Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.01.2002, Az.: 14 U 85/01

Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall wegen Verstoßes gegen die sogenannte zweite Rückschaupflicht beim Überholen; Ausscheren zum Überholen ohne Gefährdung der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer; Behinderung des Gegenverkehrs im Rahmen eines Überholvorgangs; Höhe eines zu bemessenden immateriellen Schadens bei einem Verkehrsunfall

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.01.2002
Aktenzeichen
14 U 85/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 32357
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2002:0124.14U85.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 05.02.2001 - AZ: 4 O 444/94

Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2001
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...,
des Richters am Oberlandesgericht ... und
des Richters am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Februar 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise dahin geändert, dass sich das von den Beklagten als Gesamtschuldner an den Kläger zu zahlende Schmerzensgeld auf 30.677,51 EUR (= 60.000 DM) ermäßigt.

Wegen des diesen Betrag übersteigenden vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldes wird die Klage ebenfalls abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 69 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 31 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 57 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 43 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 37.500 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Kläger darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7.500 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Den Beklagten wird gestattet, die Sicherheit auch durch die unbefristete, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu leisten.

Der Wert der Beschwer beträgt für den Kläger 20.451,68 EUR (= 40.000 DM) und für die Beklagten 40.903,35 EUR (= 80.000 DM).

Tatbestand

1

Der Kläger macht mit der Klage gegenüber den Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 1. Dezember 1991 gegen 17:40 Uhr ereignete.

2

An diesem Tage befuhr der damals 20-jährige Kläger bei Dunkelheit mit dem Pkw VW Passat Variant seiner Mutter die Kreisstraße ... in der Gemeinde L.-H. in Fahrtrichtung L.. Er näherte sich mit seinem Fahrzeug in einem Bereich, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt war, zwei vor ihm ebenfalls in Richtung L. fahrenden Fahrzeugen, die eine leichte Linkskurve durchführen. Unmittelbar vor dem Kläger befand sich der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw VW Golf. Vor diesem Fahrzeug fuhr Frau H. W. in ihrem Pkw VW Polo. Ausgangs der Linkskurve beabsichtigte der Kläger, beide Fahrzeuge zu überholen. Dabei geriet er auf den linken Grünstreifen, auf dem sein Fahrzeug mit einem Begrenzungspfosten kollidierte. Bei seinem anschließenden Versuch, das Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn zu ziehen, geriet dieses ins Schleudern, überschlug sich mehrfach und blieb schließlich im Straßengraben links neben der Fahrbahn liegen. Der Kläger lag nach dem Unfall auf der Straße, weil er während des Unfallereignisses aus dem Fahrzeug herausgeschleudert worden war. Er erlitt lebensgefährliche Verletzungen wie ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Felsenbeinfraktur, eine Rippenserienfraktur sowie eine Lungenprellung. Im Anschluss an den Unfall befand sich der Kläger bis zum 9. März 1994 in verschiedenen Krankenhäusern in stationärer Behandlung.

3

Unter Berücksichtigung einer ihn treffenden 25 %igen Mithaftung hat der Kläger die Beklagten mit der Begründung auf Schadensersatz in Anspruch genommen, dass der Beklagte zu 1 den Unfall dadurch verschuldet habe, dass er unvermittelt und ohne vorheriges Blinken zu einem Zeitpunkt zum Überholen ausgeschert sei, als er - der Kläger - sich bereits auf der Gegenfahrbahn in Höhe des Pkw des Beklagten zu 1 befunden habe. Der Kläger hat bei einer (unterstellten) 100 %igen Haftung der Beklagten ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 DM für angemessen erachtet. Außerdem hat er eine Mehrbedarfsrente in Höhe von monatlich 400 DM geltend gemacht und die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Zukunftsschäden begehrt.

4

Die Beklagten haben behauptet, dass das Fahrzeug des von hinten herannahenden Klägers für den Beklagten zu 1 noch nicht zu erkennen gewesen sei, als er das vor ihm mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h fahrende Fahrzeug nach dem Durchfahren der Linkskurve habe überholen wollen. Der Beklagte zu 1 habe sich bereits fahrbahnmittig und noch hinter dem vorausfahrenden Pkw VW Polo befunden, als der Kläger sich von hinten mit hoher Geschwindigkeit genähert habe. Deshalb sei der Beklagte zu 1 rechtzeitig wieder nach rechts eingeschert. Der Kläger müsse sich bereits im Verlauf der Linkskurve auf die Gegenfahrspur begeben haben, ohne in der Lage gewesen zu sein, den Verkehr hinter der Kurve einzusehen. Außerdem sei er trotz der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h mit einer Geschwindigkeit von mindestens 100 bis 120 km/h gefahren. Die erheblichen Kopfverletzungen habe der Kläger im Übrigen nur deshalb erlitten, weil er den in seinem Fahrzeug vorhandenen Sicherheitsgurt bei Fahrtantritt nicht angelegt gehabt habe.

