Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.04.2014, Az.: 7 A 5659/13

Benutzungspflicht; besondere Gefahrenlage; Ermessen; Mindestbreite; Radweg; Vorschriftszeichen 240; Vorschriftszeichen 241; VwV StVO; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
24.04.2014
Aktenzeichen
7 A 5659/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42507
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Ermessensausübung bei der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht

Tenor:

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten (stadtauswärts) zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“ wird insoweit aufgehoben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet worden ist.

Die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten (stadteinwärts) zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der Brücke über die „G.“ wird insoweit aufgehoben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet worden ist.

Der Kläger und die Beklagte tragen die Gerichtskosten zu je 1/2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 1/2. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger zu 1/2. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht, die die Beklagte für eine etwa 1 Km lange Teilstrecke der in ihrem Stadtgebiet verlaufenden Straße „C.“ (in diesem Bereich K 104) beidseits angeordnet hat.

Die seit den 1980er Jahren für den gesamten Verlauf der Straße „C.“ angeordnete Radwegebenutzungspflicht hob die Beklagte für den nördlichen Abschnitt zwischen der H. /„I.“ und der aus nordwestlicher Richtung auftreffenden Straße „D.“ am 20. Dezember 2012 auf. Für den weiteren Verlauf der westlichen, stadtauswärts führenden Straßenseite ordnete die Beklagte gleichzeitig durch Zeichen 241 (Getrennter Rad- und Gehweg) die vorliegend streitige Radwegebenutzungspflicht bis zur Einmündung der Straße „E.“ an. Entlang der östlichen, stadteinwärts führenden Fahrspur änderte die Beklagte im Juli bzw. August 2013 für die Teilstrecke von der Einmündung des von Süden auf die Straße „C.“ treffenden Weges „F.“ bis kurz vor Erreichen der G. -Brücke die bis dahin ebenfalls durch Zeichen 241 geregelte Benutzungspflicht und ordnete diese nunmehr durch Zeichen 240 (Gemeinsamer Geh- und Radweg) an.

Die Straße „C.“ trifft an ihrem nördlichen Ende in der J. Neustadt auf die H. bzw. die Straße „I.“ und führt in südwestlicher Richtung auf den J. Stadtteil K. zu. Zunächst durchquert sie geschlossen bebautes Stadtgebiet; ab einer Brückenquerung über die G. verläuft sie durch deren Überlaufbecken am L. vorbei durch unbebautes Gebiet. Kurz bevor die Bundesstraße 243 den Straßenverlauf auf einer Überbrückung quert, ändert sich die Straßenbenennung in M. Straße; diese führt dann in den Stadtteil K.. Die Fahrbahn der streitbefangenen Straße ist gegenläufig einspurig ausgebaut. Unmittelbar hinter der G. -Brücke stadtauswärts befindet sich eine Lichtzeichenanlage; dort weist die Fahrbahn eine Breite - dies ist jeweils zwischen den Bordsteinen gemessen - von ca. 7,70 m auf. Es schließt sich ca. 100 m weiter stadtauswärts die nördliche Zu-/Ausfahrt zum Parkplatz der Gaststätte „N.“ an; dort ist für die aus Richtung K. kommenden Fahrzeuge eine Abbiegespur angelegt, so dass die Fahrbahnbreite hier ca. 10,60 m beträgt. Die Straße verläuft weitgehend gradlinig und macht hinter dem Brückenbauwerk in Richtung stadtauswärts eine leichte Linkskurve und weiter südlich eine leichte Rechtskurve. Ab der Einmündung der Straße „D.“ markieren (schwach) rot eingefärbte Gehwegplatten zur Größe von 30 x 30 cm einen Radweg. Auf der G. -Brücke findet sich keine Fortsetzung der Markierung des Radweges; jenseits der G. -Brücke wird die Radwegmarkierung stadtauswärts wieder in der Breite von ca. 0,90 m aufgenommen. Der Radweg ist durch zwei weitere Platten zum Bordstein hin abgegrenzt. Die Gesamtbreite des getrennten Geh- und Radweges beträgt südlich der Einfahrt zur Gaststätte „N.“ ca. 3,00 m. Hinter der südlichen Ausfahrt des Parkplatzes des „N.“ liegt unmittelbar eine Bushaltebucht. Ausweislich des Fahrplans der Bushaltestelle findet sich jedenfalls werktags stündlich ein Busverkehr von vier Takten je Richtung. Südlich der Bushaltestelle ist auf einer Strecke von ca. 200 m eine Holzbarriere mit einer Höhe von ca. 0,50 m errichtet, die den Radweg von der Fahrbahn abgrenzt und deren Befestigungsstützen im Abgrenzungsstreifen zwischen markiertem Radweg und Bordstein gegründet sind. Der Ausbauzustand des Geh- und Radweges ist in seinem weiteren Verlauf bis zur Einmündung der Straße „E.“ unverändert. Bauliche Maßnahmen zur Führung des Fahrradverkehrs auf der Fahrbahn sind nicht vorhanden.

