Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.10.1985, Az.: 14 U 66/85
Schadensersatzanspruch eines Bieters bei einer öffentlichen Ausschreibung wegen nichterfolgter Ausschließung eines anderen Bieters wegen fehlender Aufgliederung der Angebotssumme
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.10.1985
- Aktenzeichen
- 14 U 66/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 30722
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:1024.14U66.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 29.01.1985 - AZ: 5 O 416/84
Rechtsgrundlagen
- § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A
- § 23 Nr. 1 VOB/A
- § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. b VOB/A
- § 25 Nr. 2 VOB/A
Fundstellen
- NJW 1986, 438 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1986, 99-100 (Volltext mit amtl. LS)
Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 1985
unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. Januar 1985 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der der Beklagten zu ersetzenden Kosten des Rechtsstreits durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 8.000 DM abzuwenden wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Beklagten wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch die Stellung einer Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu erbringen.
Beschwer für die Klägerin: 77.000 DM.
Tatbestand
Die Klägerin beteiligte sich an einer von der Beklagten 1984 vorgenommenen öffentlichen Ausschreibung zur Errichtung einer Abwasserteichanlage "...". Außerdem lagen bei der Eröffnung der Angebote am 15. März 1984 noch sieben weitere Angebote vor. Das Angebot der Klägerin lautete über 627.689,93 DM, während die Firma ... aus ... ein Angebot über 541.746,17 DM unterbreitete. Die übrigen Angebote lagen weitaus höher. Am 27. Juni 1984 erteilte die Beklagte der Firma ... den Auftrag.
Die Klägerin verlangt nunmehr von der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß Schadensersatz mit der Begründung, der Zuschlag habe der Firma ... nicht erteilt werden dürfen, weil deren Angebot das Formblatt "Aufgliederung der Angebotssumme - EFB-Preis 1 (1978) -" nicht beigelegen habe. Aus diesem Grunde hätten auch das Wasserwirtschaftsamt ... und die Bezirksregierung ..., deren Zustimmung wegen der beabsichtigten Inanspruchnahme öffentlicher Mittel erforderlich gewesen sei, das Angebot der Firma ..., ausgeschieden. Darüber habe sich die Beklagte aber hinweggesetzt, offenbar in der Annahme, daß sie die Zuschüsse trotzdem erhalten werde.
Da der Klägerin als nächstgünstiger Anbieterin bei einem Ausschluß der Firma ... der Zuschlag erteilt worden wäre, habe die Beklagte das Erfüllungsinteresse zu ersetzen, das mindestens 77.000 DM betrage. Die Klägerin hat jedoch nicht Zahlung dieses Betrages verlangt, sondern Ersatz des vom Gericht nach § 287 ZPO zu schätzenden Schadens.
Das Landgericht hat die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Zwar könne ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens der Beklagten bei Vertragsverhandlungen (sog. culpa in contrahendo) bestehen. Jedoch könne nicht das Erfüllungsinteresse verlangt werden, das die Klägerin zudem auch der Höhe nach nicht ausreichend dargetan habe. Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses habe die Klägerin nicht erhoben.
Mit der Berufung verlangt die Klägerin jetzt unter Hinweis auf von ihr vorgelegte Schadensaufstellungen Zahlung von 77.000 DM. Zumindest müsse die Beklagte die Kosten von 7.659,48 DM ersetzen, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Ausschreibung entstanden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagte zur Zahlung von 77.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26. September 1984 (Zustellung der Klage) an die Klägerin zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
ihr im Falle einer Maßnahme nach § 711 ZPO zu gestatten, die Sicherheitsleistung auch durch die Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Sie hält weiterhin einen Schadensersatzanspruch der Klägerin schon dem Grunde nach nicht für gegeben und bestreitet den Anspruch auch der Höhe nach.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin vom 25. März 1985 (Bl. 85-91), die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 6. Juli 1985 (Bl. 111-120) sowie die Schriftsätze der Klägerin vom 2. und 4. Sept. 1985 (Bl. 121-126 und 133) und der Beklagten vom 4. Sept. 1985 (Bl. 127-132).
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
1.
Durch die den Regeln der VOB/A - die Geltung dieser Verdingungsordnung ist zwischen den Parteien unstreitig - folgende Ausschreibungen der Beklagten und der Beteiligung der Klägerin daran ist zwar zwischen den Parteien ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustandegekommen, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtete und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten entstehen ließ, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche begründen kann (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, zuletzt ZfBR 1985, 78, 79). Die Beklagte hat aber sie treffende Sorgfaltspflichten nicht verletzt.
2.