5

Das Landgericht ist nach der Vernehmung zweier Zeuginnen und der Einholung mehrerer Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl den Kläger als auch den Beklagten zu 1 ein Verschulden an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls vom 1. Dezember 1991 trifft, und hat eine Haftungsverteilung von 60: 40 zu Lasten des Klägers angenommen. Es hat ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 DM zugesprochen und außerdem die 40 %ige Einstandspflicht der Beklagten für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden des Klägers festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

6

Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie wollen mit ihrem Rechtsmittel die vollständige Abweisung der Klage erreichen, weil sich nicht feststellen lasse, dass das Verhalten des Beklagten zu 1, nämlich das Ausscheren bis zur Fahrbahnmitte, für den Unfall des Klägers überhaupt kausal geworden sei. Als der Beklagte zu 1 sich so verhalten habe, habe der Kläger überhaupt noch nicht zum Überholen angesetzt gehabt. Im Übrigen halten die Beklagten das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld für überhöht, weil der Kläger insbesondere die schweren Kopf- und Hirnverletzungen durch ein Anschnallen hätte verhindern können. Im Übrigen wiederholen und vertiefen die Beklagten im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

7

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Verden die Klage vollständig abzuweisen und im Falle einer Maßnahme gemäß § 711 ZPO als Sicherheitsleistung auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft zuzulassen.

8

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft im Übrigen ebenfalls im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen.

10

Die auch seitens des Klägers eingelegte Berufung mit dem Ziel, eine Erhöhung des ausgeurteilten Schmerzensgeldes und die Feststellung der 100 %igen Einstandspflicht der Beklagten für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden zu erreichen, hat der Kläger im Termin vor dem Senat am 13. November 2001 zurückgenommen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg und führt zu einer Ermäßigung des Schmerzensgeldanspruchs des Klägers auf 60.000 DM. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel der Beklagten dagegen als unbegründet.

13

1.

Der gegenüber den Beklagten geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch ist dem Grunde nach gemäß § 847 BGB i.V.m. § 3 PflVG gerechtfertigt. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten trifft den Beklagten zu 1 ein ursächliches Verschulden an dem Unfall, den der Kläger am 1. Dezember 1991 auf der Kreisstraße ... erlitten hat. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht auch für den Senat fest, dass der Beklagte zu 1 den schweren Unfall und dessen Verletzungsfolgen für den Kläger schuldhaft dadurch herbeigeführt hat, dass er unmittelbar vor dem im Überholen begriffenen Pkw des Klägers selbst nach links bis zur Fahrbahnmitte ausgeschert ist und den Kläger dadurch veranlasst hat, seinerseits nach links auf den linken Grünstreifen auszuweichen. Der Beklagte zu 1 hat durch sein Verhalten gegen § 5 Abs. 4 Satz 1 StVO verstoßen, weil er sich beim Ausscheren zum Überholen nicht so verhalten hat, dass eine Gefährdung des Klägers als nachfolgendem Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Der Beklagte zu 1 hat jedenfalls beim Ausscheren gegen die ihn treffende sog. zweite Rückschaupflicht verstoßen. Hätte er dieser Verpflichtung genügt, hätte er den sich von hinten mit erheblich höherer Geschwindigkeit nähernden Pkw des Klägers bemerkt, seinerseits nicht zum Überholen angesetzt und folglich den Kläger auch nicht zu dem letztlich unfallursächlichen Ausweichmanöver veranlasst. Diese Feststellung beruht einerseits auf dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. vom 20. November 1995, der nach einer Besichtigung der Unfallörtlichkeit ausgeführt hat, dass der kurvige Verlauf der Kreisstraße ... vor Erreichen des geraden Straßenstücks, auf dem sich der Unfall schließlich ereignet hat, auch bei ungünstigen Positionen immer ca. 100 m rückwärtig einzusehen ist, sodass der nachfolgende Pkw des Klägers zum Zeitpunkt des Ausscherentschlusses des Beklagten zu 1 erkennbar war, und andererseits auf den Angaben, die der Beklagte zu 1 bei seiner polizeilichen Vernehmung am 13. Dezember 1991 gemacht hat. Seinerzeit - nur wenige Tage nach dem Unfall - hat der Beklagte zu 1 erklärt, nach einem Blick in den Rück- und Außenspiegel habe er zum Überholen angesetzt und sei gerade auf der Mitte der Fahrbahn - noch hinter dem VW Polo, den er habe überholen wollen - gewesen, als er im Rückspiegel das Fahrzeug des Klägers erkannt habe, das sich von hinten mit hoher Geschwindigkeit genähert habe. Er - der Beklagte zu 1 - habe sofort die Gefahr erkannt, dass dieses Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig hinter ihm würde abbremsen können, sodass er wieder nach rechts hinter den VW Polo eingeschert sei. Dass der Beklagte zu 1 den Pkw des Klägers bei gehöriger Aufmerksamkeit vor seinem eigenen Ansetzen zum Überholen bemerkt hätte, folgt auch aus der Beobachtung, die die Führerin des VW Polo, Frau H. W., bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung durch das Landgericht bekundet hat. Diese Zeugin hat nämlich angegeben, das Fahrzeug des Klägers, das "voll angesaust" gekommen sei, schon von weitem im Rückspiegel erkannt zu haben. Schließlich spricht unter den gegebenen Umständen auch die Tatsache, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug überhaupt in den linken Seitenbereich geraten ist, dafür, dass der Beklagte zu 1 seiner doppelten Rückschaupflicht nicht genügt und den Kläger infolgedessen durch sein - des Beklagten zu 1 - Ausscheren gefährdet hat; denn eine andere Ursache für das Abkommen des Klägers von der Fahrbahn ist nicht ersichtlich.