Der parallel zu der südlichen, vom Stadtteil K. stadteinwärts führenden Fahrspur verlaufende gemeinsame Geh- und Radweg, der in Höhe der Einmündung des von Süden auf die Straße „C.“ treffenden Weges „F.“ durch das Zeichen 240 angeordnet ist, weist dort eine Breite von 2,10 m auf. Nach etwa 150 m beginnt eine Pflastermarkierung zur Breite von 0,90 m, die sich bis zur G. -Brücke hin erstreckt. Die Breite des gemeinsamen Geh- und Radweges beträgt in diesem Bereich durchgehend 3,00 m. Im weiteren Verlauf gabelt sich der gemeinsame Geh- und Radweg höhenversetzt entlang einer ca. 200 m langen Bauminsel. Die vorbeschriebene Markierung führt unmittelbar an der Fahrbahn bzw. an parallel zum Radweg angelegten Parkbuchten entlang. Die Gabelungen weisen jeweils eine Breite von insgesamt 1,50 m auf und werden durch die Einmündung der Zuwegung zur „H. Kolonie“ unterbrochen, zu der auf der Fahrbahn der Straße „C.“ ebenfalls eine Abbiegespur angelegt ist. Unmittelbar vor der G. -Brücke findet sich das Zusatzzeichen 1022-10 „Radfahrer frei“. Die Radwegmarkierung führt bis zum Beginn der Brücke und setzt sich jenseits der Brücke fort. Auch hier sind bauliche Maßnahmen zur Führung des Fahrradverkehrs auf die Fahrbahn nicht vorvorhanden; der Bordstein ist nicht abgesenkt.

Der Kläger hatte erstmals mit E-Mail vom 21. Dezember 2012 bei der Beklagten die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht für die gesamte Streckenführung der Straße „C.“ beantragt. Es folgte weiterer Schriftverkehr, in dem die jeweiligen Standpunkte und Argumente ausgetauscht wurden. Mit Schreiben vom 03. Juni 2013 fasste die Beklagte ihre Auffassung dahin zusammen, die Fahrbahn der insgesamt stark frequentierten und von Linienbussen befahrenen Straße „C.“ sei nicht sehr breit, sodass es beim Überholen von die Fahrbahn nutzenden Fahrradfahrern zu gefährlichen Situationen kommen könne, weil die gerade Strecke die Kraftfahrzeugführer zum Überholen verleite; das Befahren der ohnehin nur gering frequentierten Radwege sei hingegen zumutbar, insbesondere wiesen diese auch die erforderliche Mindestbreite auf.

Daraufhin hat der Kläger am 14. Juli 2013 Klage beim Verwaltungsgericht Hannover erhoben und zunächst beantragt,

1a) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten (stadtauswärts) zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“ insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet ist,

1b) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten (stadteinwärts) zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der G. -Brücke insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet ist,

2) die Beklagte zu verpflichten, auf der Fahrbahn der Straße „C.“ in den nach dem Klagantrag zu 1) bezeichneten Abschnitten beidseits einen Schutzstreifen für Radfahrer (Zeichen 340) zu markieren,

hilfsweise,

Geh- und Radweg in den im Klagantrag zu 1) bezeichneten Abschnitten in den von der Straßenverkehrsordnung, den Verwaltungsvorschriften zur StVO und ergänzenden Veröffentlichungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen geforderten baulichen Zustand zu versetzen.

