Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.05.2003, Az.: 2 A 2243/01
Beweismittel; grobes Verschulden; Vorverfahren; Wiederaufgreifen des Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 13.05.2003
- Aktenzeichen
- 2 A 2243/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48068
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 68 VwGO
- § 75 VwGO
- § 51 Abs 2 VwVfG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks in E., das mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut ist. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein Baudenkmal.
In den Jahren 1993 bis 1995 ließ der Kläger in dem Gebäude u. a. eine neue Heizungsanlage einbauen sowie die Elektrik und die Sanitäranlagen sanieren. Hierfür entstanden, nachgewiesen durch Rechnungen, im Jahr 1993 81.266,41 DM, im Jahr 1994 40.633,00 DM und im Jahr 1995 47.764,58 DM (insgesamt 169.663,99 DM) Aufwendungen.
Für diese Aufwendungen beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Bescheinigung nach § 7i EStG. Mit Bescheid vom 12. März 1998 versagte die Beklagte eine solche Bescheinigung, da hinsichtlich der Durchführung der Maßnahmen keine Abstimmung mit ihrer Denkmalbehörde durchgeführt worden sei. Diesen Bescheid ließ der Kläger bestandskräftig werden.
Im September 1999 wandte sich das Architekturbüro G. und Partner für den Kläger mit der Bitte an die Beklagte die Entscheidung zu überprüfen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 1999 ab.
Unter dem 12. Juli 2000 erteilte der Dipl.-Ing E., der bis zum 18. Oktober 1993 im Bauaufsichtsamt der Beklagten u.a. als Sachbearbeiter der unteren Denkmalschutzbehörde tätig gewesen ist, dem Kläger eine Bescheinigung darüber, dass sämtliche vom Kläger durchgeführten Maßnahmen vor Beginn der Arbeiten mit der unteren Denkmalschutzbehörde abgesprochen gewesen seien. Dies treffe für seine Person bis zum 18. Oktober 1993 zu, da er danach aus dem Dienst der Beklagten ausgeschieden sei. Eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Bestätigung erteilte Herr E. dem Kläger unter dem 05. November 2000.
Der Kläger will ein auf den 24. Juli 2000 datiertes Schreiben an die Beklagte abgeschickt haben, mit dem er „Widerspruch“ einlegte und sich mit der Begründung inhaltlich gegen den Bescheid vom 12. März 1998 und das Schreiben der Beklagten vom 20. September 1999 wandte, dass alle Baumaßnahmen vor Ausführung mit Herrn E. abgesprochen worden seien. Dies ergebe sich aus der eingereichten Erklärung des Herrn E.. Dieses Schreiben befindet sich nicht in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten.
Mitte Dezember 2000 bat der Kläger die Bezirksregierung Braunschweig, das Verfahren wieder aufzunehmen. Die Bezirksregierung leitete das Begehren an die Beklagte weiter.
Unter dem 26. Juni 2001 wandten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers an die Beklagte und wiesen darauf hin, dass es sich bei dem Schreiben vom 24. Juli 2000 um einen vorsorglich gestellten Antrag nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG handele. Weder hierauf noch auf das Anschreiben der Bezirksregierung Braunschweig vom 13. Dezember 2000 habe die Beklagte reagiert. Der Kläger hoffe, auf seine beiden Schreiben und das Anschreiben der Bezirksregierung Braunschweig nun doch einen Bescheid zu erhalten.
Unter dem 31. Juli 2001 teilte die Beklagte den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf deren Schreiben vom 26. Juni 2001 mit, dass die Angelegenheit bereits abschließend bearbeitet worden sei. Nach wie vor sehe sie keine Möglichkeit, dem Kläger zu helfen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieses Schreiben nicht.
Am 24. August 2001 hat der Kläger Klage erhoben.
Er ist der Ansicht, die Beklagte habe die von ihm erbetene Entscheidung seines Antrages vom 24. Juli 2000 verweigert, weshalb er Untätigkeitsklage erheben müsse. Er habe den Bescheid der Beklagten vom 12. März 1998 bestandskräftig werden lassen, da er über den Verbleib des Herrn E. nichts gewusst habe und ihn deshalb auch nicht als Zeugen habe benennen können. Mit Herrn E. sei jedoch eine Abstimmung der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen erfolgt. Erst Mitte Juli 2000 habe er Kontakt zu Herrn E. aufnehmen können, so dass er nun erstmals habe Beweis führen können.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 12. März 1998 aufzuheben und dem Kläger eine Bescheinigung gem. § 7i EStG des Inhalts auszustellen, dass die von dem Kläger für sein Wohn- und Geschäftshaus in E. in den Jahren 1993 bis 1995 durchgeführten Maßnahmen an der Heizungsanlage und der Innenausstattung (Elektrik und Sanitär) mit Aufwendungen in Höhe von 169.663,00 DM der Erhaltung des Baudenkmals dienten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen..
