt, das Arzneimittel in mehreren kleineren Packungen an den Versicherten abzugeben. Die zu leistende Zuzahlung richtet sich dann jedoch nicht nach der ursprünglich verordneten Packungsgröße, sondern nach der Anzahl und Größe der tatsächlich abgegeben Packungen (Urteil vom 22.10.2013 - S 13 KR 223/13 -, zit. n. juris). Zur Begründung heißt es in der Entscheidung: „Anknüpfungspunkte für die Zuzahlung sind hiernach das "verordnete Arzneimittel" und der "Abgabepreis". Das verordnete Arzneimittel im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB V war im vorliegenden Fall "Atmadisc 50/250 Diskus PUL". Ob und in welcher Art sich die Packungsgröße auf die Zuzahlungsverpflichtung der Versicherten auswirkt, ergibt sich unmittelbar weder aus § 31 Abs. 3 SGB V noch aus § 61 Satz 1 SGB V. Mittelbar ist die Packungsgröße jedoch im Rahmen des für die Höhe der Zuzahlung maßgeblichen Abgabepreises von Bedeutung. § 61 Satz 1 enthält keine Legaldefinition des dort verwendeten Begriffs "Abgabepreis". Das SGB V verwendet diesen Begriff auch in anderen Vorschriften und in unterschiedlichem Zusammenhang, z.B. - "Apothekenabgabepreis" in § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V und § 3 Abs. 1 AmPreisVO, - "für den Versicherten maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis" in § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5a und § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB V, -"Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers" in § 129 Abs. 5a und § 130a SGB V. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 61 Satz 1 SGB V ist mit dem dort genannten Begriff "Abgabepreis" der für den Versicherten maßgebliche Arzneimittelabgabepreis, das ist der "Apothekenabgabepreis", gemeint. Davon geht auch die Klägerin aus. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV in der hier anzuwendenden bis 31.12.2012 geltenden Fassung ist jedoch bei Fertigarzneimitteln der Apothekenabgabepreis die Summe aus dem Netto-Einkaufspreis, einem Festzuschlag von 3 %, weiteren 8,10 EUR und der Umsatzsteuer je Packung, nicht je verordnetem Arzneimittel (Hervorhebung durch das erkennende Gericht). Andernfalls wäre nicht nur die Zuzahlung, sondern konsequenterweise auch die Apothekenzuschläge (3 % und 8,10 EUR) sowie der Apothekenrabatt (2,05 EUR) nicht nach der abgegebenen Packung, sondern dem verordneten Arzneimittel zu bemessen. Denn auch § 3 Abs. 1 AMPreisV und § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB V beziehen sich im Text nicht auf die "Packung", sondern das "Arzneimittel". Diese Konsequenz ihrer Auffassung zieht die Klägerin aber nicht. Sie wäre auch nicht mit Gesetz und Verordnung in Einklang zu bringen, weil sich der "Apothekenpreis" für Fertigarzneimittel - wie aufgezeigt - auch nach der "Packung" (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 AMPreisV) richtet und zwar nach den tatsächlich - nicht fiktiv - abgegebenen Arzneimittelpackungen. ... Der hiervon abweichenden Auffassung der Klägerin, die von den Versicherten zu leistende Zuzahlung müsse sich nach dem Abgabepreis richten, der maßgeblich wäre, wenn das verordnete Arzneimittel in der auf dem Rezept vermerkten Packungsgröße abgegeben worden wäre (…), stehen nicht nur die dargelegten rechtssystematischen Erwägungen entgegen. Die Klägerin führt für ihre Ansicht an, dass es gelte, Nachteile für die Versicherten zu vermeiden, die aus Lieferschwierigkeiten erwachsen. Dieses - auf den ersten Blick verständliche - Eintreten für die Interessen der Versicherten, die zugleich die Kunden der Apotheke sind, spiegelt jedoch nur die eine Seite der Medaille wieder. Die andere Seite ist die der abgebenden Apotheke. Tatsächlich war es hier nämlich so, dass die Lieferschwierigkeiten und die daraus resultierende Abgabe von drei N1-Packungen anstatt einer N3-Packung "Atmadisc 50/250 Diskus PUL" zu einem um 8,73 EUR brutto höheren Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Krankenkasse geführt hat. Würde die Klägerin ihren aus dem Rezept vom 10.12.2012 resultierenden Vergütungsanspruch nicht mit der auf den Abgabepreis der drei abgegebenen N1-Packungen des Arzneimittels Atmadisc zu entrichtenden Zuzahlungsbetrag von 16,98 EUR verrechnen müssen, sondern - wie sie es zu Gunsten der Versicherten für richtig hält - nur mit dem Zuzahlungsbetrag von 10,00 EUR, wie er sich fiktiv aus der vom Arzt auf dem Rezept vermerkten, aber nicht lieferbaren Packungsgröße N3 errechnet, ergäbe sich für die Klägerin sogar ein um 15,71 EUR brutto höherer Vergütungsanspruch. Hätte die beklagte Krankenkasse also das Rezept vom 10.12.2012 nach der Vorstellung der Klägerin abzurechnen, würden die damaligen Lieferschwierigkeiten zwar den Versicherten nicht belasten, die Apotheke aber zusätzlich verdienen lassen. Gegen eine Auslegung der Zuzahlungsregelung der §§ 31 Abs. 3, 61 Satz 1 SGB V im Sinne der Klägerin spricht zuletzt auch, dass sie das Problem der - eigentlich vom pharmazeutischen Unternehmer zu vertretenen - Lieferschwierigkeiten zu Gunsten der Versicherten und hier auch der Apotheke auf die Krankenkasse abwälzt, die jedoch die Lieferschwierigkeiten genauso wenig wie die Vorgenannten zu vertreten hat. Die Lösung des im vorliegenden Fall aufgezeigten Problems, dass durch Lieferschwierigkeiten u.U. höhere Zuzahlungen als bei Lieferfähigkeit anfallen, obliegt nicht den Gerichten durch eine zweifelhafte, interessengeleitete Auslegung der Vorschrift des § 61 Satz 1 SGB V gegen deren Wortlaut ("Abgabepreis"), sondern allenfalls dem Gesetzgeber (SG Aachen, a.a.O., Rdnr. 22 ff.).

Dem schließt sich das erkennende Gericht hinsichtlich der vergleichbaren beihilferechtlichen Fragestellung an. Solange der Gesetzgeber bzw. der Verordnungsgeber an der Übertragung der Zuzahlungsregelungen des SGB V auf die Beihilfe festhält, richtet sich der anzusetzende Eigenanteil nach der Anzahl der abgegebenen Packungen, unabhängig von der verordneten Anzahl bzw. der Frage, welche Packungsgrößen der Handel überhaupt anbietet (so auch VG Hannover, Urteile vom 08.01.2007 - 2 A 6518/04 - und vom 04.01.2010 - 2 A 1327/08 -, in denen ebenfalls nur auf die Anzahl der verkauften Packungen abgestellt wurde). Die Klägerin kann zur Abmilderung der zugegebenen für sie sich ergebenden Mehrbelastungen nur auf die Möglichkeit eines Antrages nach § 46 NBhVO bzw. die Geltendmachung der Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung im Rahmen der Einkommenssteuererklärung verwiesen werden.

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.