Der Kläger hat im Verlauf der mündlichen Verhandlung den Klageantrag zu 2) und den Hilfsantrag mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Zur Begründung der Klage führt er im Wesentlichen aus, die Beklagte habe eine besondere, die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht rechtfertigende Gefahrenlage nicht belegt. Im Übrigen werde die Benutzungspflicht seit Dezember 2012 in weiten Teilen der Straße „C.“ offensichtlich nicht für notwendig erachtet, ohne dass sich in der Zwischenzeit im Verkehrsgeschehen oder der Verkehrsbelastung etwas geändert habe. Linienbusse führen auf der gesamten Strecke der Straße “ C.“. Die gesamte streitbefangene Strecke verlaufe nahezu gerade. Durch die überbreite Fahrbahn im strittigen Abschnitt sei ein Mischverkehr auf der Fahrbahn problemlos möglich. Die streitigen Radwege seien insbesondere im Sommer eine von Berufspendlern und Schulkindern stark befahrene Route. Auf der östlichen Seite werde der Seitenabstand zu parkenden Fahrzeugen eingehalten. Im Bereich des unmittelbar an den östlichen Radweg angrenzenden Parkstreifens müsse ein Fahrradfahrer ständig mit unvorsichtig geöffneten Autoseitentüren von abgestellten Kraftfahrzeugen rechnen; der erforderliche Seitenabstand von einem Meter neben parkenden Fahrzeugen werde nicht eingehalten. Dies sei auch nicht möglich, weil der Radweg dort nur 1,50 m breit sei. Die Radwegeführung im Bereich der Zu- und Abfahrten zum Parkplatz am Restaurant „N. " erzeuge regelmäßig gefährliche Situationen. Zwar weise ein Hinweisschild auf kreuzenden Radverkehr hin, aber die Sichtbeziehungen zur Straße sorgten unvermeidbar für ein Befahren des Radwegs durch Kraftfahrzeuge.

Der Kläger beantragt,

a) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten (stadtauswärts) zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“ insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet ist,

b) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten (stadteinwärts) zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der G. -Brücke insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihre Darlegungen aus der vorgerichtlichen E-Mail vom 03. Juni 2013. Ergänzend führt sie aus, für die (gesamte) Straße „C.“ bestehe aufgrund des Umstandes, dass die letzte Schleifenzählung aus dem Jahre 2006 ein Verkehrsaufkommen von über 21.000 Fahrzeuge - davon über 400 Fahrzeuge Schwerverkehr - pro Tag ergeben habe, eine Gefahrenlage, die die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht rechtfertige. Allerdings habe für den nicht streitbefangenen, nördlichen Abschnitt der Straße an der Benutzungspflicht nicht festgehalten werden können, weil dort die Pflasterung des Radwegs durch Baumwurzeln hochgedrückt und es im Bereich von Grundstückseinfahrten zu Sichtproblemen gekommen sei.

Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss die Örtlichkeit am 24. April 2014 in Augenschein genommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift verwiesen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

II.

Die Klage ist im Übrigen sowohl zulässig (1.) als auch begründet (2.).

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 VwGO gegen die durch die Vorschriftszeichen 240 und 241 (Nrn. 19 und 20 der Anlage 2 zur StVO) als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 2 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG) bekannt gemachten Anordnungen der Beklagten vom 20. Dezember 2012 bzw. vom Juli/August 2013 statthaft, soweit diese eine Radwegbenutzungspflicht regelt; Weitergehendes ist auch nicht streitgegenständlich. Die Klage ist auch fristgerecht erhoben. Da hier ein Vorverfahren nach § 68 VwGO gemäß § 8 a Abs. 1 NdsAGVwGO nicht stattfindet, musste die Klage gemäß §§ 74 Abs. 1 S. 2, 58 Abs. 2 S. 1 VwGO innerhalb eines Jahres, nachdem sich der Kläger erstmals der Regelung durch Verkehrszeichen gegenübergesehen hat, erhoben werden (vgl. zu Letzterem BVerwG, Urteile v. 23.09.2010 - 3 C 32/09 - u. - 3 C 37/09 -, jeweils juris). Diese Frist hat der Kläger zweifelsfrei mit seiner am 16. Juli 2013 erhobenen Klage eingehalten. Denn die streitige Beschilderung war erst ab dem 20. Dezember 2012 (stadtauswärts) bzw. ab dem Juli/August 2013 (stadteinwärts) angebracht.