14

Zwar hat der Beklagte zu 1 auch gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO verstoßen, wonach nur überholen darf, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Nach den ergänzenden Angaben, die der Sachverständige S. bei der Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens vor dem Landgericht gemacht hat, hätte ein Überholvorgang bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h eine Sichtweite von ca. 400 m erfordert, während tatsächlich bis zur nächsten Kurve lediglich eine solche von höchstens 275 m bis maximal 300 m gegeben gewesen ist (vgl. Bl. 214). Genau denselben Verkehrsverstoß muss sich aber auch der Kläger vorwerfen lassen, sodass dieser Fehler beim Überholen durch beide Pkw-Führer bei der Haftungsquotelung letztlich unberücksichtigt bleiben kann.

15

Den Kläger trifft allerdings ein erhebliches mitwirkendes Verschulden an dem Verkehrsunfall und dessen Verletzungsfolgen, das er sich gemäß § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB entgegenhalten lassen muss. Zwar lässt sich nicht feststellen, dass er bei seinem Überholmanöver die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten hat. Der Sachverständige S. hat die vom ihm - dem Kläger - zum Unfallzeitpunkt gefahrene Geschwindigkeit nämlich nur in einer Bandbreite von ca. 65 bis 90 km/h zu bestimmen vermocht. Auch wenn der Sachverständige weiter ausgeführt hat, es sei davon auszugehen, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw des Klägers eher in Richtung der Obergrenze von 90 km/h gelegen habe, so lässt sich angesichts fehlender Anknüpfungstatsachen letztlich doch nicht ausschließen, dass der Kläger die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht überschritten hat.

16

Das Überholmanöver des Klägers war in der konkreten Situation jedoch gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO unzulässig, weil für ihn eine unklare Verkehrslage bestand. Da in der zuvor durchfahrenen leichten Linkskurve ein Überholen gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO untersagt war, musste der Kläger auch ohne Anzeichen damit rechnen, dass der Beklagte zu 1 auf der nachfolgenden geraden Strecke versuchen würde, seinerseits den vor ihm mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 bis 60 km/h herfahrenden Pkw VW Polo der Zeugin W. zu überholen. Jedenfalls durfte er nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte zu 1 hinter diesem Fahrzeug bleiben würde. Für den Kläger bestand daher eine unklare Verkehrssituation, in der er sich erst hätte vergewissern müssen, ob nicht auch der Beklagte zu 1 ein Überholmanöver beabsichtigte, oder durch Licht- oder Schallzeichen (vgl. § 5 Abs. 5 StVO) hätte sicherstellen müssen, dass dieser seine - des Klägers - Überholabsicht zuverlässig und rechtzeitig bemerkte (vgl. zum Vorstehenden insgesamt OLG Karlsruhe MDR 2001, 1235, 1236 [OLG Karlsruhe 26.07.2001 - 9 U 195/00] m.w.N.).