Das Verfahren könne nicht wieder aufgenommen werden, da der Kläger die Wiederaufnahmegründe bereits im Widerspruchsverfahren hätte geltend machen können. Es wäre ihm möglich gewesen, den Dipl.-Ing. E. als Zeugen zu benennen. Die Anschrift des Herrn E. hätte über die Beklagte in Erfahrung gebracht werden können. Auch in der Sache sei der Anspruch auf eine Bescheinigung nach § 7i EStG nicht gegeben. Die Durchführung eines Ortstermins und von Gesprächen zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter ihrer Denkmalschutzbehörde reichten nicht aus, um von einer Abstimmung im Sinne von § 7i EStG reden zu können. Vielmehr müsse eine Abstimmung anhand vorzulegender Pläne und Kostenvoranschläge erfolgen. Dies sei nicht geschehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Entgegen § 68 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 VwGO hat der Kläger vor Erhebung seiner Verpflichtungsklage kein Vorverfahren durchgeführt. Ein solches ist nicht wie der Kläger anzunehmen scheint, gem. § 75 VwGO wegen Untätigkeit der Beklagten entbehrlich. Denn die Beklagte hat über den Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens sachlich im abschlägigen Sinne entschieden.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. Juni 2001 präzisierte der Kläger sein bisheriges Begehren dahin, dass es sich um einen vorsorglich gestellten Antrag nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG handeln sollte. Diesen Antrag hat die Beklagte im Sinne einer verbindlichen Regelung mit Verfügung vom 31. Juli 2000 abschlägig beschieden. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das anwaltliche Schreiben vom 26. Juni 2001 teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, die Angelegenheit sei bereits abschließend bearbeitet worden. Indem die Beklagte in dieser Verfügung weiter ausführt, sie sehe nach wie vor keine Möglichkeit, dem Kläger zu helfen, lehnt sie seinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in der Sache ab. Es handelt sich bei der Verfügung vom 31. Juli 2001 deshalb um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG, gegen den ein Widerspruch nicht nur statthaft, sonder vor Erhebung der Verpflichtungsklage auch zwingend erforderlich ist. Zwar enthält der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2001 keine Rechtsbehelfsbelehrung; dies ändert jedoch nichts am Verwaltungsaktcharakter der Regelung. Für diesen ist, wie sich auch aus § 58 Abs. 2 VwGO ergibt, die Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht konstitutiv.
Liegen somit die Voraussetzungen des § 75 VwGO nicht vor, ist die Ersetzung des Vorverfahrens auch nicht durch die rügelose Einlassung der Beklagten auf die Klage möglich. Solches wird schon für den Fall verneint, dass sich die für den Widerspruch zuständige Behörde rügelos auf die Klage einlässt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage, vor § 68 Rnr. 11). Es muss erst recht dann gelten, wenn sich, wie hier, eine nicht für den Widerspruch zuständige Behörde – dies wäre die Bezirksregierung Braunschweig gewesen – rügelos auf die Klage einlässt.
Die Klage ist darüber hinaus unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2001, mit dem sie die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Wiederaufgreifen des Verfahrens.
Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens kommt deshalb nicht in Betracht, weil der klägerische Antrag gem. § 51 Abs. 2 VwVfG unzulässig ist.
Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelfe, geltend zu machen. Dem Kläger war es jedoch möglich, den Grund für das Wiederaufgreifen in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen den die Bescheinigung nach § 7i EStG verweigernden Bescheid der Beklagten vom 12. März 1998 geltend zu machen.
Der Grund für das Wiederaufgreifen ist die vom Kläger behauptete Tatsache, vor Durchführung der Sanierungsarbeiten habe mit dem ehemaligen Mitarbeiter E. der Beklagten eine Abstimmung im Sinne von § 7i Abs. 1 Satz 6 EStG stattgefunden. Das Beweismittel für diese Tatsachenbehauptung ist mithin der Dipl.-Ing. E. als Zeuge. Sowohl das Vorbringen der Tatsachenbehauptung als auch die Nennung des Zeugen E. war dem Kläger in einem durchzuführenden Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 12. März 1998 zuzumuten. Der Kläger kann nicht mit dem Argument gehört werden, dieses Beweismittel sei seinerzeit nicht beschaffbar gewesen. Es hätte vielmehr der dem Kläger obliegenden Mitwirkungspflicht nach § 26 Abs. 2 Satz 1 VwVfG entsprochen, dass der Kläger im Widerspruchsverfahren die von ihm behauptete Tatsache und den Zeugen E. als Beweismittel angegeben hätte (§ 26 Abs. 2 Satz 2 VwVfG). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es der Beklagten als früherer Arbeitgeberin des Zeugen im Rahmen der ihr nach § 24 Abs. 1 VwVfG obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht hätte gelingen können, die aktuelle Anschrift des Zeugen E. zu ermitteln und seine entsprechende Aussage zu verwerten. Wenn sich der Kläger stattdessen nicht weiter um die Sache gekümmert hat, so ist ihm grobes Verschulden im Sinne von § 51 Abs. 2 VwVfG vorzuwerfen (vgl. Kopp, VwVfG, 6. Auflage, § 51 Rnr. 30 m. w. N.). Diesen Verschuldensvorwurf vermag der Kläger nicht dadurch zu entkräften, dass er sich zu derartigem Handeln deshalb genötigt sah, weil er den Rechtsbehelf des Widerspruches wegen angeblich in der Vergangenheit mit Mitarbeitern der Beklagten gemachter schlechter Erfahrungen nicht für erfolgversprechend gehalten hat. Die Rechtsordnung sieht in einem förmlichen (Widerspruchs-) Verfahren für den von einem belastenden Verwaltungsakt betroffenen Bürger die Möglichkeit vor, sich gegen diesen Verwaltungsakt im Wege des Widerspruches zu wenden, wenn er ihn für rechtswidrig oder unzweckmäßig hält. Diese Möglichkeit wahrzunehmen, ist jeder Bürger jedoch auch gehalten, bevor er ein Gericht um Streitentscheidung bemüht.
Infolge dessen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, dass der Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens auch deshalb unzulässig ist, weil er den Antrag entgegen § 51 Abs. 3 VwVfG nicht binnen drei Monaten nach dem er von dem Grund für das Wideraufgreifen Kenntnis erhalten hat, gestellt hat.