2. Die Klage ist auch begründet. Die durch die Beklagte für eine Teilstrecke der in ihrem Stadtgebiet verlaufenden Straße „C.“ angeordnete Benutzungspflicht - bezüglich des getrennten Rad- und Gehweges zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“ (stadtauswärts) sowie hinsichtlich des gemeinsamen Geh- und Radweges zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der Brücke über die G. (stadteinwärts) - ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass insoweit eine besondere Gefahrenlage für den Straßenverkehr vorliegt, die grundsätzlich ein Einschreiten der Beklagten rechtfertigt (a.). Die Beklagte hat das ihr insoweit zustehende Ermessen aber nicht ordnungsgemäß ausgeübt (b.).

a.) Maßgeblich ist aufgrund des Charakters der Verkehrsregelung als Dauerverwaltungsakt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts (vgl. BVerwG, Urteile v. 23.09.2010, a. a. O.).

Die streitige Radwegbenutzungspflicht ist an § 45 Abs. 9 und Abs. 1 S. 1 StVO (i. d. F. v. 06.03.2013, BGBl. I S. 367) zu messen. Denn die Radwegbenutzungspflicht ist eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 S. 2 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 1 StVO. Nach § 2 Abs. 4 S. 2 StVO besteht eine Benutzungspflicht der Radwege unter anderem, wenn dies durch Zeichen 240 oder 241 (lfd. Nrn. 19 u. 20 d. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO -Anlage 2-) angeordnet ist. Ferner ist Kehrseite dieses Nutzungsgebotes das Verbot für Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42/09 -, BVerwGE 138, 159 = NJW 2011, 152 = NZV 2011, 363).

Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken. Gemäß § 45 Abs. 9 S. 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko oder eine Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Gefordert wird dabei nicht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, sondern eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit, d. h. eine konkrete Gefahr aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse (vgl. BVerwG, Urteile v. 23.09.2010, a. a. O.). Besondere örtliche Verhältnisse in diesem Sinne können dabei insbesondere in der Streckenführung, in dem Ausbauzustand der Strecke, in witterungsbedingten Einflüssen (zum Beispiel Nebel, Schnee- und Eisglätte), in der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und in den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010, a.a.O.).

Nach den vorgenannten Grundsätzen spricht Überwiegendes dafür, dass in dem hier streitbefangenen Streckenabschnitt der Straße „C.“ eine besondere Gefahrenlage im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs vorliegt, die grundsätzlich ein Einschreiten der Beklagten rechtfertigt. Zwar hat die Beklagte nicht darzulegen vermocht, dass auffällig häufig Radfahrer an Unfällen in dem streitigen Streckenabschnitt der Straße „C.“ beteiligt sind. Gleichwohl spricht die hohe Verkehrsbelastung bei einer eher geringen Fahrbahnbreite dafür, hinsichtlich dieses Straßenabschnitts von einer das allgemeine Risiko erheblich übersteigenden Gefahrenlage auszugehen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass für die Wertung, ob die in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vorausgesetzte besondere Gefährdungslage vorliegt, auch auf die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen zurückgegriffen werden kann (BVerwG, Beschl. v. 16.04.2012 - 3 B 62/11 -, NJW 2012, 3048 = juris und Urt. v. 18.11.2010, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Ausgabe 2010 (ERA 2010) wäre hier bei einem Mischverkehr von Kraftfahrzeugen und Radfahrern auf der Fahrbahn eine solche Gefahr gegeben.

Die Kammer geht aufgrund des Ergebnisses der letzten Schleifenzählung im Jahre 2006 davon aus, dass der hier streitige Straßenabschnitt einer Verkehrsbelastung von etwa 21.000 Kraftfahrzeugen - davon über 400 Fahrzeuge Schwerverkehr - pro Tag und von mehr als 1.400 Kraftfahrzeugen (Kfz) je Stunde zu Spitzenzeiten an Werktagen außer samstags ausgesetzt ist. Der letztgenannte Wert wurde zwar durch eine lediglich an einem Tag im Juni 2007 zwischen 15.00 Uhr und 20.00 Uhr seitens des zuständigen Fachbereichs der Beklagten durchgeführten Verkehrszählung ermittelt (vgl. Beiakte „B“, Bl. 191); er korrespondiert aber mit dem Ergebnis der genannten Schleifenzählung, denn es kann ohne weiteres angenommen werden, dass die dort ermittelten 21.000 Kfz nicht gleichmäßig über die Tagessstunden verteilt die Straße „C.“ befahren, sondern die Stunden des Berufsverkehrs morgens und am späten Nachmittag/frühen Abend ein deutlich über dem Durchschnitt liegendes Verkehrsaufkommen aufweisen.