17

Im Sinne weiteren Mitverschuldens muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er den Sicherheitsgurt bei Fahrtantritt nicht angelegt hatte und dass die schwersten Verletzungen, die er bei dem Unfall erlitten hat, nämlich das Schädel-Hirn-Trauma, die Rippenserienfraktur und die Lungenprellung, ohne dieses Versäumnis nicht eingetreten wären. Dies hat das Landgericht auf den Seiten 5 unten bis 7 oben der Leseabschrift des angefochtenen Urteils auf der Grundlage der von ihm eingeholten zahlreichen Gutachten zutreffend und überzeugend begründet. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

18

Da das Fehlverhalten des Klägers, das zu dem Unfall und den Verletzungsfolgen geführt hat, insgesamt schwerer wiegt als dasjenige des Beklagten zu 1, ist der Senat der Auffassung, dass die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 60: 40 zu Lasten des Klägers nicht zu beanstanden ist.

19

2.

Insbesondere angesichts der Tatsache, dass die schwersten Verletzungen, die der Kläger bei dem Unfall erlitten hat, durch ein Anlegen des Sicherheitsgurtes vermieden worden wären, hält der Senat das Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 DM für überhöht, das das Landgericht dem Kläger zugesprochen hat.

20

a)

Ausgangspunkt für die Frage der Höhe des zu bemessenden immateriellen Schadens ist, dass der Schmerzensgeldanspruch ein Ausgleichsanspruch eigener Art ist, dem eine doppelte Funktion zukommt. Der Anspruch soll einerseits für den Geschädigten einen Ausgleich für die immateriellen Nachteile, d.h. für die körperlichen und seelischen Lebensbeeinträchtigungen schaffen, wodurch der Verletzte in die Lage versetzt werden soll, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl., § 847 Rn. 4). Andererseits soll dem Geschädigten Genugtuung für das ihm zugefügte Unrecht gewährt werden.

21

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes sind alle Umstände zu beachten, die dem Fall sein besonderes Gepräge geben. Als Folgen sind insbesondere zu berücksichtigen das Verletzungsbild in Form der Art und Dauer der Beeinträchtigung und vorhandenen Schmerzen, das Vorliegen eines Dauerschadens, der Heilungsverlauf und der gegenwärtige körperliche Zustand des Geschädigten.

22

b)

Hier hat der Kläger bei dem Unfall ausweislich des vom Landgericht eingeholten fachneurologischen Gutachtens des Direktors der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätskrankenhauses E. Prof. Dr. W. vom 4. April 2000 ein Polytrauma mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma erlitten, das zu einer Schädigung des Gehirns mit akutem Hirnödem sowie intrazerebralen Kontusionsblutungen geführt hat. Außerdem ist es unfallbedingt zu einer Felsenbeinfraktur rechts, zu einer Rippenserienfraktur links und zu einer beidseitigen Lungenprellung gekommen. Der Kläger befand sich im Anschluss an den Unfall für gut zwei Jahre und drei Monate in verschiedenen Krankenhäusern in stationärer Behandlung. Die substantiellen Hirnschädigungen sind irreparabel und haben zu einem bleibenden Hirnstammsyndrom mit spastischer Gangstörung sowie einem organisch bedingten Psychosyndrom mit Störungen der Gedächtnis-, Konzentrations- und kognitiven Funktionen geführt. Im Übrigen liegt beim Kläger eine deutliche psychomotorische Verlangsamung vor. Zwar ist der Krankheits- und Heilungsverlauf aus neurologischer Sicht insgesamt als positiv zu werten. Der Kläger ist jedoch erwerbsunfähig und lediglich noch für leichte körperliche Tätigkeiten ohne wesentliche Anforderungen an feinmotorisches Geschick, Arbeitstempo und andauernde Konzentration mit ausreichenden Ruhephasen einzusetzen.

23

Angesichts der Tatsache, dass - wie bereits dargelegt - die Mehrzahl dieser Unfallfolgen vermieden worden oder lediglich in deutlich abgemilderter Form aufgetreten wären, wenn der Kläger zum Unfallzeitpunkt angegurtet gewesen wäre, hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 DM für angemessen und ausreichend. Dabei hat er auch die die beiden Fahrzeugführer treffenden Verschuldensanteile am Zustandekommen des eigentlichen Unfalls ebenso mit berücksichtigt wie die sog. Vergleichsrechtsprechung.

24

3.

Angesichts der Verletzungen, die der Kläger bei dem Unfall erlitten hat, liegt die Möglichkeit des Entstehens weiterer materieller oder immaterieller Schäden auf der Hand. Daher hat das Landgericht das Feststellungsinteresse für die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für zukünftige materielle und Immaterielle Schäden zutreffend bejaht. Dass es dabei von einer Haftungsverteilung von 60: 40 zu Lasten des Klägers ausgegangen ist, ist - wie oben bereits in anderem Zusammenhang dargelegt worden ist - nicht zu beanstanden. Insoweit konnte die Berufung der Beklagten daher keinen Erfolg haben.

25

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 515 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.