Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.11.1985, Az.: 5 U 41/85
Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld auf Grund eines Reitunfalls
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.11.1985
- Aktenzeichen
- 5 U 41/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 30781
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:1107.5U41.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 21.12.1984 - AZ: 2 O 435/84
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 833 BGB
- § 847 BGB
Fundstellen
- NJW-RR 1986, 114 (Volltext mit red. LS)
- VersR 1986, 396-397 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 1985
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 21. Dezember 1984 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer: 24.767,20 DM.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Reitunfalls vom 30.3.1983, bei dem sie von dem Pferd "..."stürzte und verletzt wurde.
Sie behauptet, das Pferd "..." sei unvorhersehbar mit einem riesigen Satz aus ganz ruhigem Schritt heraus steil hoch nach vorne weggesprungen; dieses Pferd habe sie von den Beklagten als Haltern gegen Entgelt gemietet. Aufgrund der erlittenen Verletzungen habe sie bis September 1984 einen Verdienstausfall in Höhe von 8.767,20 DM erlitten. Sie ist ferner der Ansicht, ihre Verletzungen und Beeinträchtigungen würden ein Schmerzensgeld von 10.000 DM rechtfertigen. Die Beklagten seien darüber hinaus verpflichtet, ihr allen künftigen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagten behaupten, nur die Beklagte zu 2. sei Halterin des Pferdes. Die von der Klägerin für das Reiten bezahlten 12,00 DM habe der Reitverein allein für die Nutzung seiner Anlage erhalten.
Das Landgericht hat die Klage nach Zeugenvernehmungen mit der Begründung abgewiesen, die Haftung der Beklagten nach § 833 BGB entfalle, weil der Klägerin das Pferd aus reiner Gefälligkeit überlassen worden sei. Die Klägerin habe nicht bewiesen, daß sie dafür ein Entgelt gezahlt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Abänderung des am 21. Dezember 1984 verkündeten Urteils des Landgerichts Hildesheim
- 1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin 18.767,20 DM nebst 9 % Zinsen seit dem 15. Juni 1984 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin aus dem Reitunfall vom 30. März 1983
- a.
allen weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit er zur Zeit noch nicht hinreichend überschaubar ist,
- b.
allen weiteren materiellen Schaden, der seit dem 1. Oktober 1984 entstanden ist und noch entsteht, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts (samt seinen Verweisungen) sowie auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin kann gegenüber dem Beklagten aufgrund des Reitunfalls vom 30. März 1983 Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, die sich im vorliegenden Fall allenfalls aus den Vorschriften der §§ 833, 847 BGB ergeben könnten, da ein Verschulden der Beklagten an dem Reitunfall (§ 823 BGB) weder vorgetragen worden noch ersichtlich ist, nicht geltend machen.
I.
Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß die Klägerin i.S. des § 833 BGB "durch ein Tier" verletzt worden ist; denn auch nach dem Vortrag der Beklagten beruht der Sturz der Klägerin auf einem unberechenbaren tierischen Verhalten des Pferdes, das - aus ruhigem Schritt heraus - plötzlich gescheut und einen "kleineren seitlichen Galoppsprung" gemacht habe.
II.
Unstreitig ist ferner zumindest die Beklagte zu 2. Halterin des Pferdes "..."; daß daneben auch der Beklagte zu 1. Halter des Pferdes ist, kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden. (Jedenfalls kann anstelle der Beklagten nicht der Reit- und Fahrverein Hämelerwald e. V., bei dem das Pferd untergestellt ist, als sein Halter angesehen werden, da das Tier weder den Interessen des Vereins dient noch von ihm unterhalten wird (vgl. BGH VersR 1982, 348; OLG Celle (1. Zivilsenat), VersR 1979, 161). Der Verein ist nicht berechtigt, das Pferd für eigene Zwecke einzusetzen, und die Kosten seiner Unterbringung, Unterhaltung und Pflege trägt in vollem Umfang die Beklagte zu 2.).
III.
Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Klägerin entfallen jedoch, weil ein Schadensfall der vorliegenden Art nicht unter den Schutzzweck der Gefährdungshaftung des Tierhalters fällt.
1.
Die Haftung der Beklagten entfällt zwar nicht, weil sich die Klägerin bei der Verwirklichung einer Gefahr verletzte, die typischerweise mit dem Reiten verbunden ist und in die sie sich freiwillig begeben hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des erkennenden Senats besteht die Haftung des Pferdehalters gemäß § 833 BGB vielmehr grundsätzlich auch gegenüber einem Reiter, der im eigenen Interesse das Pferd benutzt (BGH VersR 77, 864; 82, 348; 82, 366).
2.
Die Haftung der Beklagten gemäß § 833 BGB entfällt aber im vorliegenden Fall wegen der Art und Weise der Gebrauchsüberlassung. Die ausschließlich auf der freundschaftlichen oder zumindest sportkameradschaftlichen Beziehung der Parteien beruhende und nach den Bekundungen der Zeugen ... und ... - im Verhältnis der Parteien - völlig unentgeltliche Überlassung des Pferdes aus Gefälligkeit rechtfertigt einen Ausschluß der Tierhalterhaftung (vgl. BGH a.a.O.), denn die Interessenlage der Parteien entspricht nicht den gesetzgeberischen Gedanken der Tierhalterhaftung. Die Vorschrift des § 833 BGB verpflichtet den Tierhalter, der mit seiner im eigenen Interesse betriebenen Tierhaltung eine Gefahrenquelle für Dritte schafft, zum Ersatz des durch die Tierhaltung verursachten und auch bei aller Sorgfalt nicht zu vermeidenden Schadens eines Dritten, da dieser in der Regel zur Duldung der Tierhaltung und der von ihr ausgehenden Gefahren verpflichtet ist. Sie schafft mithin einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Halters und des Geschädigten. Derart widerstreitende Interessen sind zwischen der Klägerin und den Beklagten jedoch nicht gegeben.
a.
Das Interesse der Klägerin und ihre Vorteile an der Haltung des Pferdes "..." durch die Beklagten waren erheblich. Sie konnte es wie ein Halter benutzen. Nach den Bekundungen der Zeugen ... und ... war die Klägerin uneingeschränkt berechtigt, das Pferd zu reiten. Sie brauchte dafür den Beklagten keinerlei Entgelt zu entrichten. An den Kosten des Pferdes hat sie sich unstreitig nicht beteiligt.
b.
Die Beklagten haben durch das Reiten der Klägerin auch keinen Vorteil erlangt. Der von ihr gezahlte Betrag von 12 DM floß nach den Bekundungen der Zeugen ... und ... allein dem Verein für die Nutzung seiner Anlage zu. Daraus haben die Beklagten auch nicht mittelbar einen Vorteil erlangt. Nach der Bekundung des Zeugen ... sind die auf diese Art und Weise erzielten Einnahmen im Verhältnis zum Jahresetat des Vereins so gering, daß sie sich auf die Höhe der Mitgliedsbeiträge und die von den Haltern der Pferde zu zahlenden Unterstellkosten nicht auswirken.
Richtig ist zwar, daß das Pferd der Beklagten regelmäßig der Bewegung bedarf. Auch insoweit haben sie durch das Reiten der Klägerin aber keinen Vorteil erlangt. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß sie als Gegenleistung für die unentgeltliche Nutzung des Pferdes verpflichtet war, es regelmäßig zu reiten. Dagegen spricht darüber hinaus das von der Klägerin vorgetragene Schreiben der Verlobten des Beklagten zu 1, wonach verschiedene andere Reiter neben dem Beklagten zu 1. das Pferd ebenfalls ritten.
B.
Die weiteren Entscheidungen beruhen auf den §§ 97 (Kosten der Berufung), 708 Nr. 10, 713 (vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils) und 546 Abs. 2 S. 1 ZPO (Festsetzung der Beschwer).
Streitwertbeschluss:
Wert der Beschwer: 24.767,20 DM.