Mit dieser Verkehrsbelastung und der maximal zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h befindet sich die Straße „C.“ bereits im Übergang zum Belastungsbereich IV des Bildes 7 in Abschnitt 2.2.3 der ERA 2010 (S. 19), in dem das Trennen von Kfz- und Radverkehr unerlässlich ist. Zwar ermöglicht die Fahrbahnbreite von ca. 7,70 m grundsätzlich auch breiteren Fahrzeugen, wie z.B. einem Omnibus, noch ein Überholen des Fahrradfahrers unter Einhaltung eines nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ausreichenden Seitenabstandes. Dabei geht die Kammer zunächst von § 32 Abs. 1 Nr. 1 StVZO aus, wonach die allgemeine Fahrzeugbreite von 2,55 m nicht überschritten werden darf. Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums für Radfahrer von 1 m und eines in der Regel zum Radfahrer einzuhaltenden Seitenabstandes von 1,50 m (vgl. dazu König in: Hentschel/ König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42 Aufl., § 5 StVO Rz. 54, 55 m. w. N. aus d. Rspr.) und davon ausgehend, dass ein Kraftfahrzeug einschließlich Außenspiegel üblicherweise etwa 2,00 m breit ist, bietet die genannte Fahrbahnbreite ausreichend Raum für einen Überholvorgang. Allerdings ist das Überholen eines Radfahrers im Falle von Gegenverkehr nicht mehr gefahrenlos möglich. Hinzu kommt, dass auf Teilen des streitigen Streckenabschnitts eine durchgezogene Linie das Überholen verbietet (Zeichen 295, lfd. Nr. 68 Anlage 2 zur StVO). In diesen Situationen muss der Autofahrer, der sich hinter einem Radfahrer befindet, seine Geschwindigkeit solange anpassen, bis das entgegenkommende Fahrzeug vorbeigefahren und das Überholen erlaubt ist. Bei dem beschriebenen hohen Verkehrsaufkommen, insbesondere in Spitzenzeiten während des Berufsverkehrs, dürften erhebliche Verzögerungen im Verkehrsablauf eintreten, weil unter Umständen für geraume Zeit ein Überholen nicht möglich ist. Vor allem aber steht zu befürchten, dass in diesen Situationen Autofahrer unter Missachtung des erforderlichen Sicherheitsabstandes überholen werden/würden. Dies rechtfertigt hier grundsätzlich die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht.

Auch nach der Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO, Rdnr. 9 (i. d. F. v. 07.06.2009, BAnz. S. 2050, dort Rdnr. 9) - VwV-StVO - kann insbesondere bei innerörtlichen Vorfahrtsstraßen mit starkem Kraftfahrzeugverkehr die Verkehrssicherheit und der Verkehrsablauf eine Radwegbenutzungspflicht erfordern.

b.) Die angegriffenen Anordnungen der Radwegbenutzungspflicht im Verlauf der Straße „C.“ sind jedoch ermessensfehlerhaft erfolgt. Die Begründung für diese Anordnungen, die die Beklagte gegenüber dem Kläger in ihrem Schreiben vom 03. Juni 2013 abgegeben und die sie mit ihren Schriftsätzen im Klageverfahren ergänzt hat, weist Ermessensdefizite und damit der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Rechtsfehler auf.

Gemäß § 114 Satz 1 VwGO ist die gerichtliche Kontrolle einer behördlichen Ermessensentscheidung auf die Überprüfung beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind, oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ermessensfehlerhaft in diesem Sinne ist ein Verwaltungsakt auch, wenn die Behörde bei ihrem Handeln, von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht (siehe dazu Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 114 Rdnr. 12). So liegen die Dinge hier. Denn die Beklagte geht jedenfalls zu Unrecht davon aus, dass der getrennte Rad- und Gehweg entlang der westlichen, stadtauswärts führenden Fahrspur (aa.) sowie der gemeinsame Geh- und Radweg parallel zur östlichen, stadteinwärts führenden Fahrspur (bb.) jeweils die Anforderungen erfüllen, die an die Zumutbarkeit ihrer Nutzung zu stellen sind.

aa.) Das den Antrag des Klägers auf Aufhebung der Radwegebenutzungsflicht für die Straße „C.“ ablehnende Schreiben der Beklagten vom 03. Juni 2013 geht bereits insoweit von unzutreffenden bzw. unzureichend ermittelten Voraussetzungen aus, als darin mitgeteilt wurde, dass die Radwege auch die erforderliche Mindestbreite aufwiesen. Dies trifft hinsichtlich der Vorgaben der VwV-StVO (jedenfalls) für den getrennten Rad- und Gehweg stadtauswärts zwischen der Straße „D.“ und der Straße „E.“ für einen Teil der Strecke nicht zu. Nach den VwV-StVO soll bei Anordnung durch das Zeichen 241 die Mindestbreite eines Radweges 1,50 m betragen (Rdnr. 20). Diese Breite weist der Radweg in dem Bereich nicht auf, in dem auf einer Strecke von ca. 200 m eine Holzbarriere mit einer Höhe von ca. 0,50 m errichtet ist, die den Radweg von der Fahrbahn abgrenzt. Denn dort - wie im gesamten Verlauf des stadtauswärts führenden streitigen Streckenabschnitts der Straße „C.“ mit Ausnahme der G. -Brücke - markieren jeweils drei (schwach) rot eingefärbte Gehwegplatten zur Größe von 30 x 30 cm einen Radweg, und der Radweg ist durch zwei weitere Platten in dieser Größe zum Bordstein hin abgegrenzt. An dieser Stelle kann offen bleiben, ob - wie die Beklagte meint - diese Abgrenzungsplatten (auch) in rechtlicher Hinsicht zum Radweg zählen und somit die Soll-Breite von 1,50 m erreicht wird, oder ob - wie der Kläger einwendet - die Abgrenzungsplatten als Sicherheitsstreifen zur Fahrbahn anzusehen sind. Denn jedenfalls soweit die genannte Holzbarriere auf den Abgrenzungsplatten errichtet ist, stehen diese nicht dem Radverkehr zur Verfügung und können daher bereits nicht zum Radweg gezählt werden. Dieser hält damit auf einem nicht lediglich kurzen, vernachlässigbaren Streckenabschnitt (vgl. zu solchen Ausnahmen: VwV-StVO, Rdnr. 22) die Soll-Breite nicht ein.

Der westlich der Straße „C.“ geführte getrennte Rad- und Gehweg erfüllt in dem streitigen Abschnitt auch insofern nicht die Vorgaben der VwV-StVO, als danach die Linienführung eindeutig, stetig und sicher sein soll; an Kreuzungen und Einmündungen soll die Linienführung und der Radwegeverlauf auch für den Ortsfremden eindeutig erkennbar … und sicher gestaltet sein (Rdnrn. 16, 25). Jedenfalls die nördliche Einmündung von dem Parkplatz des „N.“ in die Straße “ C.“ entspricht dieser Anforderung trotz des dort für die ausfahrenden Kraftfahrzeugführer angebrachten Hinweisschildes nicht, weil durch einen Zaun und den vorhandenen Bewuchs durch Bäume und Sträucher der Einblick in den Radweg sehr eingeschränkt ist.

Darüber hinaus entspricht der Radweg auf diesem Streckenabschnitt den Anforderungen der VwV-StVO auch insofern nicht, als diese für eine Benutzungspflicht voraussetzen, dass der Radweg (u.a.) frei von Hindernissen ist (Rdnr. 17). Dem widerspricht das Vorhandensein der Holzbarriere eindeutig, wenn sie - nach dem Rechtsverständnis der Beklagten - im Radweg errichtet ist.

Der getrennte Rad- und Gehweg erfüllt in dem streitigen Abschnitt weiterhin insofern nicht die Vorgaben der VwV-StVO wonach, eine sichere Gestaltung des Radweges (Rdnrn. 16, 25) nicht angenommen werden kann, wenn - wie vorliegend - der Radverkehr am Ende des benutzungspflichtigen Radwegeabschnitts kurz hinter der Einmündung der Straße „E.“ übergangslos auf die Straße „C.“ geleitet wird. Die hohe Verkehrsdichte auf dieser Straße und der Umstand, dass sich unmittelbar in dieser Fahrtrichtung eine Rechtsabbiegespur anschließt, machen es für einen sicheren Übergang des Radverkehrs auf die Fahrbahn erforderlich, diesen Übergang auf der Fahrbahn farblich zu kennzeichnen oder auf andere Weise die Kraftfahrzeugführer auf das Ende des Radweges und den zufließenden Radverkehr aufmerksam zu machen.

bb.) Der stadteinwärts verlaufende Geh- und Radweg weist ab der Einmündung des Weges „F.“ bis zur weiter stadteinwärts angelegten Bushaltestelle nur eine Breite von ca. 2,10 m, im Bereich der Bushaltestelle von nur 1,80 m auf. Damit wird die nach der VwV-StVO (Rdnr. 21) vorgesehene Soll-Breite von 2,50 m nicht eingehalten, ohne dass es sich etwa um einen lediglich kurzen, vernachlässigbaren Streckenabschnitt (vgl. zu solchen Ausnahmen: VwV-StVO, Rdnr. 22) handelt. Gerade die Unterschreitung der vorgegebenen Breite im Bereich der Bushaltestelle erscheint als gefahrerhöhend, weil der Radverkehr hier unter Umständen auf eine Gruppe wartender Busfahrgäste trifft und der zur Verfügung stehende Raum für ein gefahrloses Passieren der Radfahrer nicht ausreicht.

Die nördlich der Bushaltestelle durch rote Einfärbung der drei der Fahrbahn nächsten Pflasterplatten hergestellte optische Trennung von Geh- und Radweg steht im Widerspruch zu der für diesen Streckenabschnitt durch Zeichen 240 erfolgten Anordnung eines gemeinsamen Geh- und Radweges.

Auch der weitere Verlauf des gemeinsamen Geh- und Radweges stadteinwärts entspricht nicht den Voraussetzungen der VwV-StVO, weil er nicht eindeutig ist. Etwa in der Mitte dieses Streckenabschnitts gabelt er sich höhenversetzt entlang einer ca. 200 m langen Bauminsel; beide Spangen weisen eine Breite von jeweils 1,50 m auf. Die unmittelbar an der Fahrbahn geführte Spange ist rot markiert, sodass für den unbefangenen Fahrradfahrer der Eindruck entsteht, er dürfe lediglich diese Spange befahren.

Hinzu kommt, dass der Radweg im Bereich dieser rot markierten Spange nicht sicher geführt ist. Denn insoweit verläuft er in nahezu seiner gesamten Länge unmittelbar entlang in Längsrichtung angelegter Parkbuchten, ohne dass zu diesen ein Sicherheitsabstand vorhanden ist. Es besteht daher die Gefahr, dass Radfahrer, die diese Spange befahren, mit Beifahrertüren parkender Kraftfahrzeuge kollidieren, wenn diese unachtsam geöffnet werden.

Im Übrigen mangelt es auch auf dem stadteinwärts führenden Radweg insofern an einer sicheren Gestaltung, als der Radverkehr am Ende des benutzungspflichtigen Radwegeabschnitts kurz vor der G. -Brücke die Straße „C.“ befahren darf, ohne dass auch nur ein baulicher Übergang auf die Fahrbahn vorhanden ist; der Bordstein ist hier nicht abgesenkt. Eine farbliche Markierung auf der Fahrbahn oder andere Hinweise an die Kraftfahrzeugführer, dass ab dieser Stelle Radfahrer die Fahrbahn nutzen dürfen, fehlen ebenfalls.

Nach alldem ist die Radwegebenutzungspflicht in den streitbefangenen Abschnitten der Straße „C.“ ermessensfehlerhaft angeordnet.

III.

Soweit die Beklagte unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen; soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, sind ihm nach § 155 Abs. 2 VwGO die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Kammer gewichtet die zurückgenommenen und die erfolgreichen Anträge gleich.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.