Durch die Annahme des Angebots der Firma ... hat die Beklagte nicht gegen die Ausschließungsregeln der VOB/A verstoßen.
a)
Die Beklagte war nicht verpflichtet, das Angebot der Firma Reichelt geb. §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 b, 23 Nr. 1, 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A auszuschließen, weil das Formblatt "EFB-Preis 1" nicht beilag. Dies gilt schon deshalb, weil § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOB/A lediglich bestimmt, welchen Inhalt die Angebote haben sollen, die vom Bieter zu erstellende Aufgliederung der Angebotssumme jedoch, wie in dem Formular auch ausdrücklich nochmals hervorgehoben war, nicht Vertragsbestandteil werden sollte und damit auch nicht Teil des Angebots war. Die Aufgliederung diente vielmehr lediglich als Hilfsmittel für die nach § 25 Nr. 2 VOB/A vorzunehmende Prüfung, ob der Bieter die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung notwendige Sicherheit bietet (vgl. Daub/Piel/Soergel ErlZ A 25.162 und 25.165 ff). Das Fehlen der lediglich zur Eignungsprüfung nach § 25 Nr. 2 VOB/A vorzulegenden Aufgliederung der Angebotssumme führt daher nicht zum Ausschluß des Bieters, sondern kann allenfalls bei der sich anschließenden Eignungsprüfung von Bedeutung sein. Damit in Einklang steht auch, daß die Aufgliederung der Angebotssumme erst unter Nr. 3 des Vergabehandbuchs (VHB - vgl. Bl. 38, 39 d.A. -) erwähnt wird, während die Ausschließungsgründe vorher unter Nr. 2.1 behandelt werden und unter 2.3 angeführt wird, daß u.a. auch die Aufgliederung der Angebotssumme (EFB-Preis 1) die Grundlage der Beurteilung der in die engere Wahl kommenden Angebote bildet, was verdeutlicht, daß diese Erläuterung des Bieters erst für dieses Prüfungsstadium von Bedeutung ist.
Zur berücksichtigen ist ferner, daß in § 25 Nr. 1 Abs. 1 b VOB/A als Ausschließungsgrund nur der Fall erwähnt ist, daß Angebote mehr als die Angabe des Preises und die geforderden Erklärungen enthalten. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, die Abgabe einwandfreier, rechtsverbindlicher und insbesondere miteinander vergleichbarer Vertragsangebote zu erreichen, was Voraussetzung für einen echten Wettbewerb unter den Bietern ist (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 10. Auflage, Randnr. 4 zu § 25 VOB/A; Daub/Piel/Soergel ErlZ A 21.6). Der Auftraggeber soll nicht durch zusätzliche Erklärungen beeinflußt werden. Nicht als Ausschließungsgrund erwähnt wird in §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 b, 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A der Fall, daß dem Angebot eine zusätzlich geforderte Erklärung nicht beilag. Danach soll das Fehlen einer beizufügenden Unterlage jedenfalls nicht ohne weiteres zur Ausschließung führen. Vielmehr ist entsprechend dem bereits genannten Sinn und Zweck der Ausschließungsregelung zu prüfen, ob durch die fehlende Erklärung der Wettbewerb beeinflußt werden kann (vgl. Ingenstau/Korbion a.a.O. Randnr. 8 zu § 25 VOB/A; Daub/Piel/Soergel ErlZ A 23.15 und 25.25). Dies ist hinsichtlich des Formblatts "Aufgliederung der Angebotssumme" aber zu verneinen. Wie bereits ausgeführt, dient das Formblatt lediglich der Eignungsprüfung nach § 25 Nr. 2 VIB/A. Für die Erreichung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs ist es ohne wesentliche Bedeutung.
b)
Der Beklagten kann auch nicht der Vorwurf schuldhaften Verhaltens gemacht werden, weil sie das Angebot der Firma ... bei der Eignungsprüfung gem. § 25 Nr. 2 VOB/A nicht ausgeschieden hat. Bei dieser Prüfung waren neben der Fachkunde des Anbieters, dessen Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit auch alle technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte mitzuberücksichtigen. Die Beklagte hatte bei dieser Gesamtschau anders als bei der Anwendung von Verfahrensvorschriften der VOB/A einen angemessenen Beurteilungsspielraum (BGH ZfBR a.a.O.). Das Fehlen des Formblatts "EFB-Preis 1" war dabei ein Einzelumstand, der zwar zu beachten war, aber ohne weiteres dadurch ausgeglichen werden konnte, daß die Beklagte aufgrund anderer Umstände und Tatsachen das Angebot der Firma ... für geeigent hielt. Daß die Beklagte bei dieser Gesamtschau den ihr zustehenden Speilraum überschritten hat, hat die Klägerin nicht dargetan und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dagegen spricht auch, daß die Firma ... die Arbeiten, wie die Beklagte unbestritten vorgetragen hat, zur Zufriedenheit der Beklagten ausgeführt hat.
3.
Unerheblich ist schließlich, ob das Wasserwirtschaftsamt ... und die Bezirksregierung ... hinsichtlich der Frage, ob das Angebot der Firma ... auszuschließen war, zu einer anderen Beurteilung als die Beklagte gekommen waren. Auftraggeberin war die Beklagte, die somit auch allein über die Vergabe zu befinden hatte. Auch nach dem Vortrag der Klägerin war die Mitwirkung anderer Behörden lediglich wegen der von der Beklagten erstrebten öffentlichen Bezuschussung erforderlich, berührte aber die Zuständigkeit der Beklagten für die Vergabe der Arbeiten nicht. Die fehlende Zustimmung der Verwaltungsbehörden konnte danach allenfalls dazu führen, daß die Beklagte keinen Zuschuß erhielt, aber keinen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte begründen, daß diese nicht der Firma ... sondern der Klägerin den Auftrag erteilte.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist.
Die sonstigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO. Den Antrag, eine Sicherheitsleistung durch Stellung einer Bürgschaft erbringen zu können, hat nur die Beklagte gestellt.
Streitwertbeschluss:
Beschwer für die Klägerin: 77.000